Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Antrag auf Tatbestandsberichtigung bei Urteil ohne mündliche Verhandlung; Statthaftigkeit einer Beschwerde gegen Ablehnung eines Antrags auf Tatbestandsberichtigung wegen Unzulässigkeit
Leitsatz (NV)
1. Der Antrag, den Tatbestand eines Urteils, das mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, zu berichtigen, ist unzulässig.
2. Hat das FG einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung wegen Unzulässigkeit abgelehnt, ist die Beschwerde an den BFH statthaft.
Normenkette
FGO § 108; ZPO § 320
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), den Tatbestand des mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergangenen und mit der Revision angefochtenen Urteils vom 6. August 2008 7 K 187/06 zu berichtigen, mit der Begründung ab, der Antrag sei unzulässig. Die Berichtigung des Tatbestands könne nur bei einem aufgrund mündlicher Verhandlung ergangenen Urteil beantragt werden. In der Rechtsmittelbelehrung des Ablehnungsbeschlusses wies das FG darauf hin, dass dagegen kein Rechtsbehelf gegeben sei.
Mit der Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, macht die Klägerin geltend, das FG habe den Berichtigungsantrag zu Unrecht als unzulässig abgelehnt. Der Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils müsse berichtigt werden.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Beschwerde ist statthaft (§ 128 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Ihrer Statthaftigkeit steht § 108 Abs. 2 Satz 2 FGO, wonach der Beschluss über die Tatbestandsberichtigung (§ 108 Abs. 2 Satz 1 FGO) unanfechtbar ist, nicht entgegen; die Unanfechtbarkeit bezieht sich nämlich nicht auf Beschlüsse, durch die der Antrag auf Tatbestandsberichtigung ohne Sachprüfung wegen Unzulässigkeit abgelehnt wurde (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. April 1991 IX B 151/90, BFH/NV 1991, 615; vom 29. Juni 1992 V B 85/91, BFH/NV 1993, 180; vom 30. November 1993 V B 161/93, BFH/NV 1995, 310; vom 30. September 1998 X B 53, 55/98, BFH/NV 1999, 491; vom 17. Dezember 1999 V B 116/99, BFH/NV 2000, 852, und vom 5. September 2001 XI B 42/01, BFH/NV 2002, 207; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Oktober 2004 1 BvR 786/04, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2005, 657).
2. Die Beschwerde ist unbegründet.
Wie das FG zutreffend angenommen hat, ist der Antrag, den Tatbestand eines Urteils, das wie im vorliegenden Fall mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO) ergangen ist, zu berichtigen, unzulässig. Die Vorschrift des § 108 Abs. 1 FGO, nach der die Berichtigung des Tatbestands des Urteils binnen zwei Wochen nach Zustellung des Urteils beantragt werden kann, wenn er andere als die in § 107 Abs. 1 FGO genannten Unrichtigkeiten oder Unklarheiten enthält, ist bei einem ohne mündliche Verhandlung ergangenen Urteil nach ständiger Rechtsprechung des BFH nicht anwendbar (BFH-Urteile vom 1. Dezember 1982 I R 75/82, BFHE 137, 212, BStBl II 1983, 227, und vom 10. November 1992 VIII R 98/90, BFH/NV 1993, 468, unter 2.a; BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1991, 615; in BFH/NV 2000, 852; vom 9. Dezember 2002 VIII B 115/02, BFH/NV 2003, 631; vom 29. August 2003 III B 105/02, BFH/NV 2004, 178, und vom 27. März 2006 VIII B 21/05, BFH/NV 2006, 1256; ebenso Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 108 FGO Rz 5; Wieczorek/Schütze/Rensen, 3. Aufl., § 320 ZPO Rz 15; MünchKommZPO/Musielak, 3. Aufl., § 320 Rz 4 f.; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 67. Aufl., § 320 Rz 5; a.A. Beschluss des FG des Saarlandes vom 17. Juli 1989 1 K 196/88, Entscheidungen der Finanzgerichte 1989, 590; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 108 FGO Rz 2; Brandt in Beermann/Gosch, FGO § 108 Rz 18; Fu in Schwarz, FGO § 108 Rz 3; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 108 Rz 1; Clausing in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 119 Rz 2; Kilian in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 119 Rz 11, 14).
