Leitsatz (amtlich)
Ob der Betrieb einer von zwei Personen geleiteten privaten Handelsschule mit mehr als 5 (bis 10) ständigen und bis zu 24 teilbeschäftigten Lehrkräften und mit 260 bis 500 Schülern eine freiberufliche oder gewerbliche Tätigkeit begründet, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
Normenkette
GewStG § 2 Abs. 1 S. 2; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 2-3
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute; sie betrieben in den Streitjahren 1956 bis 1960 gemeinschaftlich eine private Handelsschule in W. Daneben unterhielten sie eine Zweigschule in Z.
Der Kläger ist Diplomkaufmann und Diplomhandelslehrer. Die Klägerin hat nach Ablegung des Wirtschaftsabiturs mehrere Semester Betriebs- und Volkswirtschaft studiert, ohne indes ihr Studium mit einer Prüfung abzuschließen; sie hat außerdem an Lehrgängen für Maschinenschreiblehrer und Kurzschriftlehrer teilgenommen. Beide Kläger erteilen in verschiedenen Fächern Unterricht.
In den Streitjahren waren außer den Klägern noch fünf bis zehn vollbeschäftigte und bis zu 24 teilbeschäftigte Lehrkräfte an der Schule tätig. Die Schule in W wurde von jeweils 200 bis 400, die Schule in Z von jeweils 60 bis 100 Schülern besucht.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) setzte durch Bescheide vom 30. März 1965 für die Jahre 1956 bis 1959 im Wege einer Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO und durch Bescheid vom 28. April 1965 für das Jahr 1960 erstmals Gewerbesteuermeßbeträge fest.
Mit ihren Einsprüchen machten die Kläger geltend, daß sie keine gewerbliche, sondern eine freiberufliche Tätigkeit ausübten. Sie seien daher nicht gewerbesteuerpflichtig.
Die Einsprüche wurden zurückgewiesen. Auch die Klage hatte keinen Erfolg.
Zur Begründung seiner Entscheidung führte das FG aus, der Betrieb der Handelsschule stelle keine freiberufliche Tätigkeit dar. Eine freiberufliche Tätigkeit beruhe im wesentlichen auf der persönlichen Arbeitsleistung des Berufsträgers. Bediene sich dieser der Mithilfe fachlich vorgebildeter Hilfskräfte, dann gelte seine Betätigung nur dann als Ausübung eines freien Berufs, wenn er aufgrung eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig bleibe (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Das setze aber voraus, daß die eigene unmittelbare und individuelle Berufstätigkeit weiterhin im Vordergrund stehe und die den betreffenden Beruf kennzeichnende Tätigkeit nicht von Angestellten ausgeübt werde.
Der Betrieb einer Privatschule, wie sie die Kläger unterhielten, sei etwas anderes als die unterrichtende und erzieherische Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 EStG. Hier stehe das Bereitstellen der sächlichen und persönlichen Mittel für den Schulbetrieb im Vordergrund. Von einer gewissen Größe an erfordere eine Schule einen nicht unerheblichen sächlichen und persönlichen Aufwand, damit sie als Unternehmen verwaltungsmäßig geleitet werden könne. Die eigene unterrichtende Tätigkeit des Schulinhabers stehe hinter dieser unternehmerischen und organisatorischen Leistung zurück.
Auch im Streitfall könne der durch den Betrieb der Schule bedingte Aufwand an Verwaltung und Organisation nicht als unbedeutend angesehen werden. Das zeige sich an der Zahl der Schüler und Lehrkräfte und an der Vielzahl der Unterrichtsveranstaltungen. Ein wesentlicher Teil der Arbeits- und Leistungskraft der Kläger werde von den mit der Schulleitung verbundenen Aufgaben in Anspruch genommen.
Die Tätigkeit der angestellten Lehrkräfte könne den Klägern nicht als eigenverantwortliche Tätigkeit zugerechnet werden. Die Erteilung von Unterricht sei eine persönliche Leistung, die eine Einwirkung Dritter weitgehend ausschließe.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts. Sie sind der Auffassung, daß ihre Tätigkeit als freiberuflich anzusehen sei. Sie seien "leitend und eigenverantwortlich" im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG tätig gewesen. Eine eigenverantwortliche Tätigkeit liege nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 25. Oktober 1963 IV 373/60 U, BFHE 77, 750, BStBl III 1963, 595) vor, wenn der Berufsträger tatsächlich in der Lage sei, die Verantwortung zu übernehmen und wenn die von ihm oder von Hilfskräften erbrachten Leistungen noch den Stempel seiner Persönlichkeit trügen. Diese Voraussetzungen hätten in ihrem Fall vorgelegen.
Gehe man davon aus, daß ihre Schule von ihnen beiden unterhalten werde, so entfielen auf jeden von ihnen drei bis vier vollbeschäftigte und etwa acht teilbeschäftigte Lehrkräfte. Die Zahl der Lehrkräfte sei somit für sie überschaubar gewesen. Ihr Einfluß auf die gesamte unterrichtende Tätigkeit sei angesichts der geringen Anzahl von Lehrkräften so groß, daß diese Tätigkeit als ihre eigene erscheine. Sie hätten durch eigene Lehrtätigkeit, aber auch durch die Aufstellung von Stunden- und Stoffverteilungsplänen sowie durch Einweisung der Lehrkräfte in den Unterrichtsstoff und deren regelmäßige Kontrolle und Unterstützung im Unterricht - vor allem in didaktischer Hinsicht - unmittelbar auf den Unterricht eingewirkt.
