Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiordnung eines Notanwaltes; Ablehnung wegen Befangenheit
Leitsatz (NV)
1. Fehler, die einem Richter bei der Beurteilung eines Sachverhaltes oder bei der Anwendung von Rechtsvorschriften unterlaufen, stellen grundsätzlich keinen Grund für dessen Ablehnung wegen Befangenheit dar.
2. Befangenheit ist zu verneinen, solange das Verhalten des Richters im Rahmen der Gesamtschau des beanstandeten Vorgehens sachbezogen und nachvollziehbar ist.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1; ZPO § 42
Tatbestand
I. Der Kläger und Antragsteller (Kläger) hatte in verschiedenen Verfahren (u. a. wegen Einkommensteuer 1986 bis 1989, 1993; Umsatzsteuer 1989 und 1990 sowie Investitionszulage 1987 bis 1991) Klagen erhoben (vgl. auch Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 27. August 1997 XI B 118, 119, 149/96; XI S 43, 44, 50/96, BFH/NV 1998, 617). Im Rahmen der Klageverfahren hat der Kläger mehrfach erfolglos Ablehnungsversuche sowohl gegen den Präsidenten des Finanzgerichts (FG) als auch gegen verschiedene Richter am FG gestellt. Das erneute Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit vom 3. Februar 1998 gegen den Richter am FG X wies das FG mit Beschluß vom 4. Februar 1998, dem Kläger mit Postzustellungsurkunde durch Niederlegung bei der Post am 7. Februar 1998 zugestellt, zurück.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 23. Februar 1998 zur Einlegung einer Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluß beantragt, ihm einen Notanwalt nach §78 b der Zivilprozeßordnung (ZPO) i. V. m. §155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beizuordnen. Er habe die in der Anlage zu seinem Antrag aufgelisteten Fachanwälte in A sowie Steuerberater in B vergeblich für eine Übernahme des Mandates zu gewinnen versucht. Sein Ablehnungsgesuch sei nicht als aussichtslos zu beurteilen. Nicht er habe zahlreiche Verfahren beim FG anhängig gemacht, sondern das FG habe seine Anträge in zahlreiche Verfahren zergliedert. Zu Unrecht habe der ebenfalls abgelehnte FG-Präsident am Beschluß vom 4. Februar 1998 mitgewirkt. Unter dessen Vorsitz habe das FG u. a. die Klage ... mit Urteil vom 31. Oktober 1996 zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Von dem abgelehnten Richter am FG X habe er für den 12. Februar 1998 acht Ladungen erhalten. Allerdings sei eine Ladung für die ersten vier Termine verlorengegangen.
Der Beklagte (das Finanzamt -- FA --) hat beantragt, den Antrag abzulehnen.
Entscheidungsgründe
II. 1. Der Antrag auf Beiordnung eines Prozeßbevollmächtigten für ein beabsichtigtes Beschwerdeverfahren ist insoweit zulässig, als dafür kein Vertretungszwang nach Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) besteht (vgl. BFH-Beschluß vom 16. Januar 1984 GrS 5/82, BFHE 140, 408, BStBl II 1984, 439, Abschn. III Nr. 3 a der Entscheidungsgründe).
2. Jedoch ist der Antrag abzulehnen.
a) Gemäß §78 b ZPO i. V. m. §155 FGO hat das Prozeßgericht einer Partei auf ihren Antrag für den jeweiligen Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, soweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, die Partei einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. In Verfahren wegen Steuerstreitigkeiten kommt auch eine Beiordnung der anderen, nach Art. 1 Nr. 1 BFHEnltG zur Vertretung befugten Prozeßbevollmächtigten in Betracht (vgl. BFH- Beschluß vom 18. November 1977 III S 6/77, BFHE 123, 433, BStBl II 1978, 57).
Der Senat läßt dahingestellt, ob die übrigen Voraussetzungen für die Beiordnung eines Prozeßbevollmächtigten im Streitverfahren vorliegen (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 26. Juli 1994 I B 45/94, BFH/NV 1995, 247, 248 unter Abschn. A Ziff. 3 der Gründe). Jedenfalls erscheint dem Senat die beabsichtigte Rechtsverfolgung aussichtslos; denn der ablehnende Beschluß entspricht Recht und Gesetz.
b) Nach §51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. §42 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nur abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Ein derartiger Grund ist gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch nach Maßgabe einer vernünftigen objektiven Betrachtung davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden. Unerheblich ist, ob ein solcher Grund wirklich vorliegt (vgl. BFH-Beschluß vom 11. August 1992 III B 101/92, BFH/NV 1993, 309, ständige Rechtsprechung).
Fehler, die einem Richter bei der Beurteilung eines Sachverhalts oder bei der Anwendung von Rechtsvorschriften unterlaufen, sind grundsätzlich kein Grund für eine Ablehnung (vgl. BFH-Beschluß vom 23. Juli 1996 VIII B 22/96, BFH/NV 1997, 126, 127, m. w. N.).
Das Ablehnungsverfahren soll nicht gegen unrichtige Rechtsauffassungen eines Richters schützen. Insoweit stehen den Beteiligten die allgemeinen Rechtsbehelfe zur Verfügung. Dies gilt in gleicher Weise für ggf. unzutreffende Entscheidungen in Verfahrensfragen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. September 1994 VIII B 64--76/94, BFH/NV 1995, 526, 527, und in BFH/NV 1993, 309). Befangenheit ist zu verneinen, solange das Verhalten des Richters sachbezogen und nachvollziehbar ist (vgl. BFH- Beschluß vom 4. Oktober 1994 X B 168/94, BFH/NV 1995, 528, m. w. N.). Bei der gebotenen Gesamtschau verschiedener beanstandeter Vorgänge darf überdies nicht die Prozeßgeschichte außer acht gelassen werden, z. B. auf Prozeßverschleppung hindeutende Verhaltensweisen der Beteiligten (BFH/NV 1995, 526, 528). Insbesondere ist es Sache des Vorsitzenden Richters bzw. soweit es sich, wie hier, um Einzelrichtersachen handelt, des zuständigen Einzelrichters, die Reihenfolge der Behandlung anhängiger Klageverfahren zu bestimmen. Es kann nicht den Beteiligten überlassen sein, mit Hilfe von Richterablehnungen letztlich die Reihenfolge und den Arbeitsablauf der vom FG zu treffenden Entscheidungen zu bestimmen (BFH/NV 1993, 309 unter Ziff. 3 der Gründe).
Zu Recht führt das FG in dem Beschluß aus, der Kläger habe keinen einzigen Gesichtspunkt dafür anführen können, daß die vom FG getroffenen Entscheidungen etwa in einer Weise unvertretbar fehlerhaft gewesen wären, daß sie auf eine unsachliche Einstellung des abgelehnten Richters gegenüber dem Kläger schließen lassen könnten oder insoweit objektive Anhaltspunkte für sachfremde Überlegungen bestünden (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 6. Februar 1996 X B 95/95, BFH/NV 1996, 752 unter Ziff. 3 der Gründe; vom 25. Juli 1997 VI B 68/97, BFH/NV 1998, 61, ständige Rechtsprechung).
3. Die Entscheidung über den Antrag auf Beiordnung eines Prozeßbevollmächtigten ist gerichtsgebührenfrei (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §62 Anm. 92).
Fundstellen
Haufe-Index 170939 |
BFH/NV 1999, 944 |