Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn einer Betriebsprüfung als verjährungshemmendes Ereignis
Leitsatz (NV)
Mit einer Betriebsprüfung i.S. des § 146a AO ist bereits dann begonnen, wenn der Prüfer Handlungen zur Ermittlung des Steuerfalls vornimmt.
Normenkette
AO § 146a Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute; sie werden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger ist Eigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebs (Gut X) den er bis zum 30. Juni 1970 selbst bewirtschaftete. Am 1. Juli 1970 brachte er seinen Betrieb in eine aus ihm und seinen Kindern bestehende GbR (Gut X GbR) ein. Außerdem war der Kläger seit 1. Juli 1975 auch noch an einer weiteren, die Landwirtschaft betreibenden GbR (Gut Y GbR) als Gesellschafter beteiligt. Daneben übte der Kläger - auch schon im Streitjahr 1970 - den Beruf eines amtlich anerkannten landwirtschaftlichen Sachverständigen aus.
Für das Streitjahr reichten die Kläger ihre Steuererklärungen am 18. Mai 1972 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) ein. Hierauf veranlagte das FA die Kläger gemäß § 26b des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit Bescheid vom 2. November 1972 zu einer Einkommensteuer von . . . DM. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 23. September 1977 teilte der Prüfer A von der Betriebsprüfungsstelle dem Kläger fernmündlich mit, daß voraussichtlich am 17. Oktober 1977 mit einer Außenprüfung in seinem landwirtschaftlichen Betrieb begonnen werden solle. Am 11. Oktober 1977 wurden Prüfungsanordnungen zur ,,Steuernummer" . . . (Name des Klägers), Landw. Betrieb", zur ,,Steuernummer . . . (Gut X GbR) und zur StNr. . . . (Gut Y GbR) gefertigt und darin der 17. Oktober 1977 als voraussichtlicher Prüfungsbeginn eingetragen. Auf Wunsch des Klägers wurde der Prüfungsbeginn zunächst auf den 31. Oktober 1977 und sodann nochmals auf den 21. November 1977 verschoben. Die Prüfungsanordnungen, in denen das Datum des voraussichtlichen Prüfungsbeginns auf den 21. November 1977 geändert worden war, gingen dem Kläger am 21. Oktober 1977 zu. In der an den Kläger gerichteten Prüfungsanordnung war unter den zu prüfenden Steuerarten und Prüfungszeiträumen u.a. die Einkommensteuer 1969 bis 1975 vorgesehen. Ferner war in der an die Gut Y GbR gerichteten Prüfungsanordnung die ,,Feststellung 1970 bis 1975" als Gegenstand der Prüfung genannt.
Die am 29. November 1977 durch den Prüfer begonnene Außenprüfung wurde nach drei Prüfungstagen unterbrochen und Anfang 1978 bis zum 31. März 1978 fortgesetzt.
Am Ende der Prüfung wurde festgestellt, daß der Kläger seine im Streitjahr 1970 erzielten Einkünfte aus der Sachverständigentätigkeit aufgrund eines Ablesefehlers seiner Buchstelle um . . . DM zu niedrig angegeben hatte. Aufgrund dieser Feststellung änderte das FA den Einkommensteuerbescheid 1970 vom 2. November 1972 gemäß § 173 der Abgabenordnung (AO 1977) mit Bescheid vom 3. Mai 1979; hiernach ergab sich eine um . . . DM höhere Einkommensteuer für die Kläger.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Kläger Einspruch. Sie machten geltend, der Einkommensteueranspruch für das Streitjahr sei bereits mit Ablauf des 31. Dezember 1977 durch Verjährung erloschen. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Auch die Klage wurde abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat zu Recht angenommen, daß der Einkommensteueranspruch 1970 bei Erlaß des angefochtenen Bescheids noch nicht verjährt war.
1. Die Verjährungsfrage ist nach der Rechtslage zu beurteilen, die vor dem Inkrafttreten der AO 1977 bestanden hat (Art. 97 § 10 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -). Hiernach waren für die mit Ablauf des Kalenderjahres 1965 oder später entstandenen Abgabenansprüche gemäß Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 - AOÄG - (BGBl I, 1356, BStBl I, 643) die Verjährungsvorschriften der AO in der Fassung des AOÄG (AO n.F.) maßgebend. Für den nach § 3 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) mit Ablauf des Kalenderjahres 1970 entstandenen Einkommensteueranspruch 1970 richtete sich die Verjährung somit nach den §§ 143 ff. AO n.F.
