Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachliche Unbilligkeit von Nachforderungszinsen
Leitsatz (NV)
- Die Verzinsung nachträglich festgesetzter Umsatzsteuer ist nicht deshalb als sachlich unbillig anzusehen, weil sich bei einer Verrechnung mit von anderen Unternehmern abgezogenen Vorsteuerbeträgen eine sog. "Null-Situation" ergibt.
- Das UStG enthält keine gesetzliche Grundlage für die Annahme einer Unternehmereinheit.
Normenkette
AO 1977 § 233a; UStG 1980 § 2 Abs. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin zu 1 (Klägerin zu 1), eine GmbH und Co. KG, hatte bis zum 31. Dezember 1992 von der Klägerin und Beschwerdeführerin zu 2 (Klägerin zu 2), einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), deren Gesellschafter die Kommanditisten der Klägerin zu 1 waren, ein Parkhausgrundstück umsatzsteuerpflichtig und ein Kaufhausgrundstück umsatzsteuerfrei gemietet. Nachdem die Klägerin zu 2 die Grundstücke der Klägerin und Beschwerdeführerin zu 3 (Klägerin zu 3) ―ebenfalls eine GmbH und Co. KG mit den Kommanditisten, die auch der Klägerin zu 1 angehörten,― umsatzsteuerfrei übertragen hatte, wurden für die Vermietungen der Grundstücke von der Klägerin zu 3 an die Klägerin zu 1 ab 1993 Umsatzsteuer berechnet.
Nach einer Betriebsprüfung im Jahr 1996 änderte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) die Steuerbescheide gegen die Klägerin zu 1 für 1989 und 1990 und ließ Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Bauleistungen für den Umbau des gemieteten Kaufhauses nicht mehr zum Abzug zu, weil sie weder Leistungs- noch Rechnungsempfängerin gewesen sei.
Nunmehr verzichtete die Klägerin zu 2 in berichtigten Umsatzsteuererklärungen für 1989 bis 1992 auf die Steuerbefreiung für die Grundstücksvermietungen an die Klägerin zu 1 und machte ihrerseits den Vorsteuerabzug für die erwähnten Bauleistungen für den Umbau des Kaufhauses geltend. Außerdem verzichtete die Klägerin zu 2 in der Umsatzsteuererklärung für 1993 auf die Steuerbefreiung für die Lieferung der beiden Grundstücke an die Klägerin zu 3. Diese machte in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für November 1996 die ihr von der Klägerin zu 2 nachträglich berechnete Umsatzsteuer für die Grundstückslieferungen als Vorsteuer geltend. Ebenfalls in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für November 1996 machte die Klägerin zu 1 die ihr nachträglich von der Klägerin zu 2 berechnete Umsatzsteuer für die Grundstücksvermietungen 1989 bis 1992 als Vorsteuer geltend.
Soweit sich dadurch Umsatzsteuernachforderungen und Umsatzsteuererstattungen durch erstmals abgezogene Vorsteuern ergaben, wurden diese "innerhalb der Firmengruppe verrechnet und umgebucht", so dass es weder zu Nachzahlungen noch zu Anzahlungen von Umsatzsteuer kam.
Mit bestandskräftig gewordenen Bescheiden über die Verzinsung von Steuernachforderungen setzte das FA gegen die Klägerin zu 1 Steuernachforderungszinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO 1977) von 490 344 DM für 1989 und von 57 504 DM für 1990 fest. Es lehnte den Antrag der Klägerin zu 1 ab, auf die Zinsen nach § 163 AO 1977 zu verzichten, weil eine Verrechnung von Zinsvor- und Zinsnachteilen zwischen verschiedenen Unternehmern nicht zulässig sei. In der Begründung, mit der die Zurückweisung des Einspruchs der Klägerin zu 1 gerechtfertigt wurde, führte das FA u.a. aus, die Zinsnachteile, die dem Fiskus hinsichtlich eines Unternehmens entstünden, könnten auch bei identischen Beteiligungsverhältnissen nicht mit Zinsvorteilen eines anderen Unternehmens verrechnet werden.
Die dagegen von den Klägerinnen zu 1 bis 3 erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) gegen die Klägerinnen zu 2 und 3 als unzulässig und gegen die Klägerin zu 1 als unbegründet ab. Es führte dazu u.a. aus, den Klägerinnen zu 2 und 3 fehle die Klagebefugnis. Die Entscheidung des FA gegenüber der Klägerin zu 1, die Zinsen nach § 163 Satz 1 AO 1977 nicht niedriger festzusetzen, sei ermessensfehlerfrei, weil eine sachliche Unbilligkeit nicht vorliege. § 233a AO 1977 stelle auf den Vorteil des einzelnen Steuerpflichtigen ab, den er dadurch erlange, dass er eine Steuernachforderung erst später als nach Ablauf der in § 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977 bezeichneten Karenzzeit erfülle. Ein zur sachlichen Unbilligkeit führender Regelungsüberhang liege nicht darin, dass die Verhältnisse anderer Unternehmer nicht in die Betrachtung einbezogen würden. Hinzu komme, dass die Klägerin in den Jahren 1989 und 1990 unberechtigt Vorsteuern abgezogen habe und die Voraussetzungen für Steuerminderungen erst 1996 durch die in diesem Jahr erklärten Verzichte auf die Steuerbefreiungen für Umsätze durch Grundstückslieferungen und Grundstücksvermietungen sowie durch die Ausstellung entsprechender Abrechnungen geschaffen worden seien.
