Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält daran fest, daß der Wert der Verpflichtung, Wohnungen einem bestimmten Personenkreis mietverbilligt zur Verfügung zu stellen, eine sonstige Leistung im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG darstellt, für deren Bewertung die Spanne zwischen gebundener und freier Miete einen Anhaltspunkt bildet (vgl. Urteile vom 14. Februar 1967 II 69/63, BFHE 87, 547, BStBl III 1967, 203, und vom 9. Mai 1967 II R 118/66, BFHE 88, 390, BStBl III 1967, 427). Die Notwendigkeit, den Wert dieser Mietbindung "mit gebotener Vorsicht" zu ermitteln, rechtfertigt es nicht, diesen Wert bei Unübersichtlichkeit des Wohnungsmarktes mit 0 DM anzusetzen; der Wert der Mietbindung kann auch unter solchen Umständen dem Abzinsungsbetrag entsprechen.
Normenkette
GrEStG § 11 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der Kläger erwarb durch Kaufvertrag vom 30. Oktober 1967 ein Grundstück zum Barkaufpreis von 1 692 943,09 DM. Außerdem "übernahm" er ohne Anrechnung auf den Barkaufpreis die in Abteilung 3 des Grundbuchs unter den lfd. Nrn. 9 und 10 für Wohnungsbaudarlehen eingetragenen Hypotheken und die den Wohnungsbaudarlehen zugrunde liegenden Verbindlichkeiten. Die Darlehensschuld, für welche die Hypothek Nr. 9 bestand, valutierte am Tag des Lastenübergangs (29. Dezember 1967) mit 245 117,02 DM. Das Darlehen ist mit 1 v. H. verzinslich und läuft am 31. März 1995 aus. Die Schuld, für welche die Hypothek Nr. 10 bestand, valutierte zum Zeitpunkt des Lastenwechsels mit 511 939,89 DM. Sie ist unverzinslich und läuft am 30. September des Jahres 2036 aus.
Der Revisionskläger (FA) hatte der Versteuerung den vereinbarten Barpreis von 1 692 943,09 DM und den Valutastand der übernommenen Darlehensverbindlichkeiten mit zusammen 757 056,91 DM, insgesamt also 2 450 000 DM, zugrunde gelegt und dementsprechend Grunderwerbsteuer (einschließlich Zuschlag) durch Bescheid vom 20. November 1967 in Höhe von 171 500 DM vorläufig festgesetzt. Auf den Einspruch des Klägers hat das FA die Steuer neu berechnet, und zwar unter Zugrundelegung der abgezinsten Werte der Darlehensschulden und der geschätzten Werte der vom Kläger in Verbindung mit dem Eintritt in die Darlehensverträge übernommenen Verpflichtung, die öffentlich geförderten Wohnungen zu einem festgesetzten Mietpreis an einen bestimmten Personenkreis zu vermieten. Dem in der Einspruchsentscheidung festgesetzten Grunderwerbsteuerbetrag von 155 801,60 DM liegen zugrunde: Der Barkaufpreis mit 1 692 943,09 DM, der Wert der Schuld, für welche die Hypothek Nr. 9 bestand, mit 176 984,86 DM, der Wert der Schuld, für welche die Hypothek Nr. 10 bestand, mit 131 548,05 DM (das sind die abgezinsten Werte) sowie der Wert der sonstigen Leistungen mit 224 262 DM, so daß die Besteuerungsgrundlage insgesamt 2 225 738 DM betrug.
Auf die Klage hat das FG die Grunderwerbsteuer auf 140 103,25 DM herabgesetzt mit der Begründung, der Wert der "weiteren sonstigen Leistungen" könne nicht auf 224 262 DM geschätzt, sondern müsse mit 0 DM angesetzt werden. Die Besteuerungsgrundlagen im übrigen hat das FG unverändert gelassen. Zur Begründung hat das FG ausgeführt, daß entsprechend den Urteilen des BFH vom 14. Februar 1967 II 69/63 (BFHE 87, 547, BStBl III 1967, 203) und vom 9. Mai 1967 II R 118/66 (BFHE 88, 390, BStBl III 1967, 427) zwar grundsätzlich auch die mit dem Eintritt in die Darlehensverträge übernommene Verpflichtung, die öffentlich geförderten Wohnungen zu einem festgesetzten Mietpreis an einen bestimmten Personenkreis zu vermieten, als "sonstige Leistungen" zu bewerten sei und daß dieser Wert mangels fester Anhaltspunkte gemäß § 217 AO geschätzt werden müsse. Die vom FA angewandte Schätzungsmethode führe jedoch zu einem nicht vertretbaren Ergebnis.
