Steuerbefreiung für eine Aufsichtsratstätigkeit zugunsten einer kommunalen Abwasser-GmbH
Blick in die aktuelle Rechtslage
Einnahmen aus nebenberuflichen Tätigkeiten im Dienst oder Auftrag einer juristischen Person des öffentlichen Rechts (Alternative 1) oder einer gemeinnützigen Körperschaft (Alternative 2) sind nach Maßgabe von § 3 Nr. 26a EStG bis zur Höhe von 840 EUR als Ehrenamtspauschale im Jahr steuerfrei.
Die Anwendung dieser Steuerfreiheit kann jedoch nicht in Anspruch genommen werden, wenn für die Einnahmen aus derselben Tätigkeit eine Steuerfreiheit
- nach § 3 Nr. 12 EStG (Aufwandsentschädigungen aus öffentlichen Kassen)
- nach § 3 Nr. 26 EStG (Übungsleiterfreibetrag bis zur Höhe von 3.000 EUR) oder
- nach § 3 Nr. 26b EStG (Aufwandsentschädigungen für ehrenamtlich tätige Betreuer, Vormünder und Pfleger)
gewährt wird. Diese Steuerbefreiungen sind vorrangig zu prüfen. Kommt für dieselbe Tätigkeit eine Steuerfreiheit nach einer dieser Vorschriften in Frage, scheidet die Anwendung der Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 26a EStG aus (§ 3 Nr. 26a Satz 2 EStG).
Im Verhältnis zwischen der Steuerfreiheit für Einnahmen aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit (§ 3 Nr. 26a EStG) und der Anwendung des Übungsleiterfreibetrages (§ 3 Nr. 26 EStG) ist bedeutsam, dass erstgenannte Steuerfreiheit keine Begrenzung auf bestimmte Tätigkeiten im gemeinnützigen Bereich vorsieht. Begünstigt sind damit beispielsweise auch
- die Tätigkeit der Mitglieder des Vorstandes,
- die Tätigkeit des Kassierers
- die Tätigkeit der Bürokräfte,
- die Tätigkeit des Reinigungspersonals und
- die Tätigkeit des Platzwarts
(BMF, Schreiben. v. 21.11.2014, BStBl I 2014, 1581 Nr. 1).
Wird eine begünstigte Tätigkeit zu Gunsten einer gemeinnützigen Körperschaft erbracht, muss sich diese auf deren ideellen Bereich einschließlich des Zweckbetriebs beziehen.
Offene Frage
Der BFH musste sich nunmehr mit der Frage befassen, ob auch die Steuerbefreiung der Tätigkeit im Dienst oder im Auftrag einer juristischen Person des öffentlichen Rechts gemeinnützige Zwecke fördern muss.
Sachverhalt: Aufsichtsratstätigkeiten im Auftrag der Stadt zugunsten einer Betreiber-GmbH
Der der BFH-Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt verhielt sich folgendermaßen:
- Der Kläger erzielte im Streitjahr 2015 hauptberuflich Einkünfte als selbständig tätiger Rechtsanwalt.
- Nebenberuflich war er Mitglied des Aufsichtsrats der Q GmbH.
- Er erhielt eine als Aufwandsentschädigung bezeichnete Zahlung in Höhe von 620 EUR.
- Mehrheitsgesellschafterin der Q GmbH ist zu 90,5 % die Stadt D; die weiteren Gesellschaftsanteile halten die Stadt A sowie die Gemeinden B und C.
- Die Q GmbH nimmt die kommunalen Pflichtaufgaben der Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung für die beteiligten Kommunen wahr.
- Die hoheitliche Tätigkeit im Abwasserentsorgungsbereich betraf 60 % der Erlöse; die weiteren 40 % der Erlöse waren nicht begünstigt und unterlagen der Umsatzsteuer.
- Die Stadt D wird in der Gesellschafterversammlung der Q GmbH vom Oberbürgermeister vertreten.
- Neben der Gesellschafterversammlung ist weiteres Organ der Q GmbH der Aufsichtsrat.
- Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt D bestellte den Kläger durch Beschluss zum Mitglied des Aufsichtsrates der Q GmbH und entsandte ihn als ihren Vertreter in dieses Gremium.
- Die Höhe des Entgelts, das der Kläger für die Tätigkeit erhielt, richtete sich nach der gemeindlichen Satzung der Stadt D über die Entschädigung der Gemeindevertreter in rechtlich selbständigen Unternehmen der Stadt D. Die Zahlung an den Kläger erfolgte aus dem Vermögen der Q GmbH.
- Dem Kläger entstanden im Streitjahr im Zusammenhang mit seiner Aufsichtsratstätigkeit Aufwendungen in Höhe von insgesamt 224,70 EUR (Fahrtkosten 200,70 EUR, Verpflegungsmehraufwendungen 24 EUR).
