Entscheidungsstichwort (Thema)
Veterinärmedizinische Untersuchungen nicht nach § 34 Abs. 4 EStG begünstigt; Bindung an Zusagen des FA
Leitsatz (NV)
1. Veterinärmedizinische Untersuchungen, die im Zusammenhang mit der amtlichen Lebensmittelüberwachung durchgeführt werden, gehören zu einer für einen Tierarzt typischen Berufstätigkeit. Die hieraus erzielten Einkünfte können nicht als ,,Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit" (§ 34 Abs. 4 EStG) angesehen werden.
2. Zu den Voraussetzungen für bindende Zusagen im Steuerrecht.
Normenkette
AO 1977 § 204 ff.; EStG 1977 § 34 Abs. 4
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Veterinärmediziner. In den Streitjahren (1978 bis 1980) war er als Professor für . . . an der Universität X nichtselbständig tätig. Außerdem übte er noch eine selbständige Tätigkeit aus.
Im Rahmen der selbständigen Tätigkeit führte er im Auftrag von privaten Unternehmungen sog. Gegenuntersuchungen (Gegenproben) durch. Ziel dieser veterinärmedizinischen Untersuchungen, die sich überwiegend auf Fleisch-, Wurst- und Dosenprodukte erstreckten, war die Überprüfung der von der amtlichen Lebensmittelüberwachung getroffenen Feststellungen. Die Untersuchungen wurden vom Kläger und seinen Mitarbeitern im Institut für . . . der Universität X durchgeführt; sie beliefen sich der Zahl nach auf jährlich etwa 100 bis 130. - Außerdem beriet der Kläger laufend zwei Lebensmittelunternehmen in betriebshygienischen, technologischen und lebensmittelrechtlichen Fragen. Die Beratung umfaßte die Untersuchung von Proben, die Überwachung und Kontrolle bei der Einhaltung der Lebensmittelvorschriften für Fleisch- und Wurstlagerung, die Untersuchung von Frischfleisch unter gewöhnlichen Lager- und Kühlbedingungen sowie die Berechnung der Haltbarkeit von verpackten leicht verderblichen Lebensmitteln. Für diese Tätigkeit erhielt der Kläger jeweils monatliche Pauschalhonorare von den Unternehmen; schriftliche Vereinbarungen hierüber liegen nicht vor.
An Einkünften aus den genannten selbständig ausgeübten Tätigkeiten erzielte der Kläger in den Streitjahren
1978 . . . DM,
1979 . . . DM und
1980 . . . DM.
Bei der erstmaligen Festsetzung der Einkommensteuer für die Streitjahre behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) diese Einkünfte als ,,Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit" i. S. des § 34 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1977; die Bescheide standen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -).
Nach einer Betriebsprüfung im Jahre 1982 erließ das FA für die Streitjahre Änderungsbescheide, in denen es die Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG 1977 versagte.
Die hiergegen erhobene Sprungklage hatte keinen Erfolg.
Mit ihrer Revision rügen die zusammenveranlagten Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragen sinngemäß, das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und bei der Einkommensteuerfestsetzung für 1978 . . . DM, für 1979 . . . DM und für 1980 . . . DM i. S. des § 34 Abs. 4 EStG als begünstigt zu behandeln. Außerdem sei festzustellen, daß das Verhalten des FA gegen Treu und Glauben verstoße.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, daß die Nebeneinkünfte des Klägers aus einer selbständigen Tätigkeit nicht nach § 34 Abs. 4 EStG begünstigt sind. Dem FG ist auch darin beizupflichten, daß das FA nicht nach Treu und Glauben verpflichtet war, die begehrte Begünstigung zu gewähren.
1. Nach § 34 Abs. 4 EStG 1977 ist ein tarifbegünstigter Steuersatz (§ 34 Abs. 1 EStG) unter gewissen Voraussetzungen anzuwenden auf ,,Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher . . . Tätigkeit". Hierzu gehören Einkünfte, die aus einer in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG namentlich genannten freien Berufstätigkeit bezogen werden, nicht. Denn die praktische Berufstätigkeit bei den im Katalog des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten freien Berufen kann nicht der wissenschaftlichen Tätigkeit i. S. des § 34 Abs. 4 EStG gleichgestellt werden, selbst wenn sie auf wissenschaftlicher Grundlage und Vorbildung beruht (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. Oktober 1981 IV R 202/79, BFHE 134, 291, BStBl II 1982, 118). Das gilt insbesondere auch für die praktische Berufstätigkeit der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten ,,Tierärzte".
