Leitsatz (amtlich)
Der erkennende Senat hält an seiner im Urteil vom 28. November 1978 VII R 48/78 (BFHE 126, 375, BStBl II 1979, 185) vertretenen Auffassung fest, daß dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses durch § 22 Satz 3 DVStBerG in zulässiger Weise gestattet ist, das Prüfungsergebnis mündlich zu eröffnen, auch wenn der Bewerber die Prüfung nicht bestanden hat, und daß dann die Erteilung einer schriftlichen Rechtsbehelfsbelehrung nicht erforderlich ist, um die Frist für die Anfechtung der Prüfungsentscheidung in Gang zu setzen.
Normenkette
FGO § 55 Abs. 1 S. 1; StBerG a.F. § 118; StBerG n.F. § 158; DVStBerG § 22 S. 3
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) nahm an der Steuerbevollmächtigtenprüfung für 1978 vor dem Prüfungsausschuß der Beklagten und Revisionsklägerin (Oberfinanzdirektion - OFD -) teil. Im Anschluß an den mündlichen Teil der Prüfung am 5. Mai 1978 eröffnete ihr der Vorsitzende des Prüfungsausschusses mündlich, sie habe die Prüfung nicht bestanden. Eine Rechtsbehelfsbelehrung wurde der Klägerin nicht erteilt. Die Klägerin erhob am 19. September 1978 Klage und wandte sich gegen die Bewertung der schriftlichen Prüfungsarbeiten.
Das Finanzgericht (FG) Düsseldorf entschied durch Zwischenurteil vom 8. August 1979 II 247/78 StB (Entscheidungen der Finanzgerichte 1980 S. 98 - EFG 1980, 98 -), die Klage sei zulässig. Hierzu führte es aus:
1. Obwohl die Entscheidung des Prüfungsausschusses mündlich ergangen sei, habe die nach § 47 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) für die Erhebung der Klage geltende Monatsfrist wegen unterbliebener schriftlicher Rechtsbehelfsbelehrung nicht begonnen. Die für diesen Fall geltende Jahresfrist sei gewahrt. Entgegen dem Wortlaut des § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO sei nämlich bei einer Klage wegen nichtbestandener Steuerbevollmächtigtenprüfung das Eingreifen der Jahresfrist nicht von der Schriftlichkeit der negativen Prüfungsentscheidung abhängig.
Das vom Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 28. November 1978 VII R 48/78 (BFHE 126, 375, BStBl II 1979, 185) im Wege des Umkehrschlusses gefundene Ergebnis, § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO könne nicht auf einen mündlich ergangenen Verwaltungsakt angewendet werden, weil die Regelung des § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO über den Beginn der Frist bei fehlender Rechtsbehelfsbelehrung ausdrücklich auf den schriftlich ergangenen Verwaltungsakt bezogen sei und demzufolge die mündlich ergangenen Verwaltungsakte in den weiten Geltungsbereich des § 47 Abs. 1 FGO gehörten, entspreche nicht dem Sinn und Zweck der Norm.
§ 55 FGO sei nur unter Heranziehung des Grundgedankens des § 58 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) verständlich. Diese Vorschrift gewähre schon dann eine Verlängerung der Klagefrist auf ein Jahr, wenn der Verwaltungsakt ohne schriftliche Rechtsbehelfsbelehrung ergangen sei. Dagegen enthalte § 55 FGO, indem er die Schriftlichkeit des Verwaltungsakts voraussetze, für die Verlängerung der Klagefrist eine zusätzliche Voraussetzung. Damit sei für mündliche Verwaltungsakte im Vergleich zu § 58 VwGO eine durch das Steuerrecht bedingte Ausnahme geschaffen, die für außerhalb des Bereichs der Steuerfestsetzung und -erhebung ergehende mündliche Verwaltungsakte sachlich nicht gerechtfertigt sei. Das gelte besonders für negative Prüfungsentscheidungen im Steuerberatungsrecht. Hier sei § 55 FGO "zu weit geraten" und daher auf seinen eigentlichen Sinngehalt zurückzuführen, daß seine Regelung über den Beginn der Frist bei fehlender schriftlicher Rechtsbehelfsbelehrung nur auf im Rahmen der Steuerfestsetzung und -erhebung ergangene schriftliche Verwaltungsakte bezogen sei. Für nicht in diesem Rahmen ergangene mündliche Verwaltungsakte gelte in Anlehnung an § 58 VwGO der allgemeine Grundsatz, daß bei unterbliebener schriftlicher Rechtsbehelfsbelehrung die Frist für die Erhebung der Klage ein Jahr betrage.
