Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe
Leitsatz (NV)
Das Gebot der Rechtsschutzgleichheit kann verletzt sein, wenn das Finanzgericht nicht vorab über den Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) entscheidet, sondern sogleich eine Entscheidung in dem Verfahren trifft, auf das sich der PKH-Antrag bezieht.
Normenkette
AO 1977 § 75 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 4 S. 2, § 142 Abs. 1; ZPO § 117 Abs. 2, 4
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG (Beschluss vom 11.04.2006; Aktenzeichen 1 V 276/05) |
Tatbestand
I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) betreibt vor dem Finanzgericht (FG) ein Klageverfahren wegen der Einkommensteuerbescheide und der Gewerbesteuermessbescheide 1997 bis 1999 sowie wegen steuerlicher Nebenleistungen. Über diese Klage hat das FG bisher nicht entschieden. Die Antragstellerin beantragte die Vollziehung der genannten Bescheide auszusetzen und ihr für die vorgenannten Verfahren jeweils Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen. Der Aufforderung des Berichterstatters des FG, die Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei PKH (§ 117 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO-- i.V.m. § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zu ergänzen und die entsprechenden Belege einzureichen, kam die durch einen Steuerbevollmächtigten vertretene Antragstellerin in dem PKH-Verfahren nicht nach.
Durch Beschlüsse vom 11. April 2006 lehnte das FG die Anträge auf Bewilligung von PKH und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) ab. Das FG hat die Beschwerde nicht zugelassen.
Gegen den ablehnenden AdV-Beschluss legte die durch einen Steuerbevollmächtigten vertretene Antragstellerin "Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision" ein. Sie macht geltend, die AdV-Entscheidung des FG sei fehlerhaft. Das FG habe nicht vorab über die PKH entschieden. Das FG habe es versäumt, die Antragstellerin darüber zu belehren, dass es auf ihre Vermögensverhältnisse ankomme. Es hätte sie daher erneut auffordern müssen, die für die Beurteilung der PKH erforderlichen Unterlagen einzureichen. Der AdV-Antrag sei auch zulässig gewesen, denn es habe der Antragstellerin die Vollstreckung gedroht. Hinsichtlich der angefochtenen Steuerbescheide sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Auch sei gemäß § 4 Abs. 2 der Betriebsprüfungsordnung (BpO) im Falle der Übertragung eines Unternehmens im Ganzen eine Änderung von Steuerbescheiden nur möglich, wenn diese innerhalb einer Frist von zwölf Monaten ergehen und der geänderte Bescheid dem Rechtsnachfolger zugestellt werde.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher zu verwerfen.
1. Gemäß § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO steht den Beteiligten gegen die AdV-Entscheidung die Beschwerde nur zu, wenn sie vom FG in der Entscheidung zugelassen worden ist. Auch die Entscheidung des FG, die Beschwerde nicht zuzulassen, kann nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. Januar 2006 XI B 135/05, BFH/NV 2006, 959, m.w.N.).
2. Der Rechtsbehelf der Antragstellerin kann auch nicht in eine außerordentliche Beschwerde umgedeutet werden. Dies folgt bereits daraus, dass eine außerordentliche Beschwerde wegen sog. greifbarer Gesetzeswidrigkeit seit dem zum 1. Januar 2005 erfolgten Inkrafttreten des § 133a FGO nicht mehr statthaft ist (z.B. BFH-Beschlüsse vom 30. November 2005 VIII B 181/05, BFHE 211, 37, BStBl II 2006, 188, und vom 21. Februar 2006 V S 25/05, BFH/NV 2006, 1128).
