Leitsatz (amtlich)
Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß bei der Ermittlung des Betrages von 7 200 DM nach § 32 Abs. 2 Nr. 2 letzter Satz EStG 1971 vermögenswirksame Leistungen i. S. des 3. VermBG zu den Einkünften zu rechnen sind. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um Leistungen des Arbeitgebers nach § 3 des 3. VermBG oder um vermögenswirksam angelegte Lohnteile nach § 4 des 3. VermBG handelt.
Normenkette
EStG 1971 § 32 Abs. 2 Nr. 2 letzter Satz; 3. VermBG §§ 3-4, 12 Abs. 5; FGO § 69 Abs. 2-3
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) begehrte bei der Einkommensteuerveranlagung 1971 einen Kinderfreibetrag für seinen Sohn. Dieser ist Anwärter für den mittleren Dienst der Bundeszollverwaltung und hat für 1971 einen Unterhaltszuschuß von 8 352 DM bezogen. Er hat von seinem Arbeitslohn 468 DM vermögenswirksam angelegt und von seinem Arbeitgeber 156 DM vermögenswirksame Leistungen erhalten. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (FA) hat im vorläufigen Einkommensteuerbescheid 1971 die Gewährung eines Kinderfreibetrags abgelehnt, weil die Einkünfte des Sohnes 7 200 DM überstiegen (§ 32 Abs. 2 Nr. 2 letzter Satz EStG 1971). Über den Einspruch ist noch nicht entschieden.
Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des vorläufigen Einkommensteuerbescheides hat das FG abgelehnt.
Hiergegen hat der Beschwerdeführer Beschwerde eingelegt. Er ist der Ansicht, die Entscheidung des FG stehe im Gegensatz zum Urteil des BFH vom 8. November 1972 VI R 257/71 (BFHE 107, 436, BStBl II 1973, 143). Das FG habe außerdem das BFH-Urteil vom 10. November 1972 VI R 314/70 (BFHE 107, 457, BStBl II 1973, 147) verkannt. Hier habe der BFH für vermögenswirksame Leistungen nach dem Zweiten Vermögensbildungsgesetz - 2. VermBG - (gleichgültig, ob es sich um Leistungen des Arbeitgebers oder um vermögenswirksam angelegte Lohnteile handele) entschieden, daß sie für die Anwendung des § 32 Abs. 2 Nr. 2 Ietzter Satz EStG weder zu den Einkünften zu rechnen noch als schädliche Bezüge zu behandeln seien. Der BFH habe wörtlich ausgeführt, es würde dem Zweck des Zweiten Vermögensbildungsgesetzes, die Vermögensbildung in der Hand der Arbeitnehmer zu fördern, widersprechen, wenn man für die Anwendung des § 18a LStDV 1965 (§ 32 EStG) verlangen würde, daß das Kind diese Lohnteile für seinen Unterhalt oder seine Berufsausbildung einsetze. Es sei kein Grund zu erkennen, daß dies nicht auch für vermögenswirksame Leistungen nach dem Dritten Vermögensbildungsgesetz gelten solle. Auch dem Zweck dieses Vermögensbildungsgesetzes würde es widersprechen, wenn gefordert würde, daß das Kind diese Lohnteile für seinen Unterhalt oder seine Berufsausbildung einsetze. Das Ziel des Dritten Vermögensbildungsgesetzes sei es gerade gewesen, die Vermögensbildung zu verbessern.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind nicht erkennbar.
Für die Anwendung des § 32 Abs. 2 Nr. 2 letzter Satz EStG 1971 wird unterschieden zwischen "Einkünften" und "Bezügen". Der BFH hat in dem Urteil VI R 257/71 klargestellt, daß Einkünfte im Sinne dieser Vorschrift die Einkünfte nach § 2 Abs. 4 EStG sind. Es ist ohne Bedeutung, ob sie verfügbar sind. Das ist im Urteil vom 8. November 1972 VI R 8/71 (BFHE 107, 444, BStBl II 1973, 142) nochmals ausdrücklich ausgesprochen worden. Im erstgenannten Urteil hat der BFH ferner ausgeführt, daß sich der Relativsatz in dem Satzteil "die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes, die zur Bestreitung seines Unterhalts oder seiner Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind", allein auf den Begriff "Bezüge" beziehe.
