Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Darlegungspflicht im Wiedereinsetzungsverfahren
Leitsatz (NV)
Ein Wiedereinsetzungsbegehren führt nur zur Sachprüfung, wenn innerhalb der Zweiwochenfrist (§ 56 Abs. 2 S. 2 FGO) alle für die Wiedereinsetzung erheblichen Tatsachen substantiiert und in sich schlüssig dargetan sind. - Wesentliche Lücken in der Sachverhaltsdarstellung können nach Fristablauf wirksam nicht mehr geschlossen werden.
Normenkette
FGO § 56
Verfahrensgang
Tatbestand
Die auf Herabsetzung der Gewerbesteuerschuld für 1986, 1987 und 1988 gerichtete Klage ist vom FG durch Urteil vom 18. März 1992 als unbegründet abgewiesen worden.
Das mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung versehene erstinstanzliche Urteil wurde dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) am 21. Juli 1992 zugestellt. Dessen Prozeßbevollmächtigter legte am 24. August 1992 Revision ein (die das FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hatte) und beantragte, am 8. September 1992 durch den Vorsitzenden des erkennenden Senats auf den Ablauf der Rechtsmittelfrist (am 21. August 1992, einem Freitag) hingewiesen, am gleichen Tage Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, er habe die Revisionsschrift noch am 19. August 1992 im Sekretariat ,,ausfertigen lassen" und unterzeichnet; sie sei auch noch am gleichen Tag zur Post gegeben worden. Beim Kuvertieren der Tagespost jedoch sei seiner Sekretärin das Mißgeschick unterlaufen, daß sie das Original der Revisionsschrift nicht, wie vorgesehen, in einem separaten Umschlag mit einfacher Post an das FG, sondern zusammen mit der für den Kläger bestimmten Kopie und anderen Schriftstücken in einem Umschlag an diesen versandt habe. Da sein Mandant wünsche, sämtliche Post per Einschreiben zugesandt zu bekommen, sei der Postausgang durch einen entsprechenden Eintrag am 19. August 1992 im Postausgangsbuch und einen Postbeleg vom gleichen Tag dokumentiert. Das Original der Revisionsschrift sei dann durch den Kläger, der das Versehen offenbar bemerkt habe, per Post an das FG weitergeleitet worden. Vom verspäteten Eingang habe er erstmals durch die am 3. September 1992 in seinem Büro eingegangene Mitteilung des FG Kenntnis erhalten. - Beigefügt war dem Antrag eine undatierte eidesstattliche Versicherung der Sekretärin, in dem das Versehen bestätigt und außerdem mitgeteilt wird, mit dem Frankieren des Umschlags und dem Transport zur Post seien ,,andere Kollegen" beauftragt gewesen.
Einen Revisionsantrag hat der Kläger nicht gestellt, eine Revisionsbegründung nicht eingereicht und insoweit auch keinen Fristverlängerungsantrag gestellt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das - FA -), hat von der Möglichkeit, sich zu äußern, keinen Gebrauch gemacht.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig (§§ 124, 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), weil sie verspätet eingelegt wurde und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann. Daß die Revisionsschrift spätestens am 21. August 1992 beim FG hätte eintreffen müssen, bedarf nach der Aktenlage und angesichts des klägerischen Vorbringens keiner weiteren Ausführungen.
