Leitsatz (amtlich)
Ist ein Steuerpflichtiger bereits vor Inkrafttreten des § 39 Abs. 4 HGB dieser Vorschrift gemäß verfahren, liegt ein Mangel, der die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung entfallen lassen müßte, nicht vor, wenn sich nicht aus anderen Umständen ein schwerwiegender Mangel ergibt.
Normenkette
EStG § 10d; HGB § 39 Abs. 4
Tatbestand
Streitig ist, ob die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) für das Streitjahr (1963) zu Recht die Steuervergünstigung aus § 10d EStG in Anspruch genommen hat.
Die Steuerpflichtige hatte in ihrer Körperschaftsteuererklärung 1963 Vorjahresverluste in Höhe von 128 566 DM (aus 1960) geltend gemacht, deren Abzugsfähigkeit der Revisionsbeklagte (das FA) sowohl im vorläufigen als auch im endgültigen Körperschaftsteuerbescheid 1963 (vom 1. Juni 1966) jedoch verneinte. Nach den Feststellungen im Betriebsprüfungsbericht vom 6. Dezember 1960 waren die körperliche Bestandsaufnahme für die Bestände einer Abteilung für das Jahr 1959 nicht auf den Bilanzstichtag (31. Dezember 1959), sondern bereits am 28. November 1959 erfolgt und die in der Zeit vom 29. November bis 31. Dezember 1959 eingetretenen Veränderungen im Bestand nur rechnerisch (wertmäßig nach den Buchführungsunterlagen) berücksichtigt worden. Einspruch und Klage der Steuerpflichtigen blieben ohne Erfolg. Das FG führte aus:
Die Abzugsfähigkeit von Vorjahrsverlusten setze deren Ermittlung aufgrund ordnungsmäßiger Buchführung voraus. Eine ordnungsmäßige Buchführung erfordere nach den Vorschriften des § 39 HGB und der § 160 und 161 AO eine die Bilanz tragende Bestandsaufnahme (Urteil des BFH VI 245/65 vom 14. Dezember 1966, -BFH 87, 616 -, BStBl III 1967, 247). Fehle sie, so sei die Buchführung selbst dann nicht ordnungsmäßig, wenn das FA das Ergebnis der Buchführung für steuerliche Zwecke übernehme (BFH-Urteil VI 313/65 vom 25. März 1966, BFH 86, 301, BStBl III 1966, 487). - Die Steuerpflichtige sei zu einer körperlichen Bestandsaufnahme auf den 31. Dezember 1959 verpflichtet gewesen; ein Ausnahmefall im Sinne von Abschn. 30 Abs. 4 EStR 1958 (Verhinderung aus betrieblichen, klimatischen oder sonstigen Gründen) liege nicht vor. Aber selbst wenn man die Notwendigkeit, den Abschluß zum 31. Dezember 1959 aus Konsolidierungsgründen vorzeitig zu erstellen, als betrieblichen Hinderungsgrund gelten lassen wolle, entsprächen die nur wertmäßig erfolgten Fortschreibungen der Bestände den dort genannten Anforderungen nicht. Das FG teile die im nicht veröffentlichten BFH-Urteil I 79/64 vom 11. Januar 1967 vertretene Rechtsauffassung, nach der eine nur wertmäßige, nicht auch mengenmäßige Fortschreibung der Zu- und Abgänge den Anforderungen an eine permanente Inventur nicht entspräche und die Vorschriften des § 39 HGB in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuchs und der Reichsabgabenordnung vom 2. August 1965 (BGBl I 1965, 666) noch keine Anwendung fänden. Die Ansicht der Steuerpflichtigen, daß das von ihr angewendete Verfahren bereits vor Inkrafttreten der Neufassung dieser Vorschrift den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entsprochen habe, könne das Gericht nicht teilen. Auch aus dem BFH-Urteil VI 206/65 vom 11. November 1966 (BFH 87, 297, BStBl III 1967, 113) über die Erfordernisse der sogenannten permanenten Inventur lasse sich nichts für diese Ansicht herleiten; das Urteil halte auch für die permanente Inventur am Grundsatz der einmal jährlich durchzuführenden körperlichen Bestandsaufnahme als Kontrolle fest.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision der Steuerpflichtigen mit dem Antrag, unter Aufhebung der Vorentscheidung die festgesetzte Körperschaftsteuer auf 103 088 DM herabzusetzen, hilfsweise die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, ferner die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären. Zur Begründung läßt die Steuerpflichtige vortragen:
