Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen; endgültige Entscheidung über Höhe des Verlustabzugs
Leitsatz (NV)
Legt der Steuerpflichtige einen Geldbetrag ein, von dem angenommen wird, daß er aus nicht erklärten Einnahmen herrührt, so sind die Einlage und die Einnahmen als gesonderte Vorgänge zu sehen.
Ob der Verlustrücktrag zu hoch angesetzt ist, ist erst in dem Jahr zu prüfen, in dem die evtl. Minderung eines Verlustvortrags sich einkommensteuerlich auswirken würde.
Normenkette
AO 1977 § 162; EStG § 10d
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren als Automatenaufsteller gewerblich tätig.
Bei einer Betriebsprüfung betreffend die Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer der Streitjahre stellte der Betriebsprüfer aufgrund der Tageskassenberichte fest, daß am 17. Dezember 1976 und am 25. Januar 1977 jeweils 100 000 DM bar in die Kasse eingelegt worden waren. Nach Angaben des Klägers handelte es sich dabei um Gelder, die ihm von einem Dritten zur Finanzierung eines privaten Bauvorhabens darlehensweise überlassen worden waren. Weil noch keine besonderen Konten für dieses Bauvorhaben eingerichtet gewesen seien, habe er die Gelder auf ein betriebliches Konto geleitet.
Den Darlehensgeber wollte der Kläger nicht angeben.
Der Betriebsprüfer und ihm folgend der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) gingen davon aus, daß es sich um unversteuerte Betriebseinnahmen handelte, die auf die Streitjahre gleichmäßig zu verteilen seien. Das FA erhöhte den Umsatz, den Gewinn aus Gewerbebetrieb und den Gewerbeertrag jeweils um 45 045 DM.
Der Einspruch des Klägers blieb insoweit erfolglos.
Unter Berücksichtigung eines Verlustrücktrags gemäß § 10 d des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 95 202 DM aus dem Jahre 1978 setzte das FA die Einkommensteuer 1977 in der Einspruchsentscheidung auf null DM fest.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet zurück. Zur Begründung führt das FG aus:
Es könne offenbleiben, ob die Buchführung nicht ordnungsgemäß und das FA zur Schätzung berechtigt gewesen sei. Es könne ferner offenbleiben, ob die Nichtbenennung des Darlehensgläubigers das FA dazu berechtigte, die angeblichen Darlehensbeträge als Betriebseinnahmen zu erfassen.
Der Kläger habe die 200 000 DM in seinen Betrieb eingelegt. Dadurch seien sie Betriebsvermögen geworden, auch wenn sie zur privaten Verwendung aufgenommen und dafür später dem Betriebsvermögen wieder entnommen worden seien.
Einlagen minderten gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG den Gewinn, seien also steuermindernde Tatsache, deren betriebliche Veranlassung der Steuerpflichtige im Zweifel nachzuweisen habe (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. Juni 1976 IV R 101/75, BFHE 119, 164, BStBl II 1976, 562). Da der Kläger sich weigere, den Darlehensgeber zu nennen, habe das FA zweifeln dürfen, ob es sich bei den 200 000 DM um Mittel handelte, die dem Betrieb von außen zugeführt worden seien. Es habe vielmehr davon ausgehen dürfen, daß es unversteuerte Einnahmen seien, die von vornherein zum Betriebsvermögen gehörten. Die Beträge seien auf die Streitjahre zu verteilen, weil nicht festgestellt werden könne, welchem Gewinnermittlungszeitraum sie zuzuordnen seien.
Die Erhöhung der Umsätze und Gewerbeerträge in den Streitjahren begründet das FG im wesentlichen damit, daß der Kläger die Herkunft der Gelder nicht angegeben habe.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Das FG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, denn es habe die vorgebrachten Tatbestände bewußt nicht zur Kenntnis genommen. Auch in der mündlichen Verhandlung sei die Streitsache nicht erörtert worden. Der Richter habe lediglich ohne Begründung behauptet, Einlagen seien gewinnmindernde Tatsachen. Eine Stellungnahme sei daher nicht möglich gewesen. Auf die in der Verhandlung übergebenen Kassenblätter über die Rückzahlung des Darlehens sei das Gericht nicht eingegangen.
