Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertrauensschutz bei der Änderung von Steuerbescheiden hinsichtlich der Grundsätze für die Beurteilung der Gewinnerzielungsabsicht
Leitsatz (NV)
Der im Beschluß des Großen Senats vom 17. Januar 1972 GrS 10/70 (BFHE 106, 84, BStBl II 1972, 700) aufgestellte Rechtssatz, daß die Absicht, unter Ausnutzung der Steuervergünstigung des §7 b EStG im sog. Baupatenverfahren Steuern zu sparen, eine Gewinnabsicht begründe, bezieht sich nur auf die Tätigkeit eines Einzelunternehmers und nicht auch auf die einer Personengesellschaft. Die für die Beurteilung der Gewinnerzielungsabsicht bei der Tätigkeit einer Personengesellschaft im Beschluß des Großen Senats vom 25. Juni 1984 GrS 4/82 (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751) aufgestellten Grundsätze stellen deshalb keine Änderung der Rechtsprechung i. S. von §176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 dar.
Normenkette
AO 1977 § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) beteiligte sich 1970 mit einer Einlage von ... DM als Kommanditist an der durch Vertrag vom 29. November 1970 gegründeten X-KG (KG). Gegenstand des Geschäftsbetriebs der Gesellschaft waren der Bau und Betrieb von Schiffen sowie alle damit zusammenhängenden Geschäfte. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) beteiligte sich 1974 als atypisch stille Gesellschafterin am Unternehmen der KG. Die KG erklärte für die Streitjahre (1970 bis 1976) Verluste in Höhe der nachfolgenden Beträge:
1970 778 860 DM
1971 3 512 885 DM
1972 2 987 775 DM
1973 1 607 035 DM
1974 6 294 470 DM
1975 5 204 291 DM
1976 5 022 112 DM
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) stellte die Verluste zunächst erklärungsgemäß fest. Die Bescheide ergingen in den Jahren 1973 bis 1976 (für 1970 bis 1975) und 1978 (für 1976). Sie waren, soweit sie die Feststellungen für 1970 bis 1974 betrafen, vorläufig gemäß §100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO). Die Feststellungen für 1975 und 1976 erfolgten unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Aufgrund der Feststellungen anläßlich einer 1977 bei der KG begonnenen Steuerfahndungsprüfung gelangte der Prüfer zu der Auffassung, daß die Gesellschafter angesichts der Betriebsergebnisse der Gesellschaft nicht mit Gewinnen hätten rechnen können. Die Übernahme von Gesellschaftsanteilen und der Eintritt neuer Gesellschafter seien nur damit zu erklären, daß es diesen Personen allein um Verlustzuweisungen gegangen sei. Das FA schloß sich dieser Beurteilung an und hob durch Bescheid vom 31. Oktober 1984 die Feststellungsbescheide für die Streitjahre auf und lehnte die Durchführung von Verlustfeststellungen mangels Gewinnerzielungsabsicht ab.
Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.
Die Klage hatte nur teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob zwar den Bescheid vom 31. Oktober 1984 insoweit auf, als das FA dadurch auch den Ansatz von Verlusten aus der Beteiligung der KG an anderen Gesellschaften, für die entsprechende Feststellungsbescheide vorlagen, versagt hatte (Hinweis u. a. auf das Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 27. Juli 1988 I R 113/84, BFHE 154, 500, BStBl II 1989, 134). Die weitergehende Klage hielt es für unbegründet. Auch §176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) habe dem Erlaß des Bescheides vom 31. Oktober 1984 nicht entgegengestanden. Der Große Senat des BFH habe zwar mit Beschluß vom 17. Januar 1972 GrS 10/70 (BFHE 106, 84, BStBl II 1972, 700) entschieden, daß die Absicht, unter Ausnutzung der Steuervergünstigung des §7 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) im sog. Baupaten-Verfahren Steuern zu sparen, eine Gewinnabsicht i. S. des §1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV) sei. Ein gewerblicher Gewinn sei danach folglich nicht nur dann anzunehmen gewesen, wenn er unmittelbar im Geschäftsbetrieb selbst erzielt worden sei, sondern auch dann, wenn er sich durch mit der Tätigkeit verbundene andere wirtschaftliche Vorteile, insbesondere Steuervorteile, ergeben habe. Die Erstbescheide für die Streitjahre beruhten aber nicht auf dieser Rechtsprechung. Der Baupaten-Beschluß habe nicht den Inhalt, daß in allen Fällen die Absicht, Steuervorteile zu erzielen, zur Annahme der erforderlichen Gewinnerzielungsabsicht ausreichend gewesen sei. Demgemäß habe der BFH schon im Urteil vom 14. April 1972 IV R 172/69 (BFHE 105, 360, BStBl II 1972, 599) entschieden, daß eine einheitliche Gewinnfeststellung nur in Betracht komme, wenn die Gesellschaft in ihrem Betrieb Gewinne erziele. Er habe ferner im Beschluß vom 10. November 1977 IV B 33-34/76 (BFHE 123, 412, BStBl II 1978, 15) darauf abgestellt, daß der Baupaten-Beschluß die Annahme einer Gewinnerzielungsabsicht i. S. der Begriffsbestimmung des gewerblichen Unternehmens dann nicht rechtfertige, wenn es um die Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen gehe, die -- wie Sonderabschreibungen nach §82 f der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) oder auch die degressive Absetzung für Abnutzung (AfA) nach §7 Abs. 2 EStG -- das Bestehen eines gewerblichen Unternehmens mit allen Merkmalen voraussetzten, was bei §7 b EStG nicht der Fall sei. Der Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82 (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751) stelle deshalb für derartige Sachverhalte keine Änderung der Rechtsprechung i. S. von §176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 dar.