Es komme hinzu, daß eine wortgetreue Anwendung des § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO, wie sie vom BFH und von den FG Hamburg und Bremen befürwortet werde (vgl. BFH-Urteil in BFHE 126, 375, BStBl II 1979, 185; FG Hamburg, Urteil vom 22. November 1973 III 31/73, EFG 1974, 268; FG Bremen, Urteil vom 13. November 1974 II 53/74, EFG 1975, 134), eine ungleiche Behandlung der Prüflinge nach dem Steuerberatungsgesetz (StBerG) gegenüber allen anderen Prüflingen im beruflichen Bereich, die der staatlichen Prüfungshoheit unterworfen seien, zur Folge hätte. Diese könnten nämlich die ihnen gegenüber erlassenen negativen Prüfungsentscheidungen - sollten sie mündlich ergangen sein - vor den Verwaltungsgerichten mit einer Frist von einem Jahr gemäß § 58 VwGO anfechten. Dieser Ungleichbehandlung sei ebenfalls durch eine teleologische Reduktion zu begegnen gewesen.
Die Rückführung des § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO auf seinen Sinngehalt trage letztlich auch nach der Entstehungsgeschichte der Finanzgerichtsordnung dem Ziel Rechnung, das der Gesetzgeber mit dieser Norm verfolgt habe. Denn bei der Anwendung der Vorschriften der Finanzgerichtsordnung müsse beachtet werden, daß die Verwaltungsgerichtsordnung "Modellgesetz" für die Finanzgerichtsordnung gewesen sei. Abweichungen der Finanzgerichtsordnung von der Verwaltungsgerichtsordnung habe der Gesetzgeber nur dort in Kauf genommen, wo sie "durch die Besonderheiten der den Gegenstand des Finanzgerichtsverfahrens bildenden Steuerrechtsmaterie" erforderlich gewesen seien (Hinweis auf den Schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages - BT - vom 14. Juni 1965, BT-Drucksache IV/3523 Abschn. II). Eine wortgetreue Anwendung des § 55 i. V. m. § 47 Abs. 1 FGO auf Prüfungsentscheidungen nach dem Steuerberatungsgesetz wäre aber eine Abweichung von den Regelungen der Verwaltungsgerichtsordnung, die durch die Sache nicht gerechtfertigt sei. Sie wäre auch nicht vom gesetzgeberischen Willen gedeckt. Denn der Gesetzgeber habe den Beginn der Frist grundsätzlich von einer schriftlich erteilten Rechtsbehelfsbelehrung abhängig gemacht wissen wollen (Hinweis auf den Schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses vom 14. Juni 1965, a. a. O., Begründung zu § 54 des Entwurfs).
2. Selbst wenn man die teleologische Reduktion des § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht für zulässig halte, habe die Monatsfrist für die Erhebung der Klage nicht mit der Eröffnung der Prüfungsentscheidung begonnen. Denn die OFD hätte die negative Prüfungsentscheidung schriftlich erlassen müssen. § 55 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 55 Abs. 2 FGO gelte aber mindestens im gleichen Maße für Verwaltungsakte, die unter Verstoß gegen das Gebot der Schriftlichkeit mündlich ergangen seien. Denn die Verwaltungsbehörde könne sich nicht infolge des Verstoßes gegen das Gebot der Schriftlichkeit eine bessere verfahrensrechtliche Position verschaffen, als sie haben würde, wenn sie den Verwaltungsakt schriftlich erlassen hätte; dann hätte nämlich eine Anfechtungsfrist von einem Jahr bestanden.
