Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei mangelhafter Fristenkontrolle
Leitsatz (NV)
Wird im Fristenkontrollbuch eines Prozeßbevollmächtigten als Rechtsmittelfrist betreffend einen FG-Beschluß zur Aussetzung der Vollziehung entsprechend der ständigen Büropraxis an Stelle der 14tägigen Beschwerdefrist eine kürzere als die gesetzliche Rechtsbehelfsfrist für Steuerbescheide eingetragen, so ist die anschließende Versäumung der Beschwerdefrist nicht unverschuldet.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1-2, § 69 Abs. 3, § 128 Abs. 1; BFHEntlG Art. 1 Nr. 3
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat mit Urteil vom 12. Oktober 1988 die Klage der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) gegen die negativen Feststellungsbescheide für 1981 bis 1985 und mit Beschluß vom gleichen Tage deren Antrag auf Aussetzung der Vollziehung dieser Bescheide als unbegründet abgewiesen. Der Aussetzungsbeschluß des FG, gegen den es die Beschwerde zugelassen hat, und das Urteil wurden dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger am 17. Dezember 1988 mit Postzustellungsurkunde zugestellt. Gegen beide FG-Entscheidungen haben die Kläger durch ihren Prozeßbevollmächtigten am 13. Januar 1989 Revision bzw. Beschwerde eingelegt und diese am 16. Januar 1989 begründet. Auf den Hinweis durch den Vorsitzenden des erkennenden Senats, daß die vorliegende Beschwerde verspätet erhoben worden sei, beantragen die Kläger mit Schreiben vom 9. März 1989 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Der FG-Beschluß sei am 19. Dezember 1988 durch eine zuverlässige Sekretärin, Frau P, in das Fristenbuch eingetragen worden. In der Spalte ,,Datum des Bescheids" sei das Ausfertigungsdatum des Beschlusses, der 15. Dezember 1988, als Fristablaufstermin der 16. Januar 1989 vermerkt worden; ebenso sei Frau P bei der Fristeneintragung für das FG-Urteil verfahren. Frau P, der die gesetzlichen Fristen sowie die Behandlung von Rechtsbehelfsbelehrungen bekannt seien, führe das Fristenbuch seit 1. April 1980; es habe zuvor noch niemals eine fehlerhafte Eintragung oder Versäumung einer Frist gegeben; zur Glaubhaftmachung sind ein Auszug aus dem Fristenkontrollbuch und eine eidesstattliche Versicherung von Frau P beigefügt. Aufgrund der langjährigen bewährten Zuverlässigkeit der Mitarbeiterin P habe der Prozeßbevollmächtigte keinen Anlaß gesehen, den Fristenablauf gesondert zu überpüfen, und die Rechtsmittelschriften gegen beide FG-Entscheidungen am 12. Januar 1989 anfertigen lassen.
Die Kläger beantragen, zum Teil sinngemäß, unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand den FG-Beschluß aufzuheben und die Vollziehung der negativen Feststellungsbescheide für 1981 bis 1984 vom 10. Oktober 1986 und für 1985 vom 27. Februar 1987 in bestimmter Höhe auszusetzen.
Der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger sei nicht ohne Verschulden an der Fristwahrung verhindert gewesen. Die Schwierigkeiten bei der Berechnung von Fristen für Revisions- und Beschwerdeverfahren hätten ihn zu besonderer Sorgfalt bei der Notierung der Frist und der Überwachung des Personals verpflichtet. Dem sei der Prozeßbevollmächtigte nicht gerecht geworden.
Zudem sei das Fristenbuch erheblich mangelhaft geführt worden. Außer der angefochtenen Entscheidung sei auch das FG-Urteil fälschlicherweise als ,,FG-Beschluß" eingetragen und für die Fristenberechnung willkürlich auf das Ausfertigungsdatum abgestellt worden.
Die Kläger hätten auch die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung versäumt. Denn spätestens bei einer eigenen Kontrolle der Frist am 10. Januar 1989 hätte ihr Prozeßbevollmächtigter die Versäumung der Beschwerdefrist merken müssen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
Den Klägern war die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 Abs. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) für die von ihnen versäumte 14tägige Beschwerdefrist zu versagen. Der Senat läßt unerörtert, ob bereits die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO) versäumt wurde. Denn jedenfalls ergibt sich aus dem Vorbringen der Kläger nicht, daß die Beschwerdefrist ohne Verschulden versäumt worden wäre. Das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten ist den Klägern zuzurechnen (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung).
Ein Verschulden liegt schon in einem Organisationsmangel wegen unzureichender Fristenkontrolle im Büro des Prozeßbevollmächtigten. Denn ein Prozeßbevollmächtigter hat durch die Organisation seines Bürobetriebs sicherzustellen, daß Fristversäumnisse ausgeschlossen sind (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Januar 1984 I R 196/83, BFHE 140, 146, BStBl II 1984, 441). Er muß insbesondere dafür sorgen, daß die gesetzlichen Fristen für jede einzelne Sache richtig vermerkt werden (BFH-Beschluß vom 26. Januar 1977 II R 40/72, BFHE 121, 164, BStBl II 1977, 290, und Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 56 Anm. 36). Dem wird das im vorliegenden Falle geführte Fristenkontrollbuch nicht gerecht. Denn dort wurden generell nicht die gesetzlichen Rechtsbehelfsfristen, sondern - für Steuerbescheide - kürzere Fristen eingetragen. Eine hinreichend sichere Fristenkontrolle ist dann ebensowenig möglich, wie wenn lediglich Wiedervorlagefristen vermerkt werden, die nach ständiger Rechtsprechung für eine ordnungsgemäße Fristenkontrolle nicht ausreichen (BFH-Urteil vom 11. November 1972 VIII R 8/67, BFHE 107, 486, BStBl II 1973, 169). Wäre im vorliegenden Fall die auch aus der Rechtsmittelbelehrung des FG-Beschlusses ersichtliche Beschwerdefrist von zwei Wochen ab dem Tage nach der Zustellung errechnet und eingetragen worden, hätte sich die Fristversäumnis aller Wahrscheinlichkeit nach vermeiden lassen.
Ferner ist bei Übertragung der Fristenkontrolle an gut ausgebildete, erfahrene und zuverlässige Mitarbeiter nach ständiger Rechtsprechung erforderlich, daß der Berufsträger durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge trägt (BFH-Beschluß vom 23. Oktober 1985 II R 69/85, BFH/NV 1986, 740, m.w.N.). Aus dem vorliegenden Wiedereinsetzungsgesuch ergibt sich jedoch nicht, daß der Prozeßbevollmächtigte die mit der Fristenkontrolle beauftragte Bürokraft über die zutreffende Berechnung der Frist auch in Zweifelsfällen, insbesondere wenn es sich nicht um Steuerbescheide handelte, belehrt und die Einhaltung seiner Anweisungen kontrolliert hätte (vgl. auch BFH-Beschluß vom 1. März 1989 X R 198/87, BFH/NV 1989, 711). Das Verhalten der Sekretärin, die einfach ihre Handhabung bei Steuerbescheiden auch auf finanzgerichtliche Entscheidungen angewandt hat, spricht vielmehr gegen deren entsprechende Unterrichtung und Beaufsichtigung. Es genügte nicht, darauf zu vertrauen, daß bisher bei Steuerbescheiden keine Fristversäumnisse eingetreten seien.
Fundstellen
Haufe-Index 416848 |
BFH/NV 1991, 167 |