Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsstätte eines Beauftragten in Räumen des Auftraggebers
Leitsatz (NV)
1. Eine Betriebsstätte i.S. des § 12 AO 1977 setzt weder eine ausdrücklich vereinbarte noch eine auf einen bestimmten Arbeitsplatz bezogene Rechtsposition voraus.
2. Eine Einrichtung kann auch dann Betriebsstätte sein, wenn der Unternehmer und seine Arbeitnehmer sie jeweils erst im Anschluss an personenbezogene Kontrollmaßnahmen erreichen können.
Normenkette
AO 1977 § 12 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) bzw. eine mit ihr verschmolzene Gesellschaft in den Streitjahren (1993 und 1998) in Deutschland über eine Betriebsstätte verfügten.
Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in den USA. Sie wurde im Jahr 1997 mit der S-Co. verschmolzen. Die S-Co., ebenfalls eine US-amerikanische Kapitalgesellschaft, hatte mit der US-Armee im Jahr 1993 einen bis 1995 befristeten Vertrag über den Betrieb und die Wartung eines Kampf-Simulationssystems geschlossen. Die Laufzeit des Vertrags wurde später bis zum Jahr 1999 und sodann erneut über das Jahr 2000 hinaus verlängert.
Das von der Klägerin (und zuvor von der S-Co.) betreute System diente dazu, bei Manövern Daten und Videobilder aufzuzeichnen, die sodann von den Analysten der Armee ausgewertet wurden. Die S-Co. und später die Klägerin hatten die Aufgabe, die Armeeangehörigen in der Bedienung der Ausrüstung zu schulen, die Daten aufzuzeichnen sowie die Funktionstüchtigkeit des Systems zu prüfen und das System weiterzuentwickeln. Die US-Armee stellte ihnen dafür Räumlichkeiten auf einem Kasernengelände zur Verfügung, wobei in den Streitjahren ca. 50 Mitarbeiter der jeweiligen Gesellschaft fortlaufend in zwei bestimmten Gebäuden arbeiteten. Die Mitarbeiter konnten das Militärgelände nur nach Überprüfung und Erhalt einer Berechtigungskarte betreten, hatten aber Schlüssel für alle von ihnen benutzten Gebäude und Räume. Sie arbeiteten häufig mit Angehörigen der US-Armee zusammen, der auf Anforderung Zugang zu allen Räumen verschafft werden musste.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) nahm auf Grund dieser Tatsachen an, dass die S-Co. bzw. die Klägerin im Inland über eine Betriebsstätte verfügt hätten, und veranlagte sie für die Streitjahre zur Körperschaftsteuer und zur Gewerbesteuer. In dem deshalb eingeleiteten Klageverfahren erließ das Finanzgericht (FG) ein Zwischenurteil mit dem Tenor, dass die Klägerin mit ihren in den Streitjahren im Inland erzielten Einkünften der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht und der Gewerbesteuerpflicht unterliege.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 12 der Abgabenordnung (AO 1977). Sie beantragt, das erstinstanzliche Urteil sowie die angefochtenen Steuerbescheide und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und war deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht angenommen, dass im Jahr 1993 die S-Co. und im Jahr 1998 die Klägerin beschränkt körperschaftsteuerpflichtig waren und der Gewerbesteuerpflicht unterlagen.
1. Nach den Feststellungen des FG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angefochten wurden und deshalb im Revisionsverfahren bindend sind (§ 118 Abs. 2 FGO), handelt es sich sowohl bei der Klägerin als auch bei der S-Co. um Kapitalgesellschaften ohne Sitz oder Geschäftsleitung im Inland. Solche sind gemäß § 2 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes mit ihren inländischen Einkünften beschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Zu den inländischen Einkünften zählen u.a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die im Rahmen einer inländischen Betriebsstätte erzielt werden (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes), wobei insoweit der Betriebsstättenbegriff des § 12 AO 1977 maßgeblich ist. Dasselbe gilt im Hinblick auf § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes, wonach gewerbliche Einkünfte aus einer im Inland unterhaltenen Betriebsstätte der Gewerbesteuer unterliegen.