Der Klägerin hätte ein schriftlicher Bescheid über die nichtbestandene Steuerbevollmächtigtenprüfung erteilt werden müssen. Die OFD könne sich für ihre Auffassung, eine mündliche Bekanntgabe der Entscheidung sei ausreichend gewesen, nicht auf § 22 Satz 3 der Verordnung zur Durchführung des Steuerberatungsgesetzes (DVStBerG) vom 1. August 1962 (BGBl I 1962, 537) stützen. Das FG teile zwar die Auffassung des BFH in BFHE 126, 375, BStBl II 1979, 185, daß diese Vorschrift ihrem Wortlaut nach dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses gestatte, dem Prüfling das Ergebnis der Prüfung mündlich zu eröffnen. Soweit jedoch in dem "Eröffnen" zugleich die formelle Bekanntgabe des (das Nichtbestehen der Prüfung feststellenden) Verwaltungsakts liege, sei diese Vorschrift nichtig. Sie trage der in § 118 StBerG a. F. und in § 158 StBerG n. F. vom 25. Juni 1975 enthaltenen Ermächtigung nicht Rechnung. Es könne dabei dahinstehen, ob der Verordnungsgeber bei Schaffung der Verordnung im Jahre 1962 davon habe ausgehen dürfen, daß negative Prüfungsentscheidungen auch mündlich getroffen werden könnten. Denn jedenfalls hätte der Verordnungsgeber, nachdem sich ein allgemeiner Rechtsgrundsatz entwickelt gehabt habe, daß zumindest bei negativem Prüfungsausgang ein schriftlicher Bescheid erteilt werden müsse, die Verordnung den geänderten Verhältnissen anpassen müssen. Eine Verordnung werde nämlich infolge der Änderung der Verhältnisse verfassungswidrig, wenn sich feststellen lasse, daß sich ein grundlegender Wandel der Verhältnisse vollzogen habe, auf die sich die Regelung beziehe, und daß als Folge dieses Wandels die ursprüngliche Regelung offensichtlich sachwidrig geworden sei, wobei der Wandel jedoch nicht nur von vorübergehender Dauer sein dürfe (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 16. Mai 1961 2 BvF 1/60, BVerfGE 12, 341; vom 12. Februar 1969 1 BvR 687/62, BVerfGE 25, 216, 226). Ein derartiger grundlegender Wandel im Bereich der negativen Prüfungsentscheidungen habe sich seit etwa 1970 vollzogen.
Entgegen der Auffassung des BFH in BFHE 126, 375, BStBl II 1979, 185, bestehe nämlich ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, daß im Bereich staatlicher Prüfungshoheit bei negativem Prüfungsausgang ein schriftlicher Bescheid zu erteilen sei. So forderten sämtliche Juristenausbildungsgesetze der Bundesländer bei negativem Prüfungsausgang schriftliche Bescheiderteilung (z. B. das Juristenausbildungsgesetz von Nordrhein-Westfalen vom 6. Juli 1972, Gesetz- und Verordnungsblatt Nordrhein-Westfalen 1972 S. 200). Die Approbationsordnung für Ärzte vom 28. Oktober 1970 (BGBl I 1970, 1458) sehe in § 15 Abs. 10 ebenfalls schriftliche Erteilung eines Bescheides vor. Nach den §§ 15 und 24 der Allgemeinen Bestimmungen für Diplomprüfungsordnungen (vgl. Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 12. März 1970 i. d. F. vom 21. März 1975, Sammlung Nr. 1910.1) habe bei nichtbestandener Prüfung ein schriftlicher Bescheid mit Rechtsbehelfsbelehrung zu ergehen.