Entscheidend für den Streitfall ist die unterschiedliche Rechtslage nach dem Zweiten und Dritten Vermögensbildungsgesetz. Durch das Zweite Vermögensbildungsgesetz wurde die Vermögensbildung der Arbeitnehmer dadurch gefördert, daß vermögenswirksame Leistungen, die der Arbeitnehmer im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erhält, nicht als steuerpflichtige Einnahmen gelten, soweit sie 312 DM bzw. - bei mehr als drei Kinderfreibeträgen - 468 DM nicht überstiegen. Mit dem Dritten Vermögensbildungsgesetz wurde diese Art der Förderung aufgegeben; statt dessen wurden Arbeitnehmer-Sparzulagen nach Maßgabe der §§ 12 und 13 des 3. VermBG gewährt. Zur Klarstellung wurde in § 12 Abs. 5 des 3. VermBG ausdrücklich bestimmt, daß vermögenswirksame Leistungen steuerpflichtige Einnahmen im Sinne des EStG sind. Das gilt sowohl für Leistungen des Arbeitgebers wie für vermögenswirksam angelegte Lohnteile; auch diese sind vermögenswirksame Leistungen im Sinne des Dritten Vermögensbildungsgesetzes. Die Änderung diente der Gleichmäßigkeit der Förderung.
Mit dieser Änderung des Verfahrens der Förderung der Vermögensbildung änderte sich zugleich die Auswirkung vermögenswirksamer Leistungen auf die Anwendung des § 32 Abs. 2 Nr. 2 EStG. Solange § 12 Abs. 1 des 2. VermBG galt, hätten vermögenswirksame Leistungen nur als "Bezüge" im Sinne des § 32 Abs. 2 Nr. 2 letzter Satz EStG angesehen werden können. Das hat die Verwaltung für Leistungen des Arbeitgebers verneint, aber für vermögenswirksam angelegte Lohnteile bejaht (vgl. Abschn. 179 Abs. 6 EStR 1967). Der BFH hat dann im Urteil VI R 314/70 entschieden, daß insoweit zwischen Leistungen des Arbeitgebers und vermögenswirksam angelegten Lohnteilen kein Unterschied zu machen ist; auch letztere sind nicht als schädliche "Bezüge" anzusehen. In diesem Zusammenhang hat der BFH betont, es würde dem Zweck des Zweiten Vermögensbildungsgesetzes, die Vermögensbildung in der Hand der Arbeitnehmer zu fördern, widersprechen, wenn man für die Anwendung des § 18a LStDV (§ 32 EStG) verlangen würde, daß das Kind seine Lohnteile für seinen Unterhalt oder seine Berufsausbildung einsetzt. Nur für "Bezüge" stellt sich nach dem Gesetz die Frage, ob diese zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind.
Nach dem Dritten Vermögensbildungsgesetz sind jedoch vermögenswirksame Leistungen zu den steuerpflichtigen Einnahmen zu rechnen und demnach nicht mehr als "Bezüge" anzusehen, sondern bei der Ermittlung der Einkünfte anzusetzen. Bei diesen spielt aber, wie der BFH in den angeführten Urteilen ausgeführt hat, die Frage der Verfügung und der Verfügungsfähigkeit überhaupt keine Rolle. Der oben wiedergegebene Satz aus dem BFH-Urteil VI R 314/70 kommt nunmehr also überhaupt nicht mehr zum Zuge. Das bedeutet auch keine Härte; denn es tritt ja nunmehr eine Förderung der Vermögensbildung durch an den Arbeitnehmer auszuzahlende Arbeitnehmer-Sparzulagen ein, die nach dem Zweiten Vermögensbildungsgesetz unbekannt waren.
Fundstellen
BStBl II 1974, 682 |
BFHE 1975, 28 |