Leitsatz (amtlich)

Die Lieferung von Hälften von Schweinen, die aus dem Ausland eingeführt und im Inland geschlachtet worden sind, an die Einfuhr- und Vorratsstelle für Schlachtvieh, Fleisch und Fleischerzeugnisse zur Einlagerung in die Bundesreserve ist nicht nach § 17 Abs. 3 Satz 4 des Vieh- und Fleischgesetzes vom 25. April 1951 (BGBl I 1951, 272) von der Umsatzsteuer befreit.

 

Normenkette

Vieh- und Fleischgesetz § 17; UStDB § 48

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Lieferung von Hälften von Schweinen, die aus dem Ausland eingeführt und im Inland geschlachtet worden sind, an die Einfuhr- und Vorratsstelle für Schlachtvieh, Fleisch und Fleischerzeugnisse (im folgenden EVSt) zur Einlagerung in die Bundesreserve umsatzsteuerpflichtig ist.

Die EVSt hatte den Abschluß von Übernahmeverträgen über lebende Schlachtschweine aus dem Ausland zu bestimmten Bedingungen ausgeschrieben. Auf die Ausschreibung meldete sich die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige -- Stpfl. --), eine Arbeitsgemeinschaft, die von inländischen Firmen zu dem Zwecke gebildet worden war, Schlachtschweine aus dem Ausland einzuführen und sie lebend oder geschlachtet an Dritte weiterzuliefern. Auf das Angebot der Stpfl. erklärte die EVSt die "Übernahme" der zur Einfuhr aus dem Ausland vorgesehenen Schlachtschweine (§ 17 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Vieh und Fleisch -- Vieh- und Fleischgesetz -- vom 25. April 1951, BGBl I S. 272 -- im folgenden VuFlG --). Gleichzeitig verpflichtete sie die Stpfl., die Schlachtschweine zum vereinbarten Übernahmepreis "zurückzukaufen" (§ 17 Abs. 3 Satz 4 VuFlG). Sie machte der Stpfl. die folgende Auflage: "Die bei der Schlachtung der Schweine anfallenden Hälften werden von der EVSt übernommen und dürfen nicht ohne Zustimmung der EVSt anderweitig abgegeben oder verwertet werden." Die Stpfl. ließ die eingetroffenen Schweine schlachten und lieferte die angefallenen Hälften zur Einlagerung an die EVSt.

Das Finanzamt (FA) zog die Lieferungen der Schweinehälften an die EVSt zur Umsatzsteuer heran. Hiergegen wendet sich die Stpfl. auf dem Finanzrechtswege. Sie vertritt die Auffassung, die Lieferungen seien nach § 17 Abs. 3 Satz 4 VuFlG umsatzsteuerfrei. Einspruch und Berufung (jetzt Klage) wurden als unbegründet zurückgewiesen. Auch die Rb., die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist (§ 184 Abs. 2, §§ 144 ff. FGO), kann keinen Erfolg haben.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

I.

§ 17 Abs. 3 Satz 4 VuFlg, auf den die Stpfl. ihr Begehren stützt, hat den folgenden Wortlaut:

"Die Übernahme und die Abgabe durch die Einfuhr- und Vorratsstelle sind von der Umsatzsteuer befreit." Die Begriffe "Übernahme" und "Abgabe", die das Umsatzsteuergesetz (UStG) nicht kennt, sind nur im Zusammenhang mit den vorangehenden Sätzen des § 17 Abs. 3 VuFlg verständlich.

Die Überschrift über § 17 VuFlg lautet: "Aufgaben der Einfuhr- und Vorratsstelle." Es handelt sich, wie schon der Name der Einrichtung, einer Anstalt des öffentlichen Rechts, besagt, hauptsächlich um zwei Aufgaben, von denen die eine mit der Einfuhr (§ 17 Abs. 1 bis 4 a. a. O.), die andere mit der Vorratshaltung (§ 17 Abs. 5 a. a. O.) zusammenhängt.

