Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der Ablaufhemmung des § 10d Satz 3 EStG - § 10d EStG als eigenständige Korrekturvorschrift
Leitsatz (amtlich)
§ 10d (Abs.1) Satz 3 EStG hemmt den Ablauf der Festsetzungsfrist für das Verlustrücktragsjahr bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist für das Verlustentstehungsjahr insoweit, als der Verlustabzug zu berücksichtigen ist. Nicht berücksichtigungsfähig sind nicht ausgeglichene Verluste, für die --teilweise-- Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
Orientierungssatz
Die Vorschrift des § 10d Sätze 2 und 3 EStG enthält eine gegenüber den Vorschriften der AO 1977 eigenständige Korrekturvorschrift, aufgrund derer ein bestandskräftiger Bescheid, in dem ein Verlustrücktrag dem Grunde oder der Höhe nach unzutreffend berücksichtigt wurde, geändert werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 14.11.1989 VIII R 209/85). Sie enthält darüber hinaus eine Sonderregelung bezüglich der in § 171 AO 1977 nicht abschließend geregelten Ablaufhemmung. Unter "Verjährungsfrist" i.S. des § 10d Satz 3 EStG ist die Festsetzungsfrist zu verstehen.
Normenkette
EStG 1981 § 10d Sätze 2-3; AO 1977 § 171; EStG § 10d Abs. 1 S. 3
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) veranlagte den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) und dessen Ehefrau aufgrund der 1983 abgegebenen Erklärung zusammen zur Einkommensteuer 1982. Im Bescheid vom 1.Februar 1984 ergab sich ein nicht ausgeglichener Verlust von 24 765 DM. Diesen berücksichtigte das FA in der durch Bescheid vom 24.Februar 1984 geänderten Einkommensteuerfestsetzung für 1981. Den Einkommensteuerbescheid 1981 änderte das FA durch Bescheid vom 13.Juni 1984, weil sich infolge geänderter Beteiligungseinkünfte der nicht ausgeglichene Verlust in 1982 auf 24 548 DM vermindert hatte. Aufgrund erneuter Änderung der Beteiligungseinkünfte des Klägers erhöhte sich der nicht ausgeglichene Verlust des Jahres 1982 um 4 713 DM auf 29 621 DM. Der geänderte Einkommensteuerbescheid 1982 erging am 22.September 1987.
Nachdem das FA festgestellt hatte, daß der Verlust des Jahres 1982 bei der Einkommensteuerfestsetzung des Jahres 1980 --nicht 1981-- hätte berücksichtigt werden müssen, fragte es beim Kläger und dessen Ehefrau an, ob sie mit einer entsprechenden Richtigstellung einverstanden seien. Diese erteilten ihre Zustimmung nicht. Daraufhin änderte das FA den Einkommensteuerbescheid 1980 mit Bescheid vom 4.Januar 1988 nach § 10d Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Weise, daß es einen Verlustrücktrag von 4 713 DM ansetzte. Der Einspruch gegen diesen Bescheid, mit dem der Kläger die Berücksichtigung des vollen in 1982 nicht ausgeglichenen Verlustes im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung für 1980 begehrte, hatte keinen Erfolg.
Der Klage hat das Finanzgericht (FG) stattgegeben. Es führt im wesentlichen aus, § 10d EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung sei eine gegenüber den Änderungsvorschriften der Abgabenordnung eigenständige Bestimmung, die eine verfahrensrechtliche Änderungspflicht enthalte. Die Vorschrift des § 351 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977) greife demgegenüber insoweit nicht ein. Auch die Grundsätze von Treu und Glauben stünden der Berücksichtigung des vollen in 1982 nicht ausgeglichenen Verlustes im Streitjahr 1980 nicht entgegen.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung der § 10d Sätze 2 und 3 EStG 1981 und § 351 Abs.1 AO 1977, außerdem Verstoß gegen den Inhalt der Akten (§ 96 Abs.1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).
Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG die Festsetzungsverjährung nicht beachtet hat. Zutreffend ist es allerdings davon ausgegangen, daß nicht ausgeglichene Verluste des Veranlagungszeitraums 1982 zunächst auf den Veranlagungszeitraum 1980 zurückzutragen waren.
Nach § 10d Satz 1 EStG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur (2.HStruktG) vom 22.Dezember 1981 (BGBl I 1981, 1523, BStBl I 1982, 235) sind Verluste, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, bis zu einem Betrag von 5 Mio DM wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte des zweiten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraums abzuziehen. Soweit ein Abzug danach nicht möglich ist, sind sie wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte des ersten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraums abzuziehen. Die Vorschrift ist erstmals auf nicht ausgeglichene Verluste des Veranlagungszeitraums 1982 anzuwenden (§ 52 Abs.18 a EStG 1981 i.d.F. des 2.HStruktG). Das Gesetz räumt keine Wahlmöglichkeit für die Berücksichtigung nicht ausgeglichener Verluste ein.
