Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassung der Revision (Divergenz); umsatzsteuerliche Würdigung des Roulettespiels
Leitsatz (NV)
1. Zur Darlegung der Divergenz (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO) muß die betreffende BFH-Entscheidung mit Aktenzeichen und Datum oder mit der Fundstelle angegeben werden; darüber hinaus müssen abstrakte Rechtssätze aus dem vorinstanzlichen Urteil abstrakten Rechtssätzen aus der BFH-Entscheidung in einer die geltend gemachte Abweichung kennzeichnenden Weise gegenübergestellt werden.
2. Ob die angegebenen abstrakten Rechtssätze sich aus den Entscheidungen wirklich ableiten lassen, ist nicht eine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde.
3. Den - zu Geldspielautomaten ergangenen - BFH-Urteilen vom 17. Oktober 1958 V 47/57 U (BFHE 68, 53, BStBl III 1959, 20), vom 14. Dezember 1961 V 114/61 (HFR 1962, 244) und vom 4. Februar 1971 V R 41/69 (BFHE 102, 136, BStBl II 1971, 467) ist weder zu entnehmen, daß beim Roulettespiel ähnlich wie beim Spielen mit Geldautomaten jeder Einsatz eines Spielers die Bemessungsgrundlage des betreffenden Umsatzes darstelle, noch bringen sie zum Ausdruck, daß die Sachlage beim Spiel mit Geldautomaten und beim Roulettespiel ähnlich sei.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 S. 3; UStG 1967 § 1 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Mit seiner u.a. gegen den geänderten Umsatzsteuersammelbescheid 1969 und 1970 gerichteten Klage wollte der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) u.a. erreichen, daß die Bemessungsgrundlage für seine Umsätze aus verbotenem Glücksspiel in der Form von 24er Roulette in geringerer Höhe berechnet werde (Ansatz in Höhe der Summe der von den Spielern verlorenen Spieleinsätze anstelle einer Schätzung auf das 25fache der festgestellten Einnahmen, vermindert um die entsprechende Umsatzsteuer).
Das Finanzgericht (FG) nahm an, daß die Spieleinnahmen des Klägers nur mit dem Faktor 6 hätten multipliziert werden dürfen, und gab der Klage insoweit statt. Das Urteil enthält keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde, der vom FG nicht abgeholfen worden ist, macht der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) geltend, die Revision sei zuzulassen, weil das FG von Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) abgewichen sei und die Divergenz den die Vorentscheidung tragenden Grund darstelle. Nach Entscheidungen des Reichsfinanzhofs - RFH - (Urteile vom 26. Juni 1928 V A 254/28, RFHE 23, 301, RStBl 1928, 273; vom 27. Januar 1933 V A 874/32, RFHE 32, 318, RStBl 1933, 1211; vom 17. November 1933 V A 534/33, RStBl 1934, 174) sei bei Glücksund Geschicklichkeitsspielen (Spielen an Geldspielautomaten und Roulettespiele) der Umsatz vom Erfolg des Spielers abhängig, und die Summe der verlorenen Spieleinsätze bilde das umsatzsteuerpflichtige Entgelt. Der BFH weiche in seinen zu Geldspielautomaten getroffenen Entscheidungen (Urteile vom 17. Oktober 1958 V 47/57 U, BFHE 68, 53, BStBl III 1959, 20; vom 14. Dezember 1961 V 114/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1962, 244; vom 4. Februar 1971 V R 41/69, BFHE 102, 136, BStBl II 1971, 467) von der RFH-Rechtsprechung ab, was die Maßgeblichkeit der verlorenen Spieleinsätze anbelange. In diesen Urteilen seien zwar keine Ausführungen zu Roulettespielen enthalten. Die höchstrichterliche Rechtsprechung gehe jedoch davon aus, daß die Sachlage beim Spiel mit Geldspielautomaten und beim Roulettespiel ähnlich sei (Hinweis auf Urteil in RStBl 1934, 174). Die Abweichung der Vorentscheidung von der BFH-Rechtsprechung bestehe darin, daß das FG Spiele mit Geldspielautomaten und das Roulettespiel nicht für vergleichbar halte; denn anderenfalls hätte das FG in Anlehnung an die BFH-Rechtsprechung jeden einzelnen Spieleinsatz - unabhängig vom Erfolg - als Leistungsentgelt angesehen. Das FG rechne nicht einmal die erfolgreichen Einsätze zum Entgelt und mindere die Einsätze zusätzlich um die Spielgewinne.
