Entscheidungsstichwort (Thema)
Bei Prüfung eines Verfahrensmangels materiell-rechtlicher Standpunkt des FG maßgebend; alternative Urteilsbegründung
Leitsatz (NV)
1. Die Prüfung, ob ein Verfahrensmangel i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vorliegt, hat auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts der Vorinstanz zu erfolgen. Das FG braucht bestimmte Beweismittel nicht zu erheben, wenn es nach seiner Rechtsauffassung auf die mit diesen Beweismitteln nachzuweisende Tatsachen nicht ankommt.
2. Bei alternativer Begründung eines FG- Urteils kann davon auszugehen sein, daß nach der Auffassung des FG sämtliche Tatbestandsmerkmale, die nicht alternieren, gegeben sind.
Normenkette
FGO § 105 Abs. 2 Nr. 5, § 115 Abs. 2 Nr. 3
Tatbestand
Durch Umsatzsteuersammelbescheid für die Jahre 1977 bis 1981 vom 8. November 1984 setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) gegen die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) Umsatzsteuer fest. Der Bescheid nahm Bezug auf den Betriebsprüfungsbericht vom 27. Juli 1984, in dem die Auffassung vertreten worden ist, die Klägerin schulde die festgesetzte Umsatzsteuer gemäß § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1967/1980.
Mit der Klage beantragte die Klägerin, die Umsatzsteuerbescheide 1977 bis 1981 aufzuheben.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unzulässig ab und führte zur Begründung aus: Die Klägerin fechte ihre Inanspruchnahme als Nichtunternehmerin gemäß § 14 Abs. 3 UStG 1967/1980 mit der Behauptung an, sie sei Unternehmerin gewesen. Falls dieser Vortrag richtig sei, schulde sie die Steuer aber als Unternehmerin. Die Klage sei daher nicht schlüssig. Für die "Feststellung", daß die Klägerin die Umsatzsteuer aus einem anderen als dem vom FA angenommenen Rechtsgrund schulde, fehle es am Rechtsschutzinteresse.
Im übrigen -- so führt das FG aus -- "wäre" die Klage auch unbegründet, denn das FA habe die Klägerin zu Recht als Nichtunternehmerin angesehen. Das FG nahm hierfür auf die Feststellungen des Strafgerichts im Verfahren gegen den Ehemann der Klägerin sowie die Inhaber des leistungsempfangenden Unternehmens Bezug.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin Verfahrensfehler. Sie -- die Klägerin -- habe das FG darauf hingewiesen (Schriftsatz vom 29. Mai 1990), weder in der Gerichts- noch in der Betriebsprüfungs- oder der Umsatzsteuerakte seien Originale oder Fotokopien der Rechnungen vorhanden, die nach Auffassung des FA die Steuer gemäß § 14 Abs. 3 UStG 1967/1980 aus gelöst hätten. Dem FG hätte sich die Notwendigkeit der Einsichtnahme in diese Rechnungen aufdrängen müssen. Erst nach Vorlage der Rechnungen hätte das FG feststellen können, ob die Rechnungen den Tatbestand des § 14 Abs. 3 UStG 1967/1980 erfüllten, d. h. von der Klägerin (als Nichtunternehmerin) ausgestellt worden seien, und ob sie von der Klägerin unterschrieben worden seien. Auf diesem Unterlassen könne das Urteil des FG beruhen.
Zudem sei ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Gemäß § 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dürfe das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Sie -- die Klägerin -- habe jedoch in die Rechnungen, auf die das FA seinen Anspruch stütze, keinen Einblick nehmen können.
Das FA hält die Nichtzulassungsbeschwerde für unbegründet.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.
