Entscheidungsstichwort (Thema)
Zinslauf der Aussetzungszinsen bei Aufrechnung
Leitsatz (NV)
Rechnet der Steuerpflichtige gegen einen ausgesetzten Steueranspruch wirksam mit Gegenforderungen auf, endet der Zinslauf für Aussetzungszinsen in dem Zeitpunkt, in dem sich beide Forderungen erstmals zur Aufrechnung geeignet gegenübergestanden haben.
Normenkette
AO 1977 § 226 Abs. 1, § 237 Abs. 2 S. 1; BGB § 389
Gründe
Von einer Darstellung des Tatbestands wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.
Die Beschwerde ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen.
1. Den vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) geäußerten Bedenken, ob die Beschwerdebegründung den Anforderungen des §115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht, braucht der Senat nicht weiter nachzugehen, da die Beschwerde jedenfalls unbegründet ist (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 11. Februar 1987 II B 140/86, BFHE 148, 494, BStBl II 1987, 344).
2. Die erhobenen Verfahrensrügen betreffend Nichtberücksichtigung des Vorbringens zur Aufrechnung mit Erstattungsansprüchen bzw. zur unterlassenen Aufklärung der Bestrittenheit dieser Ansprüche sind bereits deshalb unbegründet, weil selbst im Fall der Annahme, daß solche Ansprüche in gleicher Höhe wie die ausgesetzte Einkommensteuer 1984 und 1985 existieren und nicht bestritten sind, der Klage nicht hätte stattgegeben werden können. Eine andere Entscheidung in der Sache wäre nicht möglich gewesen (vgl. §126 Abs. 4 FGO).
Nach §237 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) werden Aussetzungszinsen für die Zeit bis zu dem Tag erhoben, an dem die Aussetzung der Vollziehung endet. Erfüllt der Steuerpflichtige den ausgesetzten Steueranspruch vor diesem Zeitpunkt, endet der Zinslauf mit der Erfüllung (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, §237 AO 1977 Tz. 6). Erklärt der Steuerpflichtige wirksam die Aufrechnung mit Gegenforderungen, so bewirkt die Aufrechnung eine Erfüllung der Hauptforderung in dem Zeitpunkt, in dem sich beide Forderungen erstmals zur Aufrechnung geeignet gegenübergestanden haben (§226 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. §389 des Bürgerlichen Gesetzbuchs -- BGB --). In diesem Zeitpunkt endet dementsprechend der Zinslauf für einen ausgesetzten Steueranspruch, der durch Aufrechnung vor Ablauf der Aussetzung erfüllt wird.
Im Streitfall konnte eine Aufrechnungserklärung des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) nicht zu einer Erfüllung vor Ablauf der Aussetzung führen. Denn die Aufrechnungslage bestand im Aussetzungszeitraum noch nicht. Eine Gegenforderung ist erst dann zur Aufrechnung geeignet, wenn der Aufrechnende die Leistung fordern kann (§226 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. §387 BGB), also mit anderen Worten dann, wenn der Anspruch des Aufrechnenden fällig ist (BFH- Urteil vom 25. April 1989 VII R 36/87, BFHE 156, 392, BStBl II 1990, 352, m.w.N.). Die vom Kläger behaupteten Erstattungsansprüche aufgrund herabzusetzender Einkommensteuerfestsetzungen waren nach seinem eigenen Vorbringen indessen nicht während des Aussetzungszeitraums fällig. Denn Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, die wie die Jahreseinkommensteuer festzusetzen sind (§155 Abs. 1 Satz 1 AO 1977), werden erst nach der Festsetzung fällig (§220 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Mit Steuererstattungsansprüchen konnte der Kläger also nur nach Erlaß der von ihm begehrten Änderungsbescheide aufrechnen. Auf ein Bestreiten dieser Ansprüche durch das FA kommt es deshalb nicht an.
Soweit der Kläger mit einem Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung aufrechnen wollte, war dieser zwar möglicherweise fällig, aber der Kläger hat insoweit nie geltend gemacht, ein solcher Anspruch sei unbestritten. In bezug auf diese Gegenforderung ist folglich wegen §226 Abs. 3 AO 1977 auszuschließen, daß durch Aufrechnung des Klägers eine den Zinslauf beendende Erfüllung der ausgesetzten Einkommensteuer 1984 und 1985 stattgefunden hat.
3. Die Rüge, das Vorbringen betreffend endgültiger Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfsverfahrens sei nicht zur Kenntnis genommen worden, ist bereits deshalb unbegründet, weil das Finanzgericht (FG) dieses Klägervorbringen im Tatbestand seiner Entscheidung erwähnt und durch das Bejahen der Voraussetzungen des §237 AO 1977 in den Urteilsgründen auch (negativ) beschieden hat.
4. Auf der geltend gemachten Divergenz kann das FG-Urteil nach den vorstehenden Erwägungen nicht beruhen. Denn auf den insoweit vom Kläger herausgearbeiteten Rechtssatz, das FG dürfe bei einer Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen nicht ohne weitere Aufklärung ein Bestreiten durch das FA unterstellen, kommt es in bezug auf die Steuererstattungsansprüche nicht an. Soweit der Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung betroffen ist, fehlt es bereits deshalb an einer Divergenz, weil der BFH das einfache Bestreiten nur bei Forderungen für nicht ausreichend erachtet hat, für deren Feststellungen das FA selbst zuständig ist (BFH-Urteil vom 10. Juli 1979 VII R 114/75, BFHE 128, 160, BStBl II 1979, 690 unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren Rechtsprechung). Das ist bei Amtspflichtverletzungen jedoch nicht der Fall, weil deren Feststellung nicht in die Zuständigkeit des FA fällt.
5. Die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Rechtsfrage, ob Billigkeitsgründe einer Erhebung von Aussetzungszinsen entgegenstehen können, ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich. Streitig ist allein die Festsetzung von Aussetzungszinsen, die bei Vorliegen der Voraussetzungen des §237 Abs. 1 AO 1977 zwingend durch Zinsbescheid gemäß §§239 Abs. 1, 155 Abs. 1 AO 1977 zu erfolgen hat.
Billigkeitserwägungen sind dabei nicht anzustellen. Der Verzicht auf Aussetzungszinsen nach §237 Abs. 4 i.V.m. §234 Abs. 2 AO 1977 ist in einem eigenständigen Erlaßverfahren zu prüfen, in dem die zuständige Finanzbehörde eine Ermessensentscheidung zu treffen hat. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob und für welche Zeit der Steueranspruch aus den Honorarvorschüssen während der Aussetzungszeit bereits im Rahmen von Einkommensteuerfestsetzungen für spätere Jahre erfüllt war, so daß insoweit eine doppelte Besteuerung vorgelegen hat. Daß bei einer solchen Sachlage die Erhebung von Zinsen sachlich unbillig sein kann, hat der BFH in bezug auf Nachforderungszinsen gemäß §233a AO 1977 bereits angenommen (BFH-Urteil vom 11. Juli 1996 V R 18/95, BHFE 180, 524, BStBl II 1997, 259). Im vorliegenden Rechtsstreit können Billigkeitserwägungen aber nicht angestellt werden.
Fundstellen