Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung; anwaltliche Versicherung
Leitsatz (NV)
1. Wird der Wiedereinsetzungsantrag mit der fristgerechten Absendung des beim Adressaten nicht eingegangenen Schriftstücks begründet, ist im Einzelnen darzulegen, wann, von wem und in welcher Weise es zur Post gegeben wurde. Der Vortrag ist durch präsente Beweismittel glaubhaft zu machen.
2. Soll die rechtzeitige Aufgabe eines Schriftstücks zur Post nachgewiesen oder glaubhaft gemacht werden, reicht die anwaltliche Versicherung allein hierfür auch dann nicht aus, wenn der Bevollmächtigte darlegt, er selbst habe das fristwahrende Schriftstück zur Post gegeben.
3. Vielmehr sind zusätzlich objektive Beweismittel notwendig. Als solche kommen die Eintragung der Frist in ein Fristenkontrollbuch, das Festhalten der Absendung in einem Postausgangsbuch und die Löschung der Frist auf der Grundlage der Eintragung im Postausgangsbuch in Betracht.
Normenkette
FGO § 56
Verfahrensgang
Tatbestand
Rz. 1
I. Auf die Beschwerde des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) wegen Nichtzulassung der Revision gegen das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 23. Januar 2009 5 K 327/05 hat der Senat mit Beschluss vom 29. April 2009 die Revision zugelassen. Der Zulassungsbeschluss wurde dem als selbstständiger Rechtsanwalt in Bürogemeinschaft tätigen Kläger am 7. Mai 2009 zugestellt. Die bis zum 8. Juni 2009 laufende Frist zur Begründung der Revision wurde zwar bis zum 10. August 2009 verlängert, die Revisionsbegründung ist jedoch binnen dieser Frist nicht eingegangen.
Rz. 2
Auf den Hinweis der Senatsgeschäftsstelle, die Revisionsbegründungsfrist sei versäumt, beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 11. August 2009 --hier eingegangen am 12. August 2009-- Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und begründete die Revision. Hinsichtlich des Wiedereinsetzungsgesuchs führte der Kläger aus, er habe bereits am Donnerstag, den 6. August 2009, eine Revisionsbegründung gefertigt und diese nach einer Besprechung mit einer Mandantin, die von 15:00 Uhr bis ca. 15:45 Uhr gedauert habe, in einem frankierten Briefumschlag zu einem etwa 150 m von der Kanzlei entfernten Briefkasten der Deutschen Post AG gebracht und eingeworfen. Die im elektronischen Terminkalender des Anwaltsprogramms "…" vorsorglich auf den 7. August 2009 eingetragene Frist sei gelöscht worden, da er davon ausgegangen sei, dass der Brief mit Sicherheit spätestens am 10. Juli 2008 --gemeint ist offenbar der 10. August 2009-- beim Gericht eingegangen sein würde. Zwecks Glaubhaftmachung versichere er das anwaltlich. Zur Begründung seines Antrags fügte der Kläger ein Blatt mit der Überschrift "Aufgaben für den 7.08.09" bei, auf dem unter der Aktennr. … (Akte A ./. Finanzamt B) das Wort "Revisionsbegründung" durchgestrichen ist. Ferner übersandte der Kläger das Kalenderblatt für den 6. August 2009, auf dem es unter der Rubrik 15:00 Uhr lautet, "16/2006 Besprechung mit CD in Sachen D ./. D bis: 15:45".