Die Kläger beantragen, die Gewerbesteuermeßbescheide für 1956 bis 1959 vom 30. März 1965 aufzuheben, soweit sie von den ursprünglichen Bescheiden abweichen, und den Gewerbesteuermeßbescheid für 1960 vom 28. April 1965 ersatzlos aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG, da dieses von einer nicht zutreffenden Auffassung über den Begriff der eigenverantwortlichen Unterrichtstätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausgegangen ist und die vom FG getroffenen Feststellungen nicht ausreichen, um die Sache bei zutreffender Auslegung des Gesetzes abschließend entscheiden zu können.
1. Die unterrichtende Tätigkeit gehört grundsätzlich zu den freien Berufen (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG). Daran ändert sich auch nichts, wenn sich ein Steuerpflichtiger der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient; Voraussetzung in einem solchen Fall ist allerdings, daß er aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG in der Fassung des StÄndG 1960, BGBl I 1960, 616, BStBl I 1960, 514, der nach Art. 2 Abs. 7 dieses Gesetzes auf Veranlagungszeiträume ab 1955 anzuwenden ist); andernfalls ist seine Tätigkeit als Gewerbebetrieb anzusehen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG).
Voraussetzung für die Annahme einer eigenverantwortlichen Unterrichtstätigkeit ist, daß die für diese Tätigkeit charakteristische persönliche Beziehung des Unterrichtenden zum Schüler hergestellt wird. Diese Voraussetzung ist ohne Frage immer dann erfüllt, wenn jemand selbst unterrichtet. Es kann aber unter Umständen auch das regelmäßige Eingreifen des Schulleiters in den Unterricht anderer Lehrkräfte, also das Mitgestalten solcher Unterrichtsveranstaltungen, dazu beitragen, eine derartige Beziehung zu begründen. Auch in einem solchen Fall kann das Mitwirken des Schulleiters dem Unterricht noch den Stempel seiner Persönlichkeit geben (vgl. BFH-Urteile IV 373/60 U; vom 5. Dezember 1968 IV R 125/66, BFHE 94, 344, BStBl II 1969, 165; vom 6. November 1969 IV R 127/68, BFHE 97, 508, BStBl II 1970, 214).
Das Tätigwerden eines Schulleiters auf organisatorischem Gebiet - wie das Bereitstellen der zum Schulbetrieb erforderlichen sächlichen Mittel (Beschaffung und Unterhaltung von Schulraum, Bereitstellung von Unterrichtsmaterial und dergleichen) - sowie die verwaltungsmäßigen Vorkehrungen für den äußeren Ablauf des Unterrichts schließen eine eigenverantwortliche Unterrichtstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht aus. Jede freiberufliche Tätigkeit setzt ein gewisses Maß an Organisation voraus. Dabei soll allerdings nicht verkannt werden, daß die vom Schulleiter zu bewältigende Verwaltungsarbeit mit wachsender Größe der Schule umfangreicher wird und hierdurch die Möglichkeit zur Ausübung einer eigenverantwortlichen Unterrichtstätigkeit in dem oben erläuterten Sinne in Frage gestellt sein kann (vgl. BFH-Urteil IV R 127/68).
Ob ein Schulbetrieb in der von den Klägern betriebenen Größe dem Schulleiter noch Gelegenheit zu einer eigenverantwortlichen Unterrichtstätigkeit bietet, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Im vorliegenden Fall erscheint es - anders als in dem vom IV. Senat entschiedenen Fall IV R 127/68 - nicht als ausgeschlossen, daß die Kläger, die die Aufgaben der Schulverwaltung zu zweit wahrnahmen, noch ausreichend Gelegenheit hatten, durch eigenen Unterricht sowie durch das Mitgestalten des von anderen Lehrkräften erteilten Unterrichts eine überwiegend eigenverantwortliche Unterrichtstätigkeit zu betreiben.
2. Das angefochtene Urteil enthält die für die Entscheidung des Streitfalls erforderlichen Tatsachenfeststellungen nicht. Insbesondere fehlt es noch an Feststellungen darüber, ob in den Streitjahren das Ausmaß der Verwaltungsarbeit der Kläger eine eigenverantwortliche Unterrichtstätigkeit in dem oben erläuterten Sinne ausschloß. Sofern sich ergeben sollte, daß es den Klägern trotz des Umfangs ihrer Verwaltungstätigkeit möglich war, den von fremden Hilfskräften erteilten Unterricht mitzugestalten, müssen ferner auch noch Feststellungen darüber getroffen werden, in welcher Weise und in welchem Umfang die Kläger an dem von fremden Hilfskräften abgehaltenen Unterricht beteiligt waren und ob hierdurch eine für die unterrichtende Tätigkeit charakteristische persönliche Beziehung zwischen ihnen und den Schülern hergestellt wurde.
Fundstellen
Haufe-Index 70775 |
BStBl II 1974, 213 |
BFHE 1974, 105 |