Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung eines Richters wegen dessen früherer Mitwirkung an einem Verwaltungsgerichtsverfahren
Leitsatz (NV)
Die Tatsache, daß ein Richter schon in einem früheren gerichtlichen Verfahren mit dem zu beurteilenden Sachverhalt befaßt war und sich eine Meinung bilden mußte, ist für sich allein kein Ablehnungsgrund.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; ZPO §§ 41-49
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) - eine betriebliche Unterstützungskasse in der Rechtsform einer Stiftung des privaten Rechts - führte beim FG einen Rechtsstreit u.a. wegen KSt. Berichterstatter in diesem Verfahren war Richter am FG A. Ihn lehnte die Klägerin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung trug sie vor: A sei früher als Richter beim VG tätig und Berichterstatter eines Rechtsstreits gewesen, den die Klägerin gegen die Stiftungsaufsicht geführt und verloren habe. Zwischen diesem Verfahren und dem finanzgerichtlichen Verfahren bestehe ein enger Sachzusammenhang. Die Klägerin sei besorgt, daß Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren sich auch in dem finanzgerichtlichen Verfahren ungünstig für sie auswirken werde. Das FG wies das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurück und die Klage ab.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig. Daß das FG inzwischen unter Mitwirkung des A über die Klage entschieden hat, führt nicht zur Unzulässigkeit der Beschwerde (s. BFH-Beschluß vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217).
Die Beschwerde ist jedoch zurückzuweisen. Sie ist unbegründet.
1. Für die Ausschließung und Ablehnung eines Richters gelten nach § 51 Abs. 1 Satz1 der FGO im finanzgerichtlichen Verfahren die §§ 41 bis 49 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sinngemäß. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist dies der Fall, wenn ein Verfahrensbeteiligter bei Würdigung aller Umstände einen vernünftigen und auch bei objektiver Betrachtungsweise anzuerkennenden Grund zu der Annahme hat, der Richter werde sich aus einer in seiner Person liegenden individuellen Ursache heraus bei seiner Entscheidung von nicht sachgerechten Rücksichten leiten lassen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 2. März 1978 IV R 120/76, BFHE 125, 12, BStBl II 1978, 404; vom 7. Mai 1986 I B 70/85, BFH/NV 1987, 653; vom 21. Oktober 1987 II B 125/87, BFH/NV 1989, 170). Daß der Richter sich tatsächlich von sachfremden Rücksichten leiten läßt oder sich selbst für befangen hält, ist nicht Voraussetzung für den Erfolg eines Ablehnungsgesuchs (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 3. März 1966 - 2 BvE 2/64 -, BVerfGE 20, 9, 14; vom 29. Mai 1973 -2 BvE 1/73-, BVerfGE 35, 171, 172).
Die Tatsache, daß ein Richter schon in einem früheren gerichtlichen Verfahren mit dem zu beurteilenden Sachverhalt befaßt war und sich eine Meinung bilden mußte, ist für sich allein kein Ablehnungsgrund (s. z.B. BFH-Beschluß vom 11.März 1986 VII B 5485, BFH/NV 1986, 543; BVerwG-Urteil vom 2. Juli 1976 VI C 109/75, HFR 1977, 298; Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2. Aufl., 1987, § 51 Anm.41; Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 14. Aufl., § 51 FGO Tz.8). Dies wird bestätigt durch § 51 Abs. 2 FGO, nach dem lediglich die Mitwirkung bei dem dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangenen Verwaltungsverfahren ein Ausschließungsgrund ist.
2. Der einzige Grund, weshalb die Klägerin fürchtet, A habe sich möglicherweise bei seiner Entscheidung in dem finanzgerichtlichen Verfahren von sachfremden Rücksichten leiten lassen, ist Mitwirkung an der für die Klägerin ungünstigen Entscheidung des VG in dem Verfahren gegen die Stiftungsaufsicht. Selbst wenn davon ausgegangen wird, daß der entscheidungserhebliche Sachverhalt für beide Verfahren im wesentlichen gleich ist, reicht dies nicht aus, um bei vernünftiger Betrachtungsweise Grund zu der Annahme zu haben, A habe sich bei seiner Entscheidung im finanzgerichtlichen Verfahren von vorgefaßten Ansichten und damit nicht sachgerechten Rücksichten leiten lassen.
Fundstellen
Haufe-Index 418308 |
BFH/NV 1993, 104 |