Aus den vorgenannten Prüfungsordnungen sei zu folgern, daß im Bereich staatlicher Prüfungshoheit negative Prüfungsentscheidungen durch schriftlichen Bescheid bekanntgegeben werden müßten. Die erwähnten Regelungen im staatlichen Prüfungsbereich seien schon deshalb erforderlich gewesen, weil die Schriftlichkeit einer für einen Berufsbewerber so bedeutsamen Verwaltungsmaßnahme, wie sie eine negative Prüfungsentscheidung darstelle, ein Gebot des in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) niedergelegten Rechtsstaatsprinzips sei. Es seien keine Gründe ersichtlich, hiervon gerade bei einem Bewerber für die Steuerberater- oder Steuerbevollmächtigtenprüfung abzuweichen.
Aus dem Erfordernis der Schriftlichkeit folge, daß die Frist für die Erhebung der Klage nicht am 5. Mai 1978 begonnen habe, sondern die Klage gemäß § 55 Abs. 2 FGO innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe der Prüfungsentscheidung habe erhoben werden können.
Gegen dieses Zwischenurteil legte die OFD Revision ein. Sie beantragt, die Entscheidung des FG aufzuheben, die Klage als unzulässig abzuweisen und die Kosten des Verfahrens der Klägerin aufzuerlegen.
Sie ist der Auffassung, daß das FG zu Unrecht von der Entscheidung des BFH (BFHE 126, 375, BStBl II 1979, 185), die sie für richtig halte, abgewichen sei.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an die Vorinstanz.
Die von der Klägerin am 19. September 1978 erhobene Klage ist nicht gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO binnen eines Monats nach Bekanntgabe des durch sie angefochtenen Verwaltungsakts erhoben worden. Angefochtener Verwaltungsakt ist gemäß § 40 Abs. 1, § 55 FGO die Entscheidung des Prüfungsausschusses der OFD, daß die Klägerin die Steuerbevollmächtigtenprüfung für 1978 nicht bestanden habe. Diese Entscheidung ist der Klägerin am 5. Mai 1978 bekanntgegeben worden durch die mündliche Eröffnung des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses, sie habe die Prüfung nicht bestanden.
1. Der Senat hat in seinem Urteil in BFHE 126, 375, BStBl II 1979, 185, entschieden, daß die Frist zur Erhebung der Klage nur dann nicht zu laufen beginnt, wenn entsprechend dem Wortlaut des § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO der Verwaltungsakt schriftlich ergangen und dem Betroffenen eine schriftliche Rechtsbehelfsbelehrung nicht erteilt worden ist. Die vom FG dagegen vorgebrachten Einwände geben dem Senat keinen Anlaß, seine Auffassung zu ändern.
Bei der Auslegung einer Rechtsnorm - hier des § 55 FGO - ist gemäß der Rechtsprechung des BVerfG der in der Gesetzesvorschrift zum Ausdruck gekommene "objektivierte Wille des Gesetzgebers" festzustellen, so wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den die Vorschrift gestellt ist. Gegenüber einer vom Wortlaut der Rechtsnorm abweichenden Auslegung ist besondere Zurückhaltung geboten; sie kann nur in Betracht kommen, wenn die auf den Wortlaut abgestellte Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde (vgl. BFH-Urteile vom 1. Februar 1973 I R 87/71, BFHE 108, 366, BStBl II 1973, 410, und vom 17. Oktober 1978 VII R 30/78, BFHE 126, 107, BStBl II 1979, 27). Seinem Wortlaut nach geht § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO von dem Fall aus, daß "der Verwaltungsakt schriftlich ergangen" ist, und bestimmt, daß die Frist für die Erhebung der Klage nur beginnt, wenn der Berechtigte über die Klage und das Gericht oder die Behörde, bei denen sie anzubringen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. In diesem Wortlaut kommt der objektivierte Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, nur bei einem schriftlich ergangenen Verwaltungsakt den Beginn der Klagefrist von der Erteilung einer schriftlichen Rechtsbehelfsbelehrung abhängig zu machen. Der übrige Inhalt des § 55 FGO gibt keinen Anlaß, hieran zu zweifeln; dasselbe gilt auch für die mit § 55 FGO zusammenhängenden allgemeinen Verfahrensvorschriften der Finanzgerichtsordnung. Die wortgetreue Auslegung des § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO führt nicht zu einem sinnwidrigen Ergebnis. Sie trägt der Tatsache Rechnung, daß der Finanzrechtsweg in vielen Fällen durch Anfechtungsklage gegen mündlich ergangene Verwaltungsakte beschritten wird, die ihrer Natur nach nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung verbunden sind. Dementsprechend sehen die Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977) wie die der Reichsabgabenordnung (AO) a. F. die Erteilung einer Rechtsbehelfsbelehrung nur bei einem schriftlichen Steuerbescheid vor (vgl. § 157 AO 1977, §§ 211, 212 AO a. F.).