Die Tätigkeitsvergütungen für die nebenberufliche Aufsichtsratstätigkeit wurden als Einkünfte aus § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG eingeordnet. Strittig war, ob für diese nebenberuflichen Tätigkeitsvergütungen die Steuerfreiheit für eine ehrenamtliche Tätigkeit zur Anwendung kommt.
Das Finanzamt lehnte dies mit der Begründung ab, dass die Tätigkeit der Q-GmbH als Unternehmen des Privatrechts nicht gemeinnützig tätig sei.
FG Berlin-Brandenburg: Steuerfreiheit ist anwendbar
Das FG Berlin-Brandenburg lehnte mit Urteil v. 12.11.2020 (9 K 9167/17, EFG 2021, 825) die von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung ab.
Entscheidung: Aufsichtsratstätigkeit zugunsten der Stadt ist eine steuerfreie Einnahme
Der BFH hat mit Urteil v. 8.5.2024 (VIII R 9/21) die Einnahmen aus der nebenberuflichen Tätigkeit als Aufsichtsrat der Q GmbH in voller Höhe steuerbefreit.
Aufsichtsratstätigkeit: Einkünfte aus § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG liegen vor
Zunächst hat der BFH die Auffassung bestätigt, dass aus der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG erzielt werden. Eine Aufsichtsratstätigkeit ist das Recht und die Pflicht zur Kontrolle der Geschäftsführung.
Die Einnahmen aus der Aufsichtsratstätigkeit wurden nicht den freiberuflichen Einkünften aus der Anwaltstätigkeit zugeordnet, weil keine erheblichen Berührungspunkte und Überschneidungen zur Haupttätigkeit als Anwalt vorlagen (vgl. FG Köln, Urteil v. 19.10.2017, 15 K 2006/16, rkr.).
Einkünfte aus der Aufsichtsratstätigkeit bleiben aber nach § 3 Nr. 26a Satz 1 EStG steuerfrei
Die Einkünfte aus der Aufsichtsratstätigkeit blieben vollumfänglich steuerfrei (§ 3 Nr. 26a Satz 1 EStG).
Die unstrittig nebenberuflich ausgeübte Aufsichtsratstätigkeit hat der Kläger im Auftrag einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, die in einem Mitgliedsstaat der EU belegen ist, ausgeübt.
Die Stadt D hatte als Gesellschafterin der Q GmbH – entsprechend der gesellschaftsvertraglichen Regelung – die Möglichkeit, Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden. Durch die Entsendung des Klägers trat dieser nach außen als Vertreter der Stadt D auf, indem er an den Sitzungen des Aufsichtsrats teilnahm.
Entsprechend dem Gesetzeswortlaut hält es der BFH für ausreichend, dass eine für die Stadt ausgeübte ehrenamtliche Tätigkeit i.S.d. § 3 Nr. 26a Alternative 1 EStG vorliegt. Die Tätigkeit muss nicht zusätzlich der Förderung gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke dienen (Rz. 23). Bislang wurde die Frage, ob ein solcher Tätigkeitsbezug für die Anwendung der Steuerfreiheit nötig ist oder nicht, kontrovers in der Fachliteratur diskutiert (Rz. 25 m.w.N.).
Die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 26a EStG stellt nicht darauf ab, aus welchem Vermögen das Entgelt für die begünstigte Tätigkeit entrichtet wird. Der BFH stellte klar, dass diese Steuerfreiheit auch anwendbar ist, wenn das Entgelt nicht aus dem Vermögen der auftraggebenden juristischen Person des öffentlichen Rechts stammt (Rz. 20).
Betriebsausgabenabzug ist ausgeschlossen
Die Betriebseinnahmen von im Streitjahr 620 EUR bleiben nunmehr steuerfrei; die im unmittelbaren Zusammenhang hiermit angefallenen Betriebsausgaben von rd. 225 EUR sind nicht steuerwirksam abziehbar (§ 3 Nr. 26a Satz 3 EStG).
Praxisfolgen
Die BFH-Entscheidung ist über den entschiedenen Einzelfall hinaus – und zwar in allen offenen Fällen – bedeutsam. Bei Erklärungserstellung sollte verstärkt auf die Anwendung der Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 26a EStG gerade bei Tätigkeiten von Mandanten zugunsten von Gemeinden geachtet werden. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass Einkünfte aus einer Aufsichtsratstätigkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG selbst dann vorliegen, wenn durch die Aufsichtsratstätigkeit keine umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft begründet wird (BFH, Beschluss v. 8.8.2023, VIII B 72/22, BFH/NV 2023, 1188). Dies hat die Rezensionsentscheidung nicht in Frage gestellt.
BFH, Urteil v. 8.5.2024, VIII R 9/21; veröffentlicht am 25.7.2024
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