Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsberatende Tätigkeit eines Rechtsanwalts bei Arbeitnehmerkammer nicht umsatzsteuerfrei
Leitsatz (NV)
1. Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Mitwirkung natürlicher Personen bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, die aufgrund behördlicher Bestellung außerhalb eines haupt- oder nebenamtlichen Dienstverhältnisses stattfindet und für die allenfalls eine Entschädigung besonderer Art bezahlt wird, ehrenamtlich.
2. Die Annahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit scheidet danach aus, wenn die Beratungstätigkeit für die Arbeitnehmerkammer im Rahmen des Rechtsanwaltsberufs ausgeübt wird.
3. Eine ehrenamtliche Tätigkeit ist außerdem nicht gegeben, wenn das jährlich vereinnahmte Entgelt der Höhe nach nicht mehr als bloße Entschädigung besonderer Art gelten kann.
Normenkette
UStG § 4 Nr. 26
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist selbständiger Rechtsanwalt.
Die Beteiligten streiten darum, ob die Tätigkeit des Klägers als Berater in einer öffentlichen Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer der Stadt X (Arbeitnehmerkammer) --einer Körperschaft des öffentlichen Rechts-- gemäß § 4 Nr. 26 des Umsatzsteuergesetzes 1993/1999 in der in den Streitjahren geltenden Fassung(UStG) steuerfrei ist.
Der Arbeitnehmerkammer sind Aufgaben der öffentlichen Rechtsberatung übertragen. Nach dem Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz --BerHG--; BGBl I 1980, 689; zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 15. Dezember 2004, BGBl I 2004, 3392) tritt in den Ländern X und Y die öffentliche Rechtsberatung an die Stelle der Rechtsberatung nach dem BerHG (§ 12 BerHG bzw. § 14 BerHG a.F). Das Land X erstattete der Arbeitnehmerkammer die entstandenen Aufwendungen.
Der Kläger war in den Streitjahren 1998 bis 2003 als Berater in der öffentlichen Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer tätig. Er durfte gegenüber den Ratsuchenden nicht als Rechtsanwalt auftreten, sondern musste als Berufsbezeichnung "Assessor" angeben. Er erhielt für seine Tätigkeit in den Jahren 1998 bis 2001 für die volle Zeitstunde einen Betrag von jeweils 35 DM und in den Jahren 2002 und 2003 pro Zeitstunde 22,50 €.
In den Streitjahren bezahlte die Arbeitnehmerkammer folgende Entgelte in Höhe von 8 557,00 DM bis 9 250,41 €.
Der Kläger behandelte diese Entgelte in seinen Steuererklärungen als umsatzsteuerfrei.
Nach einer in 2003 durchgeführten Außenprüfung vertrat das FA die Auffassung, dass der Kläger gegenüber der Arbeiternehmerkammer keine ehrenamtliche Tätigkeit i.S. von § 4 Nr. 26 UStG erbracht habe. Die hierfür erhaltenen Zahlungen seien in vollem Umfang steuerpflichtig. Das FA erließ dementsprechend geänderte bzw. erstmalige Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre.
Es wies den zusammengefassten Einspruch des Klägers mit Einspruchsentscheidung vom 11. Juli 2006 als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage wegen der Streitjahre ab. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 83 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt der Kläger, die Voraussetzungen von § 4 Nr. 26 UStG seien erfüllt. Das FG habe fehlerhaft angenommen, er sei entgeltlich tätig gewesen. Vielmehr sei er unentgeltlich tätig geworden. Bei den Entgelten habe es sich nicht um eine leistungs- und qualifikationsbezogene Vergütung gehandelt, sondern um eine Entschädigung für Zeitversäumnis i.S. von § 4 Nr. 26 UStG.
Gegen die Unentgeltlichkeit der von ihm erbrachten Leistungen spreche auch nicht, dass in der öffentlichen Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer auch abhängig Beschäftigte tätig seien. Die ehrenamtlich ausgeübte Tätigkeit in einer Einrichtung zeichne sich nicht dadurch aus, dass sie von ihrer Art her ausschließlich ehrenamtlich erbracht werde und die Art der Tätigkeit nicht auch von in der Einrichtung angestellten Beschäftigten ausgeübt werden könne und dürfe.
