Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenstand des Erwerbsvorgangs bei Erwerb eines nicht erschlossenen Grundstücks mit Übernahme der bestehenden Verpflichtung zur Ablösung künftiger Erschließungskosten
Leitsatz (amtlich)
Hat der Veräußerer eines noch nicht erschlossenen Grundstücks einen wirksamen Vertrag über die Ablöse künftig entstehender Erschließungskosten mit der Gebietskörperschaft nach § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB geschlossen und übernimmt der Erwerber die vom Veräußerer noch nicht erfüllte Verpflichtung aus dem Ablösevertrag, so ist Gegenstand des Erwerbsvorgangs regelmäßig das unerschlossene Grundstück. Die Übernahme der Verbindlichkeit stellt keine Gegenleistung dar.
Normenkette
GrEStG § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1; BauGB § 133 Abs. 3 S. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb mit notariellem Kaufvertrag vom 1. Dezember 1997 zwei Grundstücke. Als Kaufpreis wurden 189 115,50 DM vereinbart. § 4 des Kaufvertrages regelt, dass die Grundstücke unerschlossen veräußert werden; sämtliche Erschließungs- und Ausbaukosten gehen danach zu Lasten des Klägers. Nach § 4 des Vertrages übernimmt der Kläger weiter die Erfüllung der Verpflichtung aus einem Ablösungsvertrag über künftig entstehende Erschließungsbeiträge, den der Veräußerer mit den hierfür zuständigen kommunalen Körperschaften geschlossen hatte. Der Ablösungsbetrag belief sich auf 84 304,50 DM und war am 1. April 1998 fällig.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) setzte mit Bescheid vom 23. Dezember 1997 für den Erwerbsvorgang Grunderwerbsteuer in Höhe von 9 648 DM fest. Das FA ermittelte hierbei die Bemessungsgrundlage von 275 768 DM aus dem Kaufpreis in Höhe von 189 115 DM zuzüglich der Vermessungskosten in Höhe von 2 259 DM sowie des Ablösungsbetrages von 84 304 DM.
Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage mit der Begründung, der Ablösungsbetrag dürfe nicht in die Bemessungsgrundlage einbezogen werden, gab das Finanzgericht (FG) statt. In der in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 336 veröffentlichten Entscheidung führt das FG zur Begründung im Wesentlichen aus, dass die Gemeinde als Trägerin der Erschließungslast trotz des Ablösungsvertrags die Erschließung als allgemeine öffentliche Aufgabe und nicht im Rahmen eines einheitlichen Erwerbsgegenstandes (erschlossenes Grundstück) an den Kläger erbringe.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Übernahme der Verbindlichkeit aus dem Ablösevertrag durch den Kläger keine Gegenleistung ist und nicht zur Bemessungsgrundlage zählt (§ 8 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes ―GrEStG―).
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG unterliegt der Erwerb eines Anspruchs auf Übereignung eines inländischen Grundstücks der Grunderwerbsteuer. Bemessungsgrundlage ist gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG die Gegenleistung. Bei einem Grundstückskauf gilt nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG als Gegenleistung u.a. der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen. Danach gehören alle Leistungen des Erwerbers zur grunderwerbsteuerrechtlichen Gegenleistung (Bemessungsgrundlage), die dieser nach den vertraglichen Vereinbarungen gewährt, um das Grundstück zu erwerben. Als Gegenleistung im grunderwerbsteuerrechtlichen Sinne (§ 8 Abs. 1 und § 9 GrEStG) kommen nur Leistungen in Betracht, die der Erwerber als Entgelt für den Erwerb des Grundstücks gewährt oder die der Veräußerer als Entgelt für die Veräußerung des Grundstücks empfängt (vgl. etwa Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 23. Oktober 2002 II R 81/00, BFHE 200, 416, BStBl II 2003, 199). Soweit es um die Frage geht, ob Erschließungskosten in die Bemessungsgrundlage eingehen, ist nach der Rechtsprechung des Senats entscheidend, ob das Grundstück unerschlossen oder erschlossen bzw. mit der Verpflichtung des Veräußerers, es erschlossen zu verschaffen, Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist (vgl. m.w.N. BFH-Urteile vom 15. März 2000 II R 39/99, BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93, sowie vom 15. März 2000 II R 51/00, BFH/NV 2001, 1297).
Im Kern liegt dem die durch §§ 436, 446 des Bürgerlichen Gesetzbuches i.d.F. vor dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (BGB a.F.) vorgegebene zivilrechtliche Verteilung der Lastentragung zu Grunde (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 29. Januar 1982 V ZR 73/81, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1982, 1278). Diese folgt regelmäßig dem Zeitpunkt des Entstehens der öffentlich-rechtlichen Beitragspflicht (vgl. etwa BFH-Urteil vom 9. Mai 1979 II R 56/74, BFHE 128, 92, BStBl II 1979, 577). Trifft den Erwerber eines unerschlossenen Grundstücks künftig eine Erschließungsbeitragspflicht, so übernimmt er mit der Verpflichtung, die entstehenden Erschließungskosten zu tragen, nur eine Verpflichtung, die ihn selber trifft. Die Übernahme erfolgt im eigenen Interesse, weil die Erfüllung dieser Verpflichtung ihm und nicht dem Veräußerer zugute kommt.