Das FG hat die Revision nicht zugelassen.
Mit ihrer Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, machen die Kläger geltend, das Urteil des FG weiche hinsichtlich der Rechtsfrage, ob §176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 anwendbar sei, von den Entscheidungen des BFH in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751 und vom 12. Dezember 1995 VIII R 59/92 (BFHE 179, 335, BStBl II 1996, 219) ab. Der Große Senat des BFH habe in seinem Beschluß in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751 eingeräumt, die Erkenntnis, daß Gewinnerzielungsabsicht das Streben nach Betriebsvermögensmehrung i. S. eines Totalgewinns sei, stelle eine Änderung der dem Baupaten-Beschluß zugrunde liegenden Auffassung dar. Diese Entscheidung sei zwar zu einer Steuervergünstigung ergangen, deren Inanspruchnahme keine gewerbliche Tätigkeit voraussetze. Gleichwohl enthalte sie eine allgemeine Aussage über das Merkmal der Gewinnerzielungsabsicht als Kennzeichen eines gewerblichen Unternehmens. Die Rechtsfolgen der Rechtsprechungsänderung ergäben sich bei der Änderung oder Aufhebung von Steuerbescheiden aus §176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977. Die Auffassung, daß die Grundsätze des Baupaten-Beschlusses bis zum Beschluß in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751 über den Bereich der Einkunftsarten, die keine gewerbliche Tätigkeit voraussetzten, hinaus anzuwenden gewesen seien, liege auch dem BFH-Urteil in BFHE 179, 335, BStBl II 1996, 219 zugrunde.
Die Kläger beantragen, die Revision gegen die Vorentscheidung zuzulassen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Das FG ist nicht von einer Entscheidung des BFH abgewichen.
1. Es trifft zwar zu, daß der Große Senat des BFH den im Beschluß in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751 (unter C. IV. 4.) entwickelten Grundsatz, wonach Gewinnerzielungsabsicht das Streben nach Betriebsvermögensmehrung i. S. eines Totalgewinns ist, als Änderung der dem Beschluß in BFHE 106, 84, BStBl II 1972, 700 zugrunde liegenden Auffassung bezeichnet hat. Er hat ferner die im letztgenannten Beschluß getroffenen Aussagen als allgemeine Aussagen über das Merkmal der Gewinnerzielungsabsicht als Kennzeichen eines gewerblichen Unternehmens betrachtet. Gleichwohl läßt sich dem Beschluß in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751 nicht entnehmen, daß mit den in ihm entwickelten Aussagen eine Änderung der Rechtsprechung verbunden war, sofern es um die hier zu beurteilende Frage geht, ob es für die Annahme gewerblicher Einkünfte einer Personengesellschaft auf eine Gewinnerzielungsabsicht auf der Ebene der Gesellschaft durch eine Mehrung ihres Betriebsvermögens ankommt oder ob insoweit die Absicht ihrer Gesellschafter, durch die Beteiligung in Gestalt von Verlustzuweisungen eine Minderung ihrer Steuern vom Einkommen zu erzielen, ausreicht.