Auch die Höhe der Zahlungen spreche nicht gegen die Ehrenamtlichkeit. Selbst wenn die Regelungen des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes --JVEG-- (BGBl I 2004, 718, 776) über die ehrenamtlichen Richtern gewährte Entschädigung für Zeitversäumnis als Anhaltspunkt dienen sollten, handele es sich insoweit um eine verkürzte und damit unrichtige Darstellung im angefochtenen Urteil, wenn --wie geschehen-- zugrunde gelegt werde, diesen werde lediglich gemäß § 16 JVEG eine Entschädigungsleistung in Höhe von 5 € pro Stunde gewährt. Die Gesamtheit der ehrenamtlichen Richtern grundsätzlich zustehenden Entschädigungsleistungen ergebe sich vielmehr aus § 15 JVEG. Danach stehe den ehrenamtlichen Richtern neben der Entschädigungsleistung von 5 € pro Stunde zusätzlich eine Verdienstausfallentschädigung gemäß § 18 JVEG zu. Diese richte sich nach dem regelmäßigen Bruttoverdienst. Sie betrage bis zu 20 € pro Stunde (§ 18 Satz 1 JVEG), ggf. bis zu 39 € bzw. 51 € pro Stunde entsprechend § 18 Sätze 2 und 3 JVEG. Demgegenüber habe er für seine Tätigkeit lediglich 35 DM bzw. 22,50 € pro Stunde erhalten.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung und die Umsatzsteuerbescheide aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG hat im Ergebnis zu Recht die Steuerfreiheit für die Umsätze des Klägers aus seiner rechtsberatenden Tätigkeit bei der Arbeitnehmerkammer nach § 4 Nr. 26 Buchst. a UStG verneint.
1. Der als Rechtsanwalt tätige Kläger ist Unternehmer i.S. des § 2 UStG.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG umfasst das Unternehmen die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG gehört jede Tätigkeit, die selbständig und nachhaltig mit Einnahmeerzielungsabsicht unternommen wird, zum Unternehmen.
Auf der Grundlage der den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) hat der Kläger seine gegenüber der Arbeitnehmerkammer erbrachte Beratungstätigkeit selbständig ausgeübt. Seine Tätigkeit war daher als eine von ihm im Rahmen seines Unternehmens ausgeführte sonstige Leistung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbar.
2. Dem FG ist auch darin zu folgen, dass die Tätigkeit des Klägers nicht nach § 4 Nr. 26 UStG von der Steuer befreit ist. Denn der Kläger hat seine Beratungstätigkeit in der Arbeitnehmerkammer nicht ehrenamtlich ausgeübt.
a) Gemäß § 4 Nr. 26 UStG ist die ehrenamtliche Tätigkeit steuerfrei, wenn sie für juristische Personen des öffentlichen Rechts ausgeübt wird (Buchst. a) oder wenn das Entgelt für diese Tätigkeit nur in Auslagenersatz und einer angemessenen Entschädigung für Zeitversäumnis besteht (Buchst. b).
Das UStG selbst definiert den Begriff des Ehrenamts nicht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die Mitwirkung natürlicher Personen bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, die aufgrund behördlicher Bestellung außerhalb eines Haupt- oder nebenamtlichen Dienstverhältnisses stattfindet und für die allenfalls eine Entschädigung besonderer Art gezahlt wird, ehrenamtlich (BFH-Urteile vom 16. Dezember 1987 X R 7/82, BFHE 152, 182, BStBl II 1988, 384, und vom 4. Mai 1994 XI R 86/92, BFHE 174, 573, BStBl II 1994, 773; ebenso Abschn. 120 der Umsatzsteuer-Richtlinien 1996/2000 --UStR--).
Zu den ehrenamtlichen Tätigkeiten gehören hiernach zunächst alle Tätigkeiten, die in einem Gesetz ausdrücklich als solche bezeichnet werden, und ferner die Tätigkeiten, die der allgemeine Sprachgebrauch als ehrenamtlich versteht. Ergibt sich die Bezeichnung der ehrenamtlichen Tätigkeit nicht aus dem Gesetz und lässt sich auch ein diesbezüglicher Sprachgebrauch nicht ermitteln, ist ein Rückgriff auf den Kern der Rechtsbegriffe "Ehrenamt" und "ehrenamtliche Tätigkeit" erforderlich, der sich vor allem unter dem Blickwinkel der Beteiligung von Bürgern an dem öffentlichen Gemeinwesen geformt hat, insbesondere im Bereich der kommunalen und sozialversicherungsrechtlichen Selbstverwaltung sowie in der Justiz (BFH-Urteile in BFHE 152, 182, BStBl II 1988, 384, und in BFHE 174, 573, BStBl II 1994, 773).
b) Danach würde eine ehrenamtliche Tätigkeit bereits dann ausscheiden, wenn der Kläger seine Beratungstätigkeit für die Arbeitnehmerkammer im Rahmen seines Berufs als Rechtsanwalt ausgeübt hat. Für eine Tätigkeit im Rahmen der hauptberuflichen Tätigkeit könnte sprechen, dass ohne die Zulassung als Rechtsanwalt die selbständige Ausübung rechtsberatender Tätigkeiten nicht ohne weiteres zulässig ist (vgl. Art. 1 § 1 des Rechtsberatungsgesetzes; vgl. auch Abschn. 120 Abs. 3 UStR zu § 4 Nr. 26 UStG).
Doch selbst wenn entsprechend dem Vorbringen des Klägers eine Rechtsberatung außerhalb seines Berufs als Rechtsanwalt unterstellt wird, handelt es sich nicht um eine ehrenamtliche Tätigkeit. Denn sie wird weder in einem Gesetz als ehrenamtlich bezeichnet noch nach dem Sprachgebrauch als ehrenamtlich angesehen.