Nach § 10d Sätze 2 und 3 EStG 1981 bis 1987, nunmehr § 10d Abs.1 Sätze 2 und 3 EStG sind für die vorangegangenen Veranlagungszeiträume ergangene Steuerbescheide insoweit zu ändern, als der Verlustabzug zu gewähren oder zu berichtigen ist. Dies gilt auch dann, wenn die Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind; die Verjährungsfristen enden insoweit nicht, bevor die Verjährungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, in dem Verluste nicht ausgeglichen werden. Die Vorschrift enthält eine gegenüber den Vorschriften der AO 1977 eigenständige Korrekturvorschrift, aufgrund derer ein bestandskräftiger Bescheid, in dem ein Verlustrücktrag dem Grunde oder der Höhe nach unzutreffend berücksichtigt wurde, geändert werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. Urteil vom 14.November 1989 VIII R 209/85, BFHE 160, 219, BStBl II 1990, 620). Sie enthält darüber hinaus eine Sonderregelung bezüglich der in § 171 AO 1977 nicht abschließend geregelten Ablaufhemmung (vgl. von Groll in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 10d Anm.B 433; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 11.Aufl., § 10 Anm.8 a.E., und Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 20.Aufl., § 10d Rdnr.213). Der aus der Zeit der Geltung der Reichsabgabenordnung (AO) übernommene Wortlaut des § 10d (Abs.1) Satz 3 Halbsatz 2 EStG (vgl.§ 10d EStG 1975 i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes vom 20.April 1976, BGBl I 1976, 1054, BStBl I 1976, 282) spricht von Verjährungsfristen. Daß unter "Verjährungsfrist" nicht die Zahlungsverjährungsfrist (§§ 228 f. AO 1977), sondern die Festsetzungsfrist (§§ 169 ff. AO 1977) zu verstehen ist, ergibt sich aus dem Sinnzusammenhang der Sätze 2 und 3 des § 10d EStG 1981; Satz 2 und Satz 3 Halbsatz 1 betreffen ausschließlich die Änderung von Steuerbescheiden und damit das Steuerfestsetzungsverfahren.
Der Umfang der Ablaufhemmung nach § 10d (Abs.1) Satz 3 Halbsatz 2 EStG ist in mehrfacher Hinsicht beschränkt. Der Ablauf der Festsetzungsfrist für das Verlustrücktragsjahr wird bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist für das Verlustentstehungsjahr insoweit hinausgeschoben, als sich durch die Berücksichtigung des Verlustabzugs der Steuerbetrag ändert. Der Verlustabzug ist insoweit zu berücksichtigen, als für das Verlustentstehungsjahr die Festsetzungsfrist bezogen auf die nicht ausgeglichenen Verluste noch nicht abgelaufen ist. Diese Auslegung entspricht dem möglichen Wortsinn der Vorschrift. Klar geregelt sind der Umfang der Ablaufhemmung für das Verlustrücktragsjahr und eine Bindung an den Ablauf der Festsetzungsfrist für das Verlustentstehungsjahr. Der Umfang dieser Bindung ist allerdings nicht eindeutig. Es entspricht aber der Gesetzessystematik, eine Bindung nicht nur hinsichtlich des zeitlichen, sondern auch des sachlichen Umfangs der noch nicht abgelaufenen Festsetzungsfrist für das Verlustentstehungsjahr anzunehmen. Die Regelungen über die Festsetzungsverjährung gehen von der Möglichkeit der Teilverjährung aus; der Steueranspruch verjährt mit Ablauf der "normalen" Festsetzungsfrist des § 169 Abs.2 Satz 1 AO 1977 in dem Umfang, in dem er nicht auf einem Sachverhalt beruht, der zu einer Verlängerung der Festsetzungsfrist (§ 169 Abs.2 Satz 2 AO 1977) oder zu einer Hemmung des Ablaufs derselben (§ 171 AO 1977) führt. Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist mithin nicht allein als zeitliche Begrenzung zu werten.
Die Auslegung, wonach § 10d (Abs.1) Satz 3 EStG den Ablauf der Festsetzungsfrist für das Verlustrücktragsjahr bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist für das Verlustentstehungsjahr insoweit hemmt, als der Abzug nicht ausgeglichener Verluste, für die noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist, zu berücksichtigen ist, steht auch in Einklang mit dem Gesetzeszweck. Zweck der Regelung ist es, zu verhindern, daß Verluste infolge Verjährung des Steueranspruchs im Verlustrücktragsjahr unberücksichtigt bleiben müssen (vgl. BTDrucks 7/4707, S.6). Da die Festsetzungsfrist für das Verlustentstehungsjahr im Regelfall zwei bzw. ein Jahr nach Ablauf derjenigen für das Verlustrücktragsjahr endet, wird die Verwirklichung des Gesetzeszwecks durch die Bindung an eine teilweise Festsetzungsverjährung für das Verlustentstehungsjahr nicht beeinträchtigt.
Bei Anwendung der vorstehenden Grundsätze auf den Streitfall kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Die Frist für die Festsetzung der Einkommensteuer 1982 war am 31.Dezember 1987 abgelaufen (§ 169 Abs.2 Satz 1 Nr.1 i.V.m. § 170 Abs.2 Nr.1 AO 1977). Der angefochtene, vom FG geänderte Einkommensteuerbescheid 1980 erging am 4.Januar 1988. In ihm durfte der Verlustabzug nur noch in dem Umfang berücksichtigt werden, in dem der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1982 durch den Erlaß der Grundlagenbescheide nach § 171 Abs.10 AO 1977 gehemmt war. Feststellungen des FG zum zeitlichen und sachlichen Umfang dieser Ablaufhemmung fehlen. Die Sache wird zur Nachholung der entsprechenden Feststellungen und zur erneuten Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 64409 |
BFH/NV 1993, 19 |
BStBl II 1993, 231 |
BFHE 169, 365 |
BFHE 1993, 365 |
BB 1993, 846 |
BB 1993, 846-847 (LT) |
DB 1993, 414-415 (LT) |
DStR 1993, 235 (KT) |
DStZ 1993, 186 (KT) |
HFR 1993, 175 (LT) |
StE 1993, 87 (K) |