Leitsatz (amtlich)
Zur Bilanzierung von Wertpapieren, die für Betriebsschulden verpfändet worden sind.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1, § 5
Tatbestand
Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Anschlußrevisionsklägerin (Klägerin), eine KG, betreibt ihre Geschäfte auf Grundstücken und in Gebäuden, die im Alleineigentum ihres Komplementärs stehen. In den Jahren 1960/1961 fanden umfangreiche Umbauarbeiten statt. Der Komplementär nahm Bankkredite auf und verpfändete den Banken ihm gehörige Wertpapiere (Depotaktien). Die Verpfändungen wurden am 26. und 27. März 1963 aufgehoben. Der Beklagte, Revisionskläger und Anschlußrevisionsbeklagte (das FA) behandelte die bilanzmäßig nicht ausgewiesenen Grundstücke, Gebäude, Kredite und Wertpapiere nach einer Betriebsprüfung (Februar 1963) rückwirkend ab 1. September 1960 als notwendiges Betriebsvermögen der Klägerin. Die Wertpapiere wurden mit ihren Kurswerten wie folgt angesetzt: 1. September 1960 = 794 197 DM, 31. Dezember 1960 = 683 242 DM, 31. Dezember 1961 = 593 984 DM. Die Klägerin erhob gegen diese Handhabung keine Einwendungen und wies die Wertpapiere in der Bilanz zum 31. Dezember 1962 mit dem Kurswert von 411 362,50 DM aus. Die einheitlichen Gewinnfeststellungen bis einschließlich 1962 sind unanfechtbar geworden. Im Rahmen der Abschlußbuchungen 1963, die im Jahre 1964 erfolgten, buchte die Klägerin die Wertpapiere als auf den 29. März 1963 entnommen aus (Entnahmewert = 395 735,25 DM).
Nach einer weiteren Betriebsprüfung (Januar 1968) vertrat das FA die Auffassung, die Wertpapiere seien nicht sogleich nach Aufhebung der Verpfändung Privatvermögen geworden, sondern zunächst gewillkürtes Betriebsvermögen geblieben; es fehle an einer Entnahmehandlung auf den 29. März 1963; diese könne erst in den 1964 durchgeführten Abschlußbuchungen erblickt werden. Das FA berichtigte die Gewinnfeststellungsbescheide 1963 und 1964 - soweit hier von Interesse - gemäß § 222 der AO in der Weise, daß es den Gewinn 1963 um den Entnahmeverlust von 15 627,25 DM und um erst nach dem 29. März 1963 zugeflossene Wertpapiererträge von 14 962,50 DM erhöhte und den Gewinn 1964 einerseits um 102 336,50 DM erhöhte (Differenz zwischen dem Kurswert auf den angenommenen Entnahmetag 1. April 1964 = 513 699 DM zu dem letzten Buchwert von 411 362,50 DM) und andererseits um 20 000 DM ermäßigte (anteilige Gewerbesteuerrückstellung). Der Einspruch blieb erfolglos.
Die Klage hatte größtcnteils Erfolg. Das FG hat ausgeführt: Die Wertpapiere seien zu keinem Zeitpunkt Betriebsvermögen der Klägerin gewesen. Die Verpfändung habe sie nicht zum notwendigen Betriebsvermögen gemacht (Urteil des BFH vom 17. März 1966 IV 186/63, BFHE 86, 21, BStBl III 1966, 350). Aber auch gewillkürtes Betriebsvermögen sei zu verneinen, weil es jedenfalls an einer eindeutigen Einlagehandlung gefehlt habe (BFH-Urteil vom 2. Juli 1969 I R 143/66, BFHE 96, 302, BStBl III 1969, 617). Die Klägerin habe die Wertpapiere bis zu Beginn der Betriebsprüfung im Jahre 1963 nicht als Betriebsvermögen angesehen. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, daß sie die Wertpapiere im Anschluß an die Betriebsprüfung zum gewillkürten Betriebsvermögen gemacht habe. Die Kredithaftung sei schon vorher aufgehoben gewesen. Die Klägerin habe, der Betriebsprüfung folgend, angenommen, die Wertpapiere seien notwendiges Betriebsvermögen. Die Unanfechtbarkeit der Gewinnfeststellung 1962 stehe einer Richtigstellung der Bilanzen ab 1963 nicht entgegen; ein falscher Bilanzansatz sei zu beseitigen, sobald dies rechtlich möglich sei. Hieraus folge zu Lasten der Klägerin, daß sie für 1963 keinen Entnahmeverlust geltend machen könne, und zu ihren Gunsten, daß für 1963 keine Wertpapiererträge und für 1964 kein Entnahmegewinn (abzüglich Gewerbesteuerrückstellung) anzusetzen seien.