2. Im Streitfall haben nach den ebenfalls bindenden Feststellungen des FG zunächst die S-Co. und später die Klägerin bestimmte Arbeiten auf einem im Inland liegenden Militärgelände der US-Armee ausgeführt. Das FG hat angenommen, dass sich dort jeweils eine Betriebsstätte der betreffenden Gesellschaft befunden habe. Diese Beurteilung greift die Revision ohne Erfolg an.
a) Nach § 12 Satz 1 AO 1977 ist Betriebsstätte jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient. "Geschäftseinrichtung" im Sinne dieser Bestimmung können u.a. ein Gebäude oder einzelne Räume innerhalb eines Gebäudes sein (Senatsurteil vom 3. Februar 1993 I R 80-81/91, BFHE 170, 263, BStBl II 1993, 462, 465).
b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist Voraussetzung für das Vorliegen einer Betriebsstätte i.S. des § 12 AO 1977, dass der Unternehmer eine gewisse, nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht über die betreffende Einrichtung besitzt (BFH-Urteile vom 11. Oktober 1990 I R 77/88, BFHE 158, 499, BStBl II 1990, 166; vom 30. Oktober 1996 II R 12/92, BFHE 181, 356, BStBl II 1997, 12; vom 8. März 1988 VIII R 270/81, BFH/NV 1988, 735). Dafür ist grundsätzlich erforderlich, dass er eine Rechtsposition innehat, die ohne seine Mitwirkung nicht ohne weiteres beseitigt oder verändert werden kann (BFH-Urteile vom 17. März 1982 I R 189/79, BFHE 136, 120, BStBl II 1982, 624; vom 23. Mai 2002 III R 8/00, BFHE 198, 325, BStBl II 2002, 512). Diese Rechtsposition muss weder ausdrücklich vereinbart noch auf einen bestimmten Raum oder Arbeitsplatz bezogen sein; es genügt vielmehr, wenn aus tatsächlichen Gründen anzunehmen ist, dass dem Unternehmer irgendein für seine Tätigkeit geeigneter Raum zur ständigen Nutzung zur Verfügung gestellt wird (Senatsurteil in BFHE 170, 263, BStBl II 1993, 462, 466).
Im Streitfall hat das FG hierzu festgestellt, dass die Mitarbeiter der Klägerin und zuvor der S-Co. auf dem Militärgelände über mehrere Jahre hinweg in zwei bestimmten Gebäuden gearbeitet haben. Diese Gebäude waren mit denjenigen Vorrichtungen ausgestattet, die für die vertraglich geschuldete Tätigkeit der Klägerin bzw. der S-Co. benötigt wurden. Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass die US-Armee verpflichtet war, der jeweiligen Gesellschaft entsprechende Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Sie hätte zwar möglicherweise die vorhandene Ausrüstung in andere Gebäude verlegen und sodann ihrer Vertragspartnerin diese Gebäude als neue Tätigkeitsorte zuweisen können. Jedenfalls musste sie ihr aber die Möglichkeit geben, über die gesamte Vertragsdauer hinweg in geeigneten Räumlichkeiten auf dem Gelände zu arbeiten. Damit hatten die S-Co. und später die Klägerin eine Rechtsposition inne, die zur Annahme einer "Verfügungsmacht" im Sinne der Betriebsstättendefinition ausreicht. Die Zuweisung eines für längere Zeit unentziehbaren bestimmten Arbeitsplatzes ist hierfür nicht erforderlich (Senatsurteil in BFHE 170, 263, BStBl II 1993, 462).
c) Eine abweichende Beurteilung ergibt sich nicht daraus, dass die Mitarbeiter der S-Co. und der Klägerin nach den Feststellungen des FG mit Angehörigen der US-Armee zusammenarbeiteten und in diesem Rahmen die ihnen zugewiesenen Räume auch von Armeeangehörigen genutzt wurden. Denn die zur Begründung einer Betriebsstätte erforderliche Verfügungsmacht setzt nicht das Recht oder die Möglichkeit zur alleinigen Nutzung der betreffenden Einrichtung voraus (ebenso FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. Mai 1992 3 K 309/91, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1992, 653; FG Bremen, Urteil vom 26. Juni 1997 3 95 016 K 5, EFG 1998, 438, bestätigt durch BFH-Urteil vom 9. November 1999 II R 107/97, BFH/NV 2000, 688; Buciek in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 12 AO Rz. 12, m.w.N.). Zwar begründet die bloße Möglichkeit zur Mitbenutzung von Einrichtungen eines Dritten keine ausreichende Verfügungsmacht über diese Einrichtungen (BFH-Urteile vom 18. März 1976 IV R 168/72, BFHE 118, 404, BStBl II 1976, 365; vom 16. Mai 1990 I R 113/87, BFHE 161, 358, BStBl II 1990, 983, 984). Anders ist es jedoch, wenn ein Unternehmen eine solche Einrichtung regelmäßig für eigene betriebliche Handlungen nutzt; in diesem Fall kann das nutzende Unternehmen dort selbst dann eine Betriebsstätte besitzen, wenn es keine rechtlich abgesicherte, sondern nur eine tatsächliche dauerhafte Mitbenutzungsmöglichkeit hat (BFH-Urteil vom 10. Mai 1961 IV 155/60 U, BFHE 73, 134, BStBl III 1961, 317). Dasselbe gilt erst recht dann, wenn --wie im Streitfall-- die Mitbenutzung der Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Eigentümer der Räume dient.