Die Auffassung des BFH, wonach eine Tatbestandsberichtigung nur bei einem aufgrund mündlicher Verhandlung ergangenen Urteil möglich ist, steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). Wie der BGH entschieden hat, beschränkt sich die Tatbestandsberichtigung nach § 320 der Zivilprozessordnung (ZPO) auf die Wiedergabe des mündlichen Parteivorbringens im Tatbestand (BGH-Urteil vom 10. März 1983 VII ZR 135/82, NJW 1983, 2030, unter II.2.c; ebenso Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 25. Mai 1988 2 U 67/87, OLGZ 1989, 78; Musielak in Musielak, Zivilprozessordnung, 6. Aufl., § 320 Rz 1 f.; Peters/Sautter/Wolff, Sozialgerichtsgesetz, § 139 Rz 7 f.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl., § 139 Rz 2; a.A. Stein/Jonas/ Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 320 Rz 1; Eyermann/Rennert, Verwaltungsgerichtsordnung, 12. Aufl., § 119 Rz 2; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 15. Aufl., § 119 Rz 1 f.; Kuntze in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 4. Aufl., § 119 Rz 2). Der Tatbestand des Urteils liefert nach § 314 Satz 1 ZPO Beweis für das mündliche Parteivorbringen. Insoweit kann der Beweis nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden (§ 314 Satz 2 ZPO). Allein mit Rücksicht auf diese erhöhte Beweiskraft des Tatbestands ist die Möglichkeit der Berichtigung gemäß § 320 ZPO geschaffen worden. Sie soll verhindern, dass unrichtig beurkundeter Parteivortrag infolge der Beweiskraft fehlerhafte Grundlage für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts wird (BGH-Urteil in NJW 1983, 2030, unter II.2.c). Soweit der Urteilstatbestand lediglich die Wirkung einer öffentlichen Urkunde gemäß § 418 ZPO entfaltet, scheidet eine Tatbestandsberichtigung nach § 320 ZPO aus, da die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Tatbestands insoweit durch jedes Beweismittel nachgewiesen werden kann, und zwar auch in der Rechtsmittelinstanz.
Entsprechendes gilt auch für die Tatbestandsberichtigung im finanzgerichtlichen Verfahren. Auch in diesem Verfahren liefert der Tatbestand des Urteils nach § 314 Satz 1 ZPO i.V.m. § 155 FGO Beweis ausschließlich für das mündliche Parteivorbringen. Im schriftlichen Verfahren gilt demgegenüber der urkundlich belegte Vortrag. Der Tatbestand des im schriftlichen Verfahren ergangenen Urteils beweist nichts über den Inhalt der von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze und den sonstigen Akteninhalt (BFH-Urteil in BFHE 137, 212, BStBl II 1983, 227; BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1991, 615, und in BFH/NV 2003, 631).
Das Recht des im finanzgerichtlichen Verfahren unterlegenen Beteiligten auf ein ordnungsgemäßes Verfahren wird durch die Beschränkung des Anwendungsbereichs der Tatbestandsberichtigung auf die Darstellung des mündlichen Parteivortrags im Urteilstatbestand nicht beeinträchtigt. Der Beteiligte kann eine unzutreffende Darstellung des Sach- und Streitstands im Tatbestand durch eine schlüssige Verfahrensrüge wegen Verletzung von § 76 Abs. 1 FGO und/oder § 96 Abs. 1 FGO im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 FGO) oder bei zugelassener Revision im Revisionsverfahren (§ 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO) rügen (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2000, 852; in BFH/NV 2003, 631, und in BFH/NV 2004, 178).
Die den gesetzlichen Begründungsanforderungen entsprechende Rüge, das FG habe gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen, hat bei einem mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergangenen Urteil Erfolg, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem schriftlichen Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, ohne die Abweichung durch eine entsprechende Tatsachen- und Beweiswürdigung zu begründen, oder wenn es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat und die Entscheidung darauf beruhen kann (vgl. BFH-Beschlüsse vom 21. Februar 2006 XI B 36/05, BFH/NV 2006, 1846, und vom 27. November 2008 XI B 60/08, BFH/NV 2009, 431).
Fundstellen