2. Dem FG ist darin beizupflichten, daß nach diesen Verjährungsvorschriften der Einkommensteueranspruch 1970 noch nicht verjährt war.
a) Grundsätzlich begann die Verjährung nach § 145 Abs. 1 AO n. F. mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Abweichend von diesem Grundsatz begann die Verjährung bei gewissen Steuerarten, zu denen auch die Einkommensteuer zählt, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung für den jeweiligen Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum abgegeben wurde, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf die Entstehung des Steueranspruchs folgte (§ 145 Abs. 2 Nr. 1 AO n.F.).
Da die Kläger die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1970 am 18. Mai 1972 beim FA abgegeben hatten, begann die Verjährung des Einkommensteueranspruchs 1970 hiernach mit Ablauf des Jahres 1972.
b) Die Verjährungsfrist von fünf Jahren (§ 144 AO n.F.) hätte mit Ablauf des Jahres 1977 nur dann enden können, wenn der Ablauf der Verjährungsfrist nicht gemäß § 146a AO gehemmt worden wäre. Die Voraussetzungen für eine Ablaufhemmung nach § 146a AO waren indessen gegeben.
§ 146a Abs. 3 AO n.F. sieht für den Fall, daß vor Ablauf der Verjährungsfrist mit einer Betriebsprüfung begonnen oder deren Beginn auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben wird, eine Verjährungshemmung vor; danach verjähren die Ansprüche, auf die sich die Betriebsprüfung erstreckt oder im Fall der Hinausschiebung der Betriebsprüfung erstrecken sollte, nicht, bevor die aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind oder dem Steuerpflichtigen die Mitteilung zugegangen ist, daß die Festsetzung unterbleibt.
aa) Allerdings kann der Auffassung des FG, die Verjährungsfrist für den Anspruch auf Einkommensteuer 1970 sei schon deshalb vor ihrem Ablauf gehemmt worden, weil sich der Antrag des Klägers auf Verschiebung der Betriebsprüfung auch auf die Einkommensteuer 1970 bezogen habe, nicht gefolgt werden.
Dabei kann dahinstehen, ob ein Steuerpflichtiger die Hinausschiebung der Prüfung mit verjährungshemmender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt beantragen kann, in dem ihm die förmliche Prüfungsanordnung bekanntgegeben wird. Selbst wenn man es als Voraussetzung für die Verjährungshemmung i.S. des § 146a Abs. 3 AO n.F. genügen ließe, daß dem Steuerpflichtigen eine formlose Mitteilung über den voraussichtlichen Prüfungsbeginn zugegangen ist, müßte in diesem Fall aus der Mitteilung für den Steuerpflichtigen klar erkennbar sein, was Prüfungsgegenstand sein sollte und worauf sich daher sein Antrag auf Verschiebung bezieht (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3. Juni 1975 VII R 46/72, BFHE 116, 95, BStBl II 1975, 786, und vom 11. Oktober 1983 VIII R 11/82, BFHE 139, 496, BStBl II 1984, 125). - Daran hat es im Streitfall gefehlt. Nach den vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen sollte sich die Prüfung nach dem Prüfungsgeschäftsplan u.a. auf gewisse im Bezirk des beklagten FA belegene landwirtschaftliche Großbetriebe (Nr. 32 des Prüfungsgeschäftsplans: . . . (Name des Klägers), St. Nr. . . .; Nr. 33 des Prüfungsgeschäftsplans: Gut X GbR, St. Nr. . . .) erstrecken. Die telefonische Ankündigung der Prüfung ließ indessen nicht den genauen Umfang der Prüfung erkennen; insbesondere ging hieraus nicht eindeutig hervor, daß auch die Einkommensteuerpflicht des Klägers für das Jahr 1970 Gegenstand der Prüfung sein sollte. Infolgedessen konnte auch der Antrag des Klägers auf Verschiebung des Prüfungsbeginns nicht dahin gedeutet werden, er habe hinsichtlich der Einkommensteuer 1970 um Verschiebung des Prüfungsbeginns bitten wollen. Seinem Verschiebungsantrag kommt deshalb insoweit keine verjährungshemmende Wirkung zu.
bb) Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt ist die Hemmung der Verjährung hinsichtlich des Einkommensteueranspruchs 1970 indessen aus einem anderen Grunde eingetreten. Die Verjährung ist gemäß § 146a Abs. 3 AO gehemmt worden, weil noch vor Ablauf der Verjährungsfrist mit der - auch die Einkommensteuer 1970 umfassenden - Prüfung begonnen worden war.