3. Ergänzend weist der erkennende Senat darauf hin, dass der Vortrag der Antragstellerin nicht aufzeigt, dass der angefochtene Beschluss fehlerhaft wäre.
a) Zwar kann es rechtsfehlerhaft sein, wenn ein FG nicht vorab über den Antrag auf PKH entscheidet, sondern sogleich eine Entscheidung in dem Verfahren trifft, auf das sich der PKH-Antrag bezieht. In einem solchen Fall kann das Gebot der Rechtsschutzgleichheit verletzt sein. Danach darf einer weniger finanziell bemittelten Person im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung nicht unverhältnismäßig erschwert werden (Bundesverfassungsgericht 1. Senat, 2. Kammer, Kammerbeschluss vom 29. September 2004 1 BvR 1281/04, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2005, 140). Ein solcher Verstoß kann aber nur in Betracht kommen, wenn der Antragsteller seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse in der nach § 117 Abs. 2, Abs. 4 ZPO gebotenen Weise gegenüber dem Gericht offenlegt. Geschieht dies nicht, dann kann der Antrag auf PKH schon aus diesem Grund keinen Erfolg haben, weil der Antragsteller nicht dargelegt hat, dass er zum Personenkreis der weniger finanziell bemittelten Personen gehört. Auch auf diesen Gesichtspunkt hat das FG seine Entscheidungen in den PKH-Verfahren gestützt. In einem solchen Fall besteht daher kein Grund, die Entscheidung des Verfahrens, für das PKH beansprucht wird, zurückzustellen, zumal wenn es sich wie im Streitfall um ein AdV-Verfahren und damit um einen Eilfall handelt.
b) Entgegen der Rechtsauffassung der Antragstellerin war das FG auch nicht gehalten, dieser erneut aufzugeben, die gemäß § 117 Abs. 2, Abs. 4 ZPO erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Denn bei einem rechtskundig vertretenen Antragsteller kann das Gericht davon ausgehen, dass dieser die genannten Vorschriften kennt. Erst recht muss dies gelten, wenn der Berichterstatter des FG wie im Streitfall darum gebeten hat, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu ergänzen und die entsprechenden Belege vorzulegen (vgl. auch Senatsbeschluss vom 28. September 2005 X S 15/05 (PKH), BFH/NV 2005, 2249).
c) Soweit die Antragstellerin geltend macht, der von ihr gestellte Antrag auf AdV sei zulässig, trifft dies aus den vom FG im angefochtenen Beschluss genannten Gründen nicht zu. Dass ein angefochtener Steuerbescheid eine Zahlungsaufforderung hinsichtlich der noch nicht getilgten Steuerschuld enthält, bedeutet nicht, dass damit dem Steuerpflichtigen ohne weiteres i.S. von § 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 FGO eine Vollstreckung drohen würde. Diese Voraussetzung ist erst dann erfüllt, wenn die Finanzbehörde mit der Vollstreckung begonnen hat oder eine solche unmittelbar bevorsteht (BFH-Beschluss vom 15. Februar 2002 XI S 32/01, BFH/NV 2002, 940).
d) Auch soweit die Antragstellerin meint, die angefochtenen Steuerbescheide hätten wegen bereits eingetretener Festsetzungsverjährung nicht ergehen dürfen, ist dem aus den vom FG im angefochtenen Beschluss genannten Gründen nicht zu folgen. Gegenteiliges ergibt sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch nicht aus § 4 Abs. 2 BpO. Diese Verwaltungsvorschrift befasst sich mit dieser Frage nicht. Auch der Anwendungserlass zur Abgabenordnung enthält in Nr. 4.2 zu § 75 der Abgabenordnung (AO 1977) keine den Steuerschuldner betreffende Aussage. Vielmehr wird dort nur zutreffend zum Ausdruck gebracht, dass ein Haftungsbescheid gegenüber dem Betriebsübernehmer ergehen kann, wenn die von dieser Vorschrift erfassten Steuern gegenüber dem Veräußerer innerhalb der Jahresfrist des § 75 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 festgesetzt worden sind. Von dieser Haftungsschuld ist aber die Steuerschuld des bisherigen Betriebsinhabers streng zu trennen. Denn diese Vorschrift enthält keinen Fall der Gesamtrechtsnachfolge (BFH-Urteil vom 2. Mai 1984 VIII R 239/82, BFHE 141, 312, BStBl II 1984, 695 zur Vorgängervorschrift des § 116 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung).
Fundstellen
Haufe-Index 1676145 |
BFH/NV 2007, 460 |