Der Umstand, daß die Prüfungsvorschriften des Steuerberatungsrechts außerhalb des Gebiets der Steuerfestsetzung und -erhebung liegen, kann es nicht rechtfertigen, die vom Gesetzgeber auch für sie getroffene Regelung des § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO als zu weitgehend anzusehen und sie gegen ihren Wortlaut auszulegen.
Die Vorschriften des § 55 FGO, insbesondere des § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO, sind - entgegen der Meinung des FG - auch ohne Heranziehung des § 58 VwGO verständlich. Auch zu ihrer Auslegung bedarf es nicht eines Vergleiches mit dieser Vorschrift, da die Finanzgerichtsordnung eine eigenständige Verfahrensordnung enthält, wenngleich sie nach dem Vorbild der Verwaltungsgerichtsordnung gestaltet worden ist. Maßgebend ist in dieser Hinsicht, daß der Gesetzgeber die Finanzgerichtsordnung in mehrfacher Hinsicht anders gestaltet hat als die Verwaltungsgerichtsordnung. Die gegenüber § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO abweichenden Vorschriften des § 58 VwGO können daher keinen Anlaß bieten zu der vom FG geforderten teleologischen Reduktion des § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO.
Zu deren Rechtfertigung beruft sich das FG auch zu Unrecht auf die Entstehungsgeschichte der Finanzgerichtsordnung. Diese spricht eher gegen die Ansicht des FG. § 55 FGO ist aus § 54 des von der Bundesregierung beschlossenen Entwurfes einer Finanzgerichtsordnung (BT-Drucksache IV/1446) hervorgegangen. Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages hatte zunächst eine Fassung des § 54 Abs. 1 des Entwurfes vorgeschlagen, die dem § 55 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO entspricht, jedoch noch folgenden Satz 3 enthielt:
" Satz 1 gilt nicht für Verwaltungsakte der in § 229 der Reichsabgabenordnung bezeichneten Art, für die eine schriftliche Erteilung nicht vorgeschrieben ist" (vgl. den Schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses vom 14. Juni 1965, BT-Drucksache zu IV/3523). Damit hat er sich gegen eine Aufspaltung der mündlich ergehenden Verwaltungsakte hinsichtlich der Erforderlichkeit einer Rechtsmittelbelehrung entschieden.
2. Der Senat brauchte sich nicht mit der Frage zu befassen, ob die Klagefrist ausnahmsweise nicht in Gang gesetzt ist, wenn der Verwaltungsakt zwar nicht schriftlich ergangen ist, er aber nach dem Gesetz schriftlich hätte ergehen müssen. Denn die Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses durfte - ebenfalls entgegen der Ansicht des FG - mündlich erfolgen.