Das FA hat Revision, die Klägerin Anschlußrevision eingelegt.
Das FA macht geltend: Die Wertpapiere seien Betriebsvermögen gewesen, weil den bestandskräftigen Gewinnfeststellungen 1960 bis 1962 noch die Auffassung des BFH-Urteils vom 4. Februar 1960 IV 247/58 U (BFHE 70, 370, BStBl III 1960, 139) zugrunde gelegen habe, nach der langfristig für Betriebskredite verpfändete Wertpapiere notwendiges Betriebsvermögen seien. Die nachträgliche Änderung der BFH-Rechtsprechung berühre die Richtigkeit jener Feststellungen nicht. Eine Einlagehandlung sei sonach nicht erforderlich gewesen. Von Bedeutung sei lediglich, wann entnommen worden sei. Die Entnahmehandlung könne nicht vor dem 1. April 1964 angesetzt werden. Wenn das FG die Wertpapiere schon ab 1. Januar 1963 aus der Bilanz ausgeschieden habe, habe es überdies die in Abschn. 15 Abs. 1 EStR dargestellten Rechtsprechungsgrundsätze verletzt. Eine Richtigstellung habe frühestens in der Schlußbilanz zum 31. Dezember 1963 vorgenommen werden können, wobei die Wertpapierkurse zum 31. Dezember 1963 maßgebend gewesen wären.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
1. die Revision zurückzuweisen,
2. mit der Anschlußrevision: die Vorentscheidung aufzuheben, den Gewinn für 1963 auf 80 415,83 DM und für 1964 auf 158 774,97 DM festzustellen.
Sie trägt vor: Es könne keinem Zweifel unterliegen, daß infolge der bei der Betriebsprüfung 1963 getroffenen Absprachen und der hieran anschließenden Bilanzierungsweise die Wertpapiere zum 1. September 1960 Betriebsvermögen geworden seien. Die Betriebsprüfung eröffne für den Prüfungszeitraum rückwirkende Bilanzierungsmöglichkeiten. Zumindest müsse sie, die Klägerin, nach Treu und Glauben so gestellt werden, als ob die Wertpapiere am 1. Januar 1963 zum Betriebsvermögen gehört hätten. Das FG habe die Vereinbarungen anläßlich der Betriebsprüfung nicht einfach beiseite schieben dürfen. Sie halte daran fest, daß die Wertpapiere bereits am 29. März 1963 entnommen worden seien.
Entscheidungsgründe
I. Die Anschlußrevision ist - soweit sie das Streitjahr 1964 betrifft - unzulässig. Die von der Klägerin begehrte Gewinnfeststellung ist bereits in gleicher Höhe vom FG getroffen worden. Es fehlt sonach an einer Beschwer. Die Auffassungen des FG und der Klägerin führen für dieses Jahr auch nicht zu einer unterschiedlichen Bilanzierung der Wertpapiere. Nach beiden Auffassungen gehörten die Wertpapiere schon zu Beginn des Feststellungszeitraums 1964 nicht mehr zum Betriebsvermögen.
II. Die Revision und die Anschlußrevision - soweit sie das Streitjahr 1963 betreffen - sind zulässig, aber unbegründet.
1. Dem FG ist darin zuzustimmen, daß die Wertpapiere zu keiner Zeit Betriebsvermögen waren. In diesem Zusammenhang ist es allerdings unrichtig, von einem Betriebsvermögen der Klägerin (KG) zu sprechen. Die im Alleineigentum des Komplementärs stehenden, gesellschaftsrechtlich nicht eingelegten Wertpapiere können allenfalls Sonderbetriebsvermögen des Komplementärs geworden sein (BFH-Urteil vom 5. Juli 1972 I R 230/70, BFHE 107, 108, BStBl II 1972, 928). Dabei ist es gleichgültig, daß der erste Betriebsprüfer und ihm folgend die Klägerin die Wertpapiere in den Bilanzen der Klägerin erfaßt haben. Die Bilanzen sind, sofern es bei der Prüfung der Frage, ob gewillkürtes Betriebsvermögen vorliegt, auf diesen Ausweis ankommen sollte, gedanklich aufzugliedern in die Handelsbilanzen der Klägerin, die das Gesamthandsvermögen erfassen, und in die Sonderbilanzen, die das der Klägerin zur Nutzung überlassene Vermögen des Komplementärs erfassen (BFH-Urteil vom 10. Januar 1973 I R 114/71, BFHE 108, 109, BStBl II 1973, 238).