Hat der Veräußerer einen wirksamen Ablösevertrag nach § 133 Abs. 3 Satz 5 des Baugesetzbuchs (BauGB) mit einer kommunalen Körperschaft geschlossen und übernimmt der Erwerber die vom Veräußerer noch nicht erfüllte Verpflichtung aus dem Ablösevertrag, so sind Gegenstand des Erwerbsvorgangs regelmäßig ―wie im Streitfall― unerschlossene Grundstücke. Die Übernahme der Verbindlichkeit aus dem Ablösevertrag stellt keine Gegenleistung dar. Sie erfolgt nicht um des Erwerbs eines Grundstücks willen. Der Erwerber übernimmt vielmehr diese Verpflichtung und leistet auf sie, um einer eigenen Beitragspflicht zu entgehen. Denn die Erschließungsbeitragspflicht ist nicht schon durch den noch vom Veräußerer abgeschlossenen Ablösevertrag abgelöst. Die die Beitragspflicht ablösende Wirkung eines Ablösevertrages tritt vielmehr erst mit der Zahlung des Ablösebetrages ein. Ist eine Zahlung im Zeitpunkt des grunderwerbsteuerlichen Erwerbsvorganges noch nicht erfolgt, liegt auf den hiervon betroffenen Grundstücken latent die den Erwerber als Folge der Erschließung treffende zukünftige Beitragsschuld. Kommt es nicht zur Zahlung, entsteht die Beitragsschuld mit der Erschließung. Diese trifft den Erwerber dann als Grundstückseigentümer.
Die Vereinbarung einer Ablösung des Erschließungsbeitrages im Ganzen vor Entstehen der Beitragspflicht ist nach § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB durch öffentlich-rechtlichen (Ablöse-)Vertrag möglich. Dieser ist öffentlich-rechtlicher Natur; er modifiziert, was sich ohne die Ablösung als öffentlich-rechtliche Beitragspflicht aus den §§ 127 ff. BauGB ergäbe (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ―BVerwG― vom 1. Dezember 1989 8 C 44.88, BVerwGE 84, 183, m.w.N.). Mit Abschluss eines Ablösungsvertrags nach § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB entstehen zwar der öffentlich-rechtliche Anspruch der Gebietskörperschaft auf den Ablösebetrag und in Person des Veräußerers die Verpflichtung zu dessen Zahlung; eigentlicher Inhalt des Vertrages ist es aber, endgültig die öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen der abgabeberechtigten Körperschaft und dem Bürger hinsichtlich der Abgabenverpflichtung des Bürgers zu regeln (vgl. BVerwG-Urteil vom 4. Februar 1966 IV C 64.65, BVerwGE 23, 213, zur Reichsgaragenordnung). Daher tritt die Ablösewirkung, d.h. die Substituierung der (sachlichen) Erschließungsbeitragspflicht, erst mit Zahlung des Ablösebetrages ein (BVerwG-Urteil in BVerwGE 84, 183; s. auch Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl. 2001, § 22 Rdnr. 3; Ludyga/Hesse, Erschließungsbeitrag, Loseblatt Stand September 2003, § 133 BauGB Rn. 72; Schlichter/Stich, Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, 2. Aufl. 1995, § 133 Rn. 73 und 75).
Der Erwerber eines Grundstücks, der die Ablösungsverpflichtung übernommen hat, erfüllt diese Verpflichtung also nicht mit dem Ziel, den Veräußerer zu befreien, sondern allein deshalb, um die ihn als nunmehrigen Grundstückseigentümer künftig treffende öffentlich-rechtliche Beitragspflicht abzulösen. Der Veräußerer verschafft dem Erwerber kein erschlossenes Grundstück, sondern lediglich Erschließungssicherheit für dieses Grundstück. Die Wirkung der Tilgung der Verbindlichkeit aus einer Ablösungsvereinbarung kommt somit nicht dem Veräußerer, sondern dem jeweiligen Grundstückseigentümer zugute (vgl. zur Bauverpflichtung BFH-Urteil in BFHE 200, 416, BStBl II 2003, 199). Die Übernahme einer vom Veräußerer noch nicht erfüllten Verpflichtung aus einem Ablösevertrag stellt somit keine Gegenleistung dar (§ 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG).
Fundstellen
Haufe-Index 1148152 |
BFH/NV 2004, 888 |
BStBl II 2004, 521 |
BFHE 2004, 489 |
BFHE 204, 489 |
BB 2004, 1152 |
DB 2004, 1350 |
DStRE 2004, 726 |
DStZ 2004, 391 |
HFR 2004, 676 |