Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnungsverfügung - Abrechnungsbescheid
Leitsatz (NV)
Das Verwaltungs- und Klageverfahren über den Abrechnungsbescheid ist vorrangig gegenüber einer Anfechtung der Anrechnungsverfügung, da es als gesetzlich geregeltes Verfahren dazu dient, über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, endgültig zu entscheiden.
Normenkette
AO 1977 §§ 118, 218 Abs. 2; EStG § 36 Abs. 2 Nr. 1; FGO § 138 Abs. 1
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) führte für die Veranlagungszeiträume 1982 und 1983 antragsgemäß getrennte Veranlagungen zur Einkommensteuer für die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) durch. Er rechnete in den Abrechnungen zu den Einkommensteuerbescheiden auf die festgesetzten Steuerschulden von jeweils null DM nur die einbehaltenen Lohnsteuerbeträge, nicht aber - wie beantragt - auch in den Streitjahren geleistete Einkommensteuervorauszahlungen an.
Die Klägerin wandte sich mit dem Einspruch gegen die Nichtanrechnung der Vorauszahlungen. Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig mit der Begründung, daß die Klägerin nicht beschwert sei. Wegen der materiellen Rechtslage verwies es auf den Abrechnungsbescheid vom 12. September 1985, zugestellt am 16. September 1985, mit dem ein Erstattungsanspruch auf Grund geleisteter Vorauszahlungen verneint wurde. Über den Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid hat das FA noch nicht entschieden.
Die am 23. September 1985 erhobene Klage der Klägerin wegen Nichtanrechnung der Vorauszahlungen hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob die Einspruchsentscheidung des FA vom 13. September 1985 antragsgemäß mit folgender Begründung auf:
Die Klage sei zulässig. Die Klägerin sei durch die Einspruchsentscheidung beschwert, und die Hauptsache des Verfahrens sei nicht durch den Abrechnungsbescheid vom 12. September 1985 erledigt, weil dieser schon vor der Einspruchsentscheidung ergangen sei. Die Klage sei auch begründet, weil das FA keine Einspruchsentscheidung hätte erlassen dürfen. Das Rechtsbehelfsschreiben des Prozeßbevollmächtigten hätte nämlich als Beschwerde behandelt werden müssen. Denn die von der Klägerin wegen der Nichtanrechnung der Vorauszahlungen angegriffene Anrechnungsverfügung sei ein mit der Beschwerde anfechtbarer Verwaltungsakt.
Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragte das FA, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen. Es machte im wesentlichen geltend:
Das FG hätte den Rechtsbehelf der Klägerin nicht in eine Beschwerde umdeuten dürfen, da dieser von ihrem fachkundigen Prozeßbevollmächtigten eingelegt und eindeutig als Einspruch bezeichnet worden sei. Nach Erlaß des für derartige Streitigkeiten gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) vorrangigen Abrechnungsbescheides seien das Rechtsschutzbedürfnis und die Klagebefugnis für eine Anfechtung der ,,konkludenten Nichtanrechnungsverfügung" jedenfalls entfallen. Im übrigen liege entgegen der Ansicht des FG in der Nichtanrechnung von Einkommensteuervorauszahlungen kein anfechtbarer Verwaltungsakt. In den mit den Steuerbescheiden verbundenen Anrechnungsverfügungen seien lediglich die Steuerabzugsbeträge, nicht aber geleistete Vorauszahlungen genannt. Über letztere ergingen Kassenabrechnungen, die keine Verwaltungsakte seien.
