Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein ermäßigter Steuersatz für die Lieferung von Perücken
Leitsatz (NV)
1. Eine Perücke ist auch dann eine Perücke im Sinne der Position 6704 des Zolltarifs, wenn sie nicht als sog. Zweitfrisur getragen wird, sondern das verloren gegangene Haupthaar ersetzt. Sie ist auch in dem zuletzt genannten Falle keine Prothese (aus Unterposition 9021.30 des Zolltarifs) oder Körperersatzstück im Sinne der Nr. 52 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG, gleichgültig welcher Zweck mit der Perücke verfolgt wird.
2. Die Auslegung der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG richtet sich allein nach zolltariflichen Vorschriften und Begriffen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2; UStG 1999 § 12 Abs. 2 Nr. 1 Anl. Nr. 53; KN Pos. 6704; KN Pos. 9021 UPos. 9021.30
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG (Urteil vom 20.04.2005; Aktenzeichen 4 K 306/04) |
Tatbestand
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Lieferung von medizinischem Haarersatz dem Regelsteuersatz oder dem ermäßigten Steuersatz unterliegt.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) entwickelt und vertreibt maßangefertigten medizinischen Haarersatz. Sie ist zugelassene Lieferantin aller Krankenkassen. In ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2000 erklärte sie ihre Umsätze aus der Lieferung von medizinischem Haarersatz mit dem ermäßigten Steuersatz. Bei der Steuerfestsetzung unterwarf der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Umsätze dem Regelsteuersatz von 16 v.H.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) bestätigte die Auffassung des FA, bei dem medizinischen Haarersatz handele es sich um Perücken i.S. der Pos. 6704 des Zolltarifs (ZT) und nicht um Prothesen (aus Unterpos. 9021.30 ZT) oder Körperersatzstücke gemäß Nr. 52 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG). Es verwies darauf, dass nach den Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur dem Wortlaut der Positionen maßgebende Bedeutung für die Einordnung der Waren zukomme.
Das FG ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden Beschwerde, die sie auf sämtliche Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stützt.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
2. Die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO setzt eine Rechtsfrage voraus, die klärungsbedürftig ist und vom BFH geklärt werden kann.
3. Der Senat ist mit dem FG der Ansicht, dass eine Perücke auch dann eine Perücke i.S. der Pos. 6704 ZT ist, wenn sie nicht als sog. Zweitfrisur getragen wird, sondern das verloren gegangene Haupthaar ersetzt. Sie ist auch in dem zuletzt genannten Falle keine Prothese (aus Unterpos. 9021.30 ZT) oder Körperersatzstück i.S. der Nr. 52 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG, gleichgültig welcher Zweck mit der Perücke verfolgt wird. Der Senat hält dies nicht für klärungsbedürftig.
Im Übrigen könnte der Senat die Sache auch nicht unmittelbar selbst klären, wäre vielmehr bei Vorliegen vernünftiger Zweifel gemäß Art. 234 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) verpflichtet. Ob derartige vernünftige Zweifel bestehen, ist unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Gemeinschaft zu beurteilen (vgl. zur Auslegung des ZT EuGH-Urteil vom 15. September 2005 Rs. C-495/03). Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass in der Europäischen Gemeinschaft Perücken der streitigen Art unterschiedlich tarifiert werden, oder dass aus sonstigen Gründen eine Vorlage an den EuGH erforderlich erscheint.
4. Wie die Klägerin selbst einräumt, ist durch die Rechtsprechung auch geklärt, dass die Auslegung der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG sich allein nach zolltariflichen Vorschriften und Begriffen richtet (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 20. Februar 1990 VII R 172/84, BFHE 160, 342, BStBl II 1990, 760). Dies gilt demnach auch für den Begriff Prothese in Nr. 52 Buchst. c der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG. Wie der Verweis auf Unterpos. 9021 21, 9021 29 und 9021 30 ZT zeigt, sind darunter künstliche Zähne (Unterpos. 9021 21 ZT), andere Waren der Zahnprothetik (Unterpos. 9021 29 ZT) und andere Prothesen und andere Waren der Prothetik (Unterpos. 9021 30 ZT) zu verstehen. Auf die (umsatzsteuerrechtliche) Definition der Begriffe "Teile und Zubehör", die nach Nr. 52 Buchst. c der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG von der Steuerermäßigung ausgenommen sind, kommt es nicht an.
5. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Revision auch nicht wegen des behaupteten Verstoßes gegen Art. 3 des Grundgesetzes zuzulassen.
Durch die Rechtsprechung ist nämlich bereits geklärt, dass der Verweis auf den ZT in der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG und die dazu ergangene Rechtsprechung grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. Bundesverfassungsgericht --BVerfG-- vom 14. September 1995 1 BvR 1787/94, Neue Juristische Wochenschrift 1996, 1127, und speziell zu Nr. 52 der Anlage zu § 12 UStG Abs. 2 Nr. 1 Nichtannahmebeschluss vom 18. März 2005 1 BvR 1822/00, BFH/NV 2005, Beilage 3, 270). Verfassungsrechtlich ist auch nicht zu beanstanden, dass nicht alle Gegenstände, deren Kosten von der Sozialversicherung übernommen werden, ermäßigt besteuert werden (vgl. BVerfG in BFH/NV 2005, Beilage 3, 270). Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, warum gleichwohl verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Nichtbegünstigung der Perücken der Klägerin bestehen sollen.
6. Der von der Klägerin gerügte Verfahrensfehler liegt ebenfalls nicht vor. Es kann keine Rede davon sein, dass das FG rechtliche Regeln überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hat oder sprachlich falsch verstanden hat.
Fundstellen
BFH/NV 2006, 840 |
StuB 2006, 489 |