Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassungsfreie Revision in Zolltarifsachen
Leitsatz (amtlich)
Eine nach § 116 Abs.2 FGO zulassungsfreie Revision ist nur gegeben, wenn das Urteil des FG von einer in ihm getroffenen zolltariflichen Entscheidung abhängt.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 2
Tatbestand
Auf Antrag der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) fertigte das beklagte und revisionsklagende Hauptzollamt (HZA) im August 1983 "K-Fibre" zum freien Verkehr ab. Dabei wurde die Ware entsprechend der Zollanmeldung der Tarifst.56.01 B des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zugewiesen und der vorgesehene Zoll festgesetzt. Nach einer Überprüfung gelangte das HZA zu der Auffassung, daß die Ware zu der Tarifst.56.01 A GZT ―zollfrei (Zollaussetzung nach der einschlägigen Code-Nr.5601 180 30 des Deutschen Gebrauchs- Zolltarifs)― gehöre. Der Zoll wurde der Klägerin erstattet (Bescheid vom 16.Januar 1984). Nachdem eine erneute Überprüfung ergeben hatte, daß die Ware der Tarifst.59.01 B I GZT zuzuweisen war, forderte das HZA Zoll nach (Änderungsbescheid vom 6.November 1985). Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage führte zur Aufhebung des Änderungsbescheids. Das Finanzgericht (FG) entschied, zwar gehöre die Ware, inzwischen auch nach Auffassung der Klägerin, zur Tarifst.59.01 B I GZT und sei als solche nicht zollfrei, doch stehe der Nachforderung Art.5 Abs.2 der (Nacherhebungs-)Verordnung (EWG) Nr.1697/79 entgegen (Entscheidungen der Finanzgerichte 1989, 191).
In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt:
"Gegen diese Entscheidung ist die Revision kraft gesetzlicher Vorschrift
zulässig, denn es handelt sich um ein Urteil in einer Zolltarifsache (§
116 Abs.2 FGO). Ein ohne Zulassung revisibles Urteil liegt nämlich auch
dann vor, wenn das Urteil von einer in ihm getroffenen
zolltarifrechtlichen Entscheidung abhängt oder abhängen kann (BFH-Urteil
vom 16.Oktober 1986 VII R 122/83, BFHE 148, 372). Der Senat hat in diesem
Urteil über eine zolltarifrechtliche Frage des Gemeinschaftsrechts
entschieden, denn er hat die vom HZA im angefochtenen Bescheid
vorgenommene Zuordnung der von der Klägerin eingeführten Waren zur
Tarifst.59.01 B I bestätigt. Der Umstand, daß diese zolltarifrechtliche
Einordnung nur eine Vorfrage für die Rechtmäßigkeit der Nacherhebung von
Eingangsabgaben darstellt, stellt den Charakter dieser Entscheidung als
Zolltarifsache nicht in Frage."
Dementsprechend heißt es in der Rechtsmittelbelehrung, daß gegen das Urteil die Revision gegeben sei. Die Hinweise auf die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision sind gestrichen worden.
Die Revision des HZA rügt Verletzung des Art.5 Abs.2 der vorbezeichneten Verordnung und führt im einzelnen aus, daß nicht alle Voraussetzungen für ein Absehen von der Nachforderung vorlägen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht statthaft ist (§ 124, § 126 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Ein Fall der nach § 116 Abs.2 FGO zulassungsfreien Revision ist ―entgegen der Ansicht der Vorinstanz― nicht gegeben. Eine Zulassung der Revision ist nicht erfolgt.
Die Vorentscheidung ist kein Urteil in einer Zolltarifsache (§ 116 Abs.2 FGO). Nach der Rechtsprechung des Senats liegt ein ohne Zulassung revisibles Urteil in einer Zolltarifsache vor, wenn das Urteil von einer in ihm getroffenen zolltarifrechtlichen Entscheidung abhängt oder abhängen kann, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die zolltarifrechtliche Frage die einzige oder auch nur die wesentliche Vorfrage war (zuletzt Beschlüsse vom 20.Februar 1990 VII R 125/89, BFHE 159, 573, 575, BStBl II 1990, 546, m.w.N., und vom 1.März 1990 VII R 38/89, VII R 39-40/89, BFH/NV 1990, 743). Die zolltarifrechtliche Frage muß jedoch eine Rolle spielen; das Urteil muß auf der zolltarifrechtlichen Entscheidung beruhen (BFHE 148, 372, 374; BFH/NV 1990, 743; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz.9799). Auf ihr beruhen kann es nur, wenn diese Entscheidung, soll das Urteil Bestand haben, nicht "fortgedacht" werden kann (vgl. ―zum Begriff des Beruhens im Falle von § 115 Abs.2 Nr.2 FGO― Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl. 1987, § 115 Anm.22). Das trifft hier nicht zu. Die zolltarifrechtliche Entscheidung läßt sich als nicht getroffen denken, ohne daß damit das stattgebende Urteil in Frage gestellt würde. Denn auch, wenn die Frage der Tarifierung, die zwischen den Beteiligten übrigens nicht mehr streitig war, unentschieden geblieben wäre, hätte das FG erkannt, daß eine Nacherhebung (aus außertariflichen Gründen) nicht erfolgen dürfe.
