Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensfehler bei zulassungsfreier Revision
Leitsatz (NV)
Eine schlüssige Verfahrensrüge nach §116 Abs. 1 Nr. 2 FGO setzt den Vortrag voraus, daß ein Richter "mit Erfolg" abgelehnt worden oder aus einem anderen Grund vom Verfahren ausgeschlossen ist.
Das Fehlen einer Entscheidung über den gesetzlichen Ausschluß eines Richters (§51 Abs. 1 FGO i.V.m. §48 ZPO) zählt nicht zu den besonders schweren Verfahrensverstößen i.S. des §116 Abs. 1 FGO.
Normenkette
FGO §§ 51, 116 Abs. 1 Nr. 2; ZPO § 48
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Rechtsnachfolger der verstorbenen Eheleute A und B, die in den Streitjahren 1970 und 1971 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Bis 1972 war der verstorbene A Alleininhaber der Firma C. Die Kläger wehren sich gegen die Behandlung eines in der Bilanz dieser Firma zum 31. Dezember 1970 ausgewiesenen Schuldenerlasses als laufenden Gewinn. Sie sind der Auffassung, im Hinblick auf eine damals drohende Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens liege insoweit ein steuerfreier Sanierungsgewinn i.S. von §3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vor.
Nach erfolglosem Vorverfahren hatte das Finanzgericht (FG) mit Entscheidung vom 30. Januar 1985 die Klage gegen die Einkommensteuerbescheide 1970 und 1971 sowie den Gewerbesteuermeßbescheid 1970 abgewiesen. Die dagegen erhobene Revision hatte insoweit Erfolg, als der Bundesfinanzhof (BFH) das angefochtene Urteil aufhob und die Sache an das FG zurückverwies (Urteil vom 14. März 1990 I R 129/85, BFHE 161, 39, BStBl II 1990, 955). Mit Entscheidung vom 28. Juni 1996 wies das FG die Klage erneut ab. Die Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen. An der Entscheidung hat der Richter am FG O mitgewirkt.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger als wesentlichen Verfahrensmangel i.S. von §116 Abs. 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. §51 Abs. 2 FGO, daß O in dem Klageverfahren von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen gewesen sei, weil er vorher an dem Verwaltungsverfahren mitgewirkt habe. Er sei als Hilfsreferent im Einkommensteuerreferat der Oberfinanzdirektion (OFD) in einem gegen den Beklagten und Revisionsbeklagten (das Finanzamt -- FA --) eingeleiteten Aufsichtsverfahren mit dem Streitfall befaßt gewesen. Der Vorsitzende des im ersten Rechtsgang vor dem FG für die Sache zuständigen Senats habe sich kurz vor der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 1985, auf deren Grundlage nach umfangreichen Beweisaufnahmen die Entscheidung ergangen sei, auf Anregung des FA mit der Bitte um aufsichtliche Überprüfung des Streitfalles an die OFD gewandt, auf deren Weisung hin der strittige Sanierungsgewinn nicht steuerfrei belassen worden sei. Noch vor der mündlichen Verhandlung habe die OFD dem Senatsvorsitzenden durch einen Herrn H am 28. Januar 1985 fernmündlich ausrichten lassen, es solle eine gerichtliche Entscheidung erfolgen. Von dem hierüber von H gefertigten Aktenvermerk habe O noch am gleichen Tag Kenntnis genommen und diese Tatsache am 26. November 1990 dem jetzigen Vorsitzenden des ... Senats des FG mitgeteilt. O habe darin -- wie auch der Vorsitzende -- keinen Ausschließungsgrund i.S. von §51 Abs. 2 FGO gesehen, da die Kenntnisnahme eines Vermerks in der Aufsichtsbehörde keine Mitwirkung bei einem vorangegangenen Verwaltungsverfahren darstelle. Mit Schriftsatz vom 21. Januar 1991 wurden die Prozeßbeteiligten hiervon unterrichtet. Auf ihre, der Kläger, Bitte hin, in Stichworten den Rahmen und Inhalt der seinerzeitigen aufsichtlichen Überprüfung bekanntzugeben, sei ihnen nur die Kopie der am 28. Januar 1995 gefertigten Aktennotiz der OFD übersandt worden.
Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die ohne Zulassung eingelegte, auf §116 Abs. 1 FGO gestützte Revision ist unzulässig. Eine Revision ist ohne besondere Zulassung nach §116 Abs. 1 FGO nur statthaft, wenn innerhalb der Revisionsbegründungsfrist zumindest einer der in dieser Vorschrift abschließend benannten Verfahrensfehler schlüssig gerügt worden ist; d.h., wenn die zur Begründung des Verfahrensfehlers angeführten Tatsachen -- ihre Richtigkeit unterstellt -- einen Mangel i.S. des §116 Abs. 1 FGO ergeben (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. BFH-Beschlüsse vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568; vom 26. Juli 1994 VII R 87/93, BFH/NV 1995, 406, und vom 14. November 1995 VIII R 84/93, VIII R 1/94, BFH/NV 1996, 416).
Der Vortrag der Kläger reicht nicht aus, um daraus eine schlüssig begründete Besetzungsrüge entnehmen zu können.