a) Die Wertpapiere waren nicht notwendiges Sonderbetriebsvermögen. Der BFH hat in dem Urteil IV 186/63 - unter Aufgabe der in dem Urteil IV 247/58 U geäußerten Auffassung - ausgesprochen, daß die Verpfändung von Wertpapieren für Betriebskredite allein im allgemeinen nicht dazu führe, die Wertpapiere als Betriebsvermögen zu behandeln. Der IV. Senat des BFH hat diese Ansicht in dem nicht veröffentlichten Urteil vom 13. Januar 1972 IV R 236/66 erneut bekräftigt. Der erkennende Senat schließt sich ihr an. Wertpapiere der hier vorliegenden Art (Depotaktien) werden in erster Linie erworben, um Erträge (Dividenden) und wenn möglich Kursgewinne zu erzielen. Sie eignen sich zwar auch zu Sicherungszwecken. Werden sie als betriebliche Sicherheit verwandt, stehen die erstgenannten privatbestimmten Zwecke jedoch nach wie vor im Vordergrund.
b) Wertpapiere, die für Betriebskredite verpfändet werden, stehen allerdings in einem Förderungszusammenhang mit dem Betrieb und können grundsätzlich als gewillkürtes Betriebsvermögen behandelt werden. Der Senat braucht im vorliegenden Fall nicht die Frage zu vertiefen, ob im Bereich des Sonderbetriebsvermögens überhaupt gewillkürtes Betriebsvermögen gebildet werden kann (bejahend BFH-Urteile vom 3. Dezember 1964 IV 419/62 U, BFHE 81, 254, BStBl III 1965, 92; IV 186/63; vom 28. März 1966 VI 43/65, BFHE 86, 80, BStBl III 1966, 352; verneinend Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 4 EStG, Anm. 10 e). Jedenfalls fehlt es an der weiteren Voraussetzung für die Annahme gewillkürten Betriebsvermögens: der eindeutigen Einlagehandlung (u. a. BFH-Urteil vom 27. März 1968 I 154/65, BFHE 92, 217, BStBl II 1968, 522). Die Klägerin und der Komplementär haben die Wertpapiere bis zur Betriebsprüfung im Februar 1963 als Privatvermögen des Komplementärs angesehen. Sie sind dann zwar - im Hinblick auf das BFH-Urteil IV 247/58 U und weil es ihnen wohl auch wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Kursverfalls günstig erschien - der Auffassung des Betriebsprüfers gefolgt, die Wertpapiere seien ab 1. September 1960 notwendiges Betriebsvermögen. Hierin liegt indes keine Einlagehandlung. Notwendiges Betriebsvermögen entsteht auch ohne Einlagehandlung. Der Betriebsprüfer wollte durch die Aktivierung lediglich die notwendige Betriebsbezogenheit der Wertpapiere ab 1. September 1960 darstellen. Es kann nicht unterstellt werden, die diese Auffassung billigende Klägerin und der Komplementär hätten für den Fall, daß kein notwendiges Betriebsvermögen vorlag, durch eine Einlagehandlung gewillkürtes Betriebsvermögen bilden wollen (BFH-Urteil I R 143/66). Der vorliegende Fall unterscheidet sich zwar von dem Sachverhalt des BFH-Urteils I R 143/66 darin, daß der Klägerin und dem Komplementär wegen der Kursentwicklung das Verhalten des Betriebsprüfers möglicherweise gelegen kam. Es bleibt sich aber gleich, ob der Betriebsprüfer mit für zwingend gehaltenen Gründen eine Auffassung vertritt, die unangenehme oder angenehme Folgen hat. Die bloße Hinnahme einer Auffassung kann niemals hilfsweise als eine steuergestaltende Maßnahme zur Vermeidung oder Bekräftigung der unerwünschten oder erwünschten Folgen angesehen werden.
