Leitsatz (amtlich)
1. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung beim Gericht der Hauptsache wird nicht dadurch unzulässig, daß das FA nach Leistung einer Sicherheit durch den Steuerpflichtigen die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids gegen Sicherheitsleistung aussetzt.
2. Hat das FA wegen ein und derselben Streitfrage über mehrere Veranlagungszeiträume hinweg die Vollziehung von Steuerbescheiden nur gegen Sicherheitsleistung ausgesetzt und verlangt es bei Erlaß eines Steuerbescheids für den folgenden Veranlagungszeitraum erneut eine Sicherheitsleistung, so hat das FA zu erkennen gegeben, es werde auch in diesem Fall nur gegen Sicherheitsleistung aussetzen. Dem Antragsteller kann im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO nicht entgegengehalten werden, sein Antrag sei gemäß Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VGFG-EntlG unzulässig.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2-3; VGFG-EntlG Art. 3 § 7
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) legte gegen den aufgrund beschränkter Steuerpflicht des Antragstellers ergangenen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1976 vom 16. Juni 1980 Einspruch ein. Er wendet sich gegen die Nichtberücksichtigung von Aufwendungen von insgesamt 1 021 451 DM. Hierbei handelt es sich um Fragen, die auch bei den Veranlagungen für die Vorjahre 1972 bis 1975 streitig und für diese Veranlagungszeiträume Gegenstand von Rechtsbehelfsverfahren sind. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) hatte die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide für die Vorjahre gegen Sicherheitsleistung in Form einer Bankbürgschaft ausgesetzt.
Schon mit Schreiben vom 16. Juni 1980 hatte das FA der den Antragsteller vertretenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mitgeteilt, mit gleicher Post werde der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ein Einkommensteuerbescheid des Antragstellers für 1976 zugehen. Bereits mit früherem Schreiben habe das FA die Aussetzung zur Vollziehung auch dieses Steuerbescheids für den Fall angekündigt, daß Einspruch eingelegt werde. Es werde gebeten, zugleich mit dem Einspruch eine selbstschuldnerische Bankbürgschaft über den für die Jahre 1972 bis 1976 insgesamt auszusetzenden Betrag von 2 326 315 DM einzureichen.
Im Einspruchsschreiben vom 2. Juli 1980 führte der Bevollmächtigte des Antragstellers (die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft) u. a. aus:
"Wegen der Aussetzung der Vollziehung werden wir Ihnen für die Jahre 1972 bis 1975 eine entsprechende herabgesetzte Bürgschaft der ... Bank AG besorgen, die Zug um Zug gegen Rückgabe der alten Bürgschaftsurkunde ausgehändigt werden kann."
Wegen der Aussetzung der Vollziehung für 1976 werde der Prozeßbevollmächtigte des Antragstellers beim Finanzgericht (FG) einen entsprechenden Antrag einreichen. Mit Schreiben vom 9. Juli 1980 legte die ... Bank "auf Veranlassung von Herrn ..." eine Bürgschaftsurkunde über den Betrag vor, der neben den Einkommensteueraussetzungsbeträgen für die Jahre 1972 bis 1975 auch die festgesetzte Einkommensteuer 1976 umfaßte.
Mit Schriftsatz vom 18. Juli 1980 an das FG beantragte der Antragsteller durch seinen Prozeßbevollmächtigten, die Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 1976 ohne Sicherheitsleistung auszusetzen. Zur Begründung machte er geltend, es sei mit Gewißheit oder auch mit großer Wahrscheinlichkeit ein für ihn günstiger Ausgang des Einspruchsverfahrens zu erwarten.