Der Kläger ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten und macht geltend, die vom FA angenommene Divergenz bestehe nicht.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zwar zulässig, aber nicht begründet.
1. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, daß das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des BFH abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). In formeller Hinsicht muß in der Beschwerdeschrift oder in einem weiteren, während der Beschwerdefrist eingereichten Schriftsatz die Entscheidung des BFH, von der das Urteil abweicht, bezeichnet werden (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Hierzu ist nach der Rechtsprechung des BFH erforderlich, daß die betreffende BFH-Entscheidung mit Aktenzeichen und Datum oder mit der Fundstelle angegeben wird und daß der Beschwerdeführer darüber hinaus abstrakte Rechtssätze aus dem vorinstanzlichen Urteil abstrakten Rechtssätzen aus der BFH-Entscheidung in einer die geltend gemachte Abweichung kennzeichnenden Weise gegenüberstellt (Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479).
Diesen Anforderungen in formeller Hinsicht genügen die Ausführungen in der Beschwerdeschrift. Das FA hat sowohl die BFH-Entscheidungen, zu denen es eine Divergenz annimmt, genau bezeichnet, als auch dargelegt, welche abstrakten rechtlichen Aussagen aus der Vorentscheidung seiner Meinung nach mit abstrakten Rechtssätzen aus den angeführten BFH-Entscheidungen nicht in Einklang stehen. Ob die angenommenen abstrakten Rechtssätze sich aus den Entscheidungen wirklich ableiten lassen, ist nicht eine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch nicht begründet; denn die vom FA angeführten BFH-Entscheidungen ergeben entgegen der Annahme des FA weder, daß nach der Ansicht des BFH beim Roulettespiel ähnlich wie beim Spielen mit Geldspielautomaten jeder Einsatz eines Spielers die Bemessungsgrundlage des betreffenden Umsatzes darstelle, noch bringen sie die Auffassung zum Ausdruck, daß die Sachlage beim Spiel mit Geldspielautomaten und beim Roulettespiel ähnlich sei.
Es trifft zwar zu, daß der RFH in seinem Urteil in RStBl 1934, 174 angenommen hat, die im Urteil in RFHE 32, 318, RStBl 1933, 1211 für das Roulettespiel aufgestellten Grundsätze, nach denen die Summe der verlorenen Spieleinsätze das umsatzsteuerpflichtige Entgelt bilde, gälten gleichermaßen für das Spiel an Geldspielautomaten. Hierzu hat der RFH ausgeführt, beim Roulettespiel bleibe zunächst in der Schwebe, ob die Spieleinsätze vom Spielunternehmer i.S. des Umsatzsteuerrechts vereinnahmt würden, und erst der Spielentscheid weise die Einsätze der verlierenden Spieler dem Spielunternehmer, die der gewinnenden Spieler diesen zu, so daß nur die ersteren als vom Spielunternehmer vereinnahmt angesehen werden könnten. Die Sachlage sei beim Spiel mit Geldspielautomaten ähnlich. Es mache keinen Unterschied, ob die Spieler an der Zurückziehung ihrer einmal gemachten Einsätze durch die Spielregeln gehindert sind, wie beim Roulette, oder durch die tatsächlichen Gegebenheiten wie nach dem Einwurf in den Automaten. Letzterer gebe dem Spieler seinen Einsatz im Falle des Gewinnes mit maschinenmäßiger Sicherheit wieder zurück. Ob das zurückgegebene Geldstück dasselbe sei wie das eingeworfene, sei gleichgültig. Auch wenn man übrigens annehmen wollte, daß der Spielunternehmer die eingeworfenen Geldstücke bereits mit dem Einwurf vereinnahmt habe, so würde in der Wiederherausgabe desselben oder eines gleichwertigen Geldstücks durch den Automaten an den Einwerfer eine Rückgewähr liegen, die steuerliche Rechtslage also die gleiche sein.
