Leitsatz (amtlich)
1. Die Verordnung über die einkommensteuerliche Behandlung der freien Erfinder - ErfVO - vom 30. Mai 1951 (BGBl I 1951, 387, BStBl I 1951, 181) hat durch das StÄndG 1968 vom 20. Februar 1969 (BGBl I 1969, 141, BStBl I 1969, 116) rückwirkend Gesetzeskraft erlangt.
2. Erfindertätigkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 ErfVO ist eine, wenn auch vorübergehende, planmäßige Tätigkeit von gewisser Dauer, die sich auf die Verwirklichung, nicht die Auswertung der Erfindung beziehen muß.
Normenkette
ErfVO § 1 Abs. 2; StÄndG 1968 vom 20. Februar 1969 Art. 3 § 1
Gründe
Aus den Gründen:
I. Das FG hat im Ergebnis zu Recht die ErfVO angewendet. Sie war zwar als nichtig anzusehen, weil sie nicht auf Grund einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigung erlassen war (Beschluß des BVerfG 2 BvL 15/65 vom 30. Januar 1968, BStBl II 1968, 296). Durch Art. 3 § 1 des StÄndG 1968 vom 20. Februar 1969 (BGBl I 1969, 141, BStBl I 1969, 116) ist ihr jedoch rückwirkend Gesetzeskraft verliehen worden.
Verfassungsrechtlich bestehen keine Bedenken gegen die Rückwirkung. Sie bedeutet eine Besserstellung für die noch nicht entschiedenen Fälle und deren Gleichstellung mit den bereits entschiedenen.
Allenfalls könnten sich Bedenken ergeben, weil nach der Verordnung bei der Verwertung einer Erfindung im eigenen Betrieb ein wesentlicher Teil der Vergütungen (§ 4 Nr. 3 ErfVO) nicht begünstigt ist, er aber begünstigt wäre, wenn die Verordnung (jetzt das Gesetz) nicht wirksam wäre und statt ihrer der Erlaß des RdF vom 11. September 1944 (RStBl 1944, 586) anwendbar wäre, der eine derartige Beschränkung nicht enthält. Dieser aber ist ungültig (vgl. das Urteil des Senats IV R 110/68 vom 5. Dezember 1968, BFH 94, 246, BStBl II 1969, 136).
II. Das FG hat ebenfalls mit Recht angenommen, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Tarifbegünstigung nach § 4 Nr. 3 ErfVO gegeben sind.
Es kommt dabei allein noch auf die Frage an, ob der Steuerpflichtige eine erfinderische Tätigkeit entwickelt hat. Eine solche ist nach § 1 Abs. 2 ErfVO "eine Tätigkeit, die auf die Erzielung einer patentfähigen Erfindung gerichtet ist", wobei es ohne Bedeutung ist, "ob es tatsächlich zur Erteilung eines Patentes kommt".
Der RFH hat sich bereits mit dem Begriff der erfinderischen Tätigkeit auseinandergesetzt. Das geschah allerdings in anderem Zusammenhang, so daß seine Rechtsprechung hier nicht unmittelbare Geltung haben kann. Seinerzeit war noch keine die Erfindertätigkeit steuerlich begünstigende Regelung, wie sie erstmals 1944 der erwähnte RdF-Erlaß vorsah, vorhanden. Der RFH hatte vielmehr die Frage zu prüfen, unter welche der Einkunftsarten des § 6 EStG 1925 die Einkünfte aus einer erfinderischen Tätigkeit einzuordnen seien. Die Grundzüge seiner Rechtsprechung waren folgende: Handele es sich bei der Tätigkeit des Erfinders um ein planmäßiges, wenn auch nur vorübergehendes (§ 35 Abs. 2 EStG 1925 = § 18 Abs. 2 EStG heutiger Fassung) Tätigwerden, so lägen Einkünfte aus selbständiger Arbeit vor, während bei der sogenannten Zufallserfindung, die ohne wesentliche Ausarbeitung sofort verwertungsreif sei, also bei einer nur "gelegentlichen" Tätigkeit (§ 41 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1925 = § 22 Nr. 3 EStG heutiger Fassung) sonstige Einkünfte anzunehmen seien (RFH-Urteile VI A 217/27 vom 7. Juli 1927, RStBl 1927, 200; VI A 290/27 vom 30. Juni 1927, RFH 21, 341; VI A 942/31 vom 16. Dezember 1931, StuW II 1932 Nr. 267). Keine gelegentliche, sondern eine planmäßige Erfindertätigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 EStG 1925 (§ 18 Abs. 1 EStG heutiger Fassung) liege allerdings auch vor, wenn zwar der für eine Erfindung wesentliche Gedanke spontan geboren werde, es jedoch noch einer weiteren Tätigkeit bedürfe, um die Erfindung bis zur erfolgreichen Verwirklichung zu fördern (RFH-Urteil VI A 876/29 vom 1. Juli 1931, RFH 29, 119, RStBl 1931, 668). Die Unterscheidung zwischen vorübergehender und gelegentlicher Tätigkeit könne nur von Fall zu Fall anhand aller Umstände getroffen werden. Die vorübergehende Tätigkeit erfordere in der Regel ein Mehr an Zeit und Umfang als die bloß gelegentliche Tätigkeit. Bei geringfügiger Tätigkeit könne jedoch auch eine nicht bloß gelegentliche Tätigkeit angenommen werden, wenn sich aus den Umständen ergebe, daß der Erfinder beabsichtige, seine erfinderische Tätigkeit zu wiederholen, oder wenn der Beruf des Steuerpflichtigen darauf hindeute, daß es sich nicht nur um eine gelegentliche Tätigkeit handele (RFH-Urteile VI A 255/27 vom 7. Juli 1927, StuW 1927, Nr. 356; VI A 217/27 vom 7. Juli 1927; VI A 876/29 vom 1. Juli 1931).
