Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbschaftsteuer bei Tod des Erblassers während des Brandes seines Hauses
Leitsatz (NV)
1. Stirbt der Erblasser während des Brandes seines Hauses, sind der Festsetzung der Erbschaftsteuer das Haus und die darin befindlichen Sachen mit den zum Zeitpunkt des Erbfalls anzusetzenden steuerlichen Werten und die bis dahin dem Grunde und der Höhe nach entstandenen Versicherungsansprüche zu Grunde zu legen.
2. Gemäß § 11 Abs. 1 VVG erst nach dem Eintritt des Erbfalls fällig werdende Versicherungsansprüche dürfen nicht unaufgegliedert zusammen mit dem übrigen Nachlass besteuert werden.
3. Die durch den Brand veranlasste Feststellung eines der Erbschaftsteuer nach früherem Recht zugrunde zu legenden niedrigeren Einheitswerts für das betroffene Grundstück war durch das zuständige Lagefinanzamt vorzunehmen.
Normenkette
ErbStG §§ 9-12; BewG § 9; VVG § 11 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und ihr Bruder sind je zur Hälfte Miterben ihrer im Januar 1993 zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt während eines Brandes ihres Wohnhauses verstorbenen Mutter (M). Der Klägerin standen als Vorausvermächtnis das mit diesem Haus bebaute Grundstück einschließlich der Einrichtungsgegenstände sowie der M gehörende Schmuck zu.
Die Gebäudeversicherung leistete für die Zerstörung des Hauses eine Zeitwertentschädigung von … DM. Die Neuwertentschädigung wurde mit Vergleich vom 15. September 1997 auf … DM festgelegt, da die vertraglichen Voraussetzungen (fristgerechter Wiederaufbau) für deren Zahlung in voller Höhe (… DM) nicht erfüllt waren. Von diesem Betrag waren … DM vorweg und … DM nach Fertigstellung des Gebäudes zu zahlen. Für die durch den Brand an Hausrat, Kunstwerken, Schmuck und Pelzen entstandenen Schäden erhielt die Klägerin Versicherungsleistungen von insgesamt … DM.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte in der Einspruchsentscheidung bei der Berechnung der Erbschaftsteuer gegenüber der Klägerin neben ihrem Anteil am Nachlass für ihren Erwerb als Vermächtnisnehmerin 140 v.H. des Einheitswerts von … DM, den das Lagefinanzamt auf den 1. Januar 1994 für das zu diesem Zeitpunkt als unbebaut bewertete Grundstück festgestellt hatte, einen Betrag von … DM für die unbeschädigt gebliebenen Schmuckstücke und Pelze sowie alle Versicherungsleistungen einschließlich der bei Erfüllung der vertraglichen Voraussetzungen zustehenden Neuwertentschädigung von … DM. Das FA setzte die Erbschaftsteuer demgemäß auf … DM fest.
Mit der Klage begehrte die Klägerin, bei der Ermittlung des der Steuer zugrunde liegenden Werts des Vermächtnisses die Versicherungsleistungen außer Ansatz zu lassen, das Grundstück mit 140 v.H. des zuletzt vor dem Brand festgestellten Einheitswerts, also mit … DM, zu berücksichtigen und gemeine Werte von … DM für den Hausrat, von … DM für Schmuck und Pelze und von … DM für die Kunstwerke anzusetzen.
