Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Werden Ehegatten getrennt zur Einkommensteuer veranlagt, so kann nur der Ehegatte, der die Voraussetzungen des § 10 a EStG in seiner Person erfüllt, die Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns in Anspruch nehmen. § 62 c Abs. 1 Satz 1 EStDV 1957 enthält eine zutreffende Auslegung des Gesetzes.
Eine Ehefrau kann nicht schon deshalb die Anwendung des § 10 a EStG für sich verlangen, weil ihr Ehemann, mit dem sie zur Zeit der Vertreibung gemäß § 26 EStG alter Fassung zusammen veranlagt wurde, seine Erwerbsgrundlage verloren hat.
Normenkette
EStG §§ 10a, 26, 26a; EStDV § 62c
Tatbestand
Streitig ist, ob die Bgin. die Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns in Anspruch nehmen kann. Die Bgin. ist Heimatvertriebene und hat den Flüchtlingsausweis A. Seit 1955 ist sie Kommanditistin der Firma A.-KG; ihr Ehemann, mit dem sie seit 1925 verheiratet ist, ist persönlich haftender Gesellschafter; an der Gesellschaft ist auch der 1938 geborene Sohn als Kommanditist beteiligt.
Für das Streitjahr 1956 verlangten die Ehegatten die getrennte Veranlagung nach § 26 Abs. 1 Satz 1, § 26 a EStG 1957; die Einkünfte des Sohnes wurden antragsgemäß der Bgin. zugerechnet. Die beantragte Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns gewährte das Finanzamt der Bgin. nicht, weil sie nicht wie § 10 a EStG in Verbindung mit § 62 c Abs. 1 EStDV 1957 für den Fall der getrennten Veranlagung voraussetze, durch die Vertreibung eine eigene Erwerbsgrundlage verloren habe. Die Bgin. machte geltend, sie habe dadurch, daß ihr Ehemann seine Erwerbsgrundlage verloren habe, auch als Ehefrau ihre Existenzgrundlage verloren; sie sei zur Zeit der Vertreibung Hausfrau und Mutter gewesen; einen Beruf habe sie nicht ausgeübt, weil dazu keine wirtschaftliche Notwendigkeit bestanden habe; ihr gesetzlicher Unterhaltsanspruch gegen den Ehemann sei durch die Vertreibung gefährdet worden. Im übrigen habe sie auch eine eigene Erwerbsgrundlage verloren; denn sie sei als Kunstgewerblerin ausgebildet, habe aber diesen Beruf nicht ausgeübt, weil ihr Ehemann als leitender Angestellter einer Lebensmittelfabrik genug verdient habe; sie habe allerdings in dem Betrieb, in dem ihr Ehemann beschäftigt gewesen sei, als Kunstgewerblerin mitgeholfen, zum Beispiel auf Messen und Ausstellungen sowie bei der Werbung und bei der Herausgabe von Kochbüchern; sie habe dafür jährlich auch 1.000 bis 3.000 RM erhalten. Ferner habe sie von ihren wohlhabenden Eltern aus deren Mieteinnahmen ein "Nadelgeld" von 800 bis 1.000 RM monatlich bezogen. Für den Fall der Versagung der Steuerbegünstigung nach § 10 a EStG beantragte die Bgin. hilfsweise, ihren Sohn nicht mit ihr, sondern mit ihrem Ehemann zusammen zu veranlagen.
