Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenstand des Erwerbsvorgangs bei mehreren Verträgen / Grundstück mit noch zu errichtendem Gebäude
Leitsatz (NV)
1. Erfolgt der Abschluß des zur Errichtung eines Gebäudes notwendigen Vertrags zeitlich erst kurz nach dem Abschluß des Grundstückskaufvertrages, so wird allein dadurch ein objektiver enger sachlicher Zusammenhang zwischen den Verträgen noch nicht ausgeschlossen. Ein solcher kann bestehen, wenn der Grundstückserwerber auf Grund vorheriger Absprachen oder faktischer Zwänge in seiner Entscheidung über die Bebauung nicht mehr frei ist.
2. Gegenstand des Erwerbsvorgangs kann das bebaute Grundstück auch dann sein, wenn der Grundstückskaufvertrag beide Ehegatten, der Gebäudevertrag aber nur einen berechtigt und verpflichtet.
Normenkette
GrEStG SchlH § 1 Abs. 1 Nr. 1; GrEStG SchlH § 10 Abs. 1; GrEStG SchlH § 11 Abs. 1 Nr. 1 (= GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1; GrEStG SchlH § 8 Abs. 1; GrEStG SchlH § 9 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Am . . . Februar 1981 unterbreitete die A-KG (KG) dem Kläger schriftlich ein als Festangebot bezeichnetes Angebot zum Abschluß eines Vertrages ,,für Ihr Bauvorhaben". Danach sollte die KG den Generalauftrag erhalten zur Erstellung des Bauwerks lt. einer vorliegenden Baubeschreibung und einer Bauzeichnung. Der Preis sollte . . . DM betragen. Das Angebot war bis zum . . . Februar 1981 befristet. Am . . . März 1981 schlossen der Kläger und seine Ehefrau mit der KG einen notariell beurkundeten Vertrag, der die KG zur Übertragung des Eigentums an dem Baugrundstück auf den Kläger und seine Ehefrau als Miteigentümer je zur Hälfte verpflichtete. Der Kaufpreis betrug . . . DM. Mit am . . . März 1981 erfolgter Unterschrift nahm der Kläger das Angebot vom . . . Februar 1981 an. Für die Ausführung des Bauvorhabens wurden dem Kläger in der Folge von der KG weitere Beträge in Höhe von insgesamt . . . DM in Rechnung gestellt.
Auf Antrag stellte das Finanzamt (FA) zunächst die Erwerbe des Klägers und seiner Ehefrau intern nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des damals geltenden schleswig-holsteinischen Grunderwerbsteuerbefreiungsgesetzes - GrESBWG (SH) - von der Grunderwerbsteuer vorläufig frei. Die Anerkennung als steuerbegünstigt nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz (II. WoBauG) wurde jedoch nicht erteilt. Mit Bescheid vom 27. September 1985 setzte das FA dann gegen den Kläger Grunderwerbsteuer in Höhe von . . . DM fest. Das FA sah den Grundstückskaufvertrag und den Vertrag über die Errichtung des Hauses als einheitlichen Vertrag an, gerichtet auf Übertragung eines Grundstücks mit noch zu errichtendem Gebäude. Es bezog dementsprechend die anteiligen Aufwendungen für die Errichtung des Gebäudes in die Gegenleistung mit ein. Hiergegen erhob der Kläger Einspruch. Im Einspruchsverfahren setzte das FA die Steuer auf . . . DM fest. Das FA berücksichtigte dabei antragsgemäß den anteiligen Freibetrag nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen (GrEStEigWoG). Im übrigen wurde der Einspruch zurückgewiesen.
Hiergegen richtete sich die Klage. Mit dieser machte der Kläger geltend, daß der Vertrag über das Grundstück und der Vertrag über die Errichtung eines Wohnhauses keine Einheit darstellten. Zu besteuern sei lediglich der anteilige Kaufpreis für das Grundstück selbst.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage im wesentlichen stattgegeben und die Grunderwerbsteuer auf . . . DM festgesetzt. Gegenstand des Erwerbsvorgangs sei das unbebaute Grundstück gewesen.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Dieses rügt eine Verletzung der §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 Nr. 1 des damals geltenden schleswig-holsteinischen Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG).
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Das FG hat den grunderwerbsteuerrechtlichen Begriff des Gegenstands des Erwerbsvorgangs verkannt.
Der notariell beurkundete Vertrag über den Erwerb des Miteigentumsanteils an dem Grundstück ist ein der Grunderwerbsteuer unterliegendener Rechtsvorgang i. S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Die Steuer dafür bemißt sich nach dem Wert der Gegenleistung (§ 10 Abs. 1 GrEStG). Als Gegenleistung gelten bei einem Kauf der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen und der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG).
Zur Gegenleistung rechnet jede Leistung, die der Erwerber als Entgelt gewährt für den Erwerb des Grundstücks in dem Zustand, in dem es Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist (ständige Rechtsprechung; vgl. Entscheidung des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Dezember 1988 II B 47/88, BFHE 155, 419, BStBl II 1989, 333). Das GrEStG bestimmt nicht, was unter Gegenleistung begrifflich zu verstehen ist. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß diese Begriffsbestimmung zwar von dem bürgerlich-rechtlichen Begriff der Gegenleistung ausgeht, sich aber darin nicht erschöpft (so z. B. BFH-Entscheidung vom 5. November 1980 II R 28/75, BFHE 132, 111, BStBl II 1981, 174).
Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs wird nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 18. Oktober 1989 II R 85/87, BFHE 158, 483, BStBl II 1990, 181) zunächst durch das den Steuertatbestand erfüllende (zivilrechtliche) Verpflichtungsgeschäft bestimmt. Ist Gegenstand der kaufvertraglichen Übereignungsverpflichtung das Grundstück in bebautem Zustand, so ist das Grundstück in diesem Zustand auch grunderwerbsteuerrechtlich Gegenstand des Erwerbsvorgangs. Ergibt sich die Verpflichtung zur Übereignung des Grundstücks und zur Errichtung des Gebäudes zivilrechtlich zwar aus zwei (oder mehreren) an sich selbständigen Verträgen, sind diese Verträge jedoch aufgrund ihres rechtlichen Zusammenhangs zivilrechtlich als einheitlicher Vertrag anzusehen, so ist grunderwerbsteuerrechtlich Gegenstand des Erwerbsvorgangs das Grundstück in bebautem Zustand. Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist das Grundstück in bebautem Zustand schließlich auch dann, wenn die Verträge zwar nicht durch den Willen der Parteien rechtlich verknüpft sind, zwischen den Verträgen jedoch ein so enger sachlicher Zusammenhang besteht, daß der Erwerber bei objektiver Betrachtungsweise als einheitlichen Leistungsgegenstand das bebaute Grundstück erhält. Dies ist der Fall, wenn der Veräußerer aufgrund einer in bautechnischer und finanzieller Hinsicht ganz konkreten und bis (annähernd) zur Baureife gediehenen Vorplanung ein bestimmtes Gebäude auf einem bestimmten Grundstück zu einem im wesentlichen feststehenden Preis anbietet und der Erwerber dieses Angebot als einheitliches annimmt oder nur insgesamt annehmen kann.
Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist nach den dargelegten Grundsätzen im Einzelfall unter Heranziehung aller relevanten Umstände zu bestimmen. Für eine derartige Abwägung aller Umstände des Einzelfalls enthalten die Entscheidungen des Senats vom 18. Oktober 1989 in BFHE 158, 483, BStBl II 1990, 181, und II R 143/87 (BFHE 158, 477, BStBl II 1990, 183) beispielgebende Hinweise.
Im Gegensatz zu den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalten erfolgte im Streitfall nach den Feststellungen des FG, an die der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, der Abschluß des zur Errichtung des Gebäudes notwendigen Vertrags zeitlich erst kurz nach dem Abschluß des Grundstückskaufvertrags. Allein dadurch wird ein objektiver enger sachlicher Zusammenhang mit dem Grundstückskaufvertrag jedoch noch nicht ausgeschlossen. Ein solcher kann dann bestehen, wenn der Kläger (spätestens) mit dem Abschluß des Grundstückskaufvertrags in seiner Entscheidung über das ,,Ob" und ,,Wie" einer Bebauung nicht mehr frei war. Eine derartige Einschränkung der sonst für einen Grundstückserwerber bestehenden Entscheidungsfreiheit kann sich aus vorherigen Absprachen oder auch aus faktischen Zwängen (z. B. ,,Mischkalkulation" mit überhöhtem Grundstückspreis) ergeben. Das Vorliegen einer solchen Bindung ist im Streitfall aufgrund des gesamten Geschehensablaufs (Angebot des Unternehmens zum Abschluß des Gebäudevertrags lag bereits vor Grundstückskaufvertrag vor, die Annahme erfolgte in engstem zeitlichen Zusammenhang mit dem Grundstückskaufvertrag) zwar naheliegend, vom FG aber nicht festgestellt.
Die Entscheidung des FG geht von anderen Rechtsgrundsätzen aus. Sie ist daher aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Das FG hat nicht alle Umstände festgestellt, die im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung zu berücksichtigen sind. Die Sache ist daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FG wird bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen haben, daß nach Auffassung des Senats der geforderte enge sachliche Zusammenhang zwischen den Verträgen nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß sich der Erwerber zivilrechtlich - wenn auch ggf. unter Hinnahme von Rechtsnachteilen - allein von dem Vertrag über die Errichtung des Gebäudes wieder hätte lösen können (vgl. BFH-Urteil in BFHE 158, 483, BStBl II 1990, 181). Ferner wird das FG zu berücksichtigen haben, daß Gegenstand des Erwerbsvorgangs das bebaute Grundstück auch dann sein kann, wenn - wie im Streitfall - der Vertrag über das Grundstück beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet, der Vertrag über die Errichtung des Gebäudes aber nur einen (vgl. das BFH-Urteil vom 20. Dezember 1989 II R 8/87 BStBl II 1990, 443).
Fundstellen
Haufe-Index 416989 |
BFH/NV 1991, 409 |