Mit der Beschwerde begehren die Klägerinnen zu 1 bis 3 die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerden haben keinen Erfolg.
1. Die Nichtzulassungsbeschwerden der Klägerinnen zu 2 und 3 sind unzulässig, denn der Beschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, weshalb die darin aufgeworfenen Rechtsfragen in einem von den Klägerinnen zu 2 und 3 erstrebten Revisionsverfahren klärbar wären. Die Beschwerdebegründung geht nicht darauf ein, weshalb die Klägerinnen zu 2 und 3 die begehrte Klärung erreichen könnten, obwohl ihre Klage mangels Klagebefugnis als unzulässig abgewiesen worden war.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin zu 1 ist jedenfalls unbegründet. Die Klägerin zu 1 hält sinngemäß eine Klärung für grundsätzlich bedeutsam, wie weit der Gedanke der sachlichen Billigkeit nach § 163 AO 1977 bei der Erhebung von Nachforderungszinsen gemäß § 233a AO 1977 eingreife und ob nicht von der Zinserhebung abgesehen werden müsse, wenn dem Liquiditätsvorteil in der Person des Steuerpflichtigen ein gleich hoher Liquiditätsnachteil in der Person eines anderen Steuerpflichtigen gegenüberstehe und es sich um dieselben Personen handele, die nur rein formal im Sinne des Umsatzsteuergesetzes als zwei selbständige Rechtssubjekte anzusehen seien, wenn tatsächlich keine Liquiditätsvorteile abzuschöpfen seien und für die Verwirklichung des gesetzgeberischen Zieles des § 233a AO 1977 kein Ansatzpunkt bestehe.
a) Für die von der Klägerin zu 1 aufgeworfenen Rechtsfragen besteht kein Klärungsbedarf, weil sich die Rechtsfragen aus dem Gesetz und der dazu vorhandenen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) beantworten.
Nach dem Wortlaut und dem Zweck des § 233a Abs. 1 Satz 1 AO 1977 stellt die Vorschrift auf die Festsetzung "der" Umsatzsteuer ab, die zu einem Unterschiedsbetrag im Sinne des Absatzes 3 führt. Maßgebend nach § 233a AO 1977 ist der Vorteil des Steuerpflichtigen und nicht der Vorteil des FA (BFH-Urteil vom 20. Januar 1997 V R 28/95, BFHE 183, 353, BStBl II 1997, 716).
b) Danach hat der BFH die Verzinsung nachträglich festgesetzter Umsatzsteuer auch nicht deshalb als sachlich unbillig angesehen, weil sich bei einer Verrechnung mit von anderen Unternehmern abgezogenen Vorsteuerbeträgen eine sog. "Null-Situation" ergibt (vgl. dazu BFH-Urteil vom 15. April 1999 V R 63/97, BFH/NV 1999, 1392).
Insbesondere kann sich der Zinsschuldner nicht mit Erfolg im Billigkeitsverfahren auf eine Null-Situation berufen, die dadurch entstanden ist, dass eine Umsatzsteuerfestsetzung geändert wurde, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug im Besteuerungszeitraum nicht vorhanden waren. Wenn dafür die Voraussetzungen nachträglich durch Erteilung von zutreffenden Rechnungen neu geschaffen werden und dadurch eine "Verrechnung" möglich ist, hat der Steuerpflichtige den von § 233a AO 1977 pauschal abgeschöpften Zinsvorteil dadurch erlangt, dass er durch einen ihm noch nicht zustehenden Vorsteuerabzug eine Steuerminderung veranlasst hat. Für eine "wirtschaftliche Betrachtungsweise" ist bei derartigen Gestaltungen ebenso wenig Raum wie sonst im Umsatzsteuerrecht.
Eine gesetzliche Grundlage für die Unternehmereinheit, auf die die Klägerin zu 1 abstellt, ist im Umsatzsteuerrecht ―wie der BFH bereits entschieden hat (BFH-Urteil vom 30. November 1978 V R 29/73, BFHE 127, 252, BStBl II 1979, 352)― nicht gegeben. Gesellschaften, die im eigenen Namen Umsätze ausführen, sind umsatzsteuerrechtlich selbständige Unternehmer (§ 2 Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes). Sie sind deshalb als ein Unternehmen anzusehen, weil ihnen dieselben Gesellschafter angehören.
Die Erhebung von Zinsen auf den Nachforderungsbetrag, der sich nach Änderung einer unzutreffenden Umsatzsteuerfestsetzung ergibt, entspricht den Wertungen des § 233a AO 1977 und ist nicht sachlich unbillig (vgl. dazu BFH-Urteil vom 12. April 2000 XI R 21/97, BFH/NV 2000, 1178).
3. Im Übrigen ergeht die Entscheidung ohne weitere Begründung gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs.
Fundstellen