Die Sprungberufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht führte aus, der Verlust der Existenzgrundlage des Ehemannes bedeute auch den Verlust der Existenzgrundlage für die Ehefrau; Ehegatten, die vordem zusammen veranlagt worden seien, müßten als steuerliche Einheit behandelt werden.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Bei getrennter Veranlagung von Ehegatten gemäß § 26 a EStG 1957 kann nach § 62 c Abs. 1 Satz 1 EStDV 1957 nur der Ehegatte die Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns im Sinne des § 10 a EStG in Anspruch nehmen, der in seiner Person die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, insbesondere also eine eigene Erwerbsgrundlage verloren hat. Werden dagegen Ehegatten zusammen veranlagt, so genügt es, wenn einer von ihnen zu dem begünstigten Personenkreis gehört. Diese Regelung enthält eine zutreffende Gesetzesauslegung. Daß es bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten genügt, wenn einer von ihnen die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, entspricht der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urteile IV 66/55 U vom 10. November 1955, BStBl 1956 III S. 361, Slg. Bd. 63 S. 425; IV 411/55 U vom 19. Juli 1956, BStBl 1956 III S. 282, Slg. Bd. 63 S. 220; I 147-150/56 U vom 30. Oktober 1956, BStBl 1957 III S. 48, Slg. Bd. 64 S. 123). Daß aber bei getrennter Veranlagung jeder Ehegatte in seiner Person die Voraussetzungen des § 10 a EStG selbst erfüllen muß, ist eine sinngemäße Folge der Tatsache, daß die Ehegatten, wenn sie die getrennte Veranlagung verlangen, wie Einzelpersonen zu behandeln sind. Wenn sie die mit der getrennten Veranlagung verbundenen steuerlichen Vorteile in Anspruch nehmen, müssen sie auch die mit dieser Besteuerungsmethode verbundenen Nachteile in Kauf nehmen (Urteile des Senats VI 90/58 U vom 8. August 1958, BStBl 1958 III S. 418, Slg. Bd. 67 S. 375; VI 289-290/58 U vom 21. August 1959, BStBl 1959 III S. 409. Slg. Bd. 69 S. 398).
Da die Ehegatten die getrennte Veranlagung verlangen, kommt es also darauf an, ob die Bgin. in ihrer Person die Voraussetzungen des § 10 a EStG erfüllt. Das ist entgegen der Auffassung des Finanzgerichts zu verneinen.
Wie der Senat in der Grundsatzentscheidung VI 147/60 S vom 23. September 1960 (BStBl 1960 III S. 462) ausgeführt hat, setzt § 10 a EStG voraus, daß der Steuerpflichtige eine eigene Erwerbsgrundlage verloren hat. Als Erwerbsgrundlage gilt der gesetzliche Unterhaltsanspruch der Ehefrau gegen den Ehemann nicht. Der Unterhaltsanspruch ist nicht eine Gegenleistung oder eine Art Entlohnung für die Tätigkeit der Ehefrau im Rahmen der Familie. Das ergibt sich schon daraus, daß eine solche Tätigkeit nicht Voraussetzung für den Unterhaltsanspruch ist. Die Tätigkeit der Ehefrau als Hausfrau und Mutter ist auch keine Erwerbstätigkeit im üblichen Wortsinn. Diese Auslegung verstößt nicht, wie die Bgin. meint, gegen das Grundrecht des Art. 6 des Grundgesetzes (GG). Der Schutz von Ehe und Familie durch den Staat gebietet nicht, die Hausfrau und Mutter in jeder Hinsicht einer erwerbstätigen Frau gleichzustellen. Im übrigen werden durch das Gesetz und die Rechtsprechung Ehegatten insofern begünstigt, als bei Zusammenveranlagung § 10 a EStG für beide Ehegatten zum Zuge kommt, auch wenn nur einer von ihnen die persönlichen Voraussetzungen erfüllt. Wählen die Ehegatten aber nicht die Zusammenveranlagung, sondern die getrennte Veranlagung, dann müssen sie sich hinsichtlich der Einkünfte wie Einzelpersonen behandeln lassen. Wie der Senat in den Entscheidungen VI 90/58 U und VI 289-290/58 U a. a. O., die zu § 32 a EStG 1957 ergangen sind, ausgesprochen hat, verletzt es das Grundrecht des Art. 6 GG nicht, wenn Ehegatten die verschiedenen Möglichkeiten der Veranlagung, die der Gesetzgeber ihnen zur Wahl gestellt hat, nur im ganzen wählen können.