Die Klage hatte nur insoweit Erfolg, als das Finanzgericht (FG) die Neuwertentschädigung lediglich mit dem im Vergleich vom 15. September 1997 vereinbarten Betrag von … DM ansetzte und nicht zum Vermächtnis, sondern zu dem bei der Klägerin nur zur Hälfte zu berücksichtigenden Nachlass rechnete. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das FG aus, die Ansprüche auf die Zeitwertentschädigung für die Zerstörung des Gebäudes und auf die Versicherungsleistungen für Hausrat, Schmuck, Pelze und Kunstwerke seien nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG) mit dem Eintritt des Versicherungsfalls und somit noch in der Person der M entstanden. Auf den Umfang der im Zeitpunkt des Erbfalls eingetretenen Schäden komme es daher nicht an. Das Vermächtnis habe sich zivilrechtlich auf diese Ansprüche erstreckt. Der Anspruch auf die Neuwertentschädigung sei mit Erfüllung der im Vergleich bestimmten Voraussetzungen mit dem darin vereinbarten Betrag rückwirkend auf den Zeitpunkt des Erbfalls entstanden und in den Nachlass gefallen, ohne dass sich die Rechte der Klägerin als Vermächtnisnehmerin darauf bezogen hätten. Die vom FA berücksichtigten Steuerberatungskosten für das Einspruchsverfahren gegen den Erbschaftsteuerbescheid seien nicht abziehbar.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, das Grundstück sei mit 140 v.H. des zuletzt vor dem Brand festgestellten Einheitswerts anzusetzen, da das Gebäude beim Eintritt des Erbfalls nur in geringem Umfang beschädigt gewesen sei. Allenfalls in diesem Umfang sei die Zeitwertentschädigung anzusetzen. Der Einheitswert müsse dann entsprechend gemindert werden. Der Anspruch auf die Neuwertentschädigung sei erst in der Person des Erwerbers entstanden, der das Grundstück im Jahr 1999 gekauft und das Haus neu aufgebaut habe, und daher nicht zu berücksichtigen. Hausrat, Schmuck, Pelze und Kunstwerke seien beim Eintritt des Erbfalls noch weitestgehend unbeschädigt gewesen und deshalb mit ihren gemeinen Werten in diesem Zeitpunkt anzusetzen. Die dafür gezahlten Versicherungsleistungen unterlägen nicht der Besteuerung. Die Erbschaftsteuer sei daher wie folgt zu berechnen:
Erwerb lt. FA zuzüglich Steuerberatungskosten |
DM |
DM … |
./. Versicherungsleistungen |
… |
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./. Bestand lt. FA |
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Einheitswert Grundstück (140 v.H.) |
… |
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Schmuck und Pelze unbeschädigt |
… |
./. … |
Erwerb ohne vom Brand betroffenes Vermögen |
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… |
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Vom Brand betroffenes Vermögen lt. Klägerin |
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Einheitswert Grundstück (140 v.H.) |
… |
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Schmuck und Pelze lt. "Betriebsprüfung" gemeiner Wert |
… |
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Kunstgegenstände lt. "Betriebsprüfung" gemeiner Wert |
… |
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Hausrat lt. "Betriebsprüfung" gemeiner Wert |
… |
… |
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… |
Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) |
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./. 90 000 |
steuerpflichtiger Erwerb |
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… |
Erbschaftsteuer |
16 v.H. |
… |
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€ |
… |
Die Klägerin beantragt, die Erbschaftsteuer unter Aufhebung der Vorentscheidung und Änderung des Bescheids vom 5. Dezember 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2001 auf … DM (… €) herabzusetzen.
Das FA hält die Vorentscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Herabsetzung der Erbschaftsteuer (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Entgegen der Ansicht des FG kommt es für die Besteuerung auf den Zustand des Gebäudes und der darin befindlichen Sachen bei Eintritt des Erbfalls an, unterliegen daher die Ansprüche auf Versicherungsleistungen nur insoweit der Steuer, als sie in diesem Zeitpunkt dem Grunde und der Höhe nach entstanden waren, durften diese Ansprüche im angefochtenen Bescheid nicht erfasst werden und war das FA nicht berechtigt, den für das Grundstück anzusetzenden, von dem zuletzt festgestellten Einheitswert abweichenden Wert selbst zu bestimmen.
1. Die Ansprüche der Klägerin auf die ihr durch Vermächtnis zugewendeten Sachen sind als Erwerb von Todes wegen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 und § 11 ErbStG nicht mit den gemeinen Werten der Ansprüche (§ 9 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes --BewG--), sondern mit den Steuerwerten dieser Sachen bei Eintritt des Erbfalls anzusetzen (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. März 2000 II R 15/98, BFHE 191, 403, BStBl II 2000, 588, und vom 2. Juli 2004 II R 9/02, BFHE 207, 42, BStBl II 2004, 1039). Die als Folge des Brandes später eingetretenen Schäden sind bei der Besteuerung nicht zu berücksichtigen.
a) Nach § 11 ErbStG ist für die Wertermittlung, soweit im ErbStG nichts anderes bestimmt ist, der Zeitpunkt der Entstehung der Steuer maßgebend. Die Vorschrift betrifft Bestand und Wert des Erwerbs und gilt auch bei Erwerben durch Vermächtnis (BFH-Urteil vom 25. Oktober 1995 II R 5/92, BFHE 179, 148, BStBl II 1996, 97). Von gesetzlich näher bestimmten Ausnahmen abgesehen entsteht die Erbschaftsteuer mit dem Tode des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).