Die Tätigkeit eines praktischen Tierarztes erstreckt sich nicht nur auf die Vorbeugung, Feststellung und Behandlung von Krankheiten bei Tieren. Er hat auch den Menschen vor Gefahren und Schädigungen durch Tierkrankheiten sowie durch Lebensmittel und Erzeugnisse tierischer Herkunft zu schützen und auf eine Steigerung der Güte von Lebensmitteln tierischer Herkunft hinzuwirken (vgl. § 1 Abs. 1 der Bundestierärzteordnung i. d. F. vom 20. November 1981, BGBl I 1981, 1193). Zu seinen beruflichen Aufgaben gehört deshalb auch die Untersuchung und Überwachung der Herstellungs-, Lagerungs-, Transport- und Verkaufshygiene von Fleisch sowie die Fleischbeschau.
Als eine für einen Tierarzt typische Berufstätigkeit ist die Tätigkeit des Klägers anzusehen, die auf die Durchführung von ,,Gegenuntersuchungen" - d. h. auf die Überprüfung der von der amtlichen Lebensmittelüberwachung getroffenen Feststellungen - gerichtet war und veterinärmedizinische Untersuchungen, insbesondere von Fleisch-, Wurst- und Dosenwaren, zum Gegenstand hatte. Ebenso stellt die vom Kläger durchgeführte laufende Beratung von Lebensmittelunternehmern in ,,betriebshygienischen, technologischen und lebensmittelrechtlichen Fragen" in ihrem wesentlichen Kern eine veterinärmedizinische Tätigkeit dar. Denn die Beratungen befaßten sich vor allem mit der - zum tierärztlichen Aufgabenbereich gehörenden - Untersuchung von Proben, der Überwachung und Kontrolle bei der Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften für die Fleisch- und Wurstlagerung sowie die Untersuchung von Frischfleisch.
Wenn auch die Ergebnisse der Untersuchungen von Gegenproben sowie die beratende Tätigkeit des Klägers dem jeweils neuesten Stand der Wissenschaft entsprachen, so kann diese Tätigkeit gleichwohl nicht als ,,wissenschaftlich" i. S. des § 34 Abs. 4 EStG angesehen werden. Ebenso wie die ständige, mit nachhaltigen Einkünften verbundene laufende Gutachtertätigkeit eines Arztes (BFH-Urteil vom 12. November 1981 IV R 187/79, BFHE 134, 557, BStBl II 1982, 253) oder eines gerichtlichen Sachverständigen (BFH-Urteil vom 7. Februar 1985 IV R 102/83, BFHE 143, 82, BStBl II 1985, 293) zur Katalogberufstätigkeit eines Arztes i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehört, ist auch eine auf wissenschaftlicher Grundlage beruhende untersuchende und beratende Tätigkeit eines Tierarztes nicht als ,,wissenschaftlich" i. S. des § 34 Abs. 4 EStG zu betrachten.
Die von den Klägern zur Stützung ihrer Rechtsauffassung angeführte Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 22. Februar 1968 IV R 196/67, BFHE 91, 530, BStBl II 1968, 406, und vom 13. November 1969 IV R 1/68, BFHE 97, 306, BStBl II 1970, 117), nach der die ,,gutachtliche Tätigkeit auf dem Gebiet der metallkundlichen und physikalischen Grundlagenforschung" sowie als ,,Berater auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung" als ,,wissenschaftlich" i. S. des § 34 Abs. 4 EStG anzusehen ist, betrifft andere Sachverhalte und kann schon deshalb auf den Streitfall keine Anwendung finden.
Bei dieser Sachlage hat das FG im Ergebnis zu Recht die Tätigkeit des Klägers als praktische Berufstätigkeit i. S. der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten freien Berufe angesehen. Daß das FG dabei die Tätigkeit des Klägers nicht dem Berufsbild eines Tierarztes, sondern anderen Berufsbildern (Handelschemiker und beratender Betriebswirt) zugeordnet hat, ändert an dem zutreffenden Ergebnis nichts.
2. Dem FG ist auch darin beizupflichten, daß das FG aufgrund seines früheren Verhaltens weder nach Treu und Glauben noch aus anderen Rechtsgründen verpflichtet gewesen ist, die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 4 EStG zu gewähren.
a) Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Finanzbehörde in der Zeit vor dem Inkrafttreten der AO 1977 - also vor dem 1. Januar 1977 (§ 415 Abs. 1 AO 1977) - dem Steuerpflichtigen in verbindlicher Weise Zusagen geben konnte, ist im Gesetz nicht geregelt. Der Senat hält insoweit die allgemeinen Grundsätze für anwendbar, die die Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil vom 4. August 1961 VI 269/60 S, BFHE 73, 813, BStBl II 1961, 562) für Zusagen im Steuerrecht entwickelt hat. Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Beurteilung solcher Zusagen ist hiernach der Grundsatz von Treu und Glauben.