Das Gericht habe auch seine Aufklärungspflicht verletzt. Es habe sich mit dem Sachverhalt auseinandersetzen und entscheiden müssen, ob es sich auf § 160 oder § 162 der Abgabenordnung (AO 1977) stützte. Es habe ferner bei gehöriger Prüfung erkennen können, daß die eingelegten Gelder nur etwa zur Hälfte der Auffüllung eines Fehlbetrags gedient hätten. Im übrigen sei der gesamte Geldverkehr betreffend den privaten Grundstücksbereich über betriebliche Konten abgewickelt worden.
Das FG verstoße in seinen Schlußfolgerungen auch gegen Denk- und Erfahrungssätze.
Der Kläger beantragt, das finanzgerichtliche Urteil aufzuheben, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision gegen das Urteil des FG ist im Ergebnis unbegründet, soweit das FG die Klage wegen Einkommensteuer 1977 abgewiesen hat. Insoweit ist die Klage allerdings nicht unbegründet, sondern unzulässig. Ihr fehlt das Rechtsschutzbedürfnis (§ 40 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Der Kläger ist durch den Einkommensteuerbescheid 1977 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Juli 1980 nicht beschwert, weil die Einkommensteuer darin auf null DM festgesetzt ist.
In Einkommensteuersachen kommt es auf die Differenz zwischen der festgesetzten und der angestrebten Steuer an. Dabei ist in der Regel allein auf den unmittelbar umstrittenen Einkommensteuerbetrag abzustellen, nicht auf das geldwerte Interesse des Steuerpflichtigen schlechthin (vgl. BFH-Zwischenurteil vom 24. November 1982 I R 195/82, BFHE 137, 390, BStBl II 1983, 331; BFH-Beschlüsse vom 13. September 1985 III R 21/85, BFHE 144, 341, BStBl II 1985, 707, und vom 6. März 1987 VI R 73/84, nicht veröffentlicht - NV -).
Eine Beschwer liegt hier nicht darin, daß die Festsetzung auf einem Verlustrücktrag gemäß § 10 d EStG beruht. Sollten die Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu hoch festgesetzt sein, ginge der entsprechend hoch anzusetzende Verlustrücktrag möglicherweise zu Lasten eines Verlustvortrags in späteren Jahren. Ob aber der Verlustrücktrag und letztlich der gewerbliche Gewinn im Streitjahr 1977 zu hoch angesetzt waren, ist erst in dem Jahr zu prüfen, in dem die Minderung des Verlustvortrags sich einkommensteuerlich auswirken würde. Erst dann und unter dieser Voraussetzung besteht ein Interesse des Steuerpflichtigen an einer Minderung des gewerblichen Gewinns. Es wäre z. B. nicht gegeben, wenn trotz des möglicherweise zu hoch angesetzten Gewinns der vor- und rücktragsfähige Verlust innerhalb des in § 10 d EStG bestimmten Zeitraums nicht verbraucht würde (vgl. BFH-Urteil vom 29. April 1970 IV R 259/69, BFHE 99, 365, BStBl II 1970, 714). Ergibt sich dagegen, daß der restliche vortragsfähige Verlust nicht hoch genug ist, um die Einkommensteuer der vor- und rücktragsfähigen Jahre auf null DM zu mindern, bedarf es für das Jahr, in dem sich dies als erstes auswirkt, der Klärung, ob der Verlustvortrag zu Recht nicht höher ist. Für dieses Jahr ist ggf. über die Höhe des Verlustes im Jahre 1977 zu entscheiden (vgl. BFH-Urteile vom 8. Dezember 1982 VIII R 53/82, BFHE 139, 28, BStBl II 1983, 710; vom 3. August 1977 I R 153/75, NV; vom 22. April 1971 I R 16/71, BFHE 102, 214, BStBl II 1971, 586, und vom 11. Oktober 1985 III R 71/85, BFH/NV 1986, 159). An die früheren Feststellungen des Gewinns sind die Beteiligten nicht gebunden. Eine spätere Entscheidung über die Höhe des gewerblichen Gewinns im Jahre 1977 greift ebensowenig in die Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids 1977 ein wie eine evtl. Änderung des Verlustes 1978 in die Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids 1978 eingreifen würde (§ 157 Abs. 2 AO 1977; vgl. BFH-Urteile vom 12. Januar 1966 I 184/63, BFHE 85, 161, BStBl III 1966, 270, und vom 17. März 1961 VI 67/60 U, BFHE 73, 441, BStBl III 1961, 427; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 6. Aufl., § 10 d Anm. 5, m. w. N.).
