Leitsatz (amtlich)
Die Anwendung der den Steuersatz von Gaststättenumsätzen betreffenden Ausnahmeregelung wirft folgende Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf:
1. Gilt die Ausnahmeregelung auch für Speisen- und Getränkelieferungen an die Bediensteten des Unternehmers, die die Dienstleistungen für die Gaststättenumsätze zu erbringen haben und für deren Verzehr der Unternehmer keine besonderen zweckgerichteten Vorrichtungen bereithält?
2. Beruht die in § 5 der 3. UStDV enthaltene Begriffsbestimmung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals "zum Verzehr an Ort und Stelle" auf einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage?
Normenkette
UStG 1967 § 12 Abs. 2 Nr. 1; 3. UStDV § 5; GG Art. 80 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betreibt ein Speiserestaurant. Ihre Aushilfskräfte erhalten als Sachbezug freie Verpflegung. Nach den Feststellungen des FG nehmen sie diese Mahlzeiten innerhalb kurzer Pausen, die sich während der Bedienungszeiten ergeben, an Tischen "in der Küche oder an einem sonst geeigneten Platz", möglicherweise in Einzelfällen auch in den Privaträumen der Klägerin ein.
Im Umsatzsteuerbescheid für den Veranlagungszeitraum 1971 beurteilte der Beklagte und Beschwerdegegner (FA) diese Verpflegungsleistungen der Klägerin als tauschähnliche Umsätze, bewertete sie mit ... DM und besteuerte sie als Lieierungen von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle gemäß § 12 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG 1967 i. V. m. § 5 der Dritten Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer) - 3. UStDV - 1967 mit 11 v. H.
Das FG hat die Klage, soweit diese auf die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG 1967) abzielt, als unbegründet abgewiesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin Beschwerde erhoben, der das FG nicht abgeholfen hat (Beschluß vom 28. Mai 1975). Die Klägerin macht geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Zur Darlegung dieser Auffassung führt sie - unter anderen neben der Sache liegenden Gesichtspunkten - sinngemäß folgendes aus:
1. Das FG habe verkannt, daß die Mahlzeiten nicht zum Verzehr an Ort und Stelle i. S. der Begriffsbestimmung des § 5 der 3. UStDV geliefert worden seien. Die nach dieser Vorschrift erforderlichen besonderen Vorrichtungen für den Verzehr hätten dem Personal nicht zur Verfügung gestanden. Die vom Personal bei der Einnahme von Mahlzeiten benützten Tische und Stühle könnten abweichend von der Meinung des FG nicht deshalb als solche Vorrichtungen beurteilt werden, weil andernfalls das Personal der Klägerin durch die Überwälzung der Umsatzsteuer auf den Preis der Mahlzeiten geringer belastet würde als andere Arbeitnehmer, die "außerhalb ihrer Wohnung" ihre Mahlzeiten einnähmen.
2. Das FG habe ferner verkannt, daß es sich bei der Verköstigung des in die Hausgemeinschaft aufgenommenen Personals, also eines Kreises, von dem in den Lohnsteuer-Richtlinien vom 18. November 1971 (BStBl I 1971, 445) Abschn. 14 die Rede sei, um Eigenverbrauch, nicht aber um eine unternehmerische Leistung gegen Entgelt handle.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH hat eine Rechtssache dann grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn zu ihrer Entscheidung eine Frage geklärt werden muß, die aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht eindeutig beantwortet werden kann und deren Klärung im Interesse einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechtes liegt. Die Darlegungen in der Beschwerde, mit denen die Klägerin die Anwendung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG 1967 i. V. m. § 5 der 3. UStDV auf den festgestellten Tatbestand in Frage stellt, lassen erwarten, daß im Revisionsverfahren derartige Rechtsfragen entschieden werden.