Die Wertermittlung nach § 11 ErbStG stellt eine Momentaufnahme dar und nicht das Ergebnis einer dynamischen Betrachtung, mit der sich auch die weitere wertmäßige Entwicklung des Erwerbs nach dem Zeitpunkt der Steuerentstehung erfassen ließe. Das Stichtagsprinzip schließt zwar nicht grundsätzlich jeden Blick auf vorhergehende oder nachfolgende Ereignisse aus; insbesondere können später eingetretene Umstände zur Beurteilung der am Stichtag gegebenen Verhältnisse unterstützend im Sinne einer retrospektiven Betrachtung herangezogen werden; eine Rückprojizierung nachträglich eingetretener Ereignisse ist dagegen nicht erlaubt (BFH-Urteil vom 13. Mai 1998 II R 98/97, BFH/NV 1998, 1376, m.w.N.). Abgesehen von den Fällen einer retrospektiven Betrachtung sowie von ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen wie etwa § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a bis j ErbStG können nachträglich eingetretene Umstände danach bei der Festsetzung der Steuer nicht berücksichtigt werden (BFH-Urteil vom 18. Oktober 2000 II R 46/98, BFH/NV 2001, 420, und BFH-Beschluss vom 22. September 1999 II B 130/97, BFH/NV 2000, 320).
b) Den nach Eintritt des Erbfalls entstandenen Schäden an dem Gebäude und den übrigen versicherten Sachen kommt daher keine Bedeutung für die Steuerfestsetzung zu. Dass diese Sachen aufgrund des Brandes unmittelbar von der (weiteren) Beschädigung oder Zerstörung bedroht waren, spielt keine Rolle. Bei dieser Gefährdungslage handelt es sich um ungewöhnliche Verhältnisse, die nach § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG nicht zu berücksichtigen sind.
2. Mit dem Ansatz und der Bewertung der versicherten Sachen auf den Zeitpunkt des Todes der M korrespondierend unterliegen die Ansprüche auf die Versicherungsleistungen als Erwerb der Erben oder der Klägerin als Vermächtnisnehmerin nur insoweit der Erbschaftsteuer, als die Ansprüche zu diesem Zeitpunkt dem Grunde und der Höhe nach infolge der bereits eingetretenen Schäden begründet waren. Dem Grunde oder der Höhe nach erst danach entstandene Ansprüche unterliegen nicht der Besteuerung.
3. Die danach anzusetzenden Ansprüche auf Versicherungsleistungen durften nicht einheitlich zusammen mit dem Anteil der Klägerin am Nachlass sowie deren Erwerb als Vermächtnisnehmerin besteuert werden. Vielmehr hätten die Steuern insoweit gesondert festgesetzt werden müssen.
a) Die Steuer entsteht bei Erwerben von Todes wegen grundsätzlich mit dem Tode des Erblassers, jedoch für zu einem Erwerb gehörende aufschiebend bedingte, betagte oder befristete Ansprüche mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung oder des Ereignisses (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG). Auf betagte Ansprüche bezieht sich die Vorschrift nur unter der Voraussetzung, dass der Zeitpunkt des Eintritts des zur Fälligkeit führenden Ereignisses unbestimmt ist. Dies ist bei Ansprüchen auf Versicherungsleistungen der Fall, da diese zwar mit dem Versicherungsfall entstehen, aber nach § 11 Abs. 1 VVG erst fällig werden, wenn die zur Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Leistung des Versicherers nötigen Erhebungen beendet sind (BFH-Urteil vom 27. August 2003 II R 58/01, BFHE 203, 279, BStBl II 2003, 921). Verschiedene Steuerentstehungszeitpunkte führen zu selbständigen Erwerbsvorgängen, für die grundsätzlich jeweils gesondert Erbschaftsteuer unter Berücksichtigung des § 14 ErbStG festzusetzen ist (BFH-Urteil vom 18. Mai 1966 II 167/62, BFHE 86, 652, BStBl III 1966, 593; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, § 9 Tz. 5, 35).
Mehrere (getrennte) Steuerfälle erfordern entweder eine Festsetzung in gesonderten Steuerbescheiden oder --bei körperlicher Zusammenfassung in einem Schriftstück-- neben der genauen Angabe, welche Lebenssachverhalte (Besteuerungstatbestände, -zeiträume) besteuert werden sollen, für jeden Steuerfall eine gesonderte Festsetzung der Steuer. Hierauf kann im Einzelfall ausnahmsweise nur dann verzichtet werden, wenn trotz unaufgegliederter Zusammenfassung mehrerer Steuerfälle eindeutig feststeht, welche Steuerfälle von dem Bescheid erfasst werden, und auch aus anderweitigen rechtlichen Gründen keine Notwendigkeit zu einer Differenzierung besteht. Erforderlich ist eine Differenzierung insbesondere dann, wenn das rechtliche Schicksal der verschiedenen Steueransprüche nach Anspruchsgrund bzw. dessen Wegfall, hinsichtlich möglicher Befreiungstatbestände und des Eintritts der Verjährung einen unterschiedlichen Verlauf nehmen sowie der für den Einzelfall festgesetzten Steuer eine weitere rechtliche Bedeutung für künftige Steuerfälle zukommen kann (BFH-Urteil vom 22. September 2004 II R 50/03, BFH/NV 2005, 993, m.w.N.).
