Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Modalitäten des Rechts auf Akteneinsicht
Leitsatz (NV)
Die Weigerung des FG, die Akten zum Zwecke der Einsichtnahme wiederholt in den Einzugsbereich der Kanzlei des Bevollmächtigten zu versenden, ist jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn das Klagebegehren trotz Aufforderung nicht konkretisiert wird.
Normenkette
FGO § 78 Abs. 1 S. 1, § 65 Abs. 1
Tatbestand
Zwischen der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) und dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) ist beim Finanzgericht (FG) X eine Klage wegen Einkommensteuer 1991 unter dem Aktenzeichen I 46/ ... anhängig. In ihrem Rechtsstreit I 130/ ... wegen Ermessensunterschreitung im Zusammenhang mit Auskunftsersuchen zur Einkommensteuer 1991 beantragte die Klägerin Akteneinsicht mit der Maßgabe, daß die Akten an das FG Y zwecks Einsichtnahme übersandt werden. Das FG X bot Akteneinsicht in der Geschäftsstelle des erkennenden Senats im Dienstgebäude des FG an und lehnte die Versendung an das FG Y mit der Begründung ab, daß nur die Einkommensteuerakte vorliege, deren Inhalt sich seit der Einsichtnahme am 10. Mai 1994 im Verfahren I 46/ ... nicht verändert habe.
Mit der hiergegen eingelegten Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, besteht die Klägerin auf Akteneinsicht beim FG Y. Man brauche bei einer Fahrt nach X je dreieinhalb Stunden für Hin- und Rückfahrt. Angesichts dessen, daß die eigentliche Akteneinsicht lediglich ein bis eineinhalb Stunden benötige, sei die abgelehnte Versendung der Akten nicht ermessensgerecht.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist im Ergebnis nicht begründet.
1. Gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) können die Beteiligten die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen und sich durch die Geschäftsstelle auf ihre Kosten Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen. Danach kann das dem Gericht hinsichtlich der Modalitäten der Akteneinsicht eingeräumte Ermessen im Regelfall dahingehend ausgeübt werden, daß die Akten in der Geschäftsstelle des angerufenen Gerichts einzusehen sind, wobei in begrenzten Ausnahmefällen hiervon abgesehen werden kann. Die an diesem Regel-Ausnahmeverhältnis orientierte Auslegung des § 78 FGO ist mit Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vereinbar (Bundesverfassungsgericht -- BVerfG --, Beschluß vom 26. August 1981 2 BvR 637/81, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1982, 77). Dies schließt andererseits weder aus, daß -- wenn dienstliche Belange dem nicht entgegenstehen -- die Akten an ein der Partei bzw. ihrem Bevollmächtigten näher gelegenes anderes Gericht oder eine Dienststelle zur Einsicht versendet werden (vg. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 8. Mai 1992 III B 138/92, BFH/NV 1993, 106 und III B 123/92, BFH/NV 1993, 244, sowie vom 6. September 1994 IV B 96/93, BFH/NV 1995, 519) noch, daß -- in seltenen Ausnahmefällen -- eine Versendung in die Kanzlei des Bevollmächtigten erfolgt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 29. September 1967 III B 31/67, BFHE 90, 312, BStBl II 1968, 82; vom 24. März 1981 VII B 64/80, BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475; vom 31. August 1993 XI B 31/93, BFH/NV 1994, 187, und vom 16. September 1994 I B 180/93, BFH/NV 1995, 524). Besonderheiten können bei wiederholtem Antrag auf Akteneinsicht bestehen. Deshalb wurde die Versendung von Akten in das Büro des Bevollmächtigten im BFH-Beschluß vom 19. Oktober 1984 III B 44/83 (nicht veröffentlicht) zusätzlich mit der Begründung abgelehnt, daß es sich bei dem streitigen Antrag wegen einer bereits zuvor erfolgten Einsichtsgewährung nur noch darum habe handeln können, sich über die Vollständigkeit der eigenen Akten zu vergewissern. Des weiteren kann für die Durchsetzung mehrfacher Akteneinsicht das Rechtsschutzinteresse fehlen. Beispielsweise entfällt das Rechtsschutzinteresse für eine Beschwerde gegen eine die beantragte Akteneinsicht ablehnende Entscheidung des FG, wenn der Kläger die Akten während des Beschwerdeverfahrens im Rahmen eines anderen Verfahrens eingesehen hat (BFH- Beschlüsse vom 12. Juli 1991 III B 152/87, BFH/NV 1992, 49, und vom 28. Juni 1990 X B 163/88, BFH/NV 1991, 325).
2. In Anwendung dieser Grundsätze hat das FG in sachgerechter Ermessensausübung der Klägerin im Verfahren I 46/ ... Akteneinsicht gewährt. Ob der vom FG im Verfahren I 130/ ... für die Ablehnung einer weiteren Einsicht in die nämlichen Akten außerhalb des Gerichts gegebenen Begründung auch in der vorgenommenen Form zu folgen ist, kann dahinstehen, zumal der BFH im Beschwerdeverfahren nicht auf eine rechtliche Überprüfung des Ermessens (§ 102 FGO) des FG beschränkt ist, sondern insoweit eigenes Ermessen ausüben kann (BFH-Beschluß vom 20. Juni 1995 X B 131/94, BFH/NV 1996, 51 m. w. N.).
Daß eine erneute Versendung der Akten in der von der Klägerin gewünschten Art und Weise unterblieben ist, ist vertretbar. Auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin vorgetragenen Unbequemlichkeiten erscheint es wegen der Besonderheiten des Streitfalles nicht unvertretbar, daß es beim Regelfall der Akteneinsicht an Gerichtsstelle bleibt. Die Besonderheiten liegen -- neben der sonst möglicherweise zu vernachlässigenden Tatsache eines erneuten Antrags auf Einsichtnahme derselben Akten -- darin, daß die Klägerin der Aufforderung des FG, im Verfahren I 130/ ... den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen (§ 65 Abs. 1 FGO; vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 10. August 1995 X B 283/94, BFH/NV 1996, 57, und vom 30. Juni 1995 VI R 29/91, BFH/NV 1996, 53) nicht nachgekommen ist. Mit der Klageschrift wurde nur beantragt, "die Klägerin unter Beachtung der Rechtsausführung des Gerichts zu bescheiden". Eine hinreichende Konkretisierung ist auch mit der Beschwerdeschrift im hier anhängigen Verfahren nicht erfolgt. Darin wurde lediglich ein Antrag bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung angekündigt. Es heißt dann weiter: "Ein solcher Antrag kann in etwa auch lauten, den Beklagten zu verpflichten, den (einen bestimmten) Verwaltungsakt zu erlassen. Welcher (konkrete) Verwaltungsakt erlassen werden soll, wird und kann die mündliche Verhandlung ergeben. Insbesondere muß man sehen, was möglich und machbar ist." Angesichts der aufgezeigten unzulänglichen Mitwirkung der Klägerin erscheint die Beschwerde unbegründet.
Fundstellen