Entscheidungsstichwort (Thema)
Mängel der Urteilsbegründung als Revisionszulassungsgrund
Leitsatz (NV)
- Die Rüge einer unterbliebenen oder nur oberflächlichen Würdigung des feststehenden Sachverhaltes kann zur Zulassung der Revision führen, wenn schlüssig dargelegt wird, dass das FG den aus den Akten ersichtlichen Sachverhalt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt hat oder dass es versäumt hat, den Sachvortrag der Beteiligten bei seiner Entscheidungsfindung rechtlich und tatsächlich zu würdigen.
- Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht von ihm entgegengenommenes Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung berücksichtigt.
- Bei einer Vielzahl von Einwendungen gegen eine Prüfungsentscheidung verlangt § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO im Allgemeinen eine substantiierte Widerlegung der vom Prüfling vorgetragenen, hinreichend begründeten und nicht aus Rechtsgründen von vornherein zu verwerfenden Rügen, sofern die Einwendungen nicht offensichtlich abwegig oder gar mutwillig sind.
- Es bleibt offen, ob jeder Verstoß gegen § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO ein Mangel i.S. des § 119 Nr. 6 FGO ist und auf Rüge zur Aufhebung des Urteils führen muss, sofern dargelegt wird, dass das Urteil des FG auf diesem beruhen kann.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1 S. 1, § 105 Abs. 2 Nr. 5, § 119 Nr. 6, § 115
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig, weil in der Beschwerdeschrift ein Grund, der zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) führen könnte, nicht schlüssig dargelegt ist, wie dies § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO indes verlangt.
Der angebliche Aufklärungsmangel ist schon deshalb nicht schlüssig dargetan, weil nicht angegeben ist, welche Ermittlungen das Finanzgericht (FG) noch hätte anstellen sollen, weshalb sich ihm deren Notwendigkeit aufdrängen musste, obwohl die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) selbst solche Ermittlungen nicht beantragt hat, und was das Ergebnis dieser Ermittlungen gewesen wäre. Die Beschwerdebegründung trägt zu alledem nichts vor, weil sie in Wahrheit nicht mangelnde Sachaufklärung, sondern eine unterbliebene oder nur oberflächliche Würdigung des feststehenden Sachverhaltes bzw. der von der Klägerin erhobenen Einwendungen rügen will.
Eine solche Rüge kann zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO führen, wenn schlüssig dargelegt wird, dass das FG den aus den Akten ersichtlichen Sachverhalt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt hat oder dass es versäumt hat, den Sachvortrag der Beteiligten bei seiner Entscheidungsfindung rechtlich und tatsächlich zu würdigen. Denn wenn ein solches Versäumnis festgestellt werden kann, wäre der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) verletzt und im Allgemeinen nicht auszuschließen, dass das Urteil des FG auf diesem Verfahrensmangel beruht. Für ein solches Versäumnis müssen indes hinreichende konkrete Anhaltspunkte vorliegen. Denn nach ständiger Rechtsprechung ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht von ihm entgegengenommenes Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung berücksichtigt (vgl. u.a. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 2. Dezember 1969 2 BvR 320/69, BVerfGE 27, 248, 251, sowie Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 11. November 1996 VIII B 57/96, BFH/NV 1997, 419, und vom 28. September 1998 VII B 65/98, BFH/NV 1999, 374). Die Beschwerdebegründung der Klägerin enthält jedoch hinreichende Angaben hierzu nicht. Die allgemeine Rüge, die Entscheidungsgründe ließen nicht erkennen, inwiefern das FG die angefochtene Verwaltungsentscheidung überprüft habe, genügt hierfür nicht.
Die Beschwerde mag schließlich dahin verstanden werden können, sie wolle rügen, das Urteil des FG sei nicht gehörig mit Gründen versehen. Auch dann kann sie jedoch keinen Erfolg haben. Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision kann zwar als Verfahrensmangel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gerügt werden, das angefochtene Urteil sei i.S. des § 119 Nr. 6 FGO nicht mit Gründen versehen und deshalb als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15. September 1995 4 B 173/95, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310 § 117 VwGO Nr. 42). Ein Verfahrensmangel im Sinne der genannten Vorschrift liegt auch nicht erst dann vor, wenn die Entscheidung überhaupt keine Gründe angibt, sondern schon dann, wenn das FG bei der Begründung seines Urteils einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat (ständige Rechtsprechung, u.a. BFH-Urteil vom 29. Juli 1992 II R 14/92, BFHE 169, 1, BStBl II 1992, 1043, und BFH-Beschluss vom 27. Februar 1996 IV R 41/95, BFH/NV 1996, 623). Die Entscheidung des FG weist hier jedoch einen solchen Mangel nicht auf, sondern enthält gerade auch zu dem von der Beschwerde in erster Linie angeführten Streitpunkt, ob richtige Antworten der Klägerin von den Prüfern als falsch gewertet worden sind, eine ―wenn auch knappe und zu Einzelheiten substanzlose― Begründung. Sie ist folglich unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 119 Nr. 6 FGO nicht zu beanstanden.
Mit der Rüge eines Verstoßes gegen § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO endlich könnte die Beschwerde nicht durchdringen. Der beschließende Senat hat zu § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO allerdings ausgeführt (Urteil vom 12. Juni 2001 VII R 67/00, BFH/NV 2002, 80), Urteile seien in der Weise zu begründen, dass den Beteiligten die Möglichkeit gegeben ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. u.a. auch BFH-Urteil vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417), was insbesondere erfordere, dass erkennbar ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde liegt und auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung des Gerichts stützt. Das verlangt zwar nicht, auf jedes einzelne Vorbringen der Beteiligten einzugehen oder gar die Streitsache unter allen erdenklichen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten zu erörtern. Bei einer Vielzahl von Einwendungen gegen eine Prüfungsentscheidung, wie sie die Klägerin erhoben hat, erfordert dies jedoch im Allgemeinen ―sofern die Einwendungen nicht offensichtlich abwegig oder gar mutwillig sind― eine ―wenn auch unter Umständen kurze, so doch substantiierte― Widerlegung der vom Prüfling vorgetragenen, hinreichend begründeten und nicht aus Rechtsgründen (etwa des den Prüfern vorbehaltenen Bewertungsspielraums wegen) von vornherein zu verwerfenden Rügen.
Es kann jedoch dahinstehen, ob die Begründung des Urteils des FG den Mindesterfordernissen des § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO noch genügt, ferner, ob jeder Verstoß gegen diese Vorschrift ein Mangel i.S. des § 119 Nr. 6 FGO ist und auf Rüge zur Aufhebung des Urteils führen muss, § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO also dem Gericht keinen durch die Revision ―vorbehaltlich des § 119 Nr. 6 FGO― nicht überprüfbaren Ermessensspielraum lässt, welche rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte es in den Gründen seiner Entscheidung erörtern will. Wird nämlich die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels begehrt, bedarf es außer der genauen Darlegung, inwiefern das FG gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat ―hier: sich mit bestimmten Einwendungen nicht gehörig auseinander gesetzt hat―, auch der Angabe, inwiefern das Urteil auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Eine solche Auswirkung des angeblichen Begründungsmangels auf das Ergebnis der Entscheidung des FG ist von der Klägerin nicht dargelegt worden und lässt sich auch im Allgemeinen nicht dartun, sofern die Kausalität des Formmangels für die Entscheidung nicht nach § 119 Nr. 6 FGO zu vermuten ist.
Fundstellen
Haufe-Index 738056 |
BFH/NV 2002, 941 |