1. Dies gilt allerdings nicht für die Rüge, das FA habe die von den Arbeitnehmern der Klägerin zum Essen benutzten Tische und Stühle zu Unrecht aus dem Gesichtspunkt der gleichmäßigen Steuerbelastung als besondere, für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehaltene Vorrichtungen beurteilt. Damit macht die Klägerin einen Denkfehler im angefochtenen Urteil geltend. Mit Recht geht sie davon aus, daß ein den Gesetzgeber bindender Verfassungsgrundsatz (Gleichmäßigkeit der Steuerbelastung) nicht unmittelbar für die Feststellung bestimmend sein kann, ob ein tatbestandsmäßiger Zustand (bereitgehaltene Vorrichtungen) besteht. Ein Verstoß gegen allgemeingültige Grundsätze der Gesetzesauslegung (Denkgesetze) kann aber der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung geben, da der maßgebliche Grundsatz in solchen Fällen nicht klärungsbedürftig, sondern offensichtlich ist.
Ebensowenig werfen die Ausführungen der Klägerin, nach denen die Verpflegungsleistungen als Eigenverbrauch zu beurteilen sein sollen, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf. Der Auffassung der Klägerin steht nämlich der klare Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1967 entgegen.
2. Anders ist jedoch die in der Beschwerde weiter aufgegriffene Frage zu beurteilen, ob es sich bei den Sitzgelegenheiten, an denen das Personal der Klägerin regelmäßig die Hausverpflegung eingenommen hat, entsprechend der Entscheidung des FG um Vorrichtungen handeln kann, die von der Klägerin für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten waren (§ 5 der 3. UStDV). Diese Entscheidung des FG ist von der Auffassung getragen, daß die Speisen auch dann zum Verzehr an Ort und Stelle geliefert worden seien, wenn das Personal nur in der Küche oder in den Privaträumen der Klägerin und dort nur auf Stühlen und Tischen habe essen können, die Küchenzwecken und als Einrichtungen der Privaträume gedient hätten. Diese Auffassung des FG, die es genügen läßt, daß an Ort und Stelle nur geeignete Vorrichtungen für den Verzehr vorhanden sind, auch wenn der Unternehmer diese hauptsächlich für andere Zwecke als die Förderung des Verzehrs bereithält, ist bestritten und bedarf als grundsätzliche Frage der höchstrichterlichen Klärung (bejahend: Plückebaum-Malitzky, Umsatzsteuergesetz - Mehrwertsteuer -, Kommentar, 10. Aufl., Rdnr. 481, 497; a. M.: Eckhardt/Weiß, Umsatzsteuergesetz, Rdnr. 19 a, e, Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz - Mehrwertsteuer -, Kommentar, 6. Aufl., Rdnr. 138, je zu § 12 Abs. 2 Nr. 1).
Die Beschwerde ist schon aus diesem Gesichtspunkt begründet. Die grundsätzliche Bedeutung der Sache erschöpft sich jedoch nicht in dieser Rechtsfrage. Vielmehr treten noch zwei weitere Probleme hervor, deren Lösung entweder die Voraussetzung für die Entscheidung der dargestellten Rechtsfrage bildet oder dem Senat die Möglichkeit zur unmittelbaren Sachentscheidung bietet und damit die Entscheidung der dargestellten Rechtsfrage erübrigt. Mit diesen Fragen befassen sich die Erwägungen zu 3. und 4.
3. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG 1967 gilt der ermäßigte Steuersatz, der nach dieser Nr. 1 grundsätzlich für Lieferungen der in der Anlage 1 zum Umsatzsteuergesetz - Mehrwertsteuer - bezeichneten Gegenstände anzuwenden ist, nicht für die Lieferungen der in dieser Anlage genannten Speisen und Getränke "zum Verzehr an Ort und Stelle".
Die Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts nach dem Wortlaut des Gesetzes läßt zwar kaum einen Zweifel aufkommen, daß die hier in Frage stehenden Lieferungen dem unbestimmten Rechtsbegriff entsprechen, so sehr dessen Abgrenzung in anderen Fällen Schwierigkeiten bereiten mag (vgl. dazu Eckhardt/Weiß, a. a. O., Tz. 12). Die Begriffsbestimmung jedoch, die die Bundesregierung zum gesetzlichen Merkmal des Verzehrs an Ort und Stelle durch § 5 der 3. UStDV getroffen hat, bewirkt auch für den vorliegenden Fall eine rechtliche Unsicherheit, deren Klärung im Interesse einer einheitlichen Handhabung des Rechtes gelegen ist.
