Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe; Besorgnis der Befangenheit; Rügeverzicht
Leitsatz (NV)
1. Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen im PKH-Verfahren an die Erfolgsaussichten einer Sache keine überspannten Anforderungen gestellt werden.
2. Zur Frage des Rügeverzichts bei einer nur schriftlichen Vernehmung eines Zeugen.
3. Das eigene Verhalten der ablehnenden Partei als solches begründet keinen Grund, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Normenkette
FGO §§ 142, 74, 128 Abs. 2, § 124 Abs. 2; ZPO §§ 114, 149, 42
Tatbestand
1. Mit Urteil vom 18. September 2002 … hat das Finanzgericht (FG) die Klage des Antragstellers, Klägers und Beschwerdeführers (Antragsteller) und seiner Ehefrau wegen Einkommensteuer 1994 bis 1996 abgewiesen. Das FG vertrat dabei in einer ausführlich begründeten Entscheidung die Auffassung, die vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) nach Durchführung einer Außenprüfung vorgenommenen Schätzungen bezüglich verschiedener Tätigkeiten des Antragstellers u.a. als Krankenpfleger seien im Ergebnis nicht zu beanstanden. Dies gelte auch für verschiedene, vom Antragsteller geltend gemachte Aufwendungen (Arbeitszimmer, Verpflegungsmehraufwand, Arbeitskleidung, Telefonkosten, Steuer- und Wirtschaftsberatung, Krankenpflegeverbrauchsartikel etc.). Soweit verschiedene Ausgaben zusätzlich steuerlich anzuerkennen seien, habe dies jedoch keine steuerliche Auswirkung, da das FA die Einnahmen des Antragstellers zu niedrig angesetzt habe. Eine Verböserung sei dem FG nicht gestattet. Das FG lehnte es zugleich ab, das Klageverfahren auszusetzen oder zum Ruhen zu bringen.
Mit gesondertem Beschluss vom 8. Mai 2002 hatte das FG schon zuvor den Antrag des Antragstellers und seiner Ehefrau, die drei Berufsrichter des Spruchkörpers wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, als rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen.
Gegen das Urteil vom 18. September 2002 … legten der Antragsteller und seine Ehefrau, beide fachkundig vertreten, Nichtzulassungsbeschwerde ein. Der Antragsteller hat darüber hinaus den hier vorliegenden Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde bringen der Antragsteller und seine Ehefrau im Wesentlichen vor, die Revision sei wegen verschiedener Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zuzulassen. Die drei Berufsrichter hätten --da befangen-- an der Vorentscheidung nicht mitwirken dürfen, das Verfahren hätte ausgesetzt werden müssen bzw. es sei unterbrochen gewesen. Es liege ferner eine mangelnde Sachaufklärung durch das FG vor; Akten anderer Verfahren seien unvollständig und fehlerhaft beigezogen worden. Das FG habe ferner einen Zeugen nur schriftlich vernommen.
Entscheidungsgründe
2. Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen.
Nach § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Auch wenn an die Erfolgsaussichten der Sache im PKH-Verfahren keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. z.B. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 5. Februar 2003 1 BvR 1526/02, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2003, 1857, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2003, 720), ist auch in Ansehung des gebotenen Prüfungsmaßstabs nicht zu erkennen, dass die Nichtzulassungsbeschwerde des Antragstellers (und seiner Ehefrau) hinreichende Erfolgsaussichten haben könnte.
2.1. Der Antragsteller bringt vor, das FG habe den Antrag, das Verfahren gemäß § 155 FGO i.V.m. § 149 ZPO zu unterbrechen (richtig: auszusetzen), zu Unrecht abgelehnt. Eine vorrangige Inanspruchnahme seines Arbeitgebers (§ 42d des Einkommensteuergesetzes --EStG--) sei geboten, wenn sich aus dem anhängigen Strafverfahren ergebe, dass die Nichtanmeldung und Nichtabführung der Lohnsteuer eine Steuerhinterziehung gemäß § 370 der Abgabenordnung (AO 1977) darstellen sollte.
Der Senat kann offen lassen, ob die Vorschrift des § 149 ZPO --neben der im finanzgerichtlichen Verfahren geltenden speziellen Vorschrift des § 74 FGO-- überhaupt noch (sinngemäß) Anwendung finden kann (vgl. auch Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. Juni 1998 I B 39/98, BFH/NV 1998, 1506). Er geht auch der Frage nicht nach, ob die oben bezeichnete Rüge den gesetzlichen Anforderungen entspricht (vgl. BFH-Beschluss vom 7. August 2000 VII B 90/00, BFH/NV 2001, 189, zu den Darlegungsanforderungen in Bezug auf § 74 FGO). Die Rüge ist jedenfalls nicht schlüssig.