1. Das Urteil des FG kann nicht auf den geltend gemachten Verfahrensmängeln beruhen (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist von dem materiell-rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz auszugehen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 115 Rz. 24 mit Nachweisen). Das FG braucht bestimmte Beweismittel nicht zu erheben, wenn es nach seiner Rechtsauffassung auf die mit diesen Beweismitteln nachzuweisenden Tatsachen nicht ankommt.
a) Das FG hat die Klage zwar als unzulässig abgewiesen. Der Entscheidung liegt jedoch erkennbar die Erwägung zugrunde, die Klägerin könne die Steuerbescheide nicht mit Erfolg anfechten, weil deren Rechtsgrund lage entweder in § 14 Abs. 3 UStG 1967/1980 oder in den Vorschriften über die Besteuerung unternehmerischer Leistungen begründet sei, je nachdem, ob die Klägerin als Unternehmerin angesehen werden müsse oder nicht. Denn anders kann die Äußerung des FG nicht verstanden werden, wonach die Klägerin lediglich die "Feststellung" begehre, sie schulde die Steuer aus einem anderen als vom FA zugrunde gelegten Rechtsgrund. Bei der vom FG der Sache nach verwendeten alternativen Begründung muß das FG hinsichtlich der § 14 Abs. 3 UStG 1967/1980 betreffenden Begründungsvariante davon ausgegangen sein, die Klägerin habe Rechnungen i. S. des § 14 Abs. 3 UStG 1967/1980 ausgestellt. Denn die alternative Begründung setzt voraus, daß sämtliche Tatbestandsmerkmale, die nicht alternieren, gegeben sind (vgl. zur alternativen Begründung Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 26. Februar 1987 V S 4/86, BFH/NV 1987, 604).
b) Die Klägerin rügt, dem FG hätte sich aufdrängen müssen, Originale oder Fotokopien der Rechnungen vorlegen zu lassen; "es hätte dann überhaupt erst prüfen können, ob die Rechnungen den Anforderungen des § 14 Abs. 3 UStG entsprechen, welche Rechnungen in welcher Höhe von wem unterschrieben waren, welche Rechnungen sich die Klägerin zurechnen lassen und in welcher Höhe die Umsatzsteuer tatsächlich entstanden ist". Auf diese Umstände kam es aber nach der Rechtsauffassung des FG nicht an. Das FG hat es zur Erfüllung des Tatbestands des § 14 Abs. 3 UStG 1967/1980 offensichtlich als ausreichend angesehen, daß die Klägerin Herrn oder Frau ... Rechnungsvordrucke und Firmenstempel bzw. später Rechnungsvordrucke mit aufgedrucktem Namenszug übergeben und die Erstellung der Rechnungen durch Frau ... gebilligt hat. Auf den Umstand, ob die Klägerin oder ihr Ehemann die Rechnungen unterschrieben hat, kam es dem FG ausdrücklich nicht an. Ob die auf das BFH- Urteil vom 4. März 1982 V R 107/79 (BFHE 135, 118, BStBl II 1982, 309) gestützte Auffassung des FG, es sei unerheblich, wer die Abrechnungspapiere unterschrieben hat, für § 14 Abs. 3 UStG 1973/1980 zutrifft (vgl. BFH-Beschluß vom 13. September 1984 V B 53/83, BFHE 142, 63, BStBl II 1985, 20), kann offenbleiben (s. 1.).
Die Klägerin legt nicht dar, daß die Einsichtnahme in die Rechnungen dem FG andere, entscheidungserhebliche Erkenntnisse hätte verschaffen können.
2. Auch die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs kann keinen Erfolg haben. Gemäß § 96 Abs. 2 FGO darf das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich haben äußern können. Das FG hat seine Feststellungen über Form und Inhalt der Rechnungen aus dem Betriebsprüfungsbericht sowie den Strafakten bezogen. Die Klägerin konnte sich zu diesen Feststellungsgrundlagen und zu sämtlichen für die Entscheidung des FG maßgeblichen Umständen äußern. Eine konkrete Tatsache oder ein Beweis ergebnis, welches der Klägerin erst durch die Entscheidung des FG bekanntgeworden sein konnte, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Im übrigen hat sie auch nicht dargelegt, was sie Entscheidungserhebliches vorgetragen hätte, wenn sie Einsicht in die Originale oder Fotokopien der Rechnungen hätte nehmen können.
Fundstellen
Haufe-Index 417720 |
BFH/NV 1995, 682 |