b) Der Erwerb von Todes wegen, für den die Steuer mit dem Tod der M entstanden ist, und die Versicherungsansprüche, die erst mit Eintritt der Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 VVG oder --bezüglich der Neuwertentschädigung-- der vereinbarten aufschiebenden Bedingungen oder aufgrund eines Verzichts des Versicherers darauf fällig geworden sind und für die demgemäß die Steuer erst entsprechend später entstanden ist, durften danach nicht zusammengefasst ohne Angabe der auf die einzelnen Steuerfälle entfallenden Steuer besteuert werden. Die Voraussetzungen, unter denen eine solche Zusammenfassung zulässig ist, sind nicht erfüllt. Das rechtliche Schicksal der verschiedenen Steueransprüche konnte wegen der schwierigen Sach- und Rechtslage sowie hinsichtlich der für die Neuwertentschädigung anzuwendenden, ab dem Jahr 1996 geltenden geänderten Vorschriften des ErbStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1997 vom 20. Dezember 1996 (BGBl I 1996, 1523) einen unterschiedlichen Verlauf nehmen. Lediglich die äußere Zusammenfassung gesonderter Steuerfestsetzungen in einem Schriftstück wäre zulässig gewesen.
c) Die unzulässige Zusammenfassung der verschiedenen Erwerbsvorgänge in einer einheitlichen Steuerfestsetzung führt nicht zur Nichtigkeit des angefochtenen Bescheids wegen inhaltlicher Unbestimmtheit (§ 125 Abs. 1 der Abgabenordnung --AO 1977--), sondern lediglich dazu, dass die festgesetzte Steuer um die nicht mit Eintritt des Erbfalls entstandenen Steuerbeträge für die Versicherungsansprüche zu vermindern ist.
4. Das FG hat zudem übersehen, dass das FA den für das Grundstück anzusetzenden Wert nicht eigenständig abweichend von dem zuletzt festgestellten Einheitswert bestimmen durfte.
a) Nach § 12 Abs. 2 ErbStG in der im Jahr 1993 geltenden Fassung (ErbStG a.F.) ist Grundbesitz (§ 19 BewG) mit dem Einheitswert anzusetzen, der nach dem Zweiten Teil des BewG (Besondere Bewertungsvorschriften) auf den Zeitpunkt festgestellt ist, der der Entstehung der Steuer vorangegangen ist oder mit ihr zusammenfällt. Wenn für eine wirtschaftliche Einheit der in § 12 Abs. 2 ErbStG a.F. bezeichneten Art oder einen Teil davon ein Einheitswert nicht festgestellt ist oder bis zur Entstehung der Steuer die Voraussetzungen für eine Wertfortschreibung erfüllt sind, ist der Wert im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer maßgebend (§ 12 Abs. 4 Satz 1 ErbStG a.F.). Dieser Wert ist nach § 12 Abs. 4 Satz 2 ErbStG a.F. für Zwecke der Erbschaftsteuer nach den Grundsätzen des Zweiten Teils des BewG und der dazu ergangenen Vorschriften zu ermitteln und gesondert festzustellen (§§ 179 bis 183 AO 1977). Bei dieser gesonderten Feststellung des Stichtagswerts (vgl. dazu Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., § 12 Rdnrn. 128 bis 131) handelt es sich um einen für die Erbschaftsteuerfestsetzung verbindlichen Grundlagenbescheid (§ 182 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 171 Abs. 10 Satz 1 AO 1977). Solange das für die Feststellung nach § 12 Abs. 4 Satz 2 ErbStG a.F. i.V.m. § 180 Abs. 1 Nr. 1 und § 18 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zuständige Lagefinanzamt keinen entsprechenden Feststellungsbescheid erlassen hat, bleibt der zuletzt vor dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer festgestellte Einheitswert nach § 12 Abs. 2 ErbStG a.F. als Grundlagenbescheid (§ 182 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) für die Festsetzung der Erbschaftsteuer maßgebend.