Der Senat hält daher auch - entgegen den Bedenken der Bgin. - an den Grundsätzen des Urteils VI 147/60 S a. a. O. fest. Eine eigene Erwerbsgrundlage hat nur verloren, wer vor der Vertreibung aus seiner Tätigkeit oder seinem Vermögen seinen Unterhalt im wesentlichen bestreiten konnte und bestritten hat. Das war bei der Bgin. nicht der Fall. Infolge der günstigen wirtschaftlichen Lage ihres Ehemanns hat sie trotz abgeschlossener Berufsausbildung keine eigene selbständige oder unselbständige Tätigkeit ausgeübt, die im wesentlichen ihren Lebensunterhalt sicherstellte. In der zeitweisen Mithilfe in dem Betrieb, dem der Ehemann als Direktor vorstand, hatte die Bgin. auch wenn sie dafür eine Vergütung von 1.000 bis 3.000 RM jährlich bekommen hat, keine eigene Erwerbsgrundlage; denn die Bgin. übte diese Tätigkeit nicht aus, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, der bereits auf andere Weise gesichert war. Darauf, ob Steuerpflichtige in anderen wirtschaftlichen Verhältnissen aus dieser Tätigkeit ihren Lebensunterhalt hätten bestreiten können, kommt es nicht an; entscheidend ist, ob im einzelnen Fall die Tätigkeit tatsächlich die Existenzgrundlage war. Das "Nadelgeld", das die Bgin. von ihren Eltern erhielt, war ebenso keine Existenzgrundlage, sondern ein Zuschuß zur Haushaltsführung. Auch die Tatsache, daß die Bgin. bei normalem Verlauf der Dinge eine große Erbschaft von ihren Eltern zu erwarten hatte, war zur Zeit der Vertreibung nur eine Anwartschaft oder Aussicht, aber keine Erwerbsgrundlage (Urteil VI 147/60 S a. a. O.).
Das Finanzgericht legt besonderen Wert auf die Tatsache, daß die Ehegatten zur Zeit der Vertreibung gemäß § 26 EStG alter Fassung zusammen veranlagt wurden; es sieht sie deshalb als Einheit an. Damit verkennt es die Bedeutung der Zusammenveranlagung. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, auf die sich das Finanzgericht beruft, hat, wie erwähnt, angenommen, daß es bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten für die Anwendung des § 10 a EStG genüge, wenn einer von ihnen die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. Damit ist aber nicht gesagt, daß Steuerpflichtige, die früher einmal als Ehegatten oder minderjährige Kinder gemäß § 26 oder § 27 EStG alter Fassung mit einer anderen Person zusammen veranlagt worden sind, die ihrerseits die Voraussetzung des § 10 a EStG erfüllte, auch den Vorteil des § 10 a EStG behalten, wenn sie später nicht mehr mit dieser Person zusammen veranlagt werden. Ein Kind, das vor der Vertreibung mit den Eltern nach § 27 EStG zusammen veranlagt worden ist, kann nicht etwa, wenn es jetzt selbständig veranlagt wird, die Vergünstigung des § 10 a EStG deshalb beanspruchen, weil sein Vater durch die Vertreibung seine Erwerbsgrundlage verloren hat. Eine Ehefrau, die zur Zeit der Vertreibung mit ihrem Ehemann nach § 26 EStG alter Fassung zusammen veranlagt worden ist, kann, wenn die Ehe später durch Tod oder Scheidung aufgelöst ist, die Vergünstigung des § 10 a EStG nur verlangen, wenn sie in ihrer Person durch die Vertreibung eine eigene Erwerbsgrundlage verloren hat; die Tatsache, daß vor der Vertreibung ihr mit ihr zusammen veranlagter Ehemann durch die Vertreibung seine Erwerbsgrundlage verloren hat, wirkt sich bei der Ehefrau nach Auflösung der Ehe nicht aus. Diese Rechtslage, die schon zur Zeit der Geltung des § 26 EStG alter Fassung galt, ist durch die Neuregelung der Ehegattenbesteuerung im EStG 1957 nicht berührt worden. Die Regelung des § 62 c Abs. 1 EStDV 1957, wonach bei getrennter Veranlagung nur der Ehegatte die Vergünstigung des § 10 a EStG erhält, in dessen Person die Voraussetzungen erfüllt sind, beruht auch auf dieser Auffassung.
Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, muß wegen unrichtiger Anwendung von § 10 a EStG aufgehoben werden. Die Bgin. kann, da sie nach Maßgabe des § 26 a EStG 1957 getrennt zu veranlagen ist, die Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns nicht für sich in Anspruch nehmen, weil sie durch die Vertreibung keine eigene Erwerbsgrundlage verloren hat. Die Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen, damit die Bgin. und ihr Ehemann nach Klärung der Rechtslage durch diese Entscheidung nunmehr auch im Hinblick auf die Zusammenveranlagung mit dem Sohn die ihnen günstigsten Anträge stellen können.
Fundstellen
Haufe-Index 409908 |
BStBl III 1961, 61 |
BFHE 1961, 163 |
BFHE 72, 163 |