Rz. 3
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) erachtet die Revision für unzulässig. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien nicht gegeben. Der Kläger habe seinen Vortrag nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Es sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger die Revisionsbegründung bereits am 6. August 2009 verfasst und an diesem Tag zur Post gebracht habe. Die vorgelegten Kalenderausdrucke gäben weder Hinweise darauf, wann die Revisionsbegründung tatsächlich erstellt worden noch ob und wann diese zur Post gegeben worden sei. Zur Glaubhaftmachung seiner Behauptung hätte der Kläger zumindest Auszüge aus dem Postausgangs- und dem Fristenkontrollbuch vorlegen müssen.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
II. Die Revision ist wegen Versäumung der Begründungsfrist durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Rz. 5
1. Der Kläger hat die Revision verspätet begründet. Die Frist zur Begründung der Revision endete am 10. August 2009 (§ 120 Abs. 2 Satz 3 FGO). Die Revisionsbegründung vom 6. August 2009 ging nicht innerhalb der Begründungsfrist beim Bundesfinanzhof (BFH) ein, sondern wurde vom Kläger erst mit seinem Wiedereinsetzungsantrag vom 11. August 2009 beim BFH eingereicht.
Rz. 6
2. Die von dem Kläger begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen der Versäumung der Begründungsfrist kann nicht bewilligt werden.
Rz. 7
a) Einem Verfahrensbeteiligten, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; innerhalb dieser Frist muss die versäumte Rechtshandlung nachgeholt werden (§ 56 Abs. 2 Sätze 1 und 3 FGO). Wird der Wiedereinsetzungsantrag --wie im Streitfall-- mit der fristgerechten Absendung des beim Adressaten nicht eingegangenen Schriftstücks begründet, ist im Einzelnen darzulegen, wann, von wem und in welcher Weise es zur Post gegeben wurde. Der Vortrag ist durch präsente Beweismittel glaubhaft zu machen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 1997 III B 146/96, BFH/NV 1997, 674, m.w.N.; vom 13. Dezember 2001 X R 42/01, BFH/NV 2002, 533; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 56 Rz 42, m.w.N.).
Rz. 8
b) Die vom Kläger abgegebene Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags nebst Übersendung von Kopien der elektronischen Kalenderblätter vom 6. und 7. August 2009 reicht zur Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Absendung der Revisionsbegründung nicht aus. Soll die rechtzeitige Aufgabe eines Schriftstücks zur Post nachgewiesen oder glaubhaft gemacht werden, reicht die anwaltliche Versicherung allein hierfür auch dann nicht aus, wenn der Bevollmächtigte darlegt, er selbst habe das fristwahrende Schriftstück zur Post gegeben (vgl. BFH-Beschlüsse vom 28. November 2003 V R 3/03, BFH/NV 2004, 524; in BFH/NV 2002, 533; vom 10. Dezember 2010 V R 60/09, BFH/NV 2011, 617; vom 25. April 1995 VIII R 86/94, BFH/NV 1995, 1002). Vielmehr sind nach ständiger Rechtsprechung zusätzliche objektive Beweismittel notwendig. Als solche kommen insbesondere die Eintragung der Frist in ein Fristenkontrollbuch, das Festhalten der Absendung in einem Postausgangsbuch und die Löschung der Frist auf der Grundlage der Eintragung im Postausgangsbuch als objektive Beweismittel in Betracht (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1995, 1002; in BFH/NV 2002, 533). Diese objektiven Beweismittel --vor allem die Eintragung der Frist im Fristenkontrollbuch und deren Löschung aufgrund der Eintragung im Postausgangsbuch-- müssen im Zeitpunkt der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag präsent sein (BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 533, m.w.N.).
Rz. 9
Können derartige objektive Beweismittel nicht vorgelegt werden, muss dargelegt werden, weshalb die Vorlage nicht möglich ist (vgl. dazu auch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Februar 1976 2 BvR 849/75, BVerfGE 41, 332).
Rz. 10
Im Streitfall hat der Kläger weder das Postausgangsbuch noch das Fristenkontrollbuch vorgelegt. Gründe für die Nichtvorlage hat er nicht genannt. Die von ihm vorgelegten Kopien elektronischer Kalenderblätter können diese Unterlagen nicht ersetzen und sind nicht geeignet, die Fertigung der Revisionsbegründung sowie deren rechtzeitige Absendung glaubhaft zu machen.
Fundstellen
Haufe-Index 2712050 |
BFH/NV 2011, 1389 |