Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung von Verwaltungsakten; Anordnung einer Außenprüfung bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft; Begründung einer Außenprüfung
Leitsatz (NV)
1. Bei der Auslegung eines Verwaltungsakts kommt es auf den objektiven Erklärungsinhalt der Regelung an, wie ihn der Steuerpflichtige nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte.
2. Die Wirksamkeit der Anordnung einer Außenprüfung gegen einen Organträger, die sich auf tatsächliche oder vermutliche Organgesellschaften beziehen soll, setzt nicht voraus, dass auch gegen diese Gesellschaften Prüfungsanordnungen ergeben.
3. Eine auf § 193 Abs. 1 AO gestützte Prüfungsanordnung bedarf regelmäßig keiner besonderen Begründung.
Normenkette
UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2; AO § 193 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Berlin (Urteil vom 15.03.2006; Aktenzeichen 2 K 5369/05) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erbringt "rechtswissenschaftliche Dienstleistungen" und ist darüber hinaus Gesellschafter und Geschäftsführer der X GmbH (GmbH).
Nachdem die GmbH dem für sie zuständigen Finanzamt mitgeteilt hatte, dass sie Organgesellschaft des Klägers sei, und dieser im Oktober 2004 eine entsprechende Umsatzsteuererklärung für 2002 abgegeben hatte, ordnete der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) aufgrund von § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) gegenüber dem Kläger eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung (§ 196 AO) für die Besteuerungszeiträume 2002 bis 2004 an und beschränkte den Umfang der Prüfung nach § 194 Abs. 1 AO auf folgende Sachverhalte: Organschaft, Entstehung der Steuer (§ 13 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes --UStG--) und Vorsteuerabzug (§ 15 UStG).
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, die zu Recht auf § 193 Abs. 1 AO gestützte Prüfungsanordnung sei hinreichend bestimmt i.S. von § 119 Abs. 1 AO. Aus ihr und ergänzenden Erläuterungen des FA im Einspruchsverfahren ergebe sich, dass die Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 2002 bis 2004 für die Umsatzsteuer geprüft werden sollten, und zwar insbesondere die für die Entstehung der Steuer und den Vorsteuerabzug maßgeblichen Umstände, wozu auch das Bestehen eines Organschaftsverhältnisses zu der GmbH gehöre. Die Prüfungsanordnung sei hinreichend begründet i.S. des § 121 AO. Es liege zwar nahe, dass es sich nicht um eine Routine-, sondern um eine Anlassprüfung handele. Auch Anlassprüfungen bedürften aber keiner Begründung, wenn nach den äußeren Umständen für den Steuerpflichtigen der Anlass für die Prüfung erkennbar sei. Dies treffe im Streitfall zu. Der Prüfungsanlass sei für den Kläger aufgrund der im Jahr 2004 erfolgten Mitteilung der zwischen ihm und der GmbH bestehenden Organschaft offenkundig gewesen, zumal der Kläger in steuerlichen Angelegenheiten nicht unerfahren sei. Die Prüfungsanordnung sei auch nicht ermessensfehlerhaft. Es sei nicht zu beanstanden, dass das FA nach Erklärung der Organschaft die umsatzsteuerrechtlichen Angelegenheiten des angeblichen Organträgers einer eingehenden Prüfung durch eine Außenprüfung unterziehe. Die Feststellung einer Organschaft erfordere tiefgreifende Einblicke in die Tätigkeit des Gesamtunternehmens, die einer zuverlässigen Beurteilung im Wege von Einzelermittlungen nur schwer zugänglich seien. Ferner sei die Bereinigung der erklärten Umsätze um Binnenumsätze, insbesondere bei nachträglich erkannten Organschaften, fehlerträchtig und daher prüfungswürdig. All diese Gesichtspunkte hätten Auswirkungen auf die vom Kläger zu versteuernden Umsätze und die abziehbaren Vorsteuerbeträge.
Der Kläger stützt seine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die vom Kläger geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor, soweit er sie überhaupt den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entsprechend dargelegt hat.