Nach § 56 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren; der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und zu begründen. - Das erfordert eine substantiierte in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen innerhalb dieser Zweiwochenfrist (vgl. u.a. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. Januar 1965 V 337, 439/62 S, BFHE 81, 651, BStBl III 1965, 234; vom 28. Dezember 1989 VIII R 70/87, BFH/NV 1990, 714, und vom 20. Februar 1990 VII R 125/89, BFHE 159, 573, BStBl II 1990, 546; Gräber, Kommentar zur Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., 1987, § 56 Rz.49 f. m.w.N.). - Daran fehlt es hier. Das Vorbringen ist in entscheidenden Punkten unvollständig:
- Zum einen hätte die Fristenkontrolle im konkreten Fall im einzelnen dargetan werden müssen. Das gilt hier vor allem für die Behandlung der Revisionsschrift am 19. August 1992. Die ordnungsgemäße Ausgangskontrolle im Büro eines Steuerberaters erfordert grundsätzlich, daß Fristen im Fristenkontrollbuch erst aufgrund der Eintragung im Postausgangsbuch gelöscht werden (Urteil des erkennenden Senats vom 7. Dezember 1988 X R 80/87, BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266). Die Beobachtung dieser Organisationsregel hätte im Streitfall möglicherweise zu der rechtzeitigen Entdeckung des für die Fristversäumnis maßgeblichen Umstandes führen können, daß am 19. August 1992 in dieser Sache an das FG überhaupt kein Schriftstück aus dem Büro des Prozeßbevollmächtigten herausgegangen ist. Hierzu und zur Führung eines Fristenkontrollbuchs überhaupt enthält das Wiedereinsetzungsvorbringen keinerlei Angaben (vgl. zu Darlegungsmängeln dieser Art auch die BFH-Beschlüsse vom 26. November 1986 IX R 64/86, BFH/NV 1988, 33, 34, und vom 20. November 1987 III R 208, 210-211/84, BFH/NV 1989, 370, 371) und befaßt sich statt dessen insoweit ausschließlich mit der Behandlung der Einschreibesendung an den Kläger im Postausgangsbuch.
- Zum anderen hätten die Einzelheiten der Aufgabe zur Post vollständig geschildert werden, d.h. vor allem die Person namentlich benannt werden müssen, die mit der weiteren Bearbeitung der Postausgänge an diesem Tag betraut war (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12. April 1989 II B 197/88, BFH/NV 1990, 298, und vom 13. Juli 1989 VIII R 64/88, BFH/NV 1990, 577, sowie Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 25. Oktober 1990 VII ZB 9/90, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1991, 619, 620.
- Schließlich hätte die Vermutung, der Kläger habe das Versehen ,,offenbar" bemerkt und das Original (sogleich) an das FG weitergeleitet, durch eine bestimmte, präzise, mit genauen Zeitangaben versehene Darstellung des tatsächlichen Hergangs ersetzt werden müssen.
Unter diesen Umständen kann ein Organisationsmangel, der die Anwendung des § 56 FGO unabhängig davon verbietet, welche Anforderungen an das Verschulden i.S. dieser Vorschrift zu stellen sind (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 29. September 1971I R 174/70, BFHE 103, 135, BStBl II 1972, 19, und vom 23. Mai 1989 VII R 67/88, BFH/NV 1990, 244, 245; Gräber, a.a.O., Rz.14 m.w.N.), nicht ausgeschlossen werden. Dies muß sich der Kläger zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 51 Abs. 2 und § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung; Nachw. bei Gräber, a.a.O., Rz.6).
Die aufgezeigten Lücken in der Begründung des Wiedereinsetzungsbegehrens können nach Ablauf der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht mehr geschlossen werden (vgl. BGH-Beschluß vom 28. Februar 1991 IX ZB 95/90, Betriebs-Berater 1991, 1222); sie gehen zu Lasten des Betroffenen: Bleibt die Verschuldensfrage offen, ist das Wiedereinsetzungsbegehren abzulehnen (BGH-Beschluß vom 26. September 1991 I ZB 12/91, Neue Juristische Wochenschrift 1992, 574).
Auf Mängel in der Glaubhaftmachung kommt es im Streitfall ebensowenig an wie auf die Erörterung der Frage, welche Bedeutung dem Umstand beizumessen ist, daß der Kläger weder eine Revisionsbegründung eingereicht noch einen Revisionsantrag gestellt oder insoweit (rechtzeitig) Fristverlängerung beantragt hat (vgl. dazu Gräber, a.a.O., § 120 Rz.21 m.w.N., und auch Beschluß des Großen Senats des BFH vom 1. Dezember 1986 GrS 1/85, BFHE 148, 414, BStBl II 1987, 264).
Fundstellen
Haufe-Index 418960 |
BFH/NV 1993, 611 |