Nach den tatrichterlichen Feststellungen wurden verschiedene Entgelte an den Antragsteller (in der Annahme einer selbständigen Tätigkeit) ohne Abzug u.a. der Lohnsteuer entrichtet. Dieser Umstand berührt indessen die Höhe der streitigen Einkommensteuer nicht. Die Anrechnung von Lohnsteuer-Abzugsbeträgen gehört (wie sich auch aus der Systematik des EStG ergibt, vgl. VI. Abschn. ab §§ 36 ff. EStG) nicht zum Steuerfestsetzungs-, sondern zum Steuererhebungsverfahren (vgl. auch BFH-Urteil vom 19. Dezember 2000 VII R 69/99, BFHE 194, 162, BStBl II 2001, 353; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 23. Aufl., § 38 Rz. 1, m.w.N.). Der Sache nach ist die Lohnsteuer eine Vorauszahlungsschuld. Eine Vorgreiflichkeit bzw. ein Verstoß gegen § 74 FGO für das vorliegende Festsetzungsverfahren kann schon aus diesen Gründen nicht gegeben sein.
2.2. Aus den vorbezeichneten Gründen war das FG auch nicht gehalten, dem Antrag des Antragstellers auf Beiziehung der näher bezeichneten Ermittlungsakten gegen seinen Arbeitgeber stattzugeben, um --wie der Antragsteller meint-- "möglicherweise Hinweise auf ein etwaiges Fehlverhalten des Arbeitgebers" zu bekommen. Die Rüge des Antragstellers auf Gehörsverletzung in Bezug auf die vom FG kurz beigezogenen (und mangels Bedeutung offenbar wieder zurückgegebenen) Akten der Staatsanwaltschaft (betr. Anzeigen des Antragstellers gegen verschiedene Personen wegen Vorenthalten und Veruntreuen von Sozialabgaben) ist aus denselben Gründen nicht schlüssig.
2.3. Die Verfahrensrüge des Antragstellers dahin gehend, das FG habe gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen, weil der Zeuge X nur schriftlich vernommen worden sei, hat gleichfalls keinen Erfolg.
Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 18. September 2002 hat der Antragsteller diesen --verzichtbaren (ständige Rechtsprechung, vgl. hierzu Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Tz. 92 und 113, jeweils m.w.N.)-- Mangel vor dem FG nicht gerügt. Ein Beweisantrag dahin gehend, den betreffenden Zeugen nicht nur schriftlich, sondern persönlich in der mündlichen Verhandlung zu vernehmen, wurde nicht gestellt. Weshalb dies dem sachkundig vertretenen Antragsteller nicht bereits vor dem FG möglich gewesen sein soll, wurde weder dargelegt noch ist dies erkennbar (vgl. hierzu z.B. BFH-Beschlüsse vom 12. Mai 2003 V B 226/02, BFH/NV 2003, 1226; vom 24. Februar 2003 III B 117/02, BFH/NV 2003, 810).
2.4. Auch soweit der Antragsteller beanstandet, sein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden und die beiden Beisitzer sei zu Unrecht zurückgewiesen worden, kommt eine Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels nicht in Betracht.
Der Senat lässt offen, in welchem Umfang gesonderte Beschlüsse gegen die Ablehnung von Gerichtspersonen im Hinblick auf § 128 Abs. 2 FGO und § 124 Abs. 2 FGO mit der Nichtzulassungsbeschwerde noch angefochten werden können (siehe hierzu BFH-Beschlüsse vom 22. Oktober 2003 III B 14/03, BFH/NV 2004, 224, mit Anm. Dürr in HFR 2004, 142; vom 28. Mai 2003 III B 87/02, BFH/NV 2003, 1218; vom 13. Januar 2003 III B 51/02, HFR 2003, 480; vgl. auch BFH-Beschluss vom 24. April 2002 I B 134/01, BFH/NV 2002, 1310; Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 128 FGO Rz. 89 ff.).
Die vom Antragsteller insoweit erhobene Verfahrensrüge greift im Streitfall schon aus anderen Gründen nicht durch. Die bloße Tatsache, dass der Antragsteller gegen die drei Berufsrichter Strafanzeige (wegen Rechtsbeugung) erstattet hat, rechtfertigt nicht die Annahme, sie seien gegenüber ihm befangen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass das eigene Verhalten der ablehnenden Partei als solches keinen Ablehnungsgrund begründet. Insbesondere kann eine Partei durch Angriffe auf den Richter (wie z.B. Strafanzeigen) einen ihr unbequemen Richter nicht ausschalten (Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 24. Aufl., § 42 Rn. 29; Oberlandesgericht Koblenz, Beschluss vom 4. September 2002 9 WF 606/02, Monatsschrift für Deutsches Recht 2003, 524; vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 1. April 2003 VII S 7/03, BFH/NV 2003, 1331; vom 7. Dezember 1999 IV S 10/99, BFH/NV 2000, 594; vom 27. August 1998 VII B 8/98, BFH/NV 1999, 480). Weitere beachtenswerte Umstände, die die Besorgnis der Befangenheit der betreffenden Richter begründen könnten, hat der Antragsteller nicht vorgebracht. Dies gilt insbesondere für sein Vorbringen in Bezug auf die --vom FG im Übrigen zu Recht versagte-- Aussetzung des Verfahrens.
3. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Gerichtsgebühren für dieses Verfahren sind nicht entstanden.
Fundstellen