Diese die Einordnung der Einkünfte betreffenden Grundsätze brauchen nicht unbedingt auch für die Definition des Begriffs der erfinderischen Tätigkeit im Sinne der ErfVO zu gelten. Denn diese ist grundsätzlich nicht an der Art der Einkünfte, sondern an der Förderung erfinderischer Tätigkeit interessiert, hat also eine andere Zweckrichtung. Dennoch lassen Wortlaut und Zweck der Verordnung erkennen, daß - was ohnehin nahelag - auch im Sinne der Begünstigungsvorschriften der ErfVO von dem Tätigkeitsbegriff ausgegangen werden sollte, den die genannte Rechtsprechung des RFH für die einkommensteuerliche Einordnung der Einkünfte aus erfinderischer Tätigkeit bereits entwickelt hatte. Unter "Tätigkeit" kann begrifflich nur ein sich auf einen gewissen Zeitraum erstreckendes Tun verstanden werden. Auch aus dem übrigen Wortlaut des § 1 Abs. 2 ErfVO, daß nämlich die Tätigkeit auf die Erzielung eines Patents "gerichtet" sein muß, und aus dem Umstand, daß in § 2 ErfVO die Einkünfte der Erfinder unter diejenigen aus selbständiger Arbeit oder aus Gewerbebetrieb (und ebenso aus dem Betrieb von Land- und Forstwirtschaft - allgemeine Ansicht, vgl. z. B. Klotz, Steuerwarte 1967 S. 113; Rosenau, FR 1968, 165), also aus ihrer Natur nach nicht nur gelegentlichen, sondern planmäßigen Tätigkeiten, eingeordnet werden, ergibt sich, daß die bloße Konzipierung einer Idee, eine sogenannte Zufallserfindung, nicht von der Verordnung erfaßt werden solIte (ebenso z. B. Blümisch-Falk, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., § 21 Anm. 4 g. E.; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 12. Aufl., § 18 EStG Anm. 26 c; Knoppe, Die Besteuerung der Lizenz- und Know-how-Verträge, S. 89; Ringleb, NWB, Fach 3 S. 2339; Rosenau, BB 1964, 1209, 1210, und FR 1968, 165; anderer Ansicht Felix, DB 1963, 1198, 1200). Andererseits erfordert die der Volkswirtschaft dienende (vgl. § 3 Nr. 1 ErfVO) Zweckrichtung der Verordnung, daß auch ein vorübergehendes aber planmäßiges Handeln, das etwa der Ausarbeitung einer erfinderischen Idee bis zur Verwertungsreife dienen soll und das, selbst wenn es sich um eine einmalige Erfindung handelt, für die Volkswirtschaft von Bedeutung sein kann, nicht von der Begünstigung ausgeschlossen wird.
Da die Verordnung die erfinderische Tätigkeit begünstigen will, genügt andererseits nicht, daß sich die nach der zufälligen Geburt einer bereits verwertungsreifen Idee entwickelte Tätigkeit nur auf deren Nutzung bezieht (vgl. z. B. Ringleb, NWB, Fach 3 S. 2338; anderer Ansicht FG Hamburg, EFG 1959, 129, und wohl auch Prietzel, DStZ 1944, 473, 474). Denn die Einkünfte aus der Nutzung sind zwar begünstigt, aber nur wegen der vorher bei der Entwicklung der Erfindung aufgewendeten Tätigkeit. Nicht erforderlich ist, daß die Tätigkeit wissenschaftlichen Charakter hat. Das ergibt sich schon aus dem Zweck der Verordnung, wie auch aus dem Umstand, daß § 2 ErfVO nicht von Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG), sondern allgemein von Einkünften aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG) spricht.
Das FG hat mit Recht bejaht, daß der Steuerpflichtige hier eine § 1 Abs. 2 ErfVO entsprechende Tätigkeit entwickelt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 68922 |
BStBl II 1970, 306 |
BFHE 1970, 141 |