1. Die erste Hauptaufgabe der EVSt wird als "Einfuhrregelung", "Einfuhrkontrolle" oder "Einfuhrschleusung" gekennzeichnet. Der Einführer von Schlachtvieh, Fleisch oder Fleischerzeugnissen hat die Ware der EVSt "zum Kauf anzubieten" (§ 17 Abs. 1 VuFlg). Die EVSt ist zur "Übernahme" der angebotenen Ware berechtigt, aber nicht verpflichtet (§ 17 Abs. 3 Satz 1 VuFlg). Macht sie von ihrem "Übernahmerecht" keinen Gebrauch, so darf die Ware im Bundesgebiet weder in den Verkehr gebracht noch verarbeitet oder sonst verwertet werden (§ 17 Abs. 3 Satz 2 VuFlG). Der EVSt steht also zwecks Verhinderung der Einfuhr unerwünschter Waren das sogenannte "Embargo" zu. Sie wirkt insoweit als Mengenschleuse. Die EVSt kann, wenn sie die angebotene Ware übernimmt, den Einführer verpflichten, die Ware zu einem vom Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BML) im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft festgestellten (höheren oder niedrigeren) Abgabepreis "zurückzukaufen" (§ 17 Abs. 3 Satz 3 VuFlG). Hierdurch wird für die EVSt die Möglichkeit eröffnet, je nach Bedarf durch Abschöpfung oder Subventionierung des Unterschiedsbetrages zwischen Übernahme- und Abgabepreis den Inlandspreis für die ausländische Ware zu regulieren, m. a. W. das ausländische Preisniveau dem inländischen anzugleichen. Sie wirkt insoweit als Preisschleuse. Im Streitfalle hatte die EVSt die Übernahme der Schweine erklärt, eine Preisregulierung im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 3 VuFlG aber nicht vorgenommen, sondern lediglich formell den vereinbarten Übernahmepreis (Kaufpreis) als Abgabepreis (Rückkaufpreis) festgesetzt.

2. Die zweite Hauptaufgabe der EVSt besteht darin, bei besonderem Auftrag seitens des BML Fleisch- und Fleischerzeugnisse zu "erwerben" und "einzulagern". Sie kann zur Vorratsbildung Inlands- oder Auslandsware verwenden. Es sollen diejenigen Mengen eingelagert werden, die erforderlich sind, um eine gleichmäßige Versorgung zu gewährleisten und Marktschwankungen nach Möglichkeit auszugleichen (§ 17 Abs. 5 VuFlG). Von der Möglichkeit des "Erwerbs" und der "Einlagerung" hat die EVSt im Streitfall Gebrauch gemacht, indem sie die Schweine nach ihrer Schlachtung und Halbierung erwarb und zwecks Vorratshaltung einlagern ließ.

Die EVSt hat außer den beiden dargestellten noch andere Aufgaben (insbesondere Zustimmung zur Ausfuhr von Schlachtvieh, Fleisch und Fleischerzeugnissen gemäß § 17 Abs. 6 VuFlG), die jedoch hier nicht interessieren.

II.

Die oben wörtlich angeführte Befreiungsvorschrift bezieht sich nur auf die erste Hauptaufgabe der EVSt, die Einfuhrregelung.

1. Das ergibt sich aus der Stellung der Befreiungsvorschrift am Ende des Absatzes 3 des § 17 VuFlG. Wäre Steuerfreiheit für die Lieferung von Fleisch usw. an die EVSt zwecks Vorratshaltung vorgesehen, so würde die Befreiungsvorschrift am Ende des Absatzes 5 des § 17 VuFlG stehen. Sollte sie nach dem Willen des Gesetzgebers die mit beiden Hauptaufgaben der EVSt (Einfuhrregelung und Vorratshaltung) zusammenhängenden Vorgänge umfassen, so wäre sie in einem besonderen Absatz hinter Absatz 5 zu finden.

