Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Terminverlegung bei fehlender Klagebegründung; zur zulassungsfreien Revision bei Richterablehnung; keine Klagerücknahme bei nicht statthafter Revision
Leitsatz (NV)
1. Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, wenn das FG in einem Fall, in dem keine substantiierte Klagebegründung vorliegt, über ein Jahr nach Klageerhebung die Verlegung der mündlichen Verhandlung ablehnt und bei Reiseunfähigkeit des Klägers diesen auf die Möglichkeit der Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten verweist.
2. Nach § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO ist Voraussetzung für die zulassungsfreie Revision, daß der mitwirkende Richter ,,mit Erfolg abgelehnt war". Das Gesetz stellt nicht auf die bloße Möglichkeit der Ablehnung, sondern auf die Ablehnungserklärung und deren Erfolg selbst ab.
3. Ist die eingelegte Revision nicht statthaft, so kann die Klage im Revisionsverfahren nicht mehr zurückgenommen werden (Anschluß an BFHE 103, 36, BStBl II 1971, 805).
Normenkette
FGO §§ 51, 116 Abs. 1 S. 2, § 72 Abs. 1
Tatbestand
Der in A wohnhafte Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhob gegen die Einkommensteuerbescheide 1969 und 1978 sowie Umsatzsteuerbescheide 1969, 1971 und 1972 des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) mit Schriftsatz vom 25. Juli 1985 Klage beim 600 km entfernten Finanzgericht (FG) Z und erbat zunächst eine Klagebegründungsfrist bis 31. Oktober 1985, sodann eine Fristverlängerung bis 15. Dezember 1985. Nachdem das FA einer Fristverlängerung entgegengetreten war, teilte das FG dem Kläger durch Schreiben vom 30. Dezember 1985 mit, daß Termin zur mündlichen Verhandlung für Februar 1986 vorgesehen sei. Es stellte ihm anheim, sich durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten zu lassen. Der Kläger bat daraufhin unter Vorlage zweier ärztlicher Schreiben vom März 1981 und vom 27. November 1985 um Verschiebung des Termins auf den Monat Mai 1986. Im letztgenannten Schreiben wurde dem Kläger zur Zeit von einer Reise abgeraten. Es wurde physische Schonung empfohlen. Das FG setzte Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 11. Februar 1986 fest. Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 29. Januar 1986 die Verschiebung des Termins ,,um einige Monate" und lehnte den Berichter Dr. W als befangen ab. Nach Eingang eines weiteren ärztlichen Attests am 10. Februar 1986 wurde der Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben. Durch Beschluß vom 11. Februar 1986 wies das FG das Richterablehnungsgesuch des Klägers zurück. Die hiergegen vom Kläger eingelegte Beschwerde wurde durch Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) am 12. Juni 1986 als unzulässig verworfen. Die Verfassungsbeschwerde gegen diesen Beschluß wurde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das FG lud den Kläger am 25. Juli 1986 zur mündlichen Verhandlung auf den 12. August 1986. Daraufhin beantragte der Kläger unter Vorlage eines weiteren ärztlichen Attests Terminverlegung ,,auf eine Zeit nach dem 15. November". Das FG lehnte diesen Antrag durch Beschluß vom 7. August 1986 ab. In diesem Beschluß wurde u. a. darauf hingewiesen, daß der Kläger weder im Einspruchs- noch im Klageverfahren sein Rechtsschutzbegehren begründet habe. Der Kläger wurde nochmals auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht, einen Prozeßbevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen.
In der mündlichen Verhandlung vom 12. August 1986 erschien für die Beteiligten niemand. Die Klage wurde abgewiesen. Das Urteil enthält keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision.
Mit der Revision beantragt der Kläger, das FG-Urteil aufzuheben, soweit es die Einkommensteuer betrifft. Die Revisionsbegründungsschrift enthält außerdem den Satz:
,,Die Klage, und damit auch die Revision, die Umsatzsteuer-Veranlagungen 1969, 1971 und 1972 betreffend, wird hiermit mangels Beschwer zurückgenommen."
Die Revision wird auf § 116 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützt. Zur Begründung wird vorgetragen, das Gericht sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. An dem Urteil habe der ehrenamtliche Richter R mitgewirkt, der früher einmal Angestellter des Klägers gewesen sei und fristlos habe entlassen werden müssen. R habe sich inkorrekt verhalten und Informationen aus dem Gewerbebetrieb des Klägers an Dritte weitergegeben. Dieser Richter sei deshalb als befangen anzusehen. Dem Kläger seien diese Umstände erst durch Zustellung des Urteils und durch weitere Nachforschungen klargeworden. Der ehrenamtliche Richter R werde abgelehnt. Außerdem sei zur Zeit der Urteilsfindung über das Ablehnungsgesuch gegen Dr. W noch nicht rechtskräftig entschieden gewesen. Schließlich sei er - der Kläger - mangels Reisefähigkeit nicht nach den Vorschriften des Gesetzes im Verfahren vertreten gewesen.
