Leitsatz (amtlich)
Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß in den Jahren 1973 und 1974 erzielte Einkünfte aus Kapitalvermögen mit dem Nennwert (Nominalwert) der Besteuerung unterliegen.
Normenkette
EStG 1972, 1974 § 20 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 3
Tatbestand
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) wurden für 1971 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt mit einem Einkommen, in dem Erträge aus tarifbesteuerten festverzinslichen Wertpapieren und Guthabenzinsen in Höhe von 33 434 DM enthalten waren. Entsprechend der sich für 1973 ergebenden Einkommensteuer setzte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (FA) die Einkommensteuervorauszahlungen zum 10. Dezember 1973 auf 7 730 DM und für die Zeit ab 10. März 1974 auf 3 094 DM fest. Die dagegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos. Die Klage, mit der die Antragsteller Freistellung der Erträge aus festverzinslichen Wertpapieren und Zinsen von der Einkommensteuer in Höhe der Geldentwertungsquote begehren, ist noch beim FG anhängig.
Nach einer ablehnenden Entscheidung des FA beantragten die Antragsteller beim FG die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuervorauszahlungsbescheids. Das FG lehnte diesen Antrag ab und führte dazu im wesentlichen aus:
An der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestünden keine ernstlichen Zweifel. Die Besteuerung von Kapitalerträgen mit dem Nennwert sei Rechtens. § 20 EStG gehe vom Nominalprinzip aus und lasse eine Kürzung um eine bestimmte Geldentwertungsrate nicht zu. Die Besteuerung von Kapitalerträgen nach Maßgabe des Nennwerts sei auch nicht verfassungswidrig. Hierdurch würden weder der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, noch das Sozialstaatsprinzip der Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG, noch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG verletzt. Dies müsse jedenfalls für die hier in Rede stehenden Jahre gelten, obwohl die Steigerung der Lebenshaltungskosten im Jahre 1973 gegenüber dem Vorjahr bereits rd. 7 v. H. betrage und für 1974 ein weiteres Ansteigen zu erwarten sei. Aus der Rechtsprechung des BAG und des BGH zur Berücksichtigung der Geldentwertung für bestimmte Fälle von Individualrechtsverhältnissen ließen sich Folgerungen für das Steuerschuldverhältnis nicht herleiten. Wenn auch Härten bei der Besteuerung von Erträgen langfristig angelegten Sparkapitals nicht zu verkennen seien, könne die Rechtsprechung der Geldentwertung auf dem Teilgebiet der Einkommensteuer solange nicht entgegenwirken, als nicht ein Rechtsnotstand durch Untätigkeit des Gesetzgebers bei rapidem Währungsverfall vorliege. Eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte sei nicht gerechtfertigt, da den Antragstellern in Anbetracht ihrer Einkommensverhältnisse die Zahlung der streitigen Einkommensteuer zugemutet werden könne.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde, mit der im wesentlichen geltend gemacht wird, daß die frühere Rechtsprechung des BFH und des BVerfG zur Frage einer Berücksichtigung der Geldentwertung bei der Einkommensteuer Zeiträume betreffe, in denen die Geldentwertung noch verhältnismäßig gering gewesen sei, ist nicht begründet.
Rechtlich zutreffend ist das FG zu dem Ergebnis gelangt, daß die Heranziehung der Antragsteller mit ihren Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 EStG zur Einkommensteuer für 1973 und 1974 keinen ernstlichen Zweifeln im Sinne des § 69 Abs. 3 FGO begegnet. Der erkennende Senat hat in seinen Urteilen vom 14. Mai 1974 VIII R 95/72 und VIII R 162/73 (BFHE 112, 546, 567, BStBl II 1974, 572, 582) zur Besteuerung von in den Jahren 1969 und 1971 erzielten Einkünften aus Kapitalvermögen und zur Verfassungsmäßigkeit dieser Besteuerung unter allen dafür in Betracht kommenden Gesichtspunkten Stellung genommen. In beiden Entscheidungen wurde die Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs. 1 EStG bejaht. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die Gründe der angeführten Urteile Bezug genommen.
Die Währungsverhältnisse der Jahre 1973 und 1974, um die es im vorliegenden Falle geht, weichen nicht so wesentlich von den in den genannten Entscheidungen angesprochenen Jahren 1969 und 1971 ab, als daß eine andere Beurteilung als in den Fällen VIII R 95/72 und VIII R 162/73 geboten wäre. Die Verhältnisse in den Jahren 1973 und 1974 zwingen auch noch nicht zu einer Entscheidung der Frage, ob Art. 14 GG verletzt wäre, wenn die jährliche Geldentwertungsrate, gemessen am Index der Lebenshaltungskosten, mindestens die Zinssätze für langfristige Sparguthaben übersteige (vgl. dazu die Ausführungen unter B II. Nr. 3 am Ende des Urteils VIII R 95/72). In den Jahren 1973 und 1974 betrug die Geldentwertung gegenüber dem jeweiligen Vorjahr 6,9 bzw. 7,0 v. H., während langfristige Sparguthaben gegen Ende dieser Jahre mit 8,10 bzw. 8,08 v. H. verzinst wurden (vgl. Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, März 1975, Statistischer Teil S. 46, 66). Auch wenn sich hiernach das Verhältnis von Geldentwertung und Verzinsung gegenüber den Vorjahren deutlich verschlechtert hat, kann die angesprochene Rechtsfrage im Hinblick darauf offenbleiben, daß der Gesetzgeber mit der Einführung eines Sparerfreibetrags in § 20 Abs. 4 EStG 1975 (BGBl I 1974, 2165 [2191], BStBl I 1974, 733 [759] durch Art. 1 Nr. 31 b des Einkommensteuerreformgesetzes vom 5. August 1974 (BGBl I 1974 S. 1769, BStBl I 1974, 530) eine Anpassung an die Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse vorgenommen hat.
Daß die Vollziehung des angefochtenen Bescheids eine unbillige Härte i. S. von § 69 Abs. 3, Abs. 2 FGO zur Folge hätte, ist weder dargetan noch aus sonstigen Umständen ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 71108 |
BStBl II 1975, 637 |
BFHE 1975, 510 |