1. Der Rechtssache kommt aufgrund der vom Kläger angeführten Gründe keine grundsätzliche Bedeutung zu.
a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und im Streitfall auch klärbar ist (BFH-Beschlüsse vom 27. Oktober 2003 VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232, und vom 29. Dezember 2006 IX B 139/05, BFH/NV 2007, 1084, ständige Rechtsprechung).
b) Diese Voraussetzungen erfüllen die vom Kläger herausgestellten Fragen nicht.
aa) Der Kläger stellt zunächst die Frage, welche Anforderungen an die Bestimmtheit einer Prüfungsanordnung zu stellen sind, wenn der Umfang der Prüfung gemäß § 194 Abs. 1 AO auf "Organschaft" beschränkt wird, der Steuerpflichtige aber an mehreren Gesellschaften mehrheitlich beteiligt ist.
Diese Rechtsfrage wäre in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich, weil das FG zu der behaupteten Beteiligung des Klägers an mehreren Gesellschaften keine Feststellungen getroffen hat (vgl. § 118 Abs. 2 FGO), und könnte ohnehin nicht generell beantwortet werden. Ob ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt ist (§ 119 Abs. 1 AO), hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei der Auslegung eines Verwaltungsakts kommt es grundsätzlich nicht darauf an, was die Behörde mit ihrer Erklärung gewollt hat. Maßgebend für die Auslegung ist vielmehr der objektive Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der Steuerpflichtige nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Im Zweifel ist das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da er als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus deren Sphäre nicht benachteiligt werden darf (BFH-Urteil vom 18. Juli 1994 X R 33/91, BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4, unter 4., m.w.N.). Auch Prüfungsanordnungen unterliegen der Auslegung (BFH-Urteil vom 25. April 2001 I R 80/97, BFH/NV 2001, 1541, unter II. 4. d).
Die Frage, wie im vorliegenden Einzelfall die Beschränkung der Prüfungsanordnung auf "Organschaft" zu verstehen ist, verleiht der Streitsache keine Bedeutung für die Allgemeinheit. Vielmehr ist nur ein Korrekturinteresse des Klägers im Einzelfall gegeben, das nicht zur Zulassung der Revision führt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 28. November 2006 VII B 97/06, BFH/NV 2007, 647, und vom 22. Januar 2007 VIII B 76/06, BFH/NV 2007, 647).
bb) Der Kläger sieht ferner als klärungsbedürftig die Frage an, ob die wirksame Anordnung einer Außenprüfung (Umsatzsteuer-Sonderprüfung) bei Einbeziehung von tatsächlichen oder vermutlichen Organgesellschaften erfordert, dass gleichzeitig auch gegen diese Gesellschaften Prüfungsanordnungen ergehen.
Diese Frage bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, da sie in Übereinstimmung mit der Ansicht des FG klar und eindeutig zu verneinen ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 26. Juli 2006 VI B 134/05, BFH/NV 2006, 2029, und vom 27. September 2006 X B 71/06, BFH/NV 2007, 37).
Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein Unternehmen eingegliedert ist. Unternehmer ist in diesem Fall trotz rechtlicher Selbständigkeit der Organgesellschaft der Organträger. Diesem werden die Umsätze und Vorsteuerbeträge der Organgesellschaft zugerechnet; der Organträger ist der Steuerschuldner (BFH-Urteil vom 7. Dezember 2006 V R 2/05, BFH/NV 2007, 839). Der Organträger hat danach die Umsätze und Vorsteuerbeträge der Organgesellschaft in seine Umsatzsteuererklärung (§ 18 Abs. 3 UStG) und ggf. in seine Voranmeldungen (§ 18 Abs. 1 UStG) aufzunehmen. Er ist demnach der Steuerpflichtige, bei dem ggf. eine Außenprüfung durchzuführen ist (§ 193 Abs. 1 AO). Bei dieser Außenprüfung können auch das Bestehen einer Organschaft und die dem Organträger ggf. zuzurechnenden Umsätze und Vorsteuerbeträge der Organgesellschaft geprüft werden, da es sich dabei um die steuerlichen Verhältnisse des Organträgers handelt, deren Ermittlung die Außenprüfung nach § 194 Abs. 1 Satz 1 und § 199 Abs. 1 AO dient. Eine gegen die Organgesellschaft ergangene Prüfungsanordnung ist dazu nicht erforderlich. Die Mitwirkungspflichten des Organträgers folgen auch in Bezug auf die Organgesellschaft aus § 200 AO. Der Organträger ist zur Erfüllung dieser Mitwirkungspflichten in der Lage, weil die Organgesellschaft nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in sein Unternehmen eingegliedert ist (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG).