2. In § 17 Abs. 3 Satz 4 VuFlG wird als Gegenstand der Umsatzsteuerbefreiung die "Übernahme" und "Abgabe" bezeichnet. Der Begriff "Übernahme" findet sich in § 17 a. a. O. nur im Zusammenhang mit der Einfuhrregelung (Abs. 3); im Zusammenhang mit der Vorratshaltung (Abs. 5) wird von "Erwerben" gesprochen, dem seitens des Einführers ein "Liefern" entspricht. Auch der Gebrauch der Spezialausdrücke "Übernahme" und "Abgabe" statt des im Umsatzsteurrecht üblichen Begriffs "Lieferung" läßt darauf schließen, daß durch § 17 Abs. 3 Satz 4 VuFlG nur Vorgänge im Rahmen der Einfuhrschleusung von der Umsatzsteuer befreit werden sollen. Wegen des engen Zusammenhanges der Sätze 1 bis 4 des § 17 Abs. 3 VuFlG brauchte der Gesetzgeber in Satz 4 nicht nochmals besonders zu betonen, daß es sich bei der "Übernahme" und "Abgabe" ausschließlich um Vorgänge zwischen dem "Einführer" und der EVSt anläßlich der Einfuhrregelung handele.

3. "Übernahme" und "Abgabe" ("Verkauf" und "Rückkauf") gemäß § 17 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 a. a. O. sind Vorgänge, die Kontrollzwecken dienen und sich nur auf dem Papier abspielen. Es findet weder eine Warenbewegung noch eine Übertragung der Verfügungsmacht statt. Es trifft daher die vom Schrifttum vertretene Auffassung zu, daß es sich insoweit um nichtsteuerbare Vorgänge handelt, deren Befreiung von der Umsatzsteuer überflüssig war. Es handelt sich lediglich um eine (unscharf gefaßte) Klarstellung, daß der papiermäßige "Verkauf" und "Rückkauf" der Ware zur Erfüllung der oben (Abschnitt I 1) dargestellten ersten Aufgabe der EVSt (Einfuhrregelung) der Umsatzsteuer nicht unterliegt. Die von der Stpfl. gezogene Schlußfolgerung, die Befreiungsvorschrift des § 17 Abs. 3 Satz 4 VuFlG müsse sich, weil sie im Rahmen der Einfuhrregelung überflüssig sei, auf die Vorratshaltung erstrecken, geht fehl.

4. Zu Recht weist das Finanzgericht (FG) in diesem Zusammenhang auf die Entstehungsgeschichte des VuFlG hin. Der Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Vieh und Fleisch (Vieh- und Fleischgesetz) -- Deutscher Bundestag 1. Wahlperiode, 1949, Drucksache Nr. 1034 --, der im Dritten Abschnitt (§§ 15, 16) lediglich eine "Vorratsstelle für Fleisch" vorsah, weil eine Steuerung der Einfuhr zunächst für entbehrlich gehalten wurde (vgl. Begründung a. a. O. S. 6, 7, 12), enthielt keine Umsaztsteuerbefreiungsbestimmung. Erst als der Gesetzentwurf auf Vorschlag des Bundesrats geändert und die "Vorratsstelle" zu einer "Einfuhr- und Vorratsstelle" ausgebaut wurde, fand die Befreiungsbestimmung Eingang in das Gesetz, und zwar -- wie oben (Abschnitt II 1) ausführt -- in den Vorschriften über die Einfuhrregelung. Eine Ausdehnung auf die Vorschriften über die Vorratshaltung unterblieb.

5. Eine solche Erweitung der Steuerfreiheit wäre auch dem Zweck des § 17 Abs. 3 Satz 4 VuFlG, die aus dem Ausland eingeführten Waren durch die bloße Einfuhrsteuerung (Einfuhrkontrolle) nicht zusätzlich mit Umsatzsteuer zu belasten, zuwidergelaufen. Es bestand weder ein Grund, die Lieferung von Auslandswaren an die EVSt zwecks Vorratshaltung im Gegensatz zur Lieferung von Inlandswaren von der Umsatzsteuer zu befreien, noch -- unter Ausdehnung der Befreiungsvorschrift (entgegen ihrem Wortlaut) auf die Lieferung ausländischer und inländischer Waren -- ein Anlaß, eine ganze Wirtschaftsstufe von der Umsatzsteuer auszunehmen.

III.