Nach §116 Abs. 1 Nr. 2 FGO bedarf es einer Zulassung der Revision nicht, wenn an der Entscheidung ein (oder mehrere) Richter mitgewirkt haben, die kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt waren (§51 Abs. 2 FGO oder §51 Abs. 1 FGO i.V.m. §41 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Nach §51 Abs. 2 FGO ist von der Ausübung des Amtes als Richter ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat. Vorausgegangenes Verwaltungsverfahren ist nach der Rechtsprechung des BFH das gesamte Verfahren, das zu der gerichtlich zu überprüfenden Entscheidung geführt hat (BFH-Urteil vom 5. Oktober 1994 I R 31/93, BFH/NV 1995, 576, m.w.N.), allerdings nur insoweit, als eine finale Beziehung zwischen dem Verwaltungsverfahren und dem Erlaß des angefochtenen Verwaltungsakts besteht (BFH-Urteil vom 14. Juli 1988 IV R 74/87, BFH/NV 1989, 441). Keine Mitwirkung am Verwaltungsverfahren i.S. des §51 Abs. 2 FGO liegt deshalb vor, wenn die Tätigkeit dem Verwaltungsakt weder vorausgegangen ist noch ihn vorbereitet hat oder eine andere Steuerart betrifft, selbst wenn ein identischer Lebenssachverhalt parallel zu werten gewesen sein sollte (BFH-Urteil in BFH/NV 1989, 441). Die Vorbefassung mit einer Sache führt somit nur zu einem Ausschluß, wenn sie in einem Verwaltungsverfahren erfolgt ist und eine Mitwirkung an der angefochtenen Entscheidung zum Inhalt hat.
Die Kläger haben weder dargetan, daß O in irgendeiner Form Einfluß auf die der gerichtlichen Entscheidung vorangegangenen Verwaltungsverfahren, die in den Einspruchsentscheidungen vom 2. November 1977 ihren vorläufigen Abschluß gefunden hatten, genommen hat, noch daß eine derartige Einflußnahme auf seiten der Behörde während des Klageverfahrens möglich war. Allein aus der Kenntnisnahme eines Aktenvermerks über ein Telefongespräch zwischen Mitarbeitern der OFD und dem ehemaligen Vorsitzenden des FG-Senats läßt sich ein Mitwirken nicht ableiten, zumal seitens der OFD selbst ein Eingreifen in das finanzgerichtliche Verfahren -- etwa in Form einer Anweisung an das beklagte Finanzamt, die angefochtenen Bescheide zu ändern und den strittigen Gewinnanteil als Sanierungsgewinn i.S. von §3 Nr. 66 EStG steuerfrei zu belassen -- nicht erfolgt ist. Die Kläger haben auch weder vorgetragen noch ist aus den Akten ersichtlich, daß O schon an den Überlegungen der OFD teil hatte, die nach der bei der Firma C erfolgten Betriebsprüfung zu der Anweisung an das FA geführt hatten, bei der Änderung der Steuerfestsetzung für die Streitjahre den strittigen Gewinnanteil als laufenden Gewinn zu behandeln.
Eine Rüge, an der Entscheidung habe ein Richter mitgewirkt, der wegen seiner Beteiligung an einem dem abgeschlossenen Verwaltungsverfahren folgenden Verfahren auf seiten der Behörde Anlaß zur Besorgnis der Befangenheit gebe, ist zwar gemäß §116 Abs. 1 Nr. 2 FGO ebenfalls möglich. Ein derartiger Verfahrensmangel ist nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift indessen nur dann schlüssig gerügt, wenn geltend gemacht wird, daß bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt habe, der wegen Besorgnis der Befangenheit "mit Erfolg" abgelehnt war (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Oktober 1979 3 C 117/79, Neue Juristische Wochenschrift 1980, 2722). O ist nicht wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden (§51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. §42 Abs. 1 ZPO), wie sich aus der Sitzungsniederschrift vom 28. Juni 1996 über den Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem ... Senat des FG ergibt. Hiernach hat sich der Prozeßbevollmächtigte der Kläger in Kenntnis des Sachverhalts in die Verhandlung, an der auch O als Richter beteiligt war, eingelassen und Anträge gestellt. Damit haben die Kläger ein etwaiges Ablehnungsrecht verloren (§43 ZPO). Daß der Prozeßbevollmächtigte der Kläger von der früheren Tätigkeit des O in der OFD Kenntnis hatte, folgt schon aus dem Schreiben des FG an die Prozeßbeteiligten vom 21. Januar 1991.
Ohne Erfolg bleibt auch die auf §51 Abs. 1 FGO i.V.m. §48 ZPO gestützte Rüge, das FG hätte vor seiner Entscheidung zur Sache einen Beschluß über die von O angebrachte Anzeige herbeiführen müssen. Das Fehlen einer Entscheidung über den gesetzlichen Ausschluß eines Richters zählt nicht zu den besonders schweren Verfahrensverstößen i.S. des §116 Abs. 1 FGO. Entscheidet das Gericht unter Mitwirkung des wegen seiner früheren Verwaltungstätigkeit zweifelnden Richters zur Sache und beantwortet damit negativ auch die Frage nach dem Vorliegen des Ausschließungsgrundes nach §51 Abs. 2 FGO, sind die Verfahrensbeteiligten in ihren Rechten nicht wesentlich beeinträchtigt, denn es steht ihnen zur Prüfung die Revision nach §116 Abs. 1 Nr. 2 FGO offen.
Fundstellen