Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung von Gewerbebetrieb und privater Vermögensverwaltung; Berücksichtigung von Spekulationsverlusten für Streitjahre vor 1999
Leitsatz (NV)
1. Zur Abgrenzung von Gewerbebetrieb und privater Vermögensverwaltung bei Optionsgeschäften.
2. Für Verluste aus Spekulationsgeschäften i.S. von § 23 EStG in den für die Jahre vor 1999 geltenden Fassungen sind, soweit diese Vorschriften auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 2004 2BvL 17/02 anwendbar bleiben, in den noch offenen Altfällen die allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Regelungen über Verlustausgleich und Verlustabzug anzuwenden.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; EStG § 15 Abs. 2 S. 1, § 23
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erklärten für das Streitjahr (1992) unter anderem einen Verlust der Klägerin aus Gewerbebetrieb (gewerblicher Handel mit Wertpapieren und Optionen) von 300 614 DM. Für die Wertpapiergeschäfte des Klägers im Streitjahr sowie für die Wertpapiergeschäfte beider Kläger für die Vorjahre erklärten sie hingegen die Spekulationserlöse als sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr geltenden Fassung. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) sah die Wertpapiergeschäfte der Klägerin im Streitjahr nicht als gewerblich an; er legte der Steuerfestsetzung einen Spekulationsgewinn der Klägerin von 97 619 DM zugrunde. Während des anschließenden Klageverfahrens fand eine Außenprüfung statt. Der Prüfer ermittelte aus den Wertpapiergeschäften der Klägerin einen Spekulationsverlust von 108 708 DM sowie Einkünfte aus sonstigen Leistungen (§ 22 Nr. 3 EStG) in Form von Optionsprämien von 287 706 DM.
Das FA erließ einen entsprechenden Änderungsbescheid, in dem die Spekulationsverluste unberücksichtigt blieben. Der Bescheid wurde gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der für das Streitjahr geltenden Fassung zum Gegenstand des Klageverfahrens.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte 2000, 126): Die Wertpapiergeschäfte der Klägerin seien nicht als gewerblich zu beurteilen, weil sie nicht den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung überschritten. Die Optionsprämien habe das FA zu Recht als sonstige Leistungen gemäß § 22 Nr. 3 EStG erfasst. Es habe auch zutreffend den Gesamt-Spekulationsverlust aus dem An- und Verkauf von Aktien und Optionen gemäß § 23 Abs. 4 Satz 3 EStG a.F. unberücksichtigt gelassen. Diese Regelung sei nicht verfassungswidrig. Der zu § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG a.F. ergangene Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 30. September 1998 2 BvR 1818/91 (BVerfGE 99, 88) sei auf die Vorschrift des § 23 Abs. 4 Satz 3 EStG a.F. nicht übertragbar.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das FG habe zu Unrecht einen gewerblichen Wertpapierhandel verneint. Die Klägerin habe sich unter Ausnutzung der beruflichen Fachkunde ihres Sohnes wie ein gewerblicher Stillhalter verhalten. Im Übrigen verstoße es gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), wenn die Merkmale der gewerblichen Tätigkeit für Optionsgeschäfte anders bestimmt würden als für den sog. gewerblichen Grundstückshandel. Jedenfalls müssten die Verluste aus den Optionsgeschäften mit den vereinnahmten Optionsprämien verrechnet werden. Die Spekulationsverluste seien Folge der Ausübung von Optionen. Beides gehöre wirtschaftlich zusammen. Ferner haben die Kläger mit Schriftsatz vom 4. September 2004 die bereits mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde vom 30. Dezember 1999 erhobene Verfahrensrüge wieder aufgegriffen, das FG habe ohne mündliche Verhandlung entschieden, obwohl das FA ausdrücklich nicht auf eine mündliche Verhandlung verzichtet habe.
Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben und die Einkünfte der Klägerin aus dem Verkauf und Kauf von Optionen und Wertpapieren als gewerblichen Wertpapierhandel zu besteuern.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Das FG hat zwar zu Recht entschieden, dass die Klägerin im Streitjahr keinen gewerblichen Wertpapierhandel betrieben hat. Es hat aber zu Unrecht bei der Anwendung des § 23 Abs. 4 Satz 3 EStG a.F. den Beschluss des BVerfG zum Verlustausgleichsverbot des § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG a.F. (BVerfGE 99, 88) unberücksichtigt gelassen.
