Entscheidungsstichwort (Thema)
Zerlegung der Gewerbesteuer des Betreibers von Windkraftanlagen
Leitsatz (amtlich)
1. Macht eine Gemeinde, auf deren Gebiet ein andernorts ansässiger Betreiber eine Windkraftanlage unterhält, ohne dort Arbeitnehmer zu beschäftigen, im Verfahren der Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrags des Betreibers geltend, eine Zerlegung nach dem allgemeinen Maßstab des § 29 GewStG führe wegen mit Errichtung und Betrieb der Anlage regelmäßig verbundener Schwertransporte und dadurch ausgelöster Schäden am gemeindlichen Straßen- und Wegenetz zu einem offenbar unbilligen Ergebnis i.S. von § 33 Abs. 1 GewStG, obliegt ihr eine konkrete Darlegung des Umfangs und der Intensität der Schwertransporte und der daraus im Erhebungszeitraum resultierenden Schäden.
2. Negative Auswirkungen der Windkraftanlage auf das Orts- und Landschaftsbild, auf den Wert von Wohngrundstücken und auf den Tourismus in der Standortgemeinde begründen keinen von § 29 GewStG abweichenden Zerlegungsmaßstab.
Normenkette
GewStG § 2 Abs. 2 S. 2, § 28 Abs. 1 S. 1, § 29 Abs. 1, § 33 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Streitpunkt ist die Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrages eines Organträgers, dessen Organgesellschaften in verschiedenen Gemeinden Windkraftanlagen betreiben.
Die Beigeladene zu 1., eine GmbH, hat ihren Sitz in X-Stadt --der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin)--. Sie war in den Streitjahren 1992 bis 1995 gewerbesteuerlicher Organträger mehrerer Betreibergesellschaften von Windkraftanlagen, deren Betrieb und Verwaltung sie von ihrem Sitz aus organisierte. Die Windkraftanlagen befanden sich jeweils auf dem Gebiet einer der drei beigeladenen Gemeinden des norddeutschen Küstenbereichs, wo aber keine Arbeitnehmer der Beigeladenen zu 1. oder deren Organgesellschaften tätig waren. Wartungs- und Reparaturarbeiten wurden von Drittunternehmen ausgeführt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) zerlegte die für die Streitjahre festgesetzten einheitlichen Gewerbesteuermessbeträge der Beigeladenen zu 1. in der Weise, dass jeweils die Hälfte auf die Klägerin und die andere Hälfte auf die Beigeladenen zu 2. bis 4. entfielen. Die Abweichung vom allgemeinen Zerlegungsmaßstab des § 29 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) begründete das FA unter Berufung auf § 33 GewStG damit, bei den Beigeladenen zu 2. bis 4. fielen wegen der intensiven Nutzung von Straßen und Wegen in Zusammenhang mit der Wartung der Windkraftanlagen besondere Lasten an.
Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) hat die Gewerbesteuermessbeträge durch sein in Steuern in der Elektrizitätswirtschaft 2006, 147 abgedrucktes Urteil vom 16. Februar 2006 6 K 457/04 jeweils in voller Höhe der Klägerin zugewiesen.
Gegen das Urteil richtet sich die Revision des FA, mit der es die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Das FA beantragt (sinngemäß), das angefochtene Urteil aufzuheben und die Gewerbesteuermessbeträge zur einen Hälfte der Klägerin und zur anderen Hälfte den Beigeladenen zu 2. bis 4. entsprechend den Stromeinnahmen der jeweils auf deren Gebiet belegenen Betriebsstätten zuzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unbegründet zurückzuweisen. Das FG hat die Gewerbesteuermessbeträge der Beigeladenen zu 1. zu Recht ausschließlich der Klägerin zugewiesen.
1. Sind im Erhebungszeitraum Betriebsstätten zur Ausübung des Gewerbes in mehreren Gemeinden unterhalten worden, so ist der Steuermessbetrag gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 GewStG in die auf die einzelnen Gemeinden entfallenden Anteile (Zerlegungsanteile) zu zerlegen. Zerlegungsmaßstab ist gemäß § 29 Abs. 1 GewStG das Verhältnis, in dem die Summe der Arbeitslöhne, die an die bei allen Betriebsstätten beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden sind, zu den Arbeitslöhnen steht, die an die bei den Betriebsstätten der einzelnen Gemeinden beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden sind. Dabei sind gemäß § 29 Abs. 2 GewStG die Arbeitslöhne anzusetzen, die in den Betriebsstätten der beteiligten Gemeinden während des betreffenden Erhebungszeitraums erzielt oder gezahlt worden sind.