Mit Verfügung vom 27. Juli 1980 setzte das FA (unter nochmaliger Einbeziehung der bereits ausgesetzten Beträge für 1972 bis 1975) die Vollziehung auch des Einkommensteuerbescheids 1976 in Höhe des veranlagten Betrags "gegen Sicherheitsleistung in Form einer Bankbürgschaft" aus.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung hatte keinen Erfolg. Das FG hielt ihn für unzulässig. Es stützte sich in erster Linie auf die Erwägung, der Antragsteller begehre nach Aussetzung der Vollziehung durch das FA gegen Sicherheitsleistung nicht mehr eine Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO), sondern eine Abänderung des ursprünglich auf seinen Antrag hin bzw. mit seinem Einverständnis ergangenen Vollziehungsaussetzungsbescheids. Über dieses Begehren sei vom FA nach §§ 130, 131 der Abgabenordnung (AO 1977) zu entscheiden. Die Anordnung einer Sicherheitsleistung im Zusammenhang mit der Vollziehungsaussetzung sei eine unselbständige Nebenbestimmung in Form einer Bedingung (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Juni 1979 IV B 20/79, BFHE 128, 306, BStBl II 1979, 666). Nach § 69 Abs. 3 Satz 2 FGO sei lediglich ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, nicht aber auf Abänderung der Vollziehungsaussetzung möglich. Der durch § 69 Abs. 3 Satz 2 FGO gewährte erhöhte Rechtsschutz sei nicht geboten, wenn der Steuerpflichtige Abänderung des seinem ursprünglichen Antrag entsprechenden Vollziehungsaussetzungsbescheids anstrebe. Dies gelte jedenfalls dann, wenn er - wie hier der Antragsteller - eine zunächst mit seinem Einverständnis gewährte Sicherheit wieder zurückverlange. Selbst wenn man aber unterstelle, daß der Antragsteller mit Schreiben vom 18. Juli 1980 eine Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 2 FGO beantragt habe, so wäre diese nach Art. 3 § 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 - VGFG-EntlG - (BGBl I 1978, 446) nicht zulässig, da das FA einen Antrag des Antragsteller zuvor nicht abgelehnt habe und die Voraussetzungen des Satzes 2 dieser Vorschrift nicht gegeben seien. Die Ablehnung des Antrags könne nicht darin gesehen werden, daß das FA die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit Schreiben vom 16. Juni 1980 aufgefordert habe, hinsichtlich der Aussetzung der Vollziehung eine selbstschuldnerische Bürgschaft vorzulegen. Denn dies habe sich auf das Aussetzungsverfahren bis zur Aussetzungsverfügung vom 27. Juli 1980 bezogen. Wäre der Antrag vom 18. Juli 1980 ein selbständiger Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO, so müsse folgerichtig auch bezüglich dieses Antrags eine erneute Ablehnung der Vollziehungsaussetzung ohne Sicherheitsleistung durch das FA vorliegen.
Mit seiner (vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassenen) Beschwerde wiederholt der Antragsteller seinen bereits vor dem FG gestellten Antrag.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Dem FG kann nicht darin gefolgt werden, daß der Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO unzulässig sei, weil der Antragsteller nach Erlaß der Aussetzungsverfügung des FA deren Abänderung nach §§ 130, 131 AO 1977 begehre.
Der Antragsteller hat seinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung beim FG gemäß § 69 Abs. 3 FGO gestellt und damit rechtshängig gemacht, bevor das FA seinerseits die Aussetzung der Vollziehung gegen Sicherheitsleistung verfügt hat. Das FA hatte zu diesem Zeitpunkt lediglich die Aussetzung der Vollziehung gegen Sicherheitsleistung angekündigt. Damit war der Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO jedenfalls zunächst zulässig; denn er ging weiter als die vom FA in Aussicht gestellte Maßnahme.