Das Steuerberatungsgesetz i. d. F. vom 4. November 1975 - n. F. - (BGBl I 1975, 2735) macht zwar in § 156 die Prüfung als Steuerbevollmächtigter (bzw. die Befreiung von ihr) zur Voraussetzung für die Bestellung als Steuerbevollmächtigter, überläßt aber durch § 158 Nr. 1b den Erlaß von Rechtsvorschriften über die Durchführung der Prüfung dem Verordnungsgeber. Auf Grund des mit dieser Ermächtigungsvorschrift übereinstimmenden § 118 Nr. 1b StBerG vom 16. August 1961 - a. F. - (BGBl I 1961, 1301) hat die Bundesregierung durch die Verordnung zur Durchführung des Steuerberatungsgesetzes vom 1. August 1962 (BGBl I 1962, 537) das Verfahren für die Prüfung von Steuerbevollmächtigten geregelt. § 22 DVStBerG i. d. F. der Änderungsverordnung vom 5. Dezember 1973 (BGBl I 1973, 1816) bestimmt, daß der Prüfungsausschuß im unmittelbaren Anschluß an die mündliche Prüfung über das Ergebnis der Prüfung berät und der Vorsitzende hierauf den Bewerbern eröffnet, ob sie die Prüfung nach der Entscheidung des Prüfungsausschusses bestanden haben. Das kann nur bedeuten, daß nach dem Ende der Beratung des Prüfungsausschusses der Inhalt des von diesem für den einzelnen Bewerber über das Ergebnis seiner Prüfung erlassenen Verwaltungsakts vom Vorsitzenden formlos, also auch mündlich, dem betreffenden Bewerber zur Kenntnis gegeben werden kann (vgl. BFHE 126, 375, BStBl II 1979, 185). Wenn also der Vorsitzende dem einzelnen Bewerber mündlich "eröffnet", ob er die Prüfung nach der Entscheidung des Prüfungsausschusses bestanden hat, gibt er dem Bewerber den vom Prüfungsausschuß erlassenen Verwaltungsakt i. S. des § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO bekannt.
Diese Regelung des § 22 Satz 3 DVStBerG wird entgegen der Meinung des FG der in § 118 StBerG a. F. bzw. § 158 StBerG n. F. enthaltenen Ermächtigung auch für den Fall gerecht, daß der Bewerber nach der Entscheidung des Prüfungsausschusses die Prüfung nicht bestanden hat. Die Ermächtigung des § 118 Nr. 1b StBerG a. F., auf Grund deren § 22 DVStBerG im Jahre 1962 erlassen und im Jahre 1973 durch die Einfügung eines Satzes geändert worden ist, erstreckt sich auf die Bekanntgabe des Verwaltungsakts über das Ergebnis der Prüfung. Sie läßt dem Verordnungsgeber Freiheit bei der Regelung der Frage, ob der Verwaltungsakt über das Prüfungsergebnis stets formlos bekanntgegeben werden kann oder ob er im Falle eines negativen Prüfungsergebnisses schriftlich ergehen muß. Die Freiheit des Verordnungsgebers wird in dieser Hinsicht entgegen der Auffassung des FG nicht durch das in Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck gekommene Rechtsstaatsprinzip eingeschränkt. Dieses Prinzip enthält nicht für jeden Sachverhalt in allen Einzelheiten eindeutig bestimmte Gebote und Verbote, sondern ist ein Verfassungsgrundsatz, der der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten bedarf, wobei allerdings fundamentale Elemente des Rechtsstaats und die Rechtsstaatlichkeit im ganzen gewahrt bleiben müssen (vgl. BVerfGE vom 26. Februar 1969 2 BvL 15, 23/68, BVerfGE 25, 269, 290; vom 26. Mai 1970 1 BvR 668, 710/68 und 337/69, BVerfGE 28, 264, 277; vom 8. Mai 1973 2 BvL 5, 6, 7, 13/72, BVerfGE 35, 41, 47). Es ist weder aus den Ausführungen des FG noch sonstwie erkennbar, in welcher besonderen Ausprägung das Rechtsstaatsprinzip die hier zu entscheidende Frage berührt, ob eine negative Prüfungsentscheidung durch schriftlichen Bescheid bekanntzugeben ist.
