Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerfreie Unterrichtsleistungen privater Schulen
Leitsatz (NV)
1. Die Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde nach §4 Nr. 21 Buchstabe b UStG entbindet die Finanzbehörde zu prüfen, ob Unterrichtsleistungen des Unternehmers auf einen Beruf vorbereiten.
2. Bei summarischer Prüfung ist fraglich, ob die nach §4 Nr. 21 Buchst. b UStG steuerfreie Unterrichtsleistung des Unternehmers umsatzsteuerrechtlich gegenüber dem Aus- oder Fortzubildenden erbracht werden muß. Es könnte ausreichen, daß sie auf den Erfolg der Schul- oder Berufsausbildung gerichtet ist.
Normenkette
UStG 1991/1993 § 4 Nr. 21 Buchst. b; Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der 6. EG- Richtl
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) übernahm aufgrund eines Kaufvertrages vom ... 1992 mit Wirkung vom ... 1992 den Geschäftsbetrieb der ... GmbH (GmbH). Die GmbH verfügte über ein mit Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit ausgestattetes Ausbildungszentrum. Die Antragstellerin erfüllte auch übernommene Verpflichtungen der GmbH aus einem Kooperationsvertrag mit dem Bildungswerk X über die Durchführung einer nach dem Arbeitsförderungsgesetz für den Zeitraum von Februar 1992 bis Mai 1993 geförderten "kaufmännischen Anpassungsqualifizierung". Nach der Aufgabenverteilung in diesem Vertrag war die X verantwortlich u. a. (§2 Nr. 1 des Vertrages) für die Erstellung der Maßnahmekonzeption, die Vertragsgestaltung und den Abschluß mit den fördernden Stellen, für die Akquisition von Teilnehmern bis zum Vertragsabschluß, für den Einsatz und die Vergütung von Dozenten und das Ausstellen von Teilnahmebescheinigungen. Als Aufgaben der GmbH waren bezeichnet worden (§2 Nr. 2 des Vertrages): Einweisung der Lehrgangsteilnehmer (Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit Bedrohte) und Dozenten, Koordinierung der erforderlichen Räumlichkeiten, Vervielfältigung von Unterrichtsmaterialien für die Lehrgangsteilnehmer im Rahmen einer vereinbarten Verwaltungspauschale, Bereitstellung der Unterrichtsmittel (Ausstattungsgegenstände der Bundesanstalt für Arbeit, Verbrauchsmaterial im Rahmen der Verwaltungspauschale). Für die Ausbildung sollten geeignete Lehrkräfte des Ausbildungszentrums eingesetzt und die von ihnen zur Verfügung gestellten Skripten als Lehrmaterial verwendet werden (§§4, 5 des Vertrages). Der Unterricht sollte in den Räumen des Ausbildungszentrums erteilt werden. Die Aufwendungen dafür sollten durch die Mietkosten getragen werden. Nach Rechnungslegung erstattete der Träger (X) der GmbH bzw. der Antragstellerin folgende Kosten
-- Sach- und Verwaltungspauschale von ... DM je Unterrichtstag in den Gebäuden der GmbH
-- Mietkosten einschließlich Mietnebenkosten von ... DM je qm/Monat
-- Honorar je Unterrichtseinheit für Dozenten des Ausbildungszentrums von ... DM.
Ein entsprechender Kooperationsvertrag zwischen der X und der Antragstellerin wurde am 27. Oktober 1993 über die Durchführung von Fortbildungsmaßnahmen für Bürofachkräfte geschlossen. Durch Vereinbarung vom 2. September 1993 (und einer weiteren Vereinbarung vom 6. Oktober 1992) über Bildungsmaßnahmen im Grundausbildungslehrgang Elektrotechnik zwischen der X und der Antragstellerin übernahm die Antragstellerin die Durchführung des fachpraktischen und fachtheoretischen Teils der Maßnahme mit Hilfe ihrer fachlich dafür qualifizierten Mitarbeiter. Für die ihr entstehenden Personal- und Sachkosten konnte die Antragstellerin pro Monat bei 15 und mehr Teilnehmern ... DM beanspruchen.
Die zuständige Landesbehörde bescheinigte der Antragstellerin für die Streitjahre, daß die bezeichneten Ausbildungsmaßnahmen i. S. von §4 Nr. 21 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1991/1993 ordnungsgemäß auf einen Beruf vorbereiteten.