Die Einwendungen der Stpfl. gegen die (auch im gesamten Schrifttum vertretene) Auffassung, daß sich die Befreiungsvorschrift des § 17 Abs. 3 Satz 4 VuFlG nicht auf die Lieferungen an die EVSt zur Vorratshaltung erstreckt, greifen nicht durch:

1. Die Einfuhrschleusung und die Vorratshaltung sind Maßnahmen, die -- wie oben (Abschnitt I) dargelegt -- auf völlig verschiedenen Aufgaben der EVSt beruhen und die daher umsatzsteuerrechtlich getrennt zu beurteilen sind. Die sich nur auf dem Papier vollziehenden Vorgänge der Einfuhrschleusung, nämlich die "Übernahme" der Ware vom Einführer und die sich unmittelbar anschließende "Abgabe" derselben Ware an den Einführer, sind nicht umsatzsteuerbar (vgl. oben Abschnitt II 3), die nachfolgende "Lieferung" der Ware seitens des Einführers an die EVSt zwecks Vorratshaltung ist umsatzsteuerbar und mangels einer Befreiungvorschrift umsatzsteuerpflichtig. Von einer "Aufspaltung" eines einheitlichen Vorgangs durch das FG kann keine Rede sein. Die Urteile des Senats V 53/55 vom 31. Januar 1956 (nicht veröffentlicht) und V 214/58 S vom 22. November 1962 (BFH 76, 532, BStBl III 1963, 194) sind nicht einschlägig. Im Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin V A 28/60 vom 11. Juli 1962 (EFG 1963, S. 236) wird hinsichtlich der "Übernahme" und "Abgabe" dieselbe Auffassung vertreten wie oben in Abschnitt II 3.

2. Entgegen der Annahme der Stpfl. hat das FG in der Vorentscheidung nicht dadurch gegen die Denkgesetze verstoßen, daß es sich einerseits für die Richtigkeit seiner Rechtsauffassung auf den Verordnungsgeber beruft, der es für notwendig erachtet habe, die Lieferungen der EVSt aus der Vorratshaltung durch § 48 UStDB von der Umsatzsteuer zu befreien, anderseits es aber für unerheblich ansieht, ob diese Befreiungsvorschrift gültig oder mangels ausreichender gesetzlicher Ermächtigung nichtig ist. Denn an dem Willen des Verordnungsgebers würde sich durch die Nichtigkeit der von ihm geschaffenen Vorschrift nichts ändern. Im übrigen spielt es für das vorliegende Verfahren keine Rolle, ob § 48 UStDB gültig oder nichtig ist. Denn durch diese Vorschrift werden nur die Lieferungen der EVSt, nicht die der Einführer angesprochen. Die umfangreichen Ausführungen der Stpfl. zur Rechtsgültigkeit des § 48 UStDB haben mit der hier streitigen Rechtsfrage nichts zu tun. Von einem "Kunstgriff" des Verordnungsgebers, der die Steuerfreiheit auf die Lieferungen eingelagerter Gegenstände der EVSt beschränkt habe, obwohl sie der Gesetzgeber (in § 17 Abs. 3 Satz 4 VuFlG) auf die Lieferungen der Einführer an die EVSt ausgedehnt habe, kann nach den Darlegungen oben in Abschnitt II keine Rede sein. Aus diesem Grunde ist auch die beantragte Verbindung der vorliegenden Sache mit der Sache V 87/65, die die Rechtsgültigkeit des § 48 UStDB betrifft, nicht sachdienlich.

3. Es ist auch kein Verstoß der Vorinstanz gegen verfahrensrechtliche Vorschriften ersichtlich. Ausweislich der Verhandlungsniederschrift hat der Berichterstatter der Vorinstanz in der mündlichen Verhandlung vom 4. März 1963 die Sach- und Rechtslage vorgetragen. Die Prozeßbeteiligten hatten im Berufungsverfahren (jetzt Klageverfahren) hinreichend Gelegenheit, ihre Rechtsauffassung darzulegen und Anträge zu stellen. Sie erklärten am Ende der Verhandlung, daß ihnen das rechtliche Gehör gewährt worden sei. Eine Verpflichtung des Vorsitzenden, von sich aus unter Heranziehung eines vom Kläger für einschlägig gehaltenen BFH-Urteils Rechtsausführungen zu machen, besteht nicht.

Die Revision war daher in vollem Umfange mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen. Die Bestimmung des Streitwerts beruht auf § 140 Abs. 3 FGO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 424594

BStBl III 1967, 503

BFHE 1967, 434

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