Im einzelnen setzt eine nach Treu und Glauben bindende Zusage u. a. voraus, daß ein Steuerpflichtiger der Finanzbehörde einen bestimmten Sachverhalt unterbreitet hat mit dem Begehren, wegen der künftigen steuerrechtlichen Behandlung dieses Sachverhalts eine Zusicherung zu erhalten; die Finanzbehörde muß hierauf durch einen hierfür zuständigen Beamten eine entsprechende Zusage gegeben und der Steuerpflichtige im Vertrauen hierauf entsprechend disponiert haben (BFHE 73, 813, BStBl II 1961, 562). Dagegen reicht es für eine Bindung nach Treu und Glauben nicht aus, wenn die Finanzbehörde in früheren Veranlagungszeiträumen hinsichtlich des maßgebenden Sachverhalts eine bestimmte - dem Steuerpflichtigen günstige - Auffassung vertreten hat. Denn nach dem im Einkommensteuerrecht geltenden Grundsatz der abschnittsweisen Besteuerung ist für jeden Veranlagungsabschnitt erneut zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine bestimmte Entscheidung vorliegen. Die Finanzbehörde ist dabei grundsätzlich nicht gehindert, eine in früheren Veranlagungsabschnitten vertretene Rechtsauffassung bei einer späteren Veranlagung zu ändern.
Im Streitfall haben sich die Kläger darauf berufen, daß das FA die Anwendung des § 34 Abs. 4 EStG bei ihrer Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1967 zwar zunächst abgelehnt, dann aber nach Erhebung der Klage einen dem Klagebegehren abhelfenden Änderungsbescheid erlassen habe. Entgegen der Auffassung der Kläger kann in diesem Verhalten des FA nach den obigen Ausführungen keine Zusage gesehen werden, auch in zukünftigen Veranlagungszeiträumen die Vergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG gewähren zu wollen.
b) Für Zusagen, die in der Zeit nach dem Inkrafttreten der AO 1977 (also nach dem 31. Dezember 1976, § 415 Abs. 1 AO 1977) gegeben werden, gelten insbesondere die gesetzlichen Vorschriften der §§ 204 ff. AO 1977. Hiernach kann die Finanzbehörde im Anschluß an eine Außenprüfung dem Steuerpflichtigen auf Antrag verbindlich zusagen, wie ein für die Vergangenheit geprüfter und im Prüfungsbericht dargestellter Sachverhalt in Zukunft steuerrechtlich behandelt wird, wenn die Kenntnis der künftigen steuerrechtlichen Behandlung für die geschäftlichen Maßnahmen des Steuerpflichtigen von Bedeutung ist (§ 204 AO 1977).
Auch für eine derartige - im Anschluß an eine Außenprüfung gemachte - Zusage lagen die Voraussetzungen im Streitfall nicht vor. Das FA hat sich zwar - wie die Kläger zu Recht ausführen - in seinem Bericht vom 29. Dezember 1978 über die im Dezember 1978 beim Kläger durchgeführte Prüfung mit der freiberuflichen Tätigkeit des Klägers in den Jahren 1974 bis 1976 befaßt und dabei die Voraussetzungen für die Gewährung der Vergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG als gegeben angesehen. Die Kläger haben jedoch nicht dargetan, daß sie im Rahmen des Prüfungsverfahrens einen Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Zusage gestellt haben. Ein solcher Antrag ist im Gesetz vorgesehen, damit die Finanzbehörde überhaupt weiß, daß für zukünftige Veranlagungszeiträume eine verbindliche Zusage begehrt wird (vgl. hierzu Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 204 AO 1977 Tz. 3 f.). Abgesehen hiervon ist auch der Sachverhalt, an den eine verbindliche Entscheidung über die zukünftige steuerrechtliche Behandlung anknüpfen müßte, im Prüfungsbericht nicht dargestellt worden. Im Betriebsprüfungsbericht vom 28. Dezember 1978, auf den sich die Kläger zur Stützung ihrer Auffassung berufen, sind die Merkmale der - nach § 34 Abs. 4 EStG begünstigten - freiberuflichen Tätigkeit des Klägers wie folgt umschrieben worden:
,,a) Erprobung neuer Analysemethoden und damit neuer Beurteilungsmaßstäbe.
b) Vorträge und Vorlesungen.
c) Schriftstellerei.
d) Mitglied von Prüfungskommissionen."
Dagegen ist der Umstand, daß der Kläger zur Lebensmittelkontrolle sog. ,,Gegenproben" vornimmt und laufend Unternehmungen berät, in die Sachverhaltsdarstellung des Berichts nicht eingegangen. Im übrigen fehlt es schließlich auch an den gemäß § 205 AO 1977 vorgeschriebenen Mindestvoraussetzungen für Form und Inhalt einer Zusage.
Fundstellen