An diesem Ergebnis ändert auch nichts, daß das FG die zolltarifrechtliche Beurteilung als "Vorfrage für die Rechtmäßigkeit der Nacherhebung" angesehen hat. Selbst als Vorfrage muß die Tarifierung entscheidungserheblich sein. Dem § 116 Abs.2 FGO liegt die Erwägung zugrunde, daß Urteile über die Tarifierung von Waren stets grundsätzliche Bedeutung haben und deshalb ohne weiteres revisibel sein sollen (BFHE 159, 573, 575). Der Zweck der Vorschrift schließt es aus, Zulassungsfreiheit für die Revision gegen ein nicht auf der Entscheidung der Tarifierungsfrage beruhendes FG-Urteil anzuerkennen. Sogar im Verfahren über die zugelassene Revision gegen ein solches Urteil könnte im übrigen die Tarifierung nicht geprüft werden. Wäre die Revision gegen die Vorentscheidung zugelassen, so müßte der Senat sich gleichwohl auf die Prüfung des vom HZA vorgebrachten Revisionsgrundes beschränken. Das Revisionsgericht ist zwar bei der Sachrüge nicht an die geltend gemachten Revisionsgründe gebunden (§ 118 Abs.3 Satz 2 FGO), doch ergäbe sich aus der (nicht tragenden) zolltariflichen Entscheidung des FG, sollte sie unrichtig sein, keine Rechtsverletzung zum Nachteil des HZA, damit kein anderer ―nicht vorgebrachter― sachlicher Revisionsgrund. Dasselbe würde gelten, wenn die Revision zulassungsfrei statthaft wäre.
Für die Prüfung ob das FG richtig entschieden hat, daß von der Nacherhebung aus Rechtsgründen abzusehen sei, ist nur bei zugelassener Revision Raum; die zulassungsfreie Revision ist insoweit nicht eröffnet (vgl. hinsichtlich von Fragen des allgemeinen Zollrechts auch Senat, Beschluß vom 14.Mai 1986 VII B 25/86, BFHE 146, 312, 314).
Eine Zulassung ist nicht erfolgt. Soweit das FG die Revision "kraft gesetzlicher Vorschrift" für zulässig angesehen hat, liegt darin keine Zulassung. Abgesehen davon, daß diese nicht, wie erforderlich, ausdrücklich ausgesprochen ist, läßt die vom FG geäußerte Rechtsansicht sogar erkennen, daß das FG die Revision gar nicht zulassen wollte, weil es dafür keinen Raum sah. Die in der Rechtsmittelbelehrung enthaltene Feststellung genügt nicht als (positive) Zulassungsentscheidung (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., Anm.40). Unerheblich ist, ob das FG die Revision zugelassen hätte, wenn es nicht von einer Zulassungsfreiheit ausgegangen wäre.
Die Rechtsmittelbelehrung in der Vorentscheidung ist, weil Hinweise auf die Nichtzulassungsbeschwerde fehlen, unvollständig, damit unrichtig (Senat, Urteil vom 20.Februar 1990 VII R 126/89, BFHE 160, 93, BStBl II 1990, 763). Das HZA hätte mithin noch binnen Jahresfrist Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision einlegen können. Diese Frist ist inzwischen abgelaufen (§ 55 Abs.2 FGO). Eine Wiedereinsetzung wegen ihrer Versäumung ist nicht möglich (Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9.Aufl., § 55 FGO Anm.24).
Fundstellen
Haufe-Index 63714 |
BFH/NV 1991, 36 |
BStBl II 1991, 526 |
BFHE 164, 5 |
BFHE 1992, 5 |
BB 1991, 969 (L) |
HFR 1992, 131 (LT) |
StE 1991, 176 (K) |