Unabhängig von der Rechtshängigkeit des Antrags nach § 69 Abs. 3 FGO konnte das FA gemäß § 361 AO 1977 im Einspruchsverfahren von Amts wegen die Vollziehung des mit dem Einspruch angefochtenen Einkommensteuerbescheids 1976 aussetzen. Dadurch ist der Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO nicht nachträglich unzulässig geworden. Der Antragsteller darf nicht darauf verwiesen werden, daß er nunmehr eine Abänderung der Aussetzungsverfügung des FA gemäß §§ 130, 131 AO 1977 beantrage. Ob der Antragsteller die Abänderung des aussetzenden Verwaltungsakts beantragen oder den Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO weiterbetreiben will, obliegt allein seiner Entscheidung. Dem steht hier nicht entgegen, daß die Aussetzung der Vollziehung durch das FA gegen Sicherheitsleistung unter Mitwirkung des Antragstellers zustande gekommen ist, weil auf seine Veranlassung dem FA eine Bankbürgschaft geleistet wurde, die der vom FA auch für das Streitjahr verlangten Sicherheitsleistung entsprach. Ein solches Vorgehen kann sinnvoll sein, um das FA auf jeden Fall zu einer Aussetzung der Vollziehung zu veranlassen und von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen.
2. Der Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO ist auch nicht im Hinblick auf Art. 3 § 7 VGFG-EntlG unzulässig.
Nach dieser Vorschrift ist ein Antrag an das Gericht nach § 69 Abs. 3 FGO nur zulässig, wenn die Finanzbehörde einen Antrag nach § 69 Abs. 2 FGO ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Dies gilt aber nicht, wenn die Finanzbehörde zu erkennen gegeben hat, daß sie die Vollziehung nicht aussetzen werde (Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VGFG-EntlG). Entsprechendes muß dann gelten, wenn das FA zu erkennen gegeben hat, es werde nur zum Teil aussetzen, d. h. die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig machen. Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus der Wortfassung des Gesetzes, folgt aber aus dem Sinnzusammenhang des Satzes 2 Nr. 1 mit dem vorangehenden Satz des Art. 3 § 7 VGFG-EntlG. Ist ein Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO zulässig, wenn das FA einen Antrag nur zum Teil abgelehnt hat - nämlich hinsichtlich der Sicherheitsleistung -, so muß es für die Anwendung des Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VGFG-EntlG gleichfalls ausreichen, wenn das FA zu erkennen gegeben hat, es werde zwar aussetzen, aber dies nur gegen Sicherheitsleistung.
Das FA hatte seinen Willen, nur gegen Sicherheitsleistung auszusetzen, bereits erkennbar gemacht, bevor der Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO gestellt wurde (vgl. hierzu BFH-Beschluß vom 11. Oktober 1979 IV B 61/79, BFHE 129, 8, BStBl II 1980, 49). Dies geschah deutlich in dem Schreiben vom 16. Juni 1980. Der Antragsteller hat sich im Beschwerdeverfahren außerdem auf ein Schreiben des FA vom 30. April 1980 bezogen. In diesem Schriftsatz, der sich bereits mit der Aussetzung des noch bekanntzugebenden Einkommensteuerbescheids 1976 befaßte, hat das FA zur Frage der Sicherheitsleistung Stellung genommen und diese damit begründet, daß der Antragsteller im Ausland lebe, wo Vollstreckungsmaßnahmen nicht durchzuführen seien und kein inländisches Vermögen mehr vorhanden sei. Der Antragsteller hatte danach keine Aussicht, das FA im Verfahren über den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1976 von seinem Rechtsstandpunkt abzubringen, es werde nur gegen Sicherheitsleistung aussetzen. Er brauchte dies daher gar nicht erst zu versuchen.
3. Der angefochtene Beschluß des FG ist, da er auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht, nicht aufrechtzuerhalten. Die Sache wird an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Das FG hat bisher die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung nicht geprüft. Zwar ist der erkennende Senat im vorliegenden Verfahren Tatsacheninstanz. Eine Zurückverweisung an das FA ist gleichwohl zulässig (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 132 Rdnr. 2 mit Hinweisen auf die ständige Rechtsprechung des BFH). Sie erscheint dem Senat zweckmäßig.
Fundstellen
Haufe-Index 74047 |
BStBl II 1982, 135 |
BFHE 1981, 239 |