Mit der Revision beantragt das FA, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechsstreits an das FG. Die vom FG festgestellten Tatsachen rechtfertigen nicht die Vorentscheidung.
Gegenleistung im Sinne von § 11 GrEStG ist jede Leistung, die der Erwerber für den Erwerb eines Grundstücks erbringt. Eine sonstige Leistung im Sinne dieser Vorschrift ist u. a. auch die Übernahme der Verpflichtung, die öffentlich geförderten Wohnungen zu einer gebundenen Miete zu vermieten (vgl. § 8 des Wohnungsbindungsgesetzes 1965, BGBl I, 945, 956). Der Wert der Mieteinbuße ist unter Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalles zu ermitteln, wobei der Unterschied zwischen der üblicherweise erzielbaren Marktmiete und der gebundenen Miete von Bedeutung ist (vgl. Urteile des BFH II 69/63 und II R 118/66).
Die vom FG hierzu angestellten Erwägungen erlauben nicht die Schlußfolgerung, die Verpflichtung des Klägers, die erworbenen Wohnungen zu einer gebundenen Miete zu vermieten, sei mit 0 DM zu bewerten. Das FG hat einerseits ausgeführt, es sei zwar möglich, daß die im öffentlichen Wohnungsbau festgesetzte Miete niedriger sei als die Marktmiete; es hat an anderer Stelle des Urteils die Mieten im freifinanzierten Wohnungsbau als "verhältnismäßig hoch" bezeichnet. Das FG hat aber nicht dargelegt, welche Tatsachen es in Kenntnis dieser beiden Umstände rechtfertigen, die vom Kläger übernommene Verpflichtung mit 0 DM zu bewerten. Die Annahme, freifinanzierte Wohnungen, die eine echte Marktmiete zuließen, spielten gegenüber den gebundenen Mieten im sozialen Wohnungsbau und im Althausbesitz "eine ganz untergeordnete Rolle". rechtfertigt die vom FG gezogene Folgerung nicht. Die Vorinstanz ging davon aus, die künftige Entwicklung werde zu einer allgemeinen Angleichung von Sozialmieten und freien Mieten führen, hat dies aber für das Jahr des Grundstückserwerbs (1967) nicht belegt. Eine solche Annahme ist nicht als Entscheidungsgrundlage geeignet, insbesondere, weil das Urteil des FG nicht annähernd erkennen läßt, wann der Zeitpunkt der Mietgleichheit nach seiner Auffassung voraussichtlich gekommen sein wird.
Der Senat verkennt nicht, daß die Schätzung des Werts der Mietbindung durch Unsicherheitsfaktoren erschwert wird. Zwar besteht ein Zusammenhang zwischen der Zinsermäßigung bzw. dem Zinsverzicht und der Mietpreisbindung. Gleichwohl wird eine Schätzung des Wertes der Mietpreisbindung auf die Höhe des Abzinsungsbetrages nicht immer zutreffend sein, z. B. dann nicht, wenn die vom FG angenommene Entwicklung, daß nämlich die frei erzielbaren Mieten nicht über den gebundenen Mieten liegen, eingetreten sein wird. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß dies im Zeitpunkt des Grundstückserwerbs der Fall gewesen wäre.