Nach dieser Vorschrift ist die Lieferung zum Verzehr an Ort und Stelle nämlich nicht nur dadurch gekennzeichnet, daß die Speisen und Getränke nach den Umständen der Lieferung dazu bestimmt sein müssen, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Ort der Lieferung in einem räumlichen Zusammenhang steht; sie unterliegt vielmehr auch der weiteren, aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht ersichtlichen Voraussetzung, daß am Ort der Lieferung besondere Vorrichtungen für den Verzehr bereitgehalten werden. Die Entscheidung des vorliegenden Falles hängt von der Beurteilung dieser Voraussetzung ab.
Dabei ist zu prüfen, ob der Verordnungsgeber ermächtigt war, den unbestimmten Rechtsbegriff in § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG 1967 durch diese Voraussetzung näher zu bestimmen.
Die Dritte Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer) stützt sich auf § 26 Abs. 1 UStG 1967. Diese Vorschrift ermächtigt die Bundesregierung, soweit hier einschlägig, lediglich zum Erlaß von Rechtsverordnungen zu den im Umsatzsteuergesetz enthaltenen Steuerbefreiungen und Steuerermäßigungen. Der in § 5 der 3. UStDV definierte Begriff ist aber nicht in einer begünstigenden, sondern in einer eine Begünstigung versagenden Vorschrift enthalten. Im Revisionsverfahren wird deshalb nach Maßgabe des Art. 80 Abs. 1 GG die Frage zu klären sein, ob die Ermächtigung des § 26 Abs. 1 UStG 1967 für den Erlaß von Rechtsverordnungen zu gesetzlichen Ausnahmeregelungen eine genügende Rechtsgrundlage bildet, die Steuerbefreiungen oder Steuerermäßigungen einschränken (vgl. Eckhardt/Weiß, a. a. O., Tz. 12).
4. Darüber hinaus wird in der Revision auch die grundsätzliche Frage zu prüfen sein, ob § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG 1967 nach seinem Sinn und Zweck auf den vorliegenden Fall zur Anwendung kommen kann.
Die Lieferung von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle ist regelmäßig verbunden mit sonstigen Leistungen erheblichen Umfangs - insbesondere Dienstleistungen und der Bereitstellung von Räumlichkeiten und anderen Einrichtungen -, die mit dem Entgelt für die Lieferung abgegolten werden. Da unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes (Art. 3 GG) nur dieser Umstand die Ausnahmeregelung rechtfertigt, muß die Gleichstellung dieser Lieferungen mit den Dienstleistungen, für die grundsätzlich der allgemeine Steuersatz maßgebend ist, als Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung angesehen werden. Diese Beurteilung findet ihre Stütze in den Materialien zur Gesetzgebung, insbesondere in den Stenographischen Berichten über die 101. und 105. Sitzung des Fünften Deutschen Bundestags (vgl. dazu im einzelnen: Eckhardt/Weiß, a. a. O., Rdnr. 10 und 11, Plückebaum/Malitzky, a. a. O., 10. Aufl., Rdnr. 474 zu § 12 Abs. 2). Sie legt die klärungsbedürftige Frage nahe, ob die Anwendung der Ausnahmeregelung auch in Fällen wie dem vorliegenden Platz greifen kann, in denen der Unternehmer an diejenigen Personen liefert, die selbst die Dienstleistungen für die Gaststättenumsätze zu erbringen haben und für die die bereitgehaltenen Räume und sonstigen Einrichtungen in erster Linie als Voraussetzung ihrer Dienstleistungen, nicht aber als Teil eines mit dem Speisenverkauf verbundenen Services Bedeutung haben.
Der Beschwerde der Klägerin war deshalb nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO stattzugeben.
5. Die Kostenpflicht aus dem Beschwerdeverfahren richtet sich grundsätzlich nach der im Revisionsverfahren ergehenden Kostenentscheidung (vgl. den Beschluß des BFH vom 29. Juli 1976 V B 10/76 BFHE 119, 380, BStBl II 1976, 684).
1) Siehe hierzu BMF-Schreiben IV A 1 - S 7222 - 2/77 vom 14. Juli 1977, BStBl I S. 353
Fundstellen
BStBl II 1977, 497 |
BFHE 1977, 84 |