Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung einer Prüfungsanordnung durch den BFH als Gericht der Hauptsache
Leitsatz (NV)
1. Bei anhängiger Nichtzulassungsbeschwerde sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes, die eine Aussetzung der Vollziehung begründen könnten, nur unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob ernstlich mit der Zulassung der Revision zu rechnen ist.
2. Der sofortige Vollzug einer Prüfungsanordnung führt grundsätzlich zu keiner unbilligen Härte.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2-3; AO 1977 § 195 S. 2, § 208 Abs. 2 Nr. 1; FVG 1950 § 22 S. 2
Tatbestand
Mit Schreiben vom 7. September 1993 be auftragte das Finanzamt (FA) X das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Y (Antragsgegner) beim Antragsteller eine Betriebsprüfung für die Steuerarten Umsatzsteuer, Einkommensteuer, Vermögensteuer und Gewerbesteuer (Prüfungszeitraum 1984 bis 1987) durchzuführen. Am 15. September 1993 erließ der Antragsgegner eine entsprechende Prüfungsanordnung. Die Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion (OFD) mit Beschwerdeentscheidung vom 9. Dezember 1993 zurück. Mit der Beschwerdeentscheidung lehnte die OFD gleichzeitig die Aussetzung der Vollziehung der Prüfungsanordnung ab. Die gegen die Prüfungsanordnung gerichtete Klage blieb erfolglos. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist beim Senat anhängig.
Nach dem Erlaß des finanzgerichtlichen Urteils beantragte der Antragsteller, mit der Betriebsprüfung weiter bis zur Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde abzuwarten. Der Antragsgegner teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 7. Juni 1995 und vom 14. Juni 1995 mit, daß er mit der Betriebsprüfung beginnen werde, was lt. telefonischer Auskunft des Antragsgegners am 22. Juni 1995 geschehen ist.
Zur Begründung seines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung wies der Antragsteller im wesentlichen darauf hin, daß der Antragsgegner die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) in der Hauptsache abwarten müsse. Die Nichtzulassungsbeschwerde sei begründet und werde mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Zulassung der Revision und Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der Prüfungsanordnung führen. Ferner sei der sofortige Vollzug eine unbillige Härte für den Antragsteller, da eine durchgeführte Betriebsprüfung nicht mehr rückgängig gemacht werden könne.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Vollziehung der Prüfungsanordnung vom 15. September 1993 in Gestalt der Beschwerdeentscheidung vom 9. Dezember 1993 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde auszusetzen und eine Eilentscheidung durch den Vorsitzenden zu treffen.
Entscheidungsgründe
Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
1. Ob ernstliche Zweifel (§ 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) vorliegen, ist bei einem schon in der Revisionsinstanz schwebenden Rechtsstreit nach revisionsrechtlichen Grund sätzen zu beurteilen. Ernstliche Zweifel können nur dann vorliegen, wenn unter Beachtung der eingeschränkten Prüfungsmöglichkeiten des Revsionsgerichts ernstliche mit der Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts zu rechnen ist (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, § 69 Anm. 87). Da beim BFH eine Nichtzulassungsbeschwerde anhängig ist, können die Voraussetzungen einer Aussetzung der Vollziehung nur nach dem Gesichtspunkt geprüft werden, ob ernstlich mit der Zulassung der Revision zu rechnen ist. Das ist bei summarischer Prüfung aus folgenden Gründen zu verneinen:
a) Die behauptete Divergenz des erstinstanzlichen Urteils zum BFH-Urteil vom 2. August 1962 IV 346/60 U (BFHE 76, 137, BStBl III 1963, 49) liegt nicht vor. Die Entscheidung erging zu § 22 Satz 2 des Finanzverfassungsgesetzes in der für die Jahre 1955 und 1956 geltenden Fassung (BGBl 1950, 448, 451). Gemäß der damaligen Regelung hatte der Steuerfahndungsdienst einen unmittelbaren gesetzlichen Auftrag, tätig zu werden. Ein besonderer Auftrag durch das für die Veranlagung eines Steuerpflichtigen zuständige FA war nicht notwendig. Die damalige Rechtslage unterscheidet sich dadurch grundsätzlich von den im jetzigen Verfahren maßgeblichen §§ 195 Satz 2, 208 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977), nach denen der Antragsgegner nur aufgrund eines Auftrags des für die Besteuerung zuständigen FA tätig werden konnte. Nachdem das frühere Recht einen solchen Auftrag nicht vorsah, kann aus dem BFH-Urteil in BFHE 76, 137, BStBl III 1963, 49 nichts zur Zulässigkeit eines Auftrags gemäß § 195 Satz 2 AO 1977 abgeleitet werden. Der Hinweis, daß Fahndungsbeamte nur mit gebotener Vorsicht zu Betriebsprüfungen herangezogen werden sollen, erging in gänzlich unterschiedlichem Sachzusammenhang. Zudem beruhte das BFH-Urteil nicht auf dem Hinweis (vgl. hierzu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, § 115 Anm. 23).
b) Die Erteilung eines Auftrags gemäß § 195 Satz 2 AO 1977 liegt im Ermessen der Verwaltung (BFH-Urteil vom 10. Dezember 1987 IV R 77/86, BFHE 152, 24, BStBl II 1988, 322). Die gerichtliche Überprüfung ist nur in den Grenzen des § 102 FGO möglich. Soweit der Antragsteller mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend macht, die Verwaltung und das FG hätten das Ermessen falsch ausgeübt bzw. nicht zutreffend geprüft, legt der Antragsteller keinen Revisionsgrund i. S. des § 115 Abs. 2 FGO dar. Die im Stil einer Revisionsbegründung gehaltenen Ausführungen, daß das Urteil rechtsfehlerhaft sei, genügen hierfür nicht (Gräber/Ruban, a. a. O., § 115 Anm. 62).
2. Die Aussetzung der Vollziehung hat keine unbillige Härte (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO) zur Folge. Sollte das Hauptsache verfahren Erfolg haben, könnte die Ver waltung die durch die Betriebsprüfung gewonnenen Erkenntnisse nicht verwerten (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluß vom 4. Oktober 1991 VIII B 93/90, BFHE 165, 339, BStBl II 1992, 59, unter 3. a). Die mit der sofortigen Vollziehung verbundenen sonstigen Belastungen sind dem Antragsteller zumutbar (BFH-Beschluß vom 17. September 1994 VII B 122/73, BFHE 113, 411, BStBl II 1975, 197). Im Streitfall kommt hinzu, daß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts fast ausgeschlossen erscheinen, so daß eine Aussetzung der Vollziehung selbst bei einer unbilligen Härte nicht in Betracht käme (Gräber/Koch, a. a. O., § 69 Anm. 97).
3. Die Entscheidung ergeht wegen Eilbedürftigkeit gemäß § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO durch den Vorsitzenden.
Fundstellen
Haufe-Index 420810 |
BFH/NV 1995, 1082 |