Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozeßkostenhilfe in Erlaßsachen
Leitsatz (NV)
Die persönliche Unbilligkeit in Erlaßsachen muß in der Einziehung selbst liegen. An dieser Voraussetzung fehlt es bei einem Steuerschuldner, dessen wirtschaftliche Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung so gestaltet sind, daß - wegen des Pfändungsschutzes, den er genießt - eine Durchsetzung von Steueransprüchen ausgeschlossen ist. Einer gleichwohl erhobenen, auf Billigkeitserlaß abzielenden Verpflichtungsklage fehlt die hinreichende Aussicht auf Erfolg i. S. des PKH-Rechts.
Normenkette
AO 1977 §§ 227, 47; FGO §§ 102, 142; ZPO § 114 S. 1
Tatbestand
Mit der beim Finanzgericht (FG) anhängigen Verpflichtungsklage begehrt der Kläger, der Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) in diesem Verfahren, Erlaß von Einkommensteuer (für 1980 in Höhe von 21 955,04 DM) und Gewerbesteuer (für 1980: 6 180 DM) zum einen aus sachlichen Gründen, weil er die gewerbliche Tätigkeit, die zu den Steuerschulden führte, nur als ,,Strohmann" für einen anderen ausgeübt habe, zum anderen aus persönlichen Gründen, weil er, Jahrgang 1929, und von Arbeitslosenunterstützung lebend, nicht in der Lage sei, die Außenstände zu begleichen.
Das Erlaßbegehren wurde von dem Beklagten (Finanzamt - FA -) und der Oberfinanzdirektion (OFD) abgelehnt, zuletzt mit der Begründung, die Frage der Steuerschuldnerschaft könne im Erlaßverfahren nicht mehr geprüft werden, nachdem der Beschwerdeführer die Steuerbescheide habe bestandskräftig werden lassen; Erlaßbedürftigkeit sei nicht gegeben, weil die Erlaßmaßnahme an den derzeitigen wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers nichts ändern könne.
Den mit der Klageerhebung zugleich gestellten Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe (PKH) hat das FG wegen fehlender Erfolgsaussichten der Klage abgelehnt.
Zur Begründung seiner Beschwerde wiederholt der Beschwerdeführer sein bisheriges Vorbringen und macht außerdem geltend, das FG habe bei der Einschätzung der wirtschaftlichen Verhältnisse evtl. künftige Entwicklungen völlig außer acht gelassen. Es möge zwar zutreffen, daß er, der Beschwerdeführer, angesichts seines Alters relativ geringe Aussichten habe, als Arbeitnehmer beschäftigt zu werden. Realistische Chancen aber seien gegeben, wenn er eine selbständige Tätigkeit aufnehme. Dem aber stünden die Verbindlichkeiten entgegen, die Gegenstand dieses Rechtsstreits seien, weil ihm das FA ihretwegen die für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit regelmäßig erforderliche Unbedenklichkeitsbescheinigung nicht würde erteilen können.
Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß, ihm unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses PKH zu gewähren und seinen Bevollmächtigten beizuordnen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat den PKH-Antrag des Beschwerdeführers zu Recht abgelehnt.
Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig geschieht. - Unter den gleichen Voraussetzungen kann auch ein Rechtsanwalt beigeordnet werden (§ 121 ZPO).
An den Voraussetzungen für die Gewährung von PKH fehlt es hier schon deshalb, weil die Verpflichtungsklage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Gemäß § 227 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
Unbillig kann die Einziehung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis aus sachlichen oder aus persönlichen Gründen sein.
Unter keinem dieser beiden Gesichtspunkte erscheint die vom Beschwerdeführer erhobene, eine gerichtliche Nachprüfung nur im Rahmen des § 102 FGO eröffnende (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603) Verpflichtungsklage erfolgversprechend.
1. Sachliche Unbilligkeit setzt voraus, daß die Einziehung der Abgabe im Einzelfall, vor allem mit Rücksicht auf den gesetzlichen Zweck ihrer Erhebung, nicht mehr zu rechtfertigen ist oder daß sie den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (vgl. das Urteil des erkennenden Senats vom 21. Oktober 1987 X R 29/81, BFH/NV 1988, 546, 547, m. w. N.). Bei einer solchen Billigkeitsprüfung müssen grundsätzlich solche Erwägungen unberücksichtigt bleiben, die der gesetzliche Tatbestand üblicherweise mit sich bringt (Urteil in BFH/NV 1988, 546, 547). Aus dem gleichen Grund können im Billigkeitsverfahren Erwägungen, welche die Richtigkeit einer bestandskräftig durchgeführten Steuerfestsetzung betreffen, ausnahmsweise nur dann beachtet werden, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich falsch und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich rechtzeitig dagegen zu wehren (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. April 1981 VI R 169/78, BFHE 133, 255, BStBl II 1981, 611, und vom 11. August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512, 513). Diese Voraussetzungen hat das FG hier zu Recht schon deshalb verneint, weil der Beschwerdeführer nicht substantiiert oder gar einleuchtend erklären konnte, daß er die den in Frage stehenden Steuerschulden zugrunde liegenden Bescheide hat bestandskräftig werden lassen.
2. Persönliche Unbilligkeit ist gegeben, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde (BFH-Urteile vom 29. April 1981 IV R 23/78, BFHE 133, 489, BStBl II 1981, 726, 727, und vom 2. Juli 1986 I R 5/83, BFH/NV 1987, 684).
Das setzt voraus, daß sich die Billigkeitsmaßnahme auf die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen konkret auswirken kann. Ein (vollständiger oder teilweiser) Erlaß scheitert im Streitfall - derzeit jedenfalls - daran, daß der Beschwerdeführer unabhängig von einer solchen Billigkeitsmaßnahme in wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, die (wegen des Pfändungsschutzes, den er genießt) eine Durchsetzung der in Frage stehenden Steueransprüche ausschließen, ein Erlaß hieran nichts ändern könnte und aus diesem Grunde nicht mit einem wirtschaftlichen Vorteil für den Beschwerdeführer verbunden wäre (vgl. dazu auch die BFH-Urteile vom 11. Mai 1965 I 390/61, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 131 n. F., Rechtsspruch 124, und vom 22. April 1975 VII R 54/72, BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727).
Auf den Vorteil, der für den Beschwerdeführer gleichwohl in dem Erlöschen der Steuerschulden (§ 47 AO 1977) gesehen werden könnte, kommt es nicht entscheidend an, denn § 227 AO 1977 betrifft nach Wortlaut, Gesetzeszusammenhang und systematischer Stellung im Erhebungsverfahren nur die in der Einziehung liegenden Unbilligkeiten.
Wie die Verhältnisse zu beurteilen sein würden, wenn der Beschwerdeführer ernstlich daran ginge, eine neue (selbständige) Erwerbstätigkeit aufzunehmen, muß in dem beim FG anhängigen Klageverfahren schon deshalb unberücksichtigt bleiben, weil von solchen Plänen erstmals (zudem in rein hypothetischer Form) in der Beschwerdebegründung die Rede ist. Die Finanzbehörden hatten also keine Veranlassung, solche rein theoretischen Möglichkeiten in ihre Ermessensprüfung einzubeziehen. Für die gerichtliche Prüfung des Erlaßbegehrens sind im übrigen die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich (vgl. dazu näher Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., 1987, § 102 Tz. 13, nebst den dortigen Nachweisen).
Fundstellen