Leitsatz (amtlich)
Der Streitwert des Verfahrens über eine einstweilige Anordnung kann nur von Fall zu Fall bestimmt werden. Falls keine besonderen Umstände vorliegen, ist er auf 1/3 des Wertes der Hauptsache zu bemessen.
Normenkette
FGO a.F. § 140 Abs. 3
Tatbestand
Die Antragsteller sind Eigentümer in der Rechtsform einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts eines von ihnen auch bewohnten Grundstücks und Gebäudes in H. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß der Verkehrswert des Grundstücks rd. 262 300 DM beträgt. Wegen bestehender Steuerschulden des Antragstellers pfändete der Antragsgegner und Beschwerdegegner (FA) durch Verfügung vom 19. Mai 1972 den Anteil des Antragstellers an der zwischen den Eheleuten bestehenden Grundstücksgesellschaft sowie den Anspruch des Antragstellers auf Auszahlung seines Reingewinnanteils und auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens. Mit Schreiben vom 26. Juni 1972 an die Antragstellerin und vom 5. Juli 1972 an den Antragsteller kündigte das FA nach § 725 BGB die zwischen den Antragstellern als Eheleuten bestehende GdbR mit sofortiger Wirkung. Da die Steuerschulden weiterbestanden, beantragte das FA wegen der Betriebsteuerschulden des Antragstellers in Höhe von 163 763,99 DM durch Schreiben vom 17. August 1972 beim Amtsgericht, die Zwangsversteigerung des Grundstücks zum Zwecke der Aufhebung der Gesellschaft anzuordnen. Gegen diesen Antrag erhoben die Antragsteller unter dem Geschäftszeichen I 10/73 Klage, mit der sie beantragten, das FA zu verurteilen, den beim Amtsgericht gestellten Veräußerungsantrag zurückzunehmen und auf die Rechte aus der Pfändungsverfügung vom 19. Mai 1972 durch Erklärung gegenüber den Antragstellern zu verzichten. Gleichzeitig beantragten sie im Verfahren I 11/73, das FA zu verpflichten, dem Vollstreckungsgericht gegenüber eine Erklärung abzugeben, wonach das Zwangsversteigerungsverfahren über das Grundstück bis zur Entscheidung über die Hauptsache I 10/73 einstweilen eingestellt wird.
Im Verlauf des Klageverfahrens I 10/73 nahm das FA seinen Antrag auf Anordnung der Zwangsversteigerung gegenüber dem Amtsgericht zurück und hob seine Pfändungsverfügung auf. Darauf erklärten die Beteiligten übereinstimmend die Hauptsache I 10/73 und die Hauptsache I 11/73 für erledigt. Das FG legte die Kosten des Verfahrens I 11/73 in vollem Umfang dem FA auf.
Mit dem angefochtenen Beschluß setzte das FG auf Antrag der Antragsteller den Streitwert für das Verfahren I 11/73 auf 10 % des Streitwerts der Hauptsache, d. h. auf 26 230 DM, fest.
Gegen diese Entscheidung legte der Prozeßbevollmächtigte zu 2. der Antragsteller Beschwerde mit dem Antrag ein, den Streitwert auf mindestens 100 000 DM festzusetzen. Er rügt insbesondere die Verletzung von § 140 FGO, § 18 GKG und §§ 3 und 6 ZPO.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist teilweise begründet.
Der Streitwert ist nach § 140 Abs. 3 FGO a. F. - der im vorliegenden Fall noch Anwendung findet - unter Berücksichtigung der Sachanträge der Beteiligten nach freiem Ermessen zu bestimmen. Das Ermessen wird regelmäßig dadurch fehlerfrei ausgeübt, daß das finanzielle Interesse des Antragstellers an der von ihm begehrten Entscheidung festgestellt wird (vgl. Beschluß des BFH vom 26. April 1972 VII B 38/70, BFHE 105, 334, BStBl II 1972, 574). Um eine möglichst gleiche Behandlung sicherzustellen, haben die Gerichte dabei die in der Rechtsprechung herausgestellten Regeln der Streitwertfestsetzung zu beachten (vgl. BFH-Urteil vom 9. Oktober 1964 III 312/61, HFR 1965, 474).
Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, daß bei einstweiligen Anordnungen nach den in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätzen im Regelfall von 10 % des Streitwertes der Hauptsache auszugehen ist. Der Rechtsprechung ist ein solcher Grundsatz nicht zu entnehmen. Zwar geht die Rechtsprechung bei der Aussetzung der Vollziehung im Regelfall davon aus, daß der Streitwert 10 % des Hauptsachestreitwerts beträgt. Die Grundsätze, die für die Festsetzung des Streitwerts im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids gelten, können aber auf die Streitwertfestsetzung für den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht ohne weiteres übertragen werden. Der Streitgegenstand in beiden Verfahren unterscheidet sich. Mit dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung erstrebt der Steuerpflichtige eine einstweilige Regelung, die ihn für die Dauer des Rechtsstreits von der Verpflichtung, die mit dem angefochtenen Steuerbescheid festgesetzte Steuerforderung alsbald zu entrichten, befreit. Gegenstand des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids ist demnach allein die vorläufige Befreiung des Steuerpflichtigen von der alsbaldigen Befolgung des Leistungsgebots (vgl. BFH-Beschluß vom 6. Februar 1967 VII B 29/66, BFHE 87, 410, BStBl III 1967, 121). Diese Beschränkung des Streitgegenstandes auf den zeitlichen Aufschub der Zahlungspflicht für eine bestimmte Steuerforderung rechtfertigt es, den Streitwert für das Aussetzungsverfahren regelmäßig auf 10 % der streitigen Forderung festzusetzen.
Für den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gilt diese Beschränkung des Streitgegenstandes jedoch nicht. In einem solchen Verfahren geht es in der Regel nicht um die vorläufige Befreiung von einer Zahlungspflicht, sondern um ein Gebot oder Verbot an die Verwaltung, das für die Dauer der Anordnung die Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache ersetzen kann. So ist es auch im Streitfall, in dem durch die einstweilige Anordnung die Verwaltung verpflichtet werden sollte, eine Erklärung abzugeben, wonach das Zwangsversteigerungsverfahren über das Grundstück der Antragsteller bis zur Entscheidung über die Hauptsache einstweilen eingestellt wird. Das Interesse der Antragsteller auf Erlaß dieser einstweiligen Anordnung - die ihnen den weiteren Besitz an ihrem Grundstück sichern sollte - ist in einem solchen Falle höher zu bewerten als mit 10 % des Streitwerts der Hauptsache. In einzelnen Fällen kann das Interesse an dem Anordnungsverfahren sogar mit dem Interesse an dem Hauptverfahren gleichbewertet werden (BFH-Beschluß vom 14. März 1969 III B 17/68, BFHE 95, 264, BStBl II 1969, 379). Da aber die einstweilige Anordnung nur eine vorübergehende Regelung in bezug auf den Streitgegenstand bezweckt, die nicht zu einem rechtskräftigen Abschluß eines Rechtsstreits führen kann, rechtfertigt es sich in der Regel, den Streitwert für das Anordnungsverfahren mit einem Bruchteil des Streitwerts für das Verfahren in der Hauptsache festzusetzen.
Der Senat hält es für angemessen, den Streitwert mit 1/3 des Streitwertes für das Verfahren in der Hauptsache zu bewerten. Das entspricht auch der Rechtsprechung des Senats hinsichtlich der Streitwertfestsetzung bei finanzgerichtlichen Verfahren, welche die Aufhebung einer auf unbestimmte Zeit gewährten widerruflichen Steuervergünstigung zum Gegenstand haben (Beschluß vom 18. Juli 1968 VII B 41/67, BFHE 93, 215, BStBl II 1968, 743). Ferner stimmt diese Entscheidung im wesentlichen mit der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte überein, die den Streitwert für eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO ebenfalls auf einen Bruchteil des Wertes der Hauptsache festsetzen, wobei die Verwaltungsgerichte von Bruchteilen zwischen 1/2 und 1/4 ausgehen (vgl. Noll, Die Streitwertfestsetzung im Verwaltungsprozeß, 1970, S. 53, und die dort zitierte Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte). Nur dann, wenn der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung darauf gerichtet ist, einen zeitlichen Aufschub der Zahlungsverpflichtung zu erreichen, kann eine Anwendung der für die Streitwertbemessung bei der Aussetzung der Vollziehung entwickelten Grundsätze dazu führen, den Streitwert für das Anordnungsverfahren auf 10 % des Streitwertes für die Hauptsache festzusetzen. Dies trifft im Streitfall jedoch nicht zu.
Im Streitwertbeschwerdeverfahren stehen sich die Parteien nicht als Gegner gegenüber; der Gegenpartei können daher Kosten nicht auferlegt werden, auch wenn sie der Streitwertänderung widersprochen hat und dabei erfolglos geblieben ist (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 3. Februar 1976 VII B 54/75, BFHE 118, 145, BStBl II 1976, 383, mit weiteren Nachweisen). Das gilt im vorliegenden Fall auch für die Gerichtskosten, da sich die Kostenfolge (der Beschwerdeführer ist zu 15 v. H. unterlegen) bereits aus § 46 Abs. 2 GKG a. F. ergibt und der entsprechende Kostenansatz dem dafür vorgesehenen Verfahren vorbehalten bleiben muß.
Fundstellen
Haufe-Index 72026 |
BStBl II 1977, 80 |
BFHE 1977, 338 |
NJW 1977, 920 |