Die Antragstellerin unterwarf Einnahmen aufgrund der bezeichneten Leistungen von ... DM (für 1992), ... DM (für 1993) und ... DM (für 1994) nicht der Umsatzsteuer. Nach einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung änderte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) die Umsatzsteuerfestsetzungen für 1992 bis 1994, besteuerte die Leistungen der Antragstellerin für die bezeichneten Fort- und Ausbildungsmaßnahmen und setzte außerdem Zinsen nach §233 a der Abgabenordnung (AO 1977) für jedes Streitjahr fest. Das FA vertrat die Auffassung, die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach §4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1991/1993 seien nicht erfüllt, weil die Antragstellerin keine unmittelbar dem Bildungszweck dienenden Leistungen ausgeführt habe.
Mit dieser Begründung wies das FA auch den Einspruch der Antragstellerin gegen die Steueränderungsbescheide für 1992 bis 1994 und gegen die Festsetzung der Zinsen zurück. Die mit dem Einspruch beantragte Aussetzung der Vollziehung, die das FA bis dahin "intern"gewährt hatte, wurde aufgehoben. Dem Liquidator der Antragstellerin, der mündlich um weitere Aussetzung der Vollziehung gebeten hatte, wurde mitgeteilt, daß die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt worden sei. Darauf erhob die Antragstellerin gegen die Steueränderungsbescheide für 1992 bis 1994 und die Bescheide über die Festsetzung von Zinsen zur Umsatzsteuer 1992 bis 1994 Klage, über die noch nicht entschieden worden ist.
Sie beantragte bei dem Finanzgericht (FG) Aussetzung der Vollziehung dieser Verwaltungsakte. Zur Begründung führte sie u. a. aus, die Finanzbehörde sei an die Bescheinigung der Landesbehörde gebunden, nach der es sich bei den von ihr, der Antragstellerin, erbrachten Leistungen um solche i. S. von §4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1991/1993 handele. Sie müsse die Leistungen schon deswegen von der Umsatzsteuer befreien.
Das FG setzte die Vollziehung der Umsatzsteueränderungsbescheide für 1992 bis 1994 und der Bescheide über die Festsetzung von Zinsen zur Umsatzsteuer für 1992 bis 1994 (§233 a AO 1977) antragsgemäß nach §69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus, weil die Antragstellerin bei summarischer Prüfung überwiegend unmittelbar dem Bildungszweck dienende Leistungen erbracht habe.
Dem hält das FA in der (zugelassenen) Beschwerde entgegen, die Leistungen der Antragstellerin dienten dem Bildungszweck nur mittelbar. Darauf weise auch die Abrechnung der Antragstellerin hin, in der sie der X Personal-, Raum- und Verwaltungskosten berechnet habe.
Das FA beantragt sinngemäß, den Beschluß des FG vom 22. Mai 1997 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin vom 18. Februar 1997 zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Beschwerde (§128 Abs. 3 Satz 1, §129 FGO) ist unbegründet. Das FG hat die Vollziehung der angefochtenen Steueränderungs- und Zinsbescheide zu Recht ausgesetzt, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Verwaltungsakte bestehen (§69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO).
a) Aussetzung der Vollziehung soll gewährt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. §69 Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind gegeben, wenn bei summarischer Prüfung dieses Bescheids neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 12. November 1992 XI B 69/92, BFHE 170, 106, BStBl II 1993, 263, m. w. N.).
b) Nach §4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1991/1993 sind steuerfrei: die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, daß sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten.
Diese Regelung setzt Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388 EWG (Richtlinie 77/388/EWG) um. Danach befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen festsetzen, von der Steuer: " ... den Schul- und Hochschulunterricht, die Ausbildung, die Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung".
aa) Demzufolge sind die angefochtenen Steuerfestsetzungen nicht schon deswegen rechtswidrig, weil die in §4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1991/1993 bezeichnete zuständige Landesbehörde bescheinigt hat, daß die von der Antragstellerin erbrachten Leistungen auf einen Beruf vorbereiten. Die Bescheinigung kann eine Bindung nur im Rahmen ihres Inhalts entfalten. Sie entbindet die Finanzbehörde lediglich zu prüfen, ob die Leistungen des Unternehmers für einen Beruf vorbereiten (vgl. dazu BFH-Urteil vom 3. Mai 1989 V R 83/84, BFHE 157, 458, BStBl II 1989, 815, m. w. N.; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Dezember 1976 VII C 73/75, BStBl II 1977, 334). Dies gilt für den in der Bescheinigung angegebenen Zeitraum (BFH-Beschluß vom 6. Dezember 1994 V B 52/94, BStBl II 1995, 913). Über die übrigen Voraussetzungen, von denen die Steuerbefreiung abhängt, entscheiden die Finanzbehörden selbständig (vgl. dazu Abschn. 114 Abs. 1 der Umsatzsteuer-Richtlinien 1996).