1. Allerdings ist die im Revisionsverfahren erstmals mit Schriftsatz vom 4. September 2004 erhobene Verfahrensrüge, das FG habe ohne mündliche Verhandlung entschieden, obwohl das FA ausdrücklich nicht auf eine mündliche Verhandlung verzichtet habe, unzulässig.
a) Zwar bildet ein solcher Verstoß gegen § 90 Abs. 2 FGO einen absoluten Revisionsgrund i.S. von § 119 Nr. 3 und Nr. 4 FGO (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 119 Rz. 16 "mündliche Verhandlung"). Jedoch schreibt § 120 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 FGO in der bis einschließlich 2000 geltenden Fassung (heute § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b i.V.m. Abs. 2 Satz 1 FGO) vor, dass Verfahrensmängel innerhalb der Revisionsbegründungsfrist gerügt und die entsprechenden Tatsachen in dieser Frist bezeichnet werden müssen. Ist dies --wie im Streitfall-- nicht geschehen, kann die Verfahrensrüge nicht berücksichtigt werden (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. April 1997 IV R 60/95, BFHE 183, 150, 154, BStBl II 1997, 567).
b) Die Lückenhaftigkeit der Revisionsbegründung ist nicht deshalb unschädlich, weil die Kläger den Verfahrensfehler seinerzeit mit der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt hatten. Zwar ist innerhalb der Revisionsbegründungsfrist eine Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zulässig, wenn die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ihrem Inhalt nach auch zur Begründung der Revision genügt (BFH-Urteil vom 26. September 1995 VII R 29/95, BFH/NV 1996, 385). Die von den Klägern innerhalb der Revisionsbegründungsfrist eingereichte Revisionsbegründung enthält jedoch keine solche Bezugnahme, so dass die mit der Nichtzulassungsbeschwerde erhobene Verfahrensrüge im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden kann.
2. Zu Recht hat das FG die Wertpapiergeschäfte der Klägerin nicht als gewerblichen Wertpapierhandel beurteilt.
a) Einkünfte aus Gewerbebetrieb sind Einkünfte aus gewerblichen Unternehmen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG). Gewerbebetrieb ist eine selbständige nachhaltige Tätigkeit, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt (§ 15 Abs. 2 Satz 1 EStG). Zusätzliches ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist, dass die jeweilige Betätigung den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung überschreitet (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, 427, BStBl II 1984, 751, 762).
Für die Einordnung als gewerbliche oder als vermögensverwaltende Tätigkeit zieht die Rechtsprechung unterschiedliche Beweisanzeichen heran. Dabei kann nicht isoliert auf einzelne Merkmale abgestellt werden, vielmehr ist das Gesamtbild entscheidend, wobei die einzelnen Beweisanzeichen zu gewichten und gegeneinander abzuwägen sind (BFH-Urteil vom 20. Dezember 2000 X R 1/97, BFHE 194, 198, BStBl II 2001, 706). Die Beurteilung kann nicht für alle Wirtschaftsgüter einheitlich erfolgen; vielmehr sind die Besonderheiten des jeweiligen Sachbereichs zu beachten (vgl. BFH-Urteil vom 30. Juli 2003 X R 7/99, BFHE 204, 419, BStBl II 2004, 408 unter II. 2. b c). Danach ist es entgegen der Auffassung der Kläger sachgerecht, die Abgrenzung für die Veräußerung von Grundstücken anders vorzunehmen als für Wertpapiergeschäfte.
b) Wertpapiergeschäfte sind --selbst wenn sie erheblichen Umfang haben-- regelmäßig der privaten Vermögensverwaltung zuzuordnen; Gewerblichkeit kann nur bei Vorliegen besonderer Umstände angenommen werden (BFH-Urteil in BFHE 204, 419, BStBl II 2004, 408 unter II. 2. c). Insoweit hat besondere indizielle Bedeutung, ob der Steuerpflichtige auf eigene oder fremde Rechnung tätig wird und ob er sich unmittelbar an Marktteilnehmer wendet oder nur über eine Bank am Marktgeschehen teilnimmt. Handelt er ausschließlich für eigene Rechnung, so deutet dies darauf hin, dass der Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung nicht überschritten wird (BFH-Urteil in BFHE 204, 419, BStBl II 2004, 408 unter II. 2. g). Demgegenüber kommen der Zahl und dem Umfang der Wertpapiergeschäfte sowie dem Fremdfinanzierungsanteil keine entscheidende Bedeutung zu (BFH-Urteil in BFHE 204, 419, BStBl II 2004, 408 unter II. 3. a cc b bb).
c) Allerdings weist die Teilnahme an Optionsgeschäften, um die es im Streitfall geht, Besonderheiten auf. Optionen werden nicht zur Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen erworben. Sie gewähren keine Früchte, sondern werden dadurch "verwertet", dass der Inhaber sie ausübt oder verfallen lässt, bei Bestehen eines Sekundärmarktes auch durch Veräußerung. Der Erwerber spekuliert auf die Nichtausübung der Option und erbringt durch sein "Stillhalten" eine mit der Optionsprämie entgoltene Leistung. Diese Geschäfte sind im rechtstatsächlichen Regelfall "privater" Natur und (nur) nach näherer Maßgabe des § 22 Nr. 3, § 23 EStG steuerbar. Bei der Abgrenzung zwischen privater Vermögensverwaltung und Gewerbebetrieb ist die Grundentscheidung des Gesetzgebers zu respektieren, "gelegentliche" --§ 22 Nr. 3 EStG-- (Dienst-)Leistungen sowie auch mehrfache An- und Verkaufsvorgänge nicht in die Gewerblichkeit einzubeziehen (BFH-Urteil in BFHE 194, 198, BStBl II 2001, 706). Der Gesetzgeber hat die grundsätzlich private Natur von Termingeschäften dadurch bestätigt, dass er sie mit § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I, 402) als im privaten Bereich steuerbar erfasst hat. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG n.F. gelten Zertifikate, die Aktien vertreten, und Optionsscheine als Termingeschäfte im Sinne dieser Bestimmung.