Mit der Aussage in den Urteilen des BFH II 69/63 und II R 118/66, die Höhe des Wertes der vom Grundstückserwerber übernommenen Verpflichtung, die öffentlich geförderten Wohnungen zu einer unter der Marktmiete liegenden gebundenen Miete zu vermieten, könne "nur mit der gebotenen Vorsicht" ermittelt werden, sollte einer solchen künftig denkbaren Entwicklung der Angleichung der Mietpreise Rechnung getragen werden, indes nicht - wie es das FG offenbar aufgefaßt hat - zum Ausdruck kommen, daß dieser Wert bei Unübersichtlichkeit des Wohnungsmarktes im Zweifel mit 0 DM anzusetzen sei. Der Hinweis auf die Notwendigkeit einer vorsichtigen Schätzung war bei den im Jahre 1967 entschiedenen Fällen erforderlich, weil bei ihnen die jeweiligen Finanzämter eine Abzinsung der öffentlichen Darlehen unter Hinweis auf den Wert der Mietpreisbindung schlechthin abgelehnt hatten, mithin den Wert der Mietpreisbindung in jedem Fall dem Wert der Abzinsung der öffentlichen Darlehen gleichgesetzt hatten. Das Erfordernis vorsichtiger Schätzung des Werts der Mietbindung bedeutet so gesehen, daß der Wert dieser Bindung gleich dem vollen Betrag, um den die Darlehenswerte durch die Abzinsung verringert wurden, sein wird, wenn nicht Umstände dargetan werden, die eine geringere Schätzung erfordern, daß die Schätzung den Wert dieser Differenz aber in den Fällen unterschreiten muß, in denen der Nachweis geführt wird, daß der Wert der Mietpreisbindung niedriger ist.
Für die Beurteilung der Frage, auf welchen Wert im vorliegenden Falle auch bei vorsichtiger Beurteilung die übernommene Verpflichtung, die Wohnungen zu einer gebundenen Miete zu vermieten, zu schätzen ist, kann nach Auffassung des Senats nicht unbeachtet bleiben, daß in den hier bedeutsamen Jahren 1967/1968 allgemein schon ein so starkes Auseinanderfallen der Mieten öffentlich geförderter älterer Wohnungsbauten (etwa aus den frühen fünfziger Jahren) und der Sozialmieten für neuere Wohnungen erkennbar war, daß die Bundesregierung es in der Begründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung wohnungsbaurechtlicher Vorschriften vom 10. August 1967 (Bundestags-Drucksache V/2063 - zur Einfügung des § 18 a in das Wohnungsbindungsgesetz 1965 -) für tragbar hielt, als Ausgleich für eine in Aussicht genommene höhere Verzinsung der bis 1960 bewilligten öffentlichen Darlehen eine Erhöhung des Mietgefüges bis zu 25 v. H. zuzulassen (vgl. auch § 18 a des Wohnungsbindungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. August 1968, BGBl I, 889). Eine solche Erwägung wäre nicht angestellt worden, wenn nicht in dieser Zeit die Richtsatzmiete ganz erheblich unter der Miete neuer Sozialwohnungen und damit sicherlich auch unter der Marktmiete gelegen hätte. Das hat die Vorinstanz mit dem Hinweis auf die "verhältnismäßig hohen" Mieten im freifinanzierten Wohnungsbau selbst erkannt.
Die vom FG vorgenommene allgemeine Bezugnahme auf die beigezogenen Grunderwerbsteuerakten läßt den Inhalt dieser Akten nicht zum Bestandteil der im Sinne von § 118 Abs. 2 FGO den BFH bindenden Tatsachenfeststellung werden. Dem Senat ist es daher verwehrt, aus den in den Grunderwerbsteuerakten enthaltenen Berechnungen selbst Schlüsse zu ziehen. Insbesondere kann anhand des festgestellten Sachverhalts nicht entschieden werden, ob bei den hier vorliegenden älteren Sozialwohnungen angesichts der offenbar sehr niedrigen Mieten der Wert der Mietbindung in vollem Umfang dem Betrag entspricht, um den das die Mietbindung auslösende öffentliche Darlehen abzuzinsen ist. Der Senat hält dies für wahrscheinlich. Rechtliche Erwägungen hierzu können indes mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen nicht angestellt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 71716 |
BStBl II 1976, 130 |
BFHE 1976, 304 |