Das FA beantragt, die ,,nunmehr auf die ESt beschränkte" Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs i. d. F. des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungs- und finanzgerichtlicher Verfahren (BFHEntlG) vom 4. Juli 1985 (BGBl I 1985, 1274, BStBl I 1985, 496) findet die Revision nur statt, wenn sie vom FG oder - auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung - vom BFH zugelassen wurde.
Ohne förmliche Zulassung ist die Revision nur statthaft, wenn das Rechtsmittel auf Verfahrensverstöße i. S. des § 116 Abs. 1 FGO gestützt wird.
Im Streitfall hat das FG die Revision im angefochtenen Urteil nicht zugelassen. Das Rechtsmittel ist auch nicht als zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 FGO statthaft, da ein Verfahrensmangel im Sinne dieser Vorschrift nicht vorliegt.
Zu Unrecht macht der Kläger geltend, im Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten gewesen zu sein. Die Beteiligten waren zur mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß geladen worden. Die Ablehnung des Verlegungsantrags des Klägers ist kein Fall der mangelnden Vertretung i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO (BFH-Beschluß vom 11. April 1978 VIII R 215/77, BFHE 125, 28, BStBl II 1978, 401). Der Verlegungsantrag des Klägers war im übrigen ermessensfehlerfrei zurückgewiesen worden. Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, wenn das FG in einem Fall, in dem keine substantiierte Klagebegründung vorliegt, über ein Jahr nach Klageerhebung die Verlegung der mündlichen Verhandlung ablehnt und bei Reiseunfähigkeit des Klägers diesen auf die Möglichkeit der Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten verweist.
Das Verfahren über das Ablehnungsgesuch des Klägers betreffend den Richter Dr. W war zur Zeit der mündlichen Verhandlung bereits abgeschlossen, so daß aus der Mitwirkung dieses Richters bei der Urteilsfindung eine Verletzung des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO nicht hergeleitet werden kann.
Ob der Kläger den ehrenamtlichen Richter R als befangen hätte ablehnen können, bedarf keiner Prüfung. Denn nach § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO ist Voraussetzung für die zulassungsfreie Revision, daß der mitwirkende Richter ,,mit Erfolg abgelehnt war". Das Gesetz stellt mithin nicht auf die bloße Möglichkeit der Ablehnung, sondern auf die Ablehnungserklärung und deren Erfolg selbst ab. An einer solchen fehlt es im vorliegenden Falle. Der Senat hält es schon angesichts der eindeutigen Wortfassung des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO für unerheblich, ob die Beteiligten von den Ablehnungsgründen tatsächlich Kenntnis hatten. Hinzu kommt, daß ein gerichtliches Urteil einen möglichst dauerhaften Rechtsfrieden zwischen den Beteiligten schaffen soll. Diesem Zweck jedes Gerichtsverfahrens würde es nicht gerecht werden, wenn der Bestand und die Endgültigkeit eines Urteils von Umständen abhängig gemacht würden, die ausschließlich im tatsächlichen oder möglichen Wissensbereich eines der Prozeßbeteiligten liegen und die dieser bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung nicht kundgetan hat. Denn es läge dann bei jedem Prozeßbeteiligten, ob er - je nach Ausgang des Verfahrens - die Entscheidung durch ein nachträgliches Richterablehnungsgesuch zu erschüttern versucht. Durch die Feststellung und Wertung der ggf. für die Befangenheitsfrage entscheidungserheblichen Umstände würden im Nachhinein nicht hinnehmbare Unsicherheitsfaktoren geschaffen (im Ergebnis ebenso Preußisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 3. April 1906 J. N. II 753 - Rep. II. B 23/05, Bd. 49, 5, 10, sowie OVG Berlin, Beschluß vom 21. Januar 1954 I B 161/53 H, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1954, 395).
Es mag auf sich beruhen, ob es vereinzelt Sonderfälle geben kann, bei denen die Anwendung dieser Grundsätze zu unbilligen Ergebnissen führen würde. Denn jedenfalls im vorliegenden Verfahren hatte der Kläger die Möglichkeit, sich bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung Kenntnis von der Besetzung der Richterbank zu verschaffen.
Die Rücknahme der Klage betreffend die Umsatzsteuerbescheide ist unwirksam. Denn mangels Statthaftigkeit der Revision konnte die Klage im Revisionsverfahren nicht mehr zurückgenommen werden (vgl. u. a. BFH-Beschluß vom 14. Juli 1971 I R 127, 154/70, BFHE 103, 36, BStBl II 1971, 805). Der diesbezügliche oben zitierte Satz in der Revisionsbegründungsschrift stellt indes eine Erklärung über den Umfang des Revisionsbegehrens dar, die für die Streitwertermittlung erheblich ist (vgl. BFH-Zwischenurteil vom 22. April 1986 VIII R 87/85, BFH / NV 1986, 690).
Fundstellen
Haufe-Index 415518 |
BFH/NV 1988, 506 |