Mit der Regelung des § 22 DVStBerG, die es dem Vorsitzenden gestattet, auch ein negatives Prüfungsergebnis mündlich bekanntzugeben, hat der Verordnungsgeber von der ihm erteilten Ermächtigung, Bestimmungen über die Durchführung der Prüfung zu erlassen, in einer dem Zweck der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Denn die Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses dient dazu, dem Bewerber mitzuteilen, ob er die Prüfung bestanden hat oder nicht. Dazu bedarf es keiner Förmlichkeiten. Durch die Mündlichkeit der Bekanntgabe wird der Bewerber auch im Falle eines negativen Ergebnisses nicht in der Wahrung seiner Rechte behindert. Denn es bleibt ihm die Möglichkeit, eine von ihm als rechtswidrig angesehene negative Entscheidung über das Ergebnis seiner Prüfung anzugreifen und sich ggf. zu erkundigen, wie das zu geschehen hat.
Als der Gesetzgeber im Jahre 1961 die Ermächtigung des § 118 Nr. 1b StBerG a. F. erteilte und der Verordnungsgeber im Jahre 1962 durch die darauf gestützten Vorschriften des § 22 DVStBerG dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses die Möglichkeit einräumte, auch ein negatives Prüfungsergebnis dem Bewerber mündlich bekanntzugeben, bestanden bereits auf dem Gebiet des Wirtschaftsprüferrechts entsprechende Vorschriften (vgl. § 14 der Wirtschaftsprüferordnung vom 24. Juli 1961, BGBl I 1961, 1049, und § 17 der Prüfungsordnung für Wirtschaftsprüfer vom 31. Juli 1962, BGBl I 1962, 529). Es war demnach sachgerecht, die Frage, wie das Prüfungsergebnis bekanntzugeben ist, wie in diesem verwandten Rechtsgebiet zu regeln.
Es kann dahingestellt bleiben, ob das in den Jahren 1961 und 1962 durch die Ermächtigungsvorschrift des § 118 Nr. 1b StBerG a. F. und die darauf gestützten Bestimmungen des § 22 DVStBerG verfassungsgemäß gesetzte Recht durch einen inzwischen entstandenen allgemeinen Rechtsgrundsatz eingeschränkt oder außer Kraft gesetzt werden konnte, weil auf dem hier zu beurteilenden Gebiet des Bundesrechts in der Frage, ob zumindest bei negativem Prüfungsausgang ein schriftlicher Bescheid erteilt werden muß, der vom FG behauptete dauerhafte grundlegende Wandel nicht feststellbar ist. Die Approbationsordnung für Ärzte vom 28. Oktober 1970 allein reicht nicht für die Annahme eines solchen Wandels. Einheitliche Regelungen der Länder in ihren Juristenausbildungsgesetzen berühren nicht das Gebiet des Bundesrechts und die dafür maßgebenden Verhältnisse. Verwaltungsregelungen, wie sie die vom FG angeführten Allgemeinen Bestimmungen über Diplomprüfungen darstellen, sind keine für den Gesetz- und Verordnungsgeber verbindliche Maßstäbe für die Beurteilung der durch die Rechtsetzung zu regelnden Verhältnisse.
3. Da somit das FG-Urteil auf einer Verletzung des § 47 Abs. 1 Satz 1 und des § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO beruht, war es aufzuheben.
Das FG hat gemäß seiner dem Zwischenurteil zugrunde liegenden Auffassung, die Klagefrist sei nicht angelaufen, dem von der Klägerin durch Schriftsatz vom 15. Juni 1979 bei ihm gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefrist keine Bedeutung beigemessen. Es kann dahinstehen, ob der erkennende Senat im jetzigen Stadium des Verfahrens nach § 56 Abs. 4 FGO befugt wäre, die vom FG unterlassene Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zu treffen. Der Senat hält es jedenfalls für zweckmäßig, diese Entscheidung vom FG nachholen zu lassen und daher die Sache gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
BStBl II 1980, 459 |
BFHE 1980, 233 |