Nachdem die Klägerin und ihr Ehemann für die noch nicht bestandskräftig veranlagten Streitjahre 1982 und 1983 die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer beantragt hatten, haben die Klägerin und das FA die Hauptsache im vorliegenden Verfahren für erledigt erklärt und widerstreitende Kostenanträge gestellt.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat, nachdem die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, nur noch über die Auferlegung der Kosten zu entscheiden. Die Kostenentscheidung ist nach § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu treffen. § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO findet auch dann keine Anwendung, wenn das FA nunmehr die - bisher - streitigen Einkommensteuervorauszahlungen im Anschluß an die Zusammenveranlagung der Klägerin und ihres Ehemannes auf die gemeinsamen Einkommensteuerschulden 1982 und 1983 der Eheleute gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) angerechnet hat. Denn im vorliegenden Rechtsstreit ging es allein um die Frage, ob die Klägerin auch bei der getrennten Veranlagung die Anrechnung der geleisteten Vorauszahlungen auf die gegen sie festgesetzten Steuerschulden beanspruchen konnte.
Nach § 138 Abs. 1 FGO hat der Senat nach billigem Ermessen über die Auferlegung der Kosten zu entscheiden, wobei der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen ist. Hierbei ist der mutmaßliche Ausgang des Verfahrens ohne das erledigende Ereignis zu berücksichtigen; im Rahmen der Billigkeitsentscheidung können auch Erwägungen darüber angestellt werden, ob bei vernünftiger Abwägung der Verhältnisse ein Anlaß zur Anrufung des Gerichts (Veranlassungsprinzip) gegeben war (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 138 FGO Tz. 57; Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 138 Anm. 8, S. 465). Der Senat hält es unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte für angemessen, der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
In dem gerichtlichen Verfahren wurde darüber gestritten, ob das FA den Einspruch der Klägerin gegen die Nichtanrechnung geleisteter Vorauszahlungen auf ihre Einkommensteuerschulden 1982 und 1983 zu Recht mangels Vorliegens eines anfechtbaren belastenden Verwaltungsakts als unzulässig verworfen hat. Die maßgebende Streitfrage des Klage- und Revisionsverfahrens war, ob die Nichtanrechnung der Vorauszahlungen einen Verwaltungsakt darstellt, der die Klägerin beschwerte und den sie mit dem Einspruch bzw. der Beschwerde und anschließend mit der Anfechtungsklage anfechten konnte. Wäre diese Frage - wie das FA meint - zu verneinen, so wäre die Einspruchsentscheidung zutreffend; die Revision hätte ohne die Erledigungserklärungen zur Aufhebung der Vorentscheidung und - mangels Klagebefugnis (§ 40 Abs. 2 FGO) - zur Abweisung der Klage geführt.
Der Senat hat in seinem Urteil vom 16. Oktober 1986 VII R 159/83 (BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405) die im Steuererhebungsverfahren ergehende Anrechnungs- oder Abrechnungsverfügung des FA, mit der gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG auch über die Anrechnung der für den Veranlagungszeitraum entrichteten Einkommensteuervorauszahlungen entschieden wird, als Verwaltungsakt (§ 118 AO 1977) und nicht nur als formlose Kassenmitteilung angesehen (anderer Ansicht Martens in Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK - Anmerkung zum Umsatzsteuergesetz 1967, Rechtsspruch 32). Dieser Auffassung entspricht die Vorentscheidung, die die Klage der Klägerin für zulässig und - folgerichtig - die Nichtanrechnung der Vorauszahlungen für einen mit der Beschwerde (§ 349 Abs. 1 AO 1977) anfechtbaren Verwaltungsakt hält und deshalb die Einspruchsentscheidung des FA aufgehoben hat. Im Streitfall ist aber fraglich, ob überhaupt eine Entscheidung des FA über die Anrechnung der Einkommensteuervorauszahlungen gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG vorliegt, da - wie die Revision mit Recht vorträgt - die mit den Steuerbescheiden verbundenen Anrechnungsverfügungen nur Ausführungen über die einbehaltenen Steuerabzugsbeträge, nicht aber über geleistete Vorauszahlungen enthalten. Ob etwaige zusätzlich ergangene Abrechnungen der Finanzkasse Verwaltungsaktqualität haben, erscheint auch unter Berücksichtigung der Entscheidung in BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405 zweifelhaft. Der Senat braucht diese Frage nicht zu vertiefen. Denn er ist der Auffassung, daß nach den besonderen Umständen des Falles das Rechtsschutzbedürfnis für die von der Klägerin erhobene Klage auch dann nicht vorlag, wenn das FA durch Verwaltungsakte über die Anrechnung der Vorauszahlungen für die Streitjahre entschieden haben sollte.