Das FG sei stillschweigend davon ausgegangen, daß die Mangelhaftigkeit der Bilanz zum 31. Dezember 1959 notwendig die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung des Jahres 1960 entfallen lasse. Das sei jedoch nicht der Fall. Der Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs (§ 4 Abs. 1 EStG) besage dies nicht, und hier um so weniger, als das FA die Werte der Schlußbilanz unverändert übernommen habe. - Abgesehen davon bestehe im Schrifttum kein Zweifel darüber, daß die vorverlegte Stichtagsinventur schon vor der Neufassung der Vorschrift des § 39 HGB den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entsprochen habe.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Der Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs, abgeleitet aus § 4 Abs. 1 EStG, hat seine Bedeutung in erster Linie für die Frage nach der zutreffenden Fehlerberichtigung (Beschluß des BFH Gr. S. 1/65 S vom 29. November 1965, BFH 84, 392, BStBl III 1966, 142; BFH-Urteil IV R 96/67 vom 30. November 1967, BFH 90, 430, BStBl II 1968, 144). Um diese Frage geht es im Streitfalle nicht. Der Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs führt aber - jedenfalls bei Verletzung des Erfordernisses der zutreffenden mengenmäßigen Erfassung der Bestände (BFH-Urteil I 120/63 vom 9. Februar 1966, BFH 85, 184, BStBl III 1966, 278) - auch dazu, daß eine solche Verletzung der Vorschriften über die Inventur die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung nicht nur für das abgeschlossene, sondern auch für das ihm folgende Geschäftsjahr entfallen läßt (Gutachten des BFH IV D 1/53 S vom 25. März 1954, BFH 58, 740, BStBl III 1954, 195). Ein Verlustausweis, der auf einer von der Inventur her unrichtigen Schlußbilanz des Vorjahres (hier 1959) beruht, kann zwangsläufig nicht aufgrund einer ordnungsmäßigen Buchführung ermittelt worden sein, selbst wenn die Buchführung für das abgeschlossene Jahr (hier 1960) keine Beanstandungen erfährt (siehe dazu Tz. 43 des Betriebsprüfungsberichts vom 27. Dezember 1965; Baumbach-Duden, Handelsgesetzbuch, 19. Aufl., Anm. 2 C zu § 39). Der Senat sieht keinen Anlaß, von dieser in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung abzuweichen.
2. Die vorverlegte Stichtagsinventur der Steuerpflichtigen entspricht nicht der im Streitjahr geltenden Fassung der Vorschrift des § 39 HGB. Denn es fehlt für die Bestände einer Abteilung für die Zeit vom 29. November bis 31. Dezember 1959 an einer auch mengenmäßigen Erfassung der Bestände.
Der Senat stimmt der Steuerpflichtigen darin zu, daß die Buchführung nicht Selbstzweck ist (BFH-Urteil IV 63/63 vom 26. März 1968, BFH 92, 264, BStBl II 1968, 527 [531]). Auch wenn der Steuerpflichtigen im Streitfall aus besonderen Gründen eine körperliche Bestandsaufnahme auf den Bilanzstichtag nicht zuzumuten war, war sie an sich nicht gehindert, die Weiterschreibung der Bestände in der Zeit vom 29. November bis 31. Dezember 1959 auf die Menge auszudehnen.
Ob sich die Steuerpflichtige für ihr Vorgehen auf die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung berufen kann, erscheint dem Senat zweifelhaft, da nach der Begründung zu § 39 Abs. 4 HGB (Bundestagsdrucksache IV/2865 zu § 1 Nr. 2 Anm. zu b) diese Inventurmethode erst vor kurzem entwickelt worden ist. Danach könnte das Vorgehen der Steuerpflichtigen formal als ein Fehler im System der Buchfuhrung angesehen werden.
Die Rechtsprechung hat indes, was die Beurteilung einer Buchführung als ordnungsmäßig und damit als Grundlage für die Anwendbarkeit steuerrechtlicher Vergünstigungsvorschriften betrifft, den Begriff des Systemfehlers als Kriterium aufgegeben (siehe auch BFH-Urteil IV R 57/67 vom 31. Juli 1969, BFH 97, 246, BStBl II 1970, 125 mit weiterer Rechtsprechung). Es kommt danach nicht (mehr) auf die formale Bedeutung eines Buchführungsmangels, sondern auf das sachliche Gewicht dieses Mangels an. Dieses wird danach zu beurteilen sein, ob - vom Zweck der Buchführung her - trotz des Mangels die Nachprüfung des vom Steuerpflichtigen angesetzten Wertes innerhalb angemessener Frist möglich ist.
Hinzu kommt, daß das von der Steuerpflichtigen im Streitfall geübte Verfahren seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuches und der Reichsabgabenordnung vom 2. August 1965 (BStBl I 1965, 371) nach § 39 Abs. 4 HGB gesetzlich gebilligt wird (vgl. auch Abschn. 30 Abs. 3 EStR). Umstände, die den Mangel gleichwohl als schwerwiegend erscheinen ließen, sind im Streitfall nicht ersichtlich. Die Möglichkeit einer Nachprüfung an Hand der Buchführung war durch das gewählte Verfahren nicht derart beeinflußt, daß von einem schwerwiegenden Mangel gesprochen werden müßte.
Der Senat sieht danach den Mangel im vorliegenden Streitfall als nicht so schwerwiegend an, daß er dazu führen müßte, der Buchführung die Ordnungsmäßigkeit zu versagen.
3. Da dem Senat nicht alle für eine abschließende Entscheidung notwendigen Zahlen zur Verfügung stehen, geht die Sache an das FG zur rechnerischen Nachprüfung des Antrags der Steuerpflichtigen zurück.
Fundstellen
Haufe-Index 413187 |
BStBl II 1972, 488 |
BFHE 1972, 138 |