Nach dem BFH-Urteil vom 7. August 1980 II R 119/77 (BFHE 131, 437, BStBl II 1981, 409) ist mit einer Betriebsprüfung i.S. des § 146a Abs. 3 AO bereits dann begonnen, wenn der Prüfer Handlungen zur Ermittlung des Steuerfalls vornimmt. Der Beginn der Prüfung kann darin liegen, daß sich der Prüfer - wie im Streitfall - bei dem Steuerpflichtigen einfindet, um einzelne, den Betrieb betreffende Fragen zu besprechen. Dabei ist unerheblich, mit welcher der zu prüfenden Steuerarten der Prüfer seine Ermittlungen beginnt; entscheidend ist lediglich, daß vor Ablauf der Verjährung überhaupt mit der Prüfung begonnen wurde und im Zuge der Prüfung auch die jeweilige Steuerart entsprechend der Anordnung aufgegriffen wird (BFHE 131, 437, BStBl II 1981, 409). Entsprechendes gilt, wenn sich die Prüfung nicht nur auf die steuerrechtlichen Verhältnisse eines einzelnen Steuerpflichtigen erstreckt, sondern auch auf die Betriebssteuern und die Gewinnfeststellungen für ein Unternehmen, das zeitweise von dem Steuerpflichtigen allein, zeitweise zusammen mit anderen betrieben wurde. Sind in solchen Fällen Prüfungsanordnungen gegen den Steuerpflichtigen (wegen dessen Einkommensteuer) sowie gegen die - durch diesen Steuerpflichtigen vertretenen - Personengesellschaften ergangen, so ,,beginnen" die - zum selben Zeitpunkt und am selben Ort bei dem betreffenden Steuerpflichtigen vorgesehenen - Prüfungen für alle Prüfungsbereiche schon damit, daß Ermittlungshandlungen für einen dieser Bereiche vorgenommen werden.
Im Streitfall ist in der an . . . (Name des Klägers) unter der StNr. . . . gerichteten Prüfungsanordnung unter den zu prüfenden Steuerarten und Besteuerungszeiträumen die Einkommensteuer für die Jahre 1969 bis 1975 genannt. Aufgrund dieser vom 11. Oktober 1977 stammenden Anordnung war klar, daß sich die Prüfung auch auf die Einkommensteuer des Klägers für das Jahr 1970 erstrecken sollte. Die Einkommensteuer 1970 gehörte zu den Steuern, die zusammen mit den Betriebssteuern bzw. mit der Feststellung der Gewinne der Gut X GbR und der Gut Y GbR in einem einheitlichen Prüfungszusammenhang standen. Mit der Prüfung aller genannten Prüfungsbereiche wurde gemäß den an den Kläger adressierten Prüfungsanordnungen am 29. November 1977 ,,begonnen". Es steht fest, daß der Prüfer im Jahre 1977 insgesamt an drei Tagen beim Kläger war. Wie sich aus den vom FG in seinem Urteil in Bezug genommenen Aussagen des Zeugen A und des Klägers ergibt, hat er dort einzelne Prüfungshandlungen vorgenommen. Auch wenn diese Ermittlungshandlungen nicht die Einkommensteuer des Klägers für das Jahr 1970 betroffen haben, reichten sie aus, um auch die Verjährung der in der Prüfungsanordnung genannten - und erst im Jahre 1978 überprüften - Einkommensteuer 1970 zu hemmen.
Die Auffassung des Klägers, die im Jahre 1977 vorgenommenen Ermittlungsmaßnahmen des Prüfers seien ,,Scheinhandlungen" gewesen, die lediglich den Zweck gehabt hätten, die Ablaufhemmung eintreten zu lassen, trifft nicht zu. Wenn auch die Prüfung nach drei Tagen unterbrochen wurde, so läßt sich die Ernsthaftigkeit der in dieser Zeit getroffenen Ermittlungshandlungen dennoch nicht in Zweifel ziehen.
Der Einkommensteueranspruch 1970 war demnach zu der Zeit, als das FA seinen zur Auswertung des Betriebsprüfungsberichts erlassenen Änderungsbescheid für die Einkommensteuer 1970 ausfertigte (3. Mai 1979), noch nicht verjährt.
Fundstellen
Haufe-Index 60853 |
BFH/NV 1985, 10 |