Die Annahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit durch einen Rückgriff auf den Kern des Begriffs des Ehrenamts scheitert jedenfalls an der Höhe des insgesamt jährlich von dem Kläger für seine Tätigkeit erhaltenen Entgelts.
Die Rechtsprechung hat --wie auch die Vorinstanz-- in diesem Zusammenhang teilweise als Anhaltspunkt die Vergütungen zugrunde gelegt, die ehrenamtliche Richter als Entschädigung erhalten (BFH-Urteil in BFHE 152, 182, BStBl II 1988, 384).
Zwar übersteigt das von dem Kläger vereinnahmte Entgelt für die Mitwirkung an der öffentlichen Rechtsberatung entsprechend seinem Vorbringen der Höhe nach nicht die Entschädigungen, die ehrenamtliche Richter üblicherweise in den Streitjahren für ihre gelegentliche Teilnahme an Verhandlungsterminen erhalten haben. Denn das dem Kläger von der Arbeitnehmerkammer bezahlte Entgelt von 35 DM pro Stunde in den Jahren 1998 bis 2001 sowie von 22,50 € pro Stunde in den Jahren 2002 und 2003 weicht nicht wesentlich von den Entschädigungen für ehrenamtliche Richter ab. Insoweit ist abweichend von der Rechtsauffassung der Vorinstanz nicht lediglich die Entschädigung für Zeitversäumnis von 8 DM (bzw. in 2002 und 2003 von 4 € pro Stunde) nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter --EhrRiEntschG-- (BGBl I 1957, 861, 900; aufgehoben durch Art. 6 Nr. 3 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes, BGBl I 2004, 718) sondern entsprechend dem Vorbringen des Klägers zusätzlich auch die Entschädigung für Verdienstausfall von höchstens 30 DM pro Stunde --nach billigem Ermessen in Sonderfällen bis zu 60 DM pro Stunde-- (bzw. in 2002 und 2003 von 16 € pro Stunde --nach billigem Ermessen bis zu 31 € je Stunde--) gemäß § 2 Abs. 2 und 3 des EhrRiEntschG anzusetzen. Ferner erhalten die ehrenamtlichen Richter zusätzlich eine Entschädigung für Fahrtkosten und sonstigen Aufwand (§§ 3, 4 EhrRiEntschG).
Aber in diesem Zusammenhang ist entscheidend zu berücksichtigen, dass der Kläger nachhaltig und regelmäßig über mehrere Jahre hinweg jeweils erhebliche Einnahmen aus der Beratungstätigkeit erzielt hat, welche die Beträge, die ehrenamtliche Richter für gelegentliche Teilnahmen an Verhandlungsterminen in einem Jahr erzielen, weit übersteigen. Dem FG ist daher auch insoweit zu folgen, dass dieser Umstand der Annahme einer bloßen Entschädigung entgegensteht.
Im Übrigen steht diese Einordnung auch im Einklang mit der Handhabung in anderen Bundesländern. Denn insoweit ist zu beachten, dass lediglich in den Bundesländern X und Y eine öffentliche Rechtsberatung stattfindet (§ 12 Abs. 1 BerHG). In anderen Bundesländern ansässige Rechtsanwälte sind nach § 49a der Bundesrechtsanwaltsordnung grundsätzlich verpflichtet, in ihren jeweiligen Kanzleiräumen eine Beratungshilfe für Bedürftige nach dem BerHG durchzuführen. Dafür erhalten sie nur eine geringe Beratungsgebühr von der jeweiligen Landeskasse (§ 44 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte --Rechtsanwaltsvergütungsgesetz-- i.V.m. Anlage 1 Teil 2 Abschnitt 5 Nummer 2500 bzw. §§ 131 ff. der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte i.V.m. Anhang 1 Tafel 8). Vereinbarungen über eine höhere Vergütung sind gemäß § 8 BerHG nichtig. Soweit die von den Rechtsanwälten vereinnahmten Gebühren in diesen Fällen geringfügig über der Vergütung liegen, die der Kläger von der Arbeitnehmerkammer erhält, ist zu berücksichtigen, dass die andernorts tätigen Rechtsanwälte von diesem umsatzsteuerpflichtigen Entgelt auch ihre Kanzlei- und Personalkosten zu bestreiten haben. Demgegenüber führt der Kläger die Beratung regelmäßig in den Räumlichkeiten der Arbeitnehmerkammer durch, so dass insoweit für ihn keine Büro- bzw. Personalkosten anfallen.
Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, die von dem Kläger durchgeführte Rechtsberatung für Bedürftige in X abweichend von der vergleichbaren umsatzsteuerpflichtigen Tätigkeit der Rechtsanwälte in anderen Bundesländern als unentgeltlich und damit als "ehrenamtlich" i.S. von § 4 Nr. 26 UStG anzusehen.
Fundstellen
Haufe-Index 2010410 |
BFH/NV 2008, 1368 |
HFR 2008, 1054 |