b) Das FG hätte daher auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung, dass das Grundstück mit einem vom zuletzt festgestellten Einheitswert abweichenden, niedrigeren Wert anzusetzen sei, das Verfahren nach § 74 FGO bis zum Ergehen eines bestandskräftigen Feststellungsbescheids des zuständigen Lagefinanzamts aussetzen müssen. Dass es dies nicht getan hat, ist ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens, der auch ohne Rüge von Amts wegen zu beachten ist (BFH-Urteile vom 17. Mai 1995 X R 64/92, BFHE 177, 478, BStBl II 1995, 640, unter II.; vom 1. April 2003 I R 70/01, BFH/NV 2003, 1282, unter B.I.; vom 17. Dezember 2003 I R 47/02, BFH/NV 2004, 771; vom 19. Dezember 2003 VI R 2/02, BFH/NV 2004, 774, unter 3., und vom 9. Februar 2005 X R 52/03, BFH/NV 2005, 1235).
5. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Steuer ist dem Antrag der Klägerin entsprechend festzusetzen. Die Ansprüche auf Versicherungsleistungen sind bei der angefochtenen Steuerfestsetzung nicht zu berücksichtigen. Die Höhe der der Besteuerung unterliegenden Ansprüche bedarf daher im vorliegenden Verfahren ebenso wenig einer Prüfung wie die Frage, inwieweit sie als Surrogat für die der Klägerin vermachten Sachen nicht der Besteuerung der Erben, sondern der Klägerin als Vermächtnisnehmerin unterfallen. Inwieweit es bei Eintritt des Erbfalls bereits zu einer Minderung des Werts der der Klägerin vermachten Sachen gekommen war, braucht ebenfalls nicht geprüft zu werden, da die Klägerin in ihrem Antrag die nach ihrer Ansicht vor Ausbruch des Brandes maßgebenden gemeinen Werte (§ 9 Abs. 1 BewG) angesetzt hat und die Steuer im gerichtlichen Verfahren nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht niedriger als von der Klägerin beantragt festgesetzt werden darf. Das FA macht selbst nicht geltend, dass die nach den Angaben der Klägerin von der "Betriebsprüfung" gebilligten Wertansätze zu niedrig seien. Die von der Klägerin nicht vorgenommene Abrundung des steuerpflichtigen Erwerbs auf volle 100 DM nach unten (§ 10 Abs. 1 Satz 4 ErbStG) muss nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO unberücksichtigt bleiben.
Im Ergebnis ist somit die Steuer dem Antrag der Klägerin entsprechend auf 579 555 € herabzusetzen.
6. Aus verfahrensökonomischen Gründen weist der Senat auf Folgendes hin:
Soweit die Ansprüche auf die Versicherungsleistungen als Erwerb der Erben oder nur der Klägerin als Vermächtnisnehmerin der Erbschaftsteuer unterliegen (oben 2.), kann das FA dafür nach Maßgabe der Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 AO 1977 Erbschaftsteuerbescheide erlassen. Lässt sich die Höhe der der Besteuerung unterliegenden Versicherungsansprüche trotz Ausschöpfung aller zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten (§ 88 AO 1977, § 76 Abs. 1 FGO) nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, geht die verbleibende Ungewissheit nach den Regeln über die Feststellungslast (objektive Beweislast) zu Lasten des FA, da es sich um steuerbegründende Tatsachen handelt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462; vom 17. Oktober 2001 I R 103/00, BFHE 197, 68, BStBl II 2004, 171, unter III. A. 2. d bb, und vom 21. März 2002 III R 42/00, BFHE 198, 526, BStBl II 2002, 417). Entsprechend dem Ausmaß an Beschädigungen und Zerstörungen, das der Besteuerung der Versicherungsansprüche zugrunde gelegt wird, ist die im Steuerbescheid vom 5. Dezember 1997 in Gestalt des vorliegenden Urteils festgesetzte Erbschaftsteuer auf Antrag der Klägerin nach Maßgabe des § 174 Abs. 1 AO 1977 weiter herabzusetzen. Die Rechtskraft des Urteils steht dem nach § 110 Abs. 2 FGO nicht entgegen. Den für das Grundstück anzusetzenden Wert hat das zuständige Lagefinanzamt gesondert festzustellen (oben 4.).
Fundstellen
Haufe-Index 1536021 |
BFH/NV 2006, 1480 |
DStRE 2006, 1012 |
NWB 2006, 2483 |
ZEV 2006, 373 |
ZEV 2007, 72 |
ErbStB 2006, 214 |
AuUR 2008, 249 |