Das mag im Ergebnis unbefriedigend sein, wenn z. B. im letzten vortragsfähigen Jahr nicht nur der Verlust, sondern auch sonstige Besteuerungsgrundlagen der bis zu sieben vorangegangenen Jahre korrigiert werden müßten; die geltende Rechtslage gestattet jedoch keine andere Lösung (vgl. dazu auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 40 FGO Rdnr. 12; a. A. Schick, der Verlustrücktrag, 1976 S. 58).
Die Abweisung der Klage als unzulässig statt als unbegründet verstößt nicht gegen das Verböserungsverbot (vgl. Grunsky in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., § 559 Anm. 3, § 536 Anm. 5).
Im übrigen führt die Revision zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Das FG geht davon aus, daß der Kläger in den vier Streitjahren nicht erklärte Betriebseinnahmen von jeweils 45 045 DM hatte. Zu Unrecht stützt es seine Gewinnerhöhung auf § 4 Abs. 1 EStG in Verbindung mit den Beweislastregeln, indem es eine Einlage seitens des Klägers verneint, weil nicht feststehe, daß er die 200 000 DM geliehen hat. Einmal ergibt sich aus der Tatsache, daß die Einzahlungen vom 17. Dezember 1976 und vom 25. Januar 1977 keine Einlagen sind, noch nicht, daß der Kläger in allen Streitjahren 45 045 DM netto zusätzlich eingenommen hat. Zum anderen geht das FG tatsächlich davon aus, daß der Kläger am 17. Dezember 1976 und am 25. Januar 1977 jeweils 100 000 DM eingelegt hat.
Einlagen sind gemäß § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG alle Wirtschaftsgüter, die der Steuerpflichtige dem Betrieb im Laufe des Wirtschaftsjahres zugeführt hat. Das FG hat zunächst nicht in Zweifel gezogen, daß am 17. Dezember 1976 und am 25. Januar 1977 jeweils 100 000 DM bar in eine betriebliche Kasse eingelegt wurden. Damit sind dem Betrieb Wirtschaftsgüter zugeführt worden, denn das FG hat andererseits nicht festgestellt, daß diese Gelder sich bereits vor der Einzahlung auf einem betrieblichen Konto oder in einer betrieblichen Kasse, mithin im Betriebsvermögen befanden.
Die Einzahlungen am 17. Dezember 1976 und am 25. Januar 1977 und die vom FG angenommenen nicht erklärten Einnahmen in den Streitjahren sind zwei unterschiedliche und voneinander unabhängige Sachverhalte, denn das FG geht davon aus, daß die eingezahlten 200 000 DM bei anderer Gelegenheit Betriebseinnahmen waren; es geht nicht davon aus, daß die beiden Einzahlungen selbst Betriebseinnahmen darstellen.
§ 160 AO 1977 ist keine Rechtsgrundlage für die Erhöhung des Umsatzes, des Gewinns und des Gewerbeertrags in den Streitjahren, weil der Kläger in diesem Zusammenhang weder Schulden noch Betriebsausgaben geltend gemacht hat.
Grundlage für die Erhöhung des Umsatzes, des Gewinns und des Gewerbeertrags könnte aber § 162 Abs. 2 AO 1977 sein. Hierfür fehlt es jedoch an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen. Die Tatsache allein, daß der Kläger innerhalb kürzerer Zeit 200 000 DM in die betriebliche Kasse eingelegt hat und keinen Darlehensgeber benennen will, kann ein Indiz dafür sein, daß ihm die Gelder zuvor als Betriebseinnahmen zugeflossen sind; dies zumal seine Erklärung für die Bareinlage in die Kasse - er habe kein privates Konto unterhalten - nicht sehr überzeugend ist. Andererseits setzt die Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen die Feststellung voraus, daß die Buchführung des Klägers in den Streitjahren zumindest insoweit unrichtig ist (vgl. § 158 AO 1977, Mathiak in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 5 Rdnr. A 248). Dies hat das FG ausdrücklich offengelassen. Aber selbst für den Fall, daß die Buchführung nicht ordnungsgemäß sein sollte, und erst recht für den Fall, daß von der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung auszugehen wäre, müssen Feststellungen getroffen werden, nach denen Betriebseinnahmen in dieser Höhe zumindest wahrscheinlich waren. Dazu gehört auch die Feststellung, daß die Beträge nicht Einnahmen im Rahmen einer anderen Einkunftsart, z. B. Vermietung und Verpachtung waren, oder aus (verheimlichtem) Sparvermögen stammten. Diese Feststellungen kann das Revisionsgericht nicht treffen (§ 118 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 415433 |
BFH/NV 1989, 278 |