2. Danach steht der Klägerin der gesamte Steuermessbetrag zu, weil sich auf deren Gebiet mit der Geschäftsleitung eine Betriebsstätte (§ 12 Satz 2 Nr. 1 der Abgabenordnung) der Beigeladenen zu 1. befunden hat, in der Arbeitslöhne gezahlt worden sind. Zwar sind wegen der nach den tatrichterlichen Feststellungen bestehenden gewerbesteuerlichen Organschaft gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG (in der für die Streitjahre geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 21. März 1991, BGBl I 1991, 814) auch die auf dem Gebiet der Beigeladenen zu 2. bis 4. tätigen Organgesellschaften als Betriebsstätten im gewerbesteuerlichen Sinne anzusehen. Nach den nicht angegriffenen und den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG waren in diesen Betriebsstätten jedoch keine Arbeitnehmer beschäftigt und wurden dort folglich auch keine Arbeitslöhne gezahlt, so dass auf die betreffenden Gemeinden ein Zerlegungsanteil von jeweils 0 DM entfällt.
3. Eine vom Regelmaßstab des § 29 Abs. 1 GewStG abweichende Zerlegung gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 GewStG ist im Streitfall nicht veranlasst.
a) Die Gewerbesteuer ist gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 GewStG unter der Voraussetzung, dass die Zerlegung nach den §§ 28 bis 31 GewStG zu einem offenbar unbilligen Ergebnis führt, nach einem Maßstab zu zerlegen, der die tatsächlichen Verhältnisse besser berücksichtigt. Allerdings rechtfertigt nach ständiger Rechtsprechung nicht jede offenbare Unbilligkeit, die sich aus dem Zerlegungsmaßstab des § 29 Abs. 1 GewStG ergibt, eine Zerlegung nach einem abweichenden Maßstab, sondern nur eine eindeutige Unbilligkeit von erheblichem Gewicht (Senatsurteil vom 17. Februar 1993 I R 19/92, BFHE 171, 304, BStBl II 1993, 679, m.w.N.; vgl. auch Blümich/Hofmeister, EStG, KStG, GewStG, § 33 GewStG Rz 3 f., m.w.N.). Eine solche liegt nur dann vor, wenn aufgrund der atypischen Umstände des Einzelfalles die sich aus dem groben Maßstab des § 29 GewStG allgemein ergebende Unbilligkeit offensichtlich übertroffen wird (Senatsurteile vom 24. Mai 2006 I R 102/04, BFH/NV 2007, 270; vom 26. Februar 1992 I R 16/90, BFH/NV 1992, 836, m.w.N.).
b) Allein der Umstand, dass in den auf dem Gebiet der Beigeladenen belegenen Betriebsstätten keine Arbeitslöhne angefallen sind und deshalb nur Zerlegungsanteile von 0 DM auf diese entfallen, führt nicht zur offenbaren Unbilligkeit des von § 29 GewStG vorgegebenen Aufteilungsmaßstabes (vgl. allgemein Senatsbeschlüsse vom 13. Mai 1958 I B 49/58 U, BFHE 67, 275, BStBl III 1958, 379; vom 5. Oktober 1965 I B 387/62 U, BFHE 83, 468, BStBl III 1965, 668). Dieser Maßstab ist nur dann von vornherein ungeeignet, wenn --was vorliegend nicht der Fall ist-- die Zerlegung wegen des Fehlens jeglicher Arbeitslöhne (in allen Betriebsstätten) nicht vorgenommen werden kann (Senatsurteil vom 7. Dezember 1994 I K 1/93, BFHE 176, 253, BStBl II 1995, 175).
c) Das FG hat das Vorliegen einer offensichtlichen Unbilligkeit von erheblichem Gewicht wegen der vom FA und den Beigeladenen behaupteten Schäden, die die Beigeladenen zu 2. bis 4. infolge der zur Errichtung und zur Reparatur der Anlagen erforderlichen Schwertransporte an ihren gemeindlichen Straßen und Wegen zu erleiden gehabt hätten, ohne Rechtsfehler verneint.
aa) Grundsätzlich kann nach der Rechtsprechung des Senats allerdings eine Unbilligkeit i.S. des § 33 Abs. 1 GewStG in Betracht kommen, wenn durch das Vorhandensein einer Betriebsstätte einer Gemeinde zwar keine mit der Ansässigkeit von Arbeitnehmern verbundenen Folgekosten, sondern Lasten anderer Art entstehen, die im Rahmen der Zerlegung nicht berücksichtigt werden können (Senatsbeschluss in BFHE 67, 275, BStBl III 1958, 379; Senatsurteil vom 26. August 1987 I R 376/83, BFHE 151, 452, BStBl II 1988, 201). Das FG hat sich jedoch wegen des Fehlens jeglichen konkreten Vorbringens des FA und der Beigeladenen außer Stande gesehen, konkrete Feststellungen zum jeweiligen Umfang der pauschal behaupteten Schäden an gemeindlichen Straßen und Wegen durch Schwertransporte zu treffen. An diese Beurteilung ist der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden, zumal keiner der Beteiligten eine Verfahrensrüge wegen unzureichender Sachaufklärung erhoben hat.