Das FA hat bereits in seiner Entscheidung, mit der es den Einspruch der Klägerin als unzulässig verwarf, darauf hingewiesen, daß über den Erstattungsanspruch, der sich bei Anrechnung der Vorauszahlungen auf die Steuerschulden der Klägerin ergeben würde, gesondert entschieden werde. Das ist durch den den Erstattungsanspruch ablehnenden Abrechnungsbescheid vom 12. September 1985, der der Klägerin - schon vor der Klageerhebung - am 16. September 1985 zugestellt worden ist, geschehen. Das Gesetz sieht für Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, in § 218 Abs. 2 AO 1977 mit dem Abrechnungsbescheid eine besondere Verwaltungsentscheidung vor. Das gilt auch für die Feststellung streitiger Erstattungsansprüche, die sich aus der Anrechnung von Vorauszahlungen auf die Steuerschuld ergeben (vgl. Urteil des Senats vom 12. Juni 1986 VII R 103/83, BFHE 147, 1, BStBl II 1986, 702, 703). Wenn die Finanzbehörde über bestehende Streitigkeiten in diesem besonderen Verwaltungsverfahren entschieden hat, muß der Steuerpflichtige seine fortbestehenden Einwendungen im Wege der Anfechtung des Abrechnungsbescheids mit dem Einspruch (§ 348 Abs. 1 Nr. 9 AO 1977) und in dem sich daran anschließenden Klageverfahren geltend machen. Das hat die Klägerin mit ihrem Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid vom 12. September 1985 auch getan. Das Verwaltungs- und Klageverfahren über den Abrechnungsbescheid ist vorrangig gegenüber einer Anfechtung der Anrechnungsverfügung, da es als gesetzlich geregeltes spezielles Verfahren dazu dient, über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, endgültig zu entscheiden. Damit war jedenfalls mit dem Ergehen des Abrechnungsbescheids das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin für die nachfolgend im vorliegenden Verfahren erhobene Klage entfallen. Gegen diese Beurteilung spricht nicht, daß im vorliegenden Verfahren das Vorverfahren bereits abgeschlossen war, während die Klägerin gegen den Abrechnungsbescheid erst nach Ergehen einer ihr nachteiligen Einspruchsentscheidung hätte Klage erheben können (§ 44 FGO). Da das FA den Einspruch gegen die Nichtanrechnung der Vorauszahlungen als unzulässig verworfen hatte, war die Klage der Klägerin lediglich auf Aufhebung der Einspruchsentscheidung und damit auf Zurückversetzung des Verfahrens in ein Stadium gerichtet, in dem sich die Klägerin auch mit ihrem Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid schon befand.
Die Klage der Klägerin wäre demnach auf die Revision des FA unter Aufhebung der Vorentscheidung mangels Rechtsschutzinteresses abzuweisen gewesen. Da die Klägerin ohne das erledigende Ereignis im vorliegenden gerichtlichen Verfahren unterlegen wäre, waren ihr gemäß § 138 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Zu diesem Ergebnis gelangte der Senat auf Grund des bei der Entscheidung nach billigem Ermessen gemäß § 138 Abs. 1 FGO zu beachtenden Veranlassungsprinzips auch dann, wenn er entgegen der im vorstehenden Absatz vertretenen Auffassung die von der Klägerin erhobene Klage als zulässig ansehen würde. Die Klägerin hatte bei vernünftiger Abwägung der Verhältnisse keinen Anlaß zur Anrufung des FG, bevor das FA auf ihren Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid entschieden hatte.
Fundstellen
Haufe-Index 415387 |
BFH/NV 1988, 349 |