In seinem Urteil in BFHE 68, 53, BStBl III 1959, 20 hat der Senat sodann entschieden, bei Geldspielautomaten bewirke jedes einzelne Spiel einen Umsatz, gleichgültig ob der Spieler verliere, seinen Einsatz zurückerhalte oder einen Gewinn erziele. Entgelt sei nach § 10 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz 1951 (UStDB 1951) alles, was der Empfänger einer Lieferung oder sonstigen Leistung aufwendet, um die Lieferung oder sonstige Leistung zu erhalten. Maßgebend sei hiernach der Wert der Gegenleistung, wobei jedes einzelne Spiel einen Umsatz bewirke. Der gegenteiligen Ansicht des RFH in dessen Urteil in RStBl 1934, 174 werde nicht beigetreten. Damit werde zugleich die Ansicht abgelehnt, nur die Summe der von den Spielern verlorenen Spieleinsätze könne als die Summe der Entgelte angesehen werden. Bei der Berufung auf § 12 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1951 (Absetzung zurückgewährter Entgelte) werde der Umstand übersehen, daß jeder Einsatz einen besonderen Umsatz für das jeweilige, durch Einwerfen eines Geldstücks herbeigeführte Spiel darstelle, und weiter, daß eine Rückgewähr von Entgelten weder vorliege, wenn der Spieler einen Gewinn in Höhe seines Einsatzes, noch wenn er einen größeren Gewinn erziele; denn weder werde das dem Umsatz zugrunde liegende Rechtsgeschäft noch dessen Entgeltlichkeit nachträglich ganz oder teilweise aufgehoben und als Folge davon etwa das Entgelt ganz oder teilweise zurückgewährt. Vielmehr blieben das Rechtsgeschäft und dessen Entgeltlichkeit bestehen. Die Auszahlung des Einsatzes oder eines größeren Betrages als Gewinn beruhe vielmehr auf den Spielregeln zufolge des eingegangenen und bestehenbleibenden Rechtsgeschäfts und dessen ebenfalls bestehenbleibender Entgeltlichkeit.
Ebensowenig wie hierin sind in den beiden anderen vom FA angeführten Entscheidungen des Senats (HFR 1962, 244; BFHE 102, 136, BStBl II 1971, 467) Aussagen des Inhalts zu finden, daß beim Roulettespiel ähnlich wie beim Spiel mit Geldspielautomaten jeder Einsatz eines Spielers die Bemessungsgrundlage des betreffenden Umsatzes darstelle oder daß die Sachlage beim einen wie beim anderen Spiel ähnlich sei. In seinem Urteil in BFHE 102, 136, BStBl II 1971, 467 hat der Senat sogar ausdrücklich auf Unterschiede zwischen dem Roulettespiel und dem Spiel mit Geldautomaten hingewiesen. Er hat nämlich die Berufung auf das Urteil in RFHE 32, 318, RStBl 1933, 1211 abgelehnt und dazu ausgeführt, die Rechtslage sei beim Automatenspiel insofern anders als beim Roulettespiel, als bei diesem die Einsätze in der Form von Spielmarken nicht eingesammelt und vermengt würden, sondern auf den jeweiligen Plätzen des Spielfeldes liegenblieben, bis feststehe, wer das Spiel gewinne, und der Spieler im Gewinnfalle seine Spielmarken, ohne daß sie vom Bankhalter vereinnahmt würden, zurückerhalte.
Mithin liegt die vom FA geltend gemachte Abweichung der Vorentscheidung von Entscheidungen des BFH nicht vor. Auf die Frage, ob sich die Vorentscheidung im Einklang mit den RFH-Urteilen hält (vgl. Urteile in RFHE 32, 318, RStBl 1933, 1211, und in RStBl 1934, 174), braucht im vorliegenden Verfahren schon deshalb nicht eingegangen zu werden, weil die Abweichung von einer RFH-Entscheidung keine Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO begründet (BFH-Beschluß vom 18. September 1970 III B 21/70; BFHE 100, 184, BStBl II 1971, 4).
Fundstellen