Der Beschluß in BFHE 106, 84, BStBl II 1972, 700 ist zur Gewinnerzielungsabsicht eines Einzelunternehmers ergangen. Der I. Senat des BFH hat zwar im Vorlagebeschluß vom 17. Februar 1982 I B 24/79 (BFHE 135, 78, BStBl II 1982, 295, unter II. 2.) zum Ausdruck gebracht, daß er die Grundsätze des Baupaten-Beschlusses auch anwenden wolle, wenn es um die Beurteilung der Gewinnerzielungsabsicht einer Personengesellschaft (Publikums-KG) gehe. Auch bei einer Personengesellschaft folge die Gewinnerzielungsabsicht schon aus den mit ihrer Tätigkeit verbundenen sonstigen wirtschaftlichen Vorteilen. Der beschließende Senat hat dagegen im Vorlagebeschluß vom 26. August 1982 IV R 207/79 (Der Betrieb -- DB -- 1983, 24, zu 4.; insoweit in BFHE 136, 405, BStBl II 1982, 771 nicht abgedruckt) die Auffassung vertreten, daß eine KG nur dann ein gewerbliches Unternehmen betreibe, wenn sie einen Gewinn erstrebe, der unmittelbar aus einer nachhaltigen Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr herrühre und sich in einer Mehrung ihres Betriebsvermögens i. S. von §4 Abs. 1 EStG, insbesondere einer Mehrung ihres Gesellschaftsvermögens, niederschlage, nicht hingegen, wenn sie lediglich in der Absicht tätig sei, ihren Gesellschaftern Steuervorteile dergestalt zu vermitteln, daß durch Verlustanteilszuweisungen andere Einkünfte nicht und die Verlustanteile letztlich nur in Form tarifbegünstigter Veräußerungsgewinne (nach-) versteuert werden müßten. Es sei widersprüchlich, wolle man zwar eine KG als "Subjekt der Gewinnerzielung" betrachten, gleichzeitig aber eine Gewinnerzielungsabsicht der KG unabhängig davon bejahen, ob sie überhaupt eine Gewinnerzielung (also eine Mehrung ihres Betriebsvermögens) erstrebe. Der Baupaten-Beschluß sei bezüglich dieser Rechtsfrage nicht einschlägig; denn er habe nur die Betätigung einer natürlichen Person ("als Einzelunternehmer") zum Gegenstand.
Der Große Senat hat sich der Beurteilung des beschließenden Senats angeschlossen. Er hat im Beschluß in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751 (unter C. IV. 1. b) die Rechtsfrage Nr. 4 im Vorlagebeschluß in DB 1983, 24 als nicht bereits früher vom Großen Senat entschieden bezeichnet. Die von ihm im Baupaten-Beschluß zu beurteilende Rechtsfrage sei mit der Rechtsfrage Nr. 4 im Vorlagebeschluß in DB 1983, 24 jedenfalls insoweit nicht deckungsgleich, als sich diese Rechtsfrage auf die Gewinnerzielungsabsicht als Merkmal des gewerblichen Unternehmens einer Personengesellschaft beziehe, während es bei der früher entschiedenen Frage um die Gewinnabsicht als Merkmal eines Einzelunternehmens gegangen sei.
Der Sachverhalt, der dem Baupaten-Beschluß zugrunde lag, unterscheidet sich damit wesentlich von dem Sachverhalt, den das FG im Streitfall zu beurteilen hatte. §176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 ist aber nur anwendbar, wenn der Änderung eine Entscheidung des BFH zugrunde liegt, in der eine Rechtsfrage abweichend von einer früheren, den gleichen Sachverhalt betreffenden höchstrichterlichen Entscheidung beurteilt worden ist (vgl. Senatsurteil vom 10. November 1988 IV R 63/86, BFHE 155, 109, BStBl II 1989, 198, unter 3. a; BFH-Urteile vom 7. Dezember 1988 X R 15/87, BFHE 155, 353, BStBl II 1989, 421, unter II. 1. b, und vom 3. Februar 1993 I R 61/91, BFHE 170, 257, BStBl II 1993, 459, unter II. B. 3. a). Der Hinweis im Beschluß des Großen Senats in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751 (unter C. IV. 4. a.E.) auf §176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 bezieht sich damit nur auf den Erlaß geänderter Steuerbescheide oder die Aufhebung von Steuerbescheiden gegenüber Einzelunternehmern.
2. Die Vorentscheidung weicht auch nicht vom BFH-Urteil in BFHE 179, 335, BStBl II 1996, 219 ab. Dabei kann dahinstehen, ob der VIII. Senat in dieser Entscheidung die im Beschluß in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751 zur Gewinnerzielungsabsicht entwickelten Grundsätze entgegen seinen Ausführungen im Beschluß vom 16. Dezember 1992 VIII B 52/90 (BFH/NV 1994, 243, unter I. 1.) als Änderung der Rechtsprechung i. S. von §176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 beurteilt hat. Die diesbezüglichen Ausführungen sind jedenfalls nicht tragend, weil der VIII. Senat nicht über Änderungsbescheide, sondern über Erstbescheide zu entscheiden hatte (BFH in BFHE 179, 335, BStBl II 1996, 219, unter A. II. 2. a aa a.E.). Eine Divergenz i. S. von §115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist aber nur gegeben, wenn das FG in seinem Urteil von einem tragenden Grund einer Entscheidung des BFH abgewichen ist (vgl. Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §115 Rz. 23).
Fundstellen
Haufe-Index 67276 |
BFH/NV 1998, 939 |