Ergibt die Außenprüfung, dass keine Organschaft vorliegt, entfällt eine Zurechnung beim vermeintlichen Organträger. Eine lediglich gegen ihn ergangene Prüfungsanordnung berechtigt in einem solchen Fall nicht zur Prüfung der für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse bei der vermeintlichen Organgesellschaft. Allerdings kommt eine Auswertung der bei der Außenprüfung beim vermeintlichen Organträger festgestellten Verhältnisse der betroffenen Gesellschaft dieser gegenüber nach Maßgabe des § 194 Abs. 3 AO in Betracht.
cc) Der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf nach Ansicht des Klägers ferner die Frage, ob die Anordnung einer Anlass-Außenprüfung (Umsatzsteuer-Sonderprüfung) einer Begründung bedarf, wenn im Laufe des Jahres ein Organschaftsverhältnis angezeigt wird, das FA selbst mehrfach unterschiedliche Begründungen nachschiebt, am gleichen Tag gegen "gesellschafterlich verbundene Dritte" ebenfalls Prüfungsanordnungen mit gleichem Inhalt erlassen werden und eine Aufklärung und Prüfung der für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts zweckmäßig sein könnte.
Diese Fragestellung ist speziell auf die Streitsache zugeschnitten und findet zudem teilweise keine Grundlage in den vom FG getroffenen Feststellungen. Das FG hat insbesondere keine Feststellungen zu dem vom Kläger behaupteten Ergehen weiterer Prüfungsanordnungen gegen Dritte getroffen. Eine Klärung der vom Kläger aufgeworfenen Frage in einem Revisionsverfahren ist daher teils nicht möglich und teils nicht im Interesse der Allgemeinheit geboten.
Es ist bereits geklärt, dass eine auf § 193 Abs. 1 AO gestützte Prüfungsanordnung keiner besonderen Begründung bedarf, sondern dass der Hinweis auf diese Vorschrift regelmäßig genügt (BFH-Urteil vom 11. November 1993 IV R 119/92, BFH/NV 1994, 444, m.w.N.). Aus § 193 Abs. 1 AO folgt die Wertung, dass eine Außenprüfung bei Steuerpflichtigen, die im Prüfungszeitraum einen gewerblichen Betrieb unterhalten haben oder freiberuflich tätig waren, in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Willkürverbots unbeschränkt zulässig ist (BFH-Urteil vom 21. Juni 1994 VIII R 54/92, BFHE 174, 397, BStBl II 1994, 678; BFH-Beschlüsse vom 23. Juni 2003 X B 165/02, BFH/NV 2003, 1147, und vom 14. März 2006 IV B 14/05, BFH/NV 2006, 1253). Der Gesetzgeber sieht bei solchen Steuerpflichtigen --typisierend-- die Außenprüfung als das geeignete Mittel der Sachverhaltsermittlung an. Der Steuerpflichtige hat keinen Anspruch auf (zeitweise) Verschonung von einer Außenprüfung (BFH-Urteil vom 2. Oktober 1991 X R 89/89, BFHE 166, 105, BStBl II 1992, 220).
Für den Kläger war im Übrigen der Anlass der Prüfung aufgrund des in der Prüfungsanordnung angegebenen Prüfungssachverhalts "Organschaft", der zuvor erfolgten Mitteilung des Organschaftsverhältnisses mit der GmbH gegenüber dem zuständigen Finanzamt und der Abgabe einer entsprechenden Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2002 ohne Weiteres ersichtlich, so dass eine weitere Begründung nach § 121 Abs. 1 AO auch unter diesem Gesichtspunkt nicht erforderlich war.
Ob dem FA beim Erlass einer Prüfungsanordnung Ermessensfehler i.S. des § 102 FGO unterlaufen sind, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Dies schließt eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf diese Fragestellung aus.
2. Aus den oben 1. dargelegten Gründen ist die Zulassung der Revision auch nicht zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) geboten. Im Kern erschöpft sich die Beschwerdebegründung des Klägers --nach Art einer Revisionsbegründung-- in Ausführungen darüber, dass und warum das FG den Streitfall unrichtig entschieden habe. Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im Einzelfall rechtfertigen jedoch für sich gesehen grundsätzlich nicht die Zulassung der Revision (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 27. Februar 2007 X B 178/06, BFH/NV 2007, 1073).
3. Der Kläger hat nicht dargelegt, aus welchen Gründen eine Revisionsentscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) erforderlich sein solle.
Fundstellen
Haufe-Index 1780878 |
BFH/NV 2007, 1805 |