bb) Bei der im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung lediglich summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzungen in den angefochtenen Steueränderungsbescheiden gegeben, soweit das FA die Steuerbefreiung mit der Begründung abgelehnt hat, die Leistungen der Antragstellerin, einer berufsbildenden Einrichtung, hätten nicht unmittelbar dem in §4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1991/1993 bezeichneten Schul- und Bildungszweck gedient.
Dabei kann dahinstehen, ob die Auslegung des Merkmals "unmittelbar" in der Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 17. März 1981 VIII R 149/76, BFHE 133, 557, BStBl II 1981, 746 für das Streitjahr 1971; vom 12. Dezember 1985 V R 15/80, BFHE 146, 181, BStBl II 1986, 499 für die Streitjahre 1968 bis 1970; vom 26. Oktober 1989 V R 25/84, BFHE 158, 488, BStBl II 1990, 98 für die Streitjahre 1970 bis 1975 jeweils vor Wirksamkeit der Richtlinie 77/388/EWG) unverändert fortgeführt werden kann oder ob sie bei richtlinienkonformer Auslegung der umzusetzenden Regelung in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i Richtlinie 77/388/EWG wegen des darin nur vorausgesetzten "engen Zusammenhangs" eingeschränkt werden müßte. Auch nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH bestehen ernstliche Zweifel an der Beurteilung durch das FA, daß die Leistungen der Antragstellerin nicht unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienen.
Das Merkmal beschreibt die Art und Weise, in der die Leistungen bei der Erfüllung des Schul- und Bildungszwecks der Einrichtung eingesetzt (BFH in BFHE 146, 181, BStBl II 1986, 499) werden müssen. Der Schul- und Bildungszweck soll gerade durch die in Frage stehende Leistung oder die mit ihr erbrachte unselbständige Nebenleistung gefördert oder erfüllt werden (BFH in BFHE 158, 488, BStBl II 1990, 98). Bei summarischer Prüfung ist fraglich, ob das Merkmal "unmittelbar dienend" verlangt, daß die Leistung des Unternehmers umsatzsteuerrechtlich gegenüber dem Schüler oder dem für einen Beruf Aus- oder Fortzubildenden erbracht wird. Es könnte ausreichen, daß sie auf den Erfolg der Schul- oder Berufsausbildung gerichtet ist. Der Charakter der Leistung ändert sich auch nicht, wenn sie der Unternehmer nur als Subunternehmer (BFH-Urteil vom 1. August 1996 V R 58/94, BFHE 181, 208, BStBl II 1997, 160 zu III. 2. a) oder zusammen mit anderen Unternehmern ausführt. Dem steht nicht entgegen, daß Leistungen mehrerer Unternehmer für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung grundsätzlich nicht "gebündelt" werden dürfen (vgl. BFH-Urteil vom 29. August 1991 V R 87/86, BFHE 166, 185, BStBl II 1992, 206 zu II. 2. c), wenn -- wie im Streitfall -- jeder Unternehmer (Kooperationspartner) unabhängig von dem anderen nach §4 Nr. 21 Buchstb. b UStG 1991/1993 bezeichnete Leistungen erbringt.
cc) Diese Unsicherheit bei der Beurteilung der streitigen Rechtsfrage betrifft sowohl die von der Antragstellerin ausgeführten Leistungen durch fachpraktische und fachtheoretische Unterweisung im Rahmen der Grundausbildung Elektrotechnik aufgrund der Verträge vom 6. Oktober 1992 und 2. September 1993 als auch die durch ihre Dozenten erbrachten Unterrichtsleistungen der Antragstellerin hinsichtlich der Berufsfortbildung "kaufmännische Anpassungsqualifizierung", "Bürofachkraft" und "Fachkraft für Bürokommunikation" und schließlich die übrigen von der Antragstellerin bewirkten Leistungen, die die Aus- und Fortbildungsleistungen vorbereiteten (z. B. Erstellen des Unterrichtskonzepts) und unterstützten (Bereitstellen der Unterrichtsräume und des Unterrichtsmaterials).
Fundstellen
BFH/NV 1998, 626 |
UR 1998, 429 |