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BFH Beschluss vom 22.03.1988 - VII B 193/87 (NV)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwertung strafgerichtlicher Feststellungen

 

Leitsatz (NV)

Strafgerichtliche Feststellungen können im Finanzstreitverfahren verwertet werden, sofern nicht substantiierte Einwendungen gegen sie vorgebracht und entsprechende Beweisanträge gestellt werden.

 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 1, § 81

 

Tatbestand

Der Antragsteller klagt vor dem Finanzgericht (FG) gegen den Haftungsbescheid des Antragsgegners (Hauptzollamt) . . ., durch den er - Antragsteller - gemäß § 71 der Abgabenordnung (AO 1977) auf Zahlung von Eingangsabgaben in Höhe von . . . DM in Anspruch genommen wurde. Dem Bescheid liegt die Annahme zugrunde - in der Einspruchsentscheidung auch auf Feststellungen in einem gegen den Antragsteller wegen Steuerhinterziehung usw. ergangenen rechtskräftigen Strafurteil gestützt -, dieser habe in den Jahren 1980 und 1981 vorsätzlich mehrere Einfuhrsendungen hochwertigen Rindfleischs über Dritte als Schlachtabfall anmelden und zum freien Verkehr abfertigen lassen und damit an Steuerhinterziehungen teilgenommen.

Den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe, mit dem sich der Antragsteller gegen die strafgerichtlichen Feststellungen und den Beweiswert seines diesen zugrundeliegenden Geständnisses wandte, lehnt das FG ab. Es führte aus, der unsubstantiierte Angriff des Antragstellers gegen diese Feststellungen vermöge keine Erfolgsaussichten für das Klageverfahren zu begründen. Der Antragsteller habe das Strafurteil rechtskräftig werden lassen. Sein Vortrag, er sei aufgrund einer Falschaussage des F über die Weiterlieferung hochwertigen Fleischs verurteilt worden, überzeuge nicht. Das Strafurteil beruhe auch nicht auf einer bloßen Schätzung der betreffenden Fleischmengen.

Mit der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde macht der Antragsteller geltend, F habe sehr wohl ein Interesse gehabt, ihn - Antragsteller - zu belasten, weil das von dem Zeugen vertretene Unternehmen - Firma M - subventioniertes ,,Rindfleisch" - tatsächlich bestehend aus Schlachtabfall und Beimischungen - ausgeführt habe. Der Vorwurf, er - Antragsteller - habe statt Abfall Rindfleisch eingeführt, beruhe ausschließlich auf der Falschaussage des F, der sich straffrei habe halten und einen Subventionsbetrug habe verdecken wollen. Die Mengenfeststellungen der Strafkammer seien nur deshalb nicht beanstandet worden, weil das Strafverfahren nicht auf Monate hinaus verzögert werden sollte.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das FG hat zutreffend entschieden, daß die begehrte Prozeßkostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung zu versagen ist (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -, § 114 der Zivilprozeßordnung). Bei summarischer Prüfung muß eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Erfolg sprechen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 142 Anm. 7 mit Hinweisen). Daran fehlt es im Streitfalle.

Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 10. Januar 1978 VII R 106/74, BFHE 124, 305, 308, BStBl II 1978, 311) ist es grundsätzlich zulässig, strafgerichtliche Feststellungen im finanzgerichtlichen Verfahren zu verwerten; allerdings dürfen solche Feststellungen, wenn gegen sie substantiierte Einwendungen vorgebracht und entsprechende Beweisanträge gestellt werden, nicht ohne eigene Beweisaufnahme (§ 76 Abs. 1, § 81 FGO) übernommen werden.

Nach diesen Grundsätzen ist es nicht zu beanstanden, daß das FG von den im Strafurteil gegen den Antragsteller enthaltenen Feststellungen ausgegangen ist, die die Inanspruchnahme des Antragstellers als Haftungsschuldner begründen. Diese beruhen u. a. auf dem Geständnis des Antragstellers, auf Urkundenbeweis, den Einlassungen führerer Mitangeklagter - darunter F - und den Aussagen mehrerer Zeugen. Es kann dahingestellt bleiben, ob in dem Vorbringen des Antragstellers ein Widerruf des Geständnisses liegt oder ob darin nur Einwendungen gegen die Richtigkeit der Mengenfeststellungen durch die Strafkammer zu erblicken sind. Mangels einer plausiblen Erklärung der Gründe für ein zu Unrecht abgelegtes Geständnis wäre dessen Widerruf kein substantiierter Angriff gegen die Grundlagen des Strafurteils, durch das der Antragsteller auch wegen fortgesetzten gewerbsmäßigen Schmuggels (§ 373 Abs. 1 AO 1977) verurteilt worden ist. Die bloße Absicht, die Verfahrensdauer abzukürzen, ist kein einleuchtender Grund, Straftaten zuzugestehen, die zur Verhängung einer Einzelstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe, der höchsten Einzelstrafe der gegen den Antragsteller ausgesprochenen Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten, geführt habe. Auch wenn sich der Antragsteller lediglich gegen die Feststellung der Menge des nach dem Strafurteil und der Einspruchsentscheidung falsch angemeldeten Fleischs wendet, kann darin kein hinreichend substantiiertes Vorbringen gesehen werden. Zwar mag es sein, daß ein Angeklagter für ihn ungünstige Feststellungen über den Tatumfang im Einzelfall hinnimmt, um eine Verkürzung der Verfahrensdauer zu erreichen. Da aber der Antragsteller nicht näher angegeben hat, um welche Einfuhrmengen es sich seiner Ansicht nach - nur - gehandelt haben kann, kann seine Einlassung nur als schlichtes Bestreiten gewertet werden. Dieses aber ist nicht geeignet, Zweifel an den Mengenfeststellungen aufkommen zu lassen.

Auch die Bedenken, die der Antragsteller gegen die Aussage des F vorträgt, können nicht als substantiierte Einwendung gegen die Feststellung der Strafkammer angesehen werden. Abgesehen davon, daß nicht dargetan oder ersichtlich ist, daß die eingeführten Partien ausschließlich an die Firma M verkauft worden sind, kann hinsichtlich der an dieses Unternehmen gelieferten Waren nicht als wahrscheinlich gelten, daß der Antragsteller eine Teilverurteilung wegen Steuerhinterziehung in den betreffenden Fällen durch sein Geständnis mit ermöglicht, sie jedenfalls aber hingenommen hat, nur um sich ein länger dauerndes Strafverfahren zu ersparen. Wie bereits ausgeführt, spricht die Lebenserfahrung gegen eine solche Annahme. Sie wird auch nicht dadurch nahegelegt, daß F ein Motiv für seine den Antragsteller belastende Aussage gehabt haben könnte. Sie muß deshalb nicht falsch sein. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist die Verurteilung des Antragstellers keineswegs nur auf die Aussage des F gestützt worden. Der Antragsteller hat nicht versucht, den Wert der übrigen Beweise, die seiner Verurteilung zugrundeliegen, zu entkräften.

Auch sonst ist bei summarischer Beurteilung nicht ersichtlich, daß die Inanspruchnahme des Antragstellers als Haftungsschuldner nach § 71 AO 1977 auf Fehlern beruht, die einen Erfolg der Klage im Hauptverfahren als wahrscheinlich erscheinen lassen (vgl. zur Frage des Ermessens bei der Heranziehung des Hinterziehers als Haftenden auch Senat, Urteil vom 5. Juni 1985 VII R 57/82, BFHE 144, 290, 293, BStBl II 1985, 688).

 

Fundstellen

Haufe-Index 415692

BFH/NV 1988, 722

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