Hiervon abgesehen wirkt eine Einlage erst für den Zeitpunkt, in dem sie vorgenommen wird. Einlagen mit Rückwirkung gibt es nicht. Wollte man die Billigung des Betriebsprüfungsberichts vom 23. August 1963 und die Bilanzaufstellung für 1962 als Einlagehandlungen werten, hätten diese zeitlich nach der Pfändungsfreigabe vom 26. und 27. März 1963 gelegen. Eine Einlage erst nach diesem Zeitpunkt würde schon daran scheitern, daß es nach der Aufhebung der Verpfändung an einem Förderungszusammenhang zwischen den Wertpapieren und dem Betrieb der Klägerin fehlte.
c) Unerheblich ist, daß den unanfechtbaren Gewinnfeststellungen 1960 bis 1962 noch die im BFH-Urteil IV 247/58 U geäußerte Auffassung zugrunde lag und, von dieser Auffassung ausgehend, allerdings die Wertpapiere zu Recht als Betriebsvermögen behandelt wurden. Die Unanfechtbarkeit bewirkt lediglich, daß die in den Gewinnfeststellungsbescheiden 1960 bis 1962 festgesetzten Gewinne einschließlich der Bilanzen für alle Beteiligten verbindlich wurden. Sie macht nicht die zugrunde liegenden Rechtsauffassungen verbindlich, gleichviel ob diese schon z. Zt. der Veranlagung erkennbar unrichtig waren oder sich erst späterhin als unrichtig erwiesen haben. Nach gegenwärtiger Rechtserkenntnis hätten die Wertpapiere in den Bilanzen nicht aktiviert werden dürfen und hätten der Klägerin die hohen Teilwertabschreibungen versagt werden müssen. Die Verbindlichkeit des Bilanzansatzes ändert nichts daran, daß die Wertpapiere schon 1960 bis 1962 Privatvermögen waren.
d) Die Klägerin kann nicht nach Treu und Glauben so behandelt werden, als ob die Wertpapiere am 1. Januar 1963 Betriebsvermögen gewesen wären und durch die Aufhebung der seinerzeit vom FA für rechtserheblich angesehenen Verpfändung in das Privatvermögen zurückgefallen seien. Es kann auf sich beruhen, ob Abmachungen, die anläßlich von Betriebsprüfungen zwischen Steuerpflichtigen und FÄ getroffen werden, unter bestimmten Voraussetzungen rechtsbegründend wirken können. Entgegen der Ansicht der Klägerin sind keine derartigen Abmachungen getroffen worden. Das FA hat vielmehr als Hoheitsträger seine Auffassung vorgetragen und durchgesetzt. Diese Auffassung war zwar aus heutiger Sicht unrichtig, aber im Hinblick auf das BFH- Urteil IV 247/58 U damals vertretbar. Von seiten des FA bestand kein Anlaß für eine Absprache.
2. Die unrichtigen Bilanzansätze sind - wie das FG im Ergebnis zu Recht angenommen hat - im Rahmen der Gewinnfeststellung 1963 gewinneutral zu beseitigen, unbeschadet dessen, daß sie den unanfechtbaren Feststellungen 1960 bis 1962 zugrunde lagen und sich dort bereits ausgewirkt haben. Der erkennende Senat hat in dem Urteil vom 21. Juni 1972 I R 189/69 (BFHE 106, 422, BStBl II 1972, 874) hierzu Grundsätze aufgestellt. Danach ist wie folgt zu verfahren: Zwar kann nicht die Anfangsbilanz 1963 berichtigt werden, die mit der Schlußbilanz 1962 übereinstimmen muß. Zu berichtigen ist indes die Schlußbilanz 1963 oder - wenn man sich auf den Standpunkt der Klägerin stellt - der Wertpapieransatz vor Durchführung der behaupteten Entnahme am 29. März 1963, und zwar jeweils zum Buchwert; Aufwendungen auf die Wertpapiere und Erträge aus den Wertpapieren dürfen, soweit sie vom Jahresanfang 1963 bis zum Ausbuchungszeitpunkt angefallen sind, den Gewinn 1963 nicht beeinflussen.
Fundstellen
Haufe-Index 70490 |
BStBl II 1973, 628 |
BFHE 1973, 337 |