Entgegen der Auffassung des FA sind die mit der Durchführung von Schwertransporten verbundenen besonderen Lasten für die Gemeinden auch nicht derart offenkundig, dass konkrete, einzelfallbezogene Feststellungen unterbleiben könnten. Diese sind schon deshalb unerlässlich, weil --wie zuvor ausgeführt-- nur besonders gewichtige und atypische Lasten zu einer Unbilligkeit nach § 33 GewStG führen können, die durch Schwertransporte verursachten Straßenschäden aber in einer großen Bandbreite von geringfügig bis schwerwiegend vorstellbar sind. Konkrete Folgerungen können ohne Kenntnis des Umfangs und der Intensität der Inanspruchnahme des jeweiligen gemeindlichen Straßen- und Wegenetzes, der Art und Anzahl der Schwertransporte und der hierdurch verursachten Schäden nicht getroffen werden. Auch verbietet sich eine vom Einzelfall gelöste pauschale Betrachtung deshalb, weil im Rahmen der Billigkeitsprüfung nach § 33 GewStG solche Lasten nicht berücksichtigt werden können, für die der Gemeinde --was bei Schwertransporten nicht fern liegend ist-- ein Gebührenerhebungsrecht (vgl. Senatsurteil in BFHE 151, 452, BStBl II 1988, 201; Trossen, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 2006, 836, 839) oder zivilrechtliche Schadensersatzansprüche zustehen.
bb) Etwas anderes kann nicht aus dem vom FA in Bezug genommenen Urteil des Niedersächsischen FG vom 9. Juni 1981 V 12/79 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1981, 639) zum Zerlegungsmaßstab bei der Vermietung von Ferienwohnungen abgeleitet werden. Einer Parallele zum Streitfall steht bereits entgegen, dass sich nach den Feststellungen des FG im Urteilsfall in der dortigen Betriebsstätte des Geschäftssitzes keine nennenswerten gewerblichen Aktivitäten abgespielt haben, während vorliegend am Geschäftssitz der Beigeladenen zu 1. mehrere Arbeitnehmer tätig waren.
d) Die von den Beigeladenen zu 3. und 4. ins Feld geführten negativen Auswirkungen der Windkraftanlagen auf das Orts- und Landschaftsbild, auf den Wert von Wohngrundstücken und auf den Tourismus in den betroffenen Gemeinden vermögen --unterstellt, sie lägen vor-- einen von § 29 GewStG abweichenden Zerlegungsmaßstab nicht zu begründen (im Ergebnis auch FG Düsseldorf, Urteil vom 1. Juni 2006 15 K 5455/04 Zerl, EFG 2006, 1450 mit zustimmender Anmerkung Herlinghaus; Meier, Finanz-Rundschau 2006, 538). Es handelt sich hierbei nicht um Lasten, die sich direkt auf die gemeindlichen Haushalte auswirken. Vielmehr geht es um allgemeine Auswirkungen der Betriebsstätten auf die Lebensqualität der Einwohner und die touristische Infrastruktur in den betroffenen Gemeinden, die Folgewirkungen auf die gemeindliche Haushaltslage allenfalls mittelbar nach sich ziehen können. Die Berücksichtigung solcher primär ästhetischen und die allgemeine Lebensqualität betreffenden, sich nicht unmittelbar auf die gemeindlichen Haushalte auswirkenden Faktoren würde den gesetzlichen Rahmen des gewerbesteuerrechtlichen Zerlegungsverfahrens sprengen. Diesem kommt nicht die Funktion eines kommunalen Finanzausgleichs zu (Urteile des Bundesfinanzhofs vom 9. Oktober 1975 IV R 114/73, BFHE 117, 384, BStBl II 1976, 123; vom 12. Mai 1992 VIII R 45/90, BFH/NV 1993, 191). Vielmehr wurde ihm mit § 29 GewStG ein Zerlegungsmaßstab beigegeben, der bewusst einfach und praktikabel handhabbar ist und der die sich hieraus fast immer ergebenden Ungerechtigkeiten regelmäßig in Kauf nimmt (Blümich/Hofmeister, a.a.O., § 33 GewStG Rz 4; Trossen, DStZ 2006, 836, 838). Mangels Feststellbarkeit einer offensichtlichen und gravierenden Unbilligkeit bleibt es auch im Streitfall bei der Anwendung dieses Maßstabes.
Fundstellen
Haufe-Index 1780027 |
BFH/NV 2007, 2021 |
BStBl II 2007, 836 |
BFHE 2008, 109 |
BFHE 217, 109 |
BB 2007, 2053 |
DB 2007, 2185 |
DB 2007, 308 |
DStRE 2007, 1259 |
DStZ 2007, 574 |
HFR 2007, 1008 |