d) Die Verfügungsmacht der S-Co. und der Klägerin über die Einrichtungen auf der Armeebasis wird schließlich nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Mitarbeiter beider Gesellschaften das Gelände erst nach Erhalt einer Berechtigungskarte betreten durften und zuvor jeweils kontrolliert wurden. Zwar setzt das Bestehen einer Verfügungsmacht grundsätzlich voraus, dass der Unternehmer die betreffende Einrichtung jederzeit oder zumindest zu bestimmten Zeiten aufsuchen kann, ohne dass es eines konkreten Anlasses oder der einzelfallbezogenen Zustimmung einer anderen Person bedarf (Senatsbeschluss vom 9. März 1962 I B 156/58 S, BFHE 74, 614, BStBl III 1962, 227; Buciek, Deutsche Steuer-Zeitung 2003, 139, 140). Deshalb sind z.B. Räume in der Privatwohnung eines Arbeitnehmers regelmäßig keine Betriebsstätte des Arbeitgebers (BFH-Urteil in BFHE 198, 325, BStBl II 2002, 512; Senatsbeschluss vom 10. November 1998 I B 80/97, BFH/NV 1999, 665). Mit jener Gestaltung ist der Streitfall jedoch nicht vergleichbar. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass hier die Anwesenheit von Mitarbeitern der S-Co. bzw. der Klägerin auf der Armeebasis vertraglich vorgesehen war. Beide Gesellschaften konnten ihre Verpflichtungen gegenüber der US-Armee erkennbar nur dann erfüllen, wenn ihre Mitarbeiter die ihnen zugewiesenen Räume regelmäßig aufsuchten. Angesichts dessen bedeuteten die von der US-Armee ergriffenen Kontrollmaßnahmen keine Beschränkung des Zugangsrechts in dem Sinne, dass dieses grundsätzlich nicht bestand und nur von Fall zu Fall gewährt wurde; es ging dabei nur um eine Überprüfung der einzelnen Person darauf hin, ob deren Anwesenheit auf dem Gelände militärische Sicherheitsinteressen berührte. Eine solche Gestaltung hindert die Entstehung einer Betriebsstätte des beauftragten Unternehmens jedenfalls dann nicht, wenn --wie im Streitfall-- tatsächlich eine Vielzahl von Mitarbeitern des Unternehmens regelmäßig Zugang zu der betreffenden Einrichtung hatte.
3. Im Ergebnis hatten mithin sowohl die S-Co. im Streitjahr 1993 als auch die Klägerin im Streitjahr 1998 im Inland eine Betriebsstätte i.S. des § 12 Satz 1 AO 1977. Mit ihren dieser Betriebsstätte zuzurechnenden Einkünften unterliegen sie der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht. Ob sich auf der Armeebasis zugleich eine Betriebsstätte der jeweiligen Gesellschaft im abkommensrechtlichen Sinne befand, ist für die Frage der Steuerpflicht unerheblich und muss deshalb im vorliegenden Verfahren nicht untersucht werden.
4. Der Senat weicht mit dieser Beurteilung nicht von dem Urteil des VIII. Senats des BFH in BFH/NV 1988, 735 ab. Dort ging es um die Frage, ob Abstellplätze für Mülltonnen Betriebsstätten des Abfallentsorgungsunternehmens sind, das die Tonnen regelmäßig leert. Diese Frage hat der VIII. Senat verneint, da das Abfuhrunternehmen keinen Anspruch darauf habe, dass der einzelne Hauseigentümer seine Tonne immer an derselben Stelle abstellt. Er hat aber zugleich ausgeführt, dass der von ihm entschiedene Fall nicht mit demjenigen eines Wochenmarkthändlers verglichen werden könne, der einen festen Standplatz ohne ausdrückliche Zuweisung benutzt; in jenem Fall liegt mithin nach seiner Auffassung eine Betriebsstätte vor. Auf dieser Basis kann im Streitfall, in dem die S-Co. und die Klägerin im Hinblick auf ihren Einsatzort eine stärkere Rechtsposition besaßen als der erwähnte Marktbeschicker, nichts anderes gelten.
Fundstellen
BFH/NV 2005, 154 |
HFR 2005, 197 |
ZKF 2005, 262 |