d) Nach diesen Maßstäben ist die Vorentscheidung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FG hat seine aus der Abwägung der Beweisanzeichen des Streitfalles gewonnene Beurteilung damit begründet, die Klägerin habe ausschließlich Geschäfte auf eigene Rechnung betrieben, habe sich mit ihren Kauf- und Verkaufsabsichten nur an Banken gewendet und sei branchenfremd gewesen. Sie habe über keine eigene Büroorganisation verfügt und keine einschlägigen beruflichen Erfahrungen und Mittel gegenüber Dritten eingesetzt. Der hohe Fremdfinanzierungsanteil sei nicht entscheidend; denn er sei bei dem Umfang der getätigten Geschäfte ebenso wie die Beauftragung von zum Börsenhandel zugelassenen Banken auch im privaten Bereich üblich. Diese Würdigung des FG lässt keine Rechtsfehler, insbesondere keine Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze erkennen. Sie ist möglich und deshalb für den Senat bindend (vgl. § 118 Abs. 2 FGO).
Die Tätigkeit der Klägerin ist im Übrigen auch nicht deshalb als gewerblich zu beurteilen, weil --wie sie in der mündlichen Verhandlung näher erläutert hat-- ihr Sohn besondere Sachkunde als Bankkaufmann besaß und aufgrund seiner Kontakte in der Lage war, für ihre Rechnung Geschäfte zu tätigen, die ihrer Art nach Privatanlegern gewöhnlich verschlossen sind. Zwar kann ein Gewerbetreibender für seine Tätigkeit Hilfskräfte in Anspruch nehmen. Die Merkmale der Gewerblichkeit erfüllt er aber nur dann, wenn er selbst die maßgeblichen Entscheidungen trifft und die Ausgestaltung der Tätigkeit der Hilfskräfte bestimmt. Die Klägerin hat sich indessen die Fachkenntnisse ihres Sohnes lediglich zu Nutze gemacht, ähnlich wie ein Privatanleger, der eine Bank oder einen gewerblichen Anlageberater beauftragt. Die gewerbliche Tätigkeit der Bank oder des Anlageberaters ist dem Anleger nicht dergestalt zuzurechnen, dass seine Vermögensverwaltung deshalb die Grenze zur Gewerblichkeit überschreitet.
3. Jedoch hat das FG seiner Entscheidung die Auffassung zugrunde gelegt, der zu § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG a.F. ergangene Beschluss des BVerfG in BVerfGE 99, 88 sei auf die Vorschrift des § 23 Abs. 4 Satz 3 EStG a.F. nicht übertragbar. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Wie der Senat in seinem Urteil vom 1. Juni 2004 IX R 35/01 (BFH/NV 2004, 1180) entschieden hat, ist § 23 Abs. 4 Satz 3 EStG a.F. nach den Maßstäben des BVerfG-Beschlusses in BVerfGE 99, 88 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Gleichwohl kommt eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht in Betracht. Vielmehr sind für Streitjahre vor 1999, soweit § 23 EStG insoweit auch unter Berücksichtigung des Urteils des BVerfG vom 9. März 2004 2 BvL 17/02 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2004, 471) anwendbar bleibt, die vom BVerfG in BVerfGE 99, 88 zu § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG a.F. entwickelten Grundsätze auf die noch offenen Altfälle, die von § 23 Abs. 4 Satz 3 EStG a.F. betroffen sind, verfassungskonform entsprechend anzuwenden. Danach gelten auch für diese Altfälle die allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Regelungen über Verlustausgleich und Verlustabzug.
4. Da die Vorentscheidung auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Da die allgemeinen Grundsätze über Verlustausgleich und Verlustabzug anzuwenden sind, sind die Spekulationsverluste der Klägerin mit anderen positiven Einkünften zu verrechnen. Außerdem ist zu prüfen, inwieweit die in anderen Jahren erzielten negativen Einkünfte aus sonstigen Leistungen (§ 22 Nr. 3 EStG a.F.) und Spekulationsverluste (§ 22 Nr. 2, § 23 EStG a.F.) im Streitjahr nach der damals geltenden Fassung des § 10d EStG zu berücksichtigen sind. Das FG muss die dazu notwendigen Feststellungen nachholen und erforderlichenfalls das Verfahren gemäß § 74 FGO aussetzen, um dem FA Gelegenheit zu geben, jeweils den verbleibenden Verlustabzug nach § 10d Abs. 3 EStG gesondert festzustellen (BFH-Urteil vom 6. Juli 1999 VIII R 